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Straßengewalt: Absolute Mehrheit der Muslime ist empört

Frankreich Straßengewalt

Straßengewalt: Die überwältigende Mehrheit der Muslime in Europa hat kein Verständnis für Ausbrüche.

(iz). „Mehr Krippenplätze, Arbeitsplatzförderung, Maßnahmen gegen Radikalisierung – und mehr Polizei“ kündigte der französische Präsident Macron 2017 an. Offensichtlich waren diese Maßnahmen für die Lösung sozio-ökonomischer Probleme in den Banlieus bisher nicht ausreichend.

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Foto: Nuno21, Shutterstock

Straßengewalt: Banlieus lassen sich so nicht befrieden

Die Vororte französischer Großstädte mit ihren trostlosen Wohnmaschinen lassen sich kaum befrieden. Nach der Tötung eines Jugendlichen durch einen französischen Polizisten, der nun zu Recht in Untersuchungshaft sitzt, entlud sich in den vergangenen Tagen die Gewalt.

In seiner „Topologie der Gewalt“ erinnert Byung Chul Han daran, dass „massiver Widerstand gegen den Machthaber von einem Mangel an Macht zeugt“. Tausende Jugendliche erleben im Straßenkampf, wenn auch nur für kurze Zeit, das Gefühl, die andere Seite unter Druck zu setzen.

Die Partizipation in der französischen Gesellschaft wird durch diese chaotischen Aktionen kaum gefördert. Klar ist, hier werden schwerste Straftaten begangen – die absolute Mehrheit der Muslime in Europa hat dafür kein Verständnis.

Foto: European Parliament, via flickr | Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0

Gewalt und Gegengewalt führen in eine Sackgasse

Gewalt und Gegengewalt führen in eine Sackgasse. Die Verrohung der Sprache, der Mangel an Differenzierung, die Logik der Freund-Feind-Unterscheidungen – von welcher Seite auch immer betrieben – ist eine Vorstufe der Eskalation. „Die Gewalt ist der Riss, der keine Vermittlung, keine Versöhnung zulässt“, mahnt Han in seiner Abhandlung an.

Wie geht es weiter in Frankreich? Im Gegensatz zu den marodierenden Jugendlichen in Frankreich hat die französische Rechte durchaus eine Machtoption: Sie könnte die nächsten Präsidentschaftswahlen gewinnen und von der Polarisierung der Gesellschaft profitieren.

Foto: Godong-Photo, Shutterstock

Strategie der Spannung

Ihre Strategie ist klar. Es wird immer wieder versucht, auf der symbolischen Ebene, den Signifikanten „Islam“ mit der kollektiven Wahrnehmung der Ereignisse zu verknüpfen. Der Eindruck wird geschürt, dass der Feind von „außen“ komme und geht mit einer Biopolitik einher, die behauptet, dass es sich bei den Jugendlichen, die in großer Zahl in Frankreich geboren sind, nicht um Franzosen handle.

Was in diesem Feindbild nicht mehr auftaucht, ist ein anderes Faktum: Die islamische Lehre lehnt Gewalt und Bürgerkrieg grundsätzlich ab. Die Mehrheit der französischen Muslime hat sich mit dem Opfer solidarisiert, bedauert wie viele Franzosen den Vorfall, sympathisiert aber nicht mit der Straßengewalt.

Es gehört zum gewohnten Medienspektakel einiger Medien radikale Außenseiter, die oft ohne jeden Bezug zur muslimischen Praxis in den Großstädten leben, als Mitglieder der muslimischen Community vorzustellen.

Die These ist nicht, dass es keine muslimischen Straftäter in Europa gibt. Es muss vielmehr zurückgewiesen werden, dass die islamische Lehre, die Moscheen oder muslimische Gemeinden diese fördern.

Foto: Shutterstock, VP Brothers

Lage in den Vorstädten ist komplex

Die Lage in den französischen Vorstädten ist komplex und kann kaum mit monokausalen Theorien erklärt werden. Ja, zum Gesamtbild gehört die Machenschaften muslimischer Ideologen in den Banlieus zu erwähnen, die ihrerseits ein Feindbild gegen die französische Gesellschaft verbreiten.

Paradoxerweise erringt die Rassemblent National auch Wahlerfolge bei WählerInnen mit Immigrationshintergrund, die sich von einem Rechtsruck effiziente Maßnahmen gegen die kriminellen Straßengangs erhoffen.

Das Lied, das die gesellschaftlichen Probleme Frankreichs beschreibt, wurde oft gesungen. Wie löst man das Problem? Vermutlich wird der französische Präsident ankündigen: „Mehr Krippenplätze, Arbeitsplatzförderung, Maßnahmen gegen Radikalisierung – und mehr Polizei.“

Ob die Verrohung der Sitten nur mit Geld zu bekämpfen ist, bleibt offen.

Die IZ-Blogger: Bitterer bosnischer Frühling

(iz). Immense Schäden sind das Resultat der landesweiten größten Proteste in Bosnien-Herzegowina nach Ende des Bosnien-Krieges. In mehreren Städten des Landes brannten Regierungsgebäude. Die Proteste hatten sich am Mittwoch entzündet, weil vier privatisierte Staatsunternehmen pleite gingen. Monatelang bekamen die Arbeiter keinen Lohn. Die Protestwelle, die in Tuzla ihren Anfang fand, weitete sich in den kommenden Tagen auf das gesamte Land aus.

Die Proteste in der Hauptstadt Sarajevo zeigten abermals, wie unfähig die führenden bosnischen Politiker sind, Herr der Lage zu werden. Der politischen Kaste geht es (noch) gut, da Bosnien mit Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Leben gehalten wird. Viele dieser so genannten Geldspritzen werden aber nicht für Entwicklungsprojekte verwendet, sondern landen als Gehälter bei den Bediensteten, die vom Staat ihr Salär beziehen. Somit wurde vielerorts der bosnische soziale Frieden mit IWF-Geldern gekauft. Doch auch dies wird bald ein Ende haben, wenn es an die Rückzahlung der Kredite geht.

Bei den Angriffen auf das brennende Präsidiumsgebäude in der bosnischen Hauptstadt zeigte sich auch der politische Unwille. Die SIPA (State Investigation and Protection Agency), die ihren Aufgaben her in etwa dem deutschen Bundeskriminalamt entspricht und zuständig ist für den Schutz von Regierungsgebäuden, war nicht präsent, als die ersten Scheiben zu Bruch gingen. Das bosniakische Präsidiumsmitglied Bakir Izetbegović rief die Spezialeinheit der Föderationspolizei an, um Ruhe und Ordnung herzustellen. Bei der SIPA, die von einem bosnischen Serben geleitet wird, rief er nicht an, da Izetbegović hier nicht auf schnelle Hilfe hoffen konnte.

Ebenso konnte sich der amtierende Sicherheitsminister und ehemalige Medienmogul Fahrudin Radončić nicht mit Ruhm bekleckern. Er beließ es lieber bei Parolen und erinnerte an seine Ermahnungen, in denen er letztes Jahr vor solchen und ähnlichen Taten warnte. Von Koordinierung der Polizei und Schutz der Bürger keine Spur. Radončićs Partei, die SBB, hofft weggeschwommene politische Felle im Fall vorgezogener Neuwahlen zurückzuholen. Politische Spekulationen gehen vor Bürgerschutz. Alles Resultate des Daytoner-Abkommens.

Politisches Kapital aus den Protesten schlagen primär die nationalistischen politischen Gruppierungen, die dem bosnischen Gesamtstaat nicht wohl gesonnen sind und ihrem Traum der Abspaltung beziehungsweise Loslösung vom Gesamt-Staat nun ein Schritt näher gekommen sind. Angefangen vom Präsidenten der bosnischen Serben-Republik Milorad Dodik, der schnurstracks nach Belgrad flog, um sich dort mit dem stellvertretenden serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić zu treffen. Der kroatische Ministerpräsident Zoran Milovanović flog nach Mostar, um dort die hiesigen kroatischen politischen Führer zu sehen. Im Chaos wäre es einfach, eine kroatische Republik in Bosnien herzustellen. Gründe gibt es zuhauf, die das System Dayton immer wieder produziert. Die serbische Republik wurde durch Dayton zementiert. Zement, der getränkt ist von Tötungen, Vertreibungen und Massengräbern über das ganze Land. Das Massengrab von Prijedor, in dem 430 bosniakische Leichen gefunden wurden, wird nicht das letzte sein, das freigelegt wird.

Dies sind nicht die ersten Proteste. Schon im Sommer wurde in Bosnien demonstriert. Demonstranten belagerten das Parlament in Sarajevo, nachdem ein krankes bosnisches Baby aus politischen Gründen gestorben war. Der Grund: Die politische Klasse hatte sich im Streit um neue Personalausweise nicht auf einen Kompromiss einigen können, weshalb die Familie des kranken Kindes keine Dokumente besaß, um es zu einer lebensrettenden Behandlung nach Deutschland zu bringen. Die damaligen Proteste verliefen sich aber rasch wieder.

Zu erwarten ist, dass die Proteste, die von der nordbosnischen Stadt Tuzla ausgingen, sich wiederholen werden. Zu groß ist der Unmut der Bevölkerung, die sich mit Problemen der Arbeitslosigkeit, sozialer Ungerechtigkeit und Armut auseinander setzen muss. Der Nachteil der Protestbewegung ist, dass sie nicht koordiniert wird und von keiner Bürgerbewegung eine Steuerung erfährt. Sie passiert im bosnischen Affekt. In der Ukraine leistet diese Aufgabe die Opposition. In Bosnien ist diese nicht fähig, den gemeinsamen Nenner zu finden. Zu tief sind die politischen Gräben, die ihnen das System Dayton bietet, gegeneinander statt miteinander zu arbeiten.

Der kroatische Ex-Präsident Stjepan Mesić forderte die Revision des Dayton-Abkommens. „Dieses Abkommen, das wir alle begrüßt haben, weil es einen blutigen Krieg beendet hat, ist mit dem Willen seiner Erschaffer zu einem Hindernis geworden, BiH in ein funktionierendes Land zu verwandeln“. Wichtig sei, dass die internationale Gemeinschaft und die Vertragsunterzeichner, darunter auch Kroatien, begreifen, dass eine unaufschiebbare Änderung es Abkommens notwendig sei, betonte Mesić. Der Ex-Präsident meinte, dass die zwei Entitäten des Landes, die sich immer mehr zu „Para-Staaten“ entwickeln würden, weder eine historische noch eine politische Berechtigung hätten.

Die Frage, die sich ebenso stellen muss, ist, welche Strategie die internationale Staatengemeinschaft verfolgt. In den letzten Jahren verwaltete sie mehr das Systemchaos, als es zu ordnen oder gar neu aufzustellen. Warnende Fortschrittsberichte der Europäischen Union in Bezug auf die Beitrittsunfähigkeit des Landes konnten weder aufwecken noch schrecken. Man hat es sich im bosnischen Chaos bequem gemacht und beobachtet den leisen Untergang des Landes. Die Amerikaner schweigen, überlassen den Europäern das Feld. Europa tut das, was es am besten machen kann. Es schreibt fleißige Berichte an und in Brüssel und lamentiert hier und da. Gut bezahlte EU-Diplomaten müssen natürlich auch irgendwelche Resultate liefern.

„Deutschland würde mit solch einer Verfassung den Laden nach vier Jahren dicht machen“, kommentierte ein deutscher Politiker das Daytoner-Konstrukt. Bosnien hat bald die Marke von 20 Jahren geknackt. Da in Sotschi die olympischen Winterspiele stattfinden, ist diese bosnische Ausdauer goldmedaillenverdächtig. Fragt sich nur wie lange.