Neuer Report dokumentiert bedrückende Situation in Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien

Göttingen (GfbV). Mit dem dringenden Appell, bei den Gesprächen in Moskau Mitte November auch die schweren Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus zu thematisieren, hat sich die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) an […]

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Libyen: Bevölkerung wehrt sich mittlerweile gegen radikalen Extremismus

Der gewaltsame Aufstand gegen das Gaddafi-Regime hat zur Entstehung vieler, unkontrollierter Milizen geführt. Einige davon orientieren sich an ­radikalen Elementen der salafistischen Ideologie. Bevölkerung und Politik wollen derengewaltsamen Treiben nun nicht mehr tatenlosen zusehen.

(RT.com). Die libyschen Behörden haben am 23. September den bewaffneten Milizen des Landes, die nicht unter Kontrolle der Regierung stehen, 48 Stunden gegeben, die Hauptstadt Tripolis zu räumen. Ansons­ten würden sie gewaltsam entfernt. Die Entscheidung wurde getroffen, nachdem regierungsnahe Aktivisten das Hauptquartier einer radikal-salafistischen Gruppierung in Benghasi gestürmt hatten.

Die Armee wurde aufgefordert, ihre Autorität durchzusetzen. Reguläre Offi­zieren sollen ab sofort an der Spitze ­jener bewaffneten Freischärler stehen, die im letzten Jahr während des Aufstands ­gegen die Herrschaft von Muammar Gaddafi entstanden. „Armeechef Yussuf al-Mangoush und der Chef der Nationalversammlung Magarief ordneten an, alle unrechtmäßigen Milizen aus deren Gebäu­den zu entfernen und zur Übergabe ­ihrer Waffen an die Armee zu zwingen“, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.

Die gewaltsame Erstürmung des Benghasi-Hauptquartiers der Ansar al-Sharia-Milizen durch die dortige Bevölkerung am 21. September forderte mindestens elf Leben und ca. 70 Verwundete. An der Operationen in der ostlibyschen Stadt nahmen Einheiten der Armee, der Polizei und Brigaden ehemaliger Rebellen teil. In Folge kündigten in zwei weiteren Milizen in einer anderen Stadt ihre Auflösung an. Die Abu Slim und Ansar al-Sharia Milizen in Derna, ebenfalls im Osten gelegen, kündigten ihre Auflösung an.

Stimmen aus der Zivilbevölkerung ­gehen davon aus, dass die Ankündigung dieser Milizen durch die vorangegangene Gewalt in Benghasi verursacht ­wurde. „Die Miliz in Derna beobachtete, was letzte Nacht geschah und entschied sich dafür, ihre Brüder nicht zu töten“, berichtete der 29-jährige Linguistikdozent Siraj Shennib. Er nahm an den Protesten gegen die Milizen teil. „Sie werden nach Hause gehen und die Sicherheit dem Innenministerium und der Armee übergeben.“

Nachdem gewalttätige Salafisten in den letzten Monaten spirituelle Zentren in Libyen angriffen, Moscheen ­zerstörten und diejenigen töteten, die ihren Wandalismus verhindern wollten, brachten die jüngsten gewaltsamen Proteste gegen ein Internetvideos das Fass zum Überlau­fen. Bei den Übergriffen starb unter anderem der US-amerikanische Botschaft in Libyen.

Seit dem Ende Gaddafis kämpft die Regierung um die Kontrolle der vielen, aber nicht immer verbündeten Milizen und anderer Gruppen, die am Sturz des Diktators 2011 beteiligt waren. Die ­große Anzahl an Waffen ist zu einem der größten Probleme in der ganzen Region geworden.

Dokumentation: Fatwa der Liga libyscher Gelehrter gegen den salafistisch-wahhabitischen Zerstörungswahn

(Übersetzung: iz). In einer Fatwa („Zum Angriff auf ­Moscheen und Mausoleen“) vom 28. August diesen Jahres hat sich die Liga der Libyschen ‘Ulama (islamischen Gelehrten) vehement gegen die Zerstörung von Moscheen und Mausoleen durch gewaltbereite Salafisten/Wahhabiten zur Wehr gesetzt. Im Folgenden dokumentieren wir den Wortlaut der Erklärung in ihrer deutschen Übersetzung:

„Gepriesen sei Allah, der Herr der Welten und Frieden und Segen auf dem Propheten Muhammad, seiner Familie und seinen Gefährten.

Die libysche Revolution, die am 17. Februar des letzten Jahres begann, wurde ursprünglich mit friedlichen Mitteln zur Erlangung rechtmäßiger Ziele betrieben. Trotz der Tatsache, dass die Regierung schamlos libysche Männer ermordete, während sie sexuelle Angriffe auf libysche Frauen durchführte, blieben viele junge Männer zu Haus. [Sie standen] unter dem Einfluss von Gelehrten, die behaupteten, dass die Regierung rechtmäßig sei, und daher sei der Aufstand ein Akt der Rebel­lion gewesen.

Nur, nachdem der Herr den Revolutionären Sieg gewährte, schlossen sich diese Jugendlichen der Auseinandersetzung an und versuchten, sich als ihre Füh­rer in Szene zu setzen. Trotz der Tatsache, dass sie sich bis zu diesem Augenblick (und sogar danach) mit Saadi Gaddafi verbündeten, der die Gründung einer puritanischen Schule für sie in einer der Moscheen von Tripolis finanzierte.

Diese Gruppe hat wiederholt versucht, die Stabilität unseres Landes zu untergraben, um ihre feindlichen Ziele zu errei­chen. Zu diesem Zweck zündete sie Bomben an den Gräbern von Heiligen, zerstörte Orte der Anbetung, brannte religiöse Schulen nieder, plünderte Biblio­theken voller seltener und unbezahlbarer Manuskripte, und entführte und folterte Dutzende jener, deren einziges Verbrechen es war, ihre Fehler zu widerlegen oder ihrer Zerstörung Einhalt zu gebieten, wie dies in Zliten geschah. Dabei handelten radikalere Elemente des Sicherheitsrates als ihre Komplizen.

Diese Verräter wurden von einer Schule inspiriert, die unseren verehrungswür­digen und einheimischen Traditionen gegenüber feindlich eingestellt ist. Eine Denkschule, die aus den fehlerhaftesten Positionen besteht, die im Gegensatz zur Lehre der überwältigenden Mehrheit der Gelehrten steht.

Der Übergriff auf ein Grab und die Exhumierung seiner Bewohner ist eine schwerwiegende Tat im Islam. Der klassische Jurist Malik überlieferte in seiner Muwatta, dass der Prophet, möge Allah ihm Frieden geben, jene verfluchte, die die Gräber anderer öffneten. Ebenso erklärte der Prophet, möge Allah ihm Frieden geben: ‘Das Zerbrechen der Knochen eines toten Muslims ist genauso schwerwiegend wie das Brechen seiner Knochen, wenn er am Leben wäre.’ Und bei der Beerdigung der Ehefrau des Propheten wies Ibn ‘Abbas die Leichenträger an: ‘Wenn ihr die Bahre anhebt, stellt sicher, dass sie nicht hin- und hergeschüt­telt wird, sondern tragt sie mit der größten Vorsicht.’ Es sollte sich von selbst verstehen, dass das Öffnen des Grabes einer Person und seine Detonation umso vieles blasphemischer ist. Diese Abtrünnigen behaupten, dass der Besuch der Gräber von Heiligen gleichbedeutend mit Götzendienst sei. Der Prophet, möge Allah ihm Frieden gewähren, widersprach einer solchen Ansicht: ‘Obwohl ich euch früher verboten habe, die Gräber der Leute zu besuchen, so fühlt euch frei, dies nun zu tun. Denn ihr Besuch ist eine Erinnerung an die eigene Sterblichkeit.’ Ganz abgesehen davon, widerspricht dies [die obige Meinung] der allgemein anerkannten Praxis der muslimischen Gesellschaft seit ihrem frühesten Anfängen. Wenn einige Leute die Heiligen unter Ausschluss Gottes anbeten, dann liegt das an ihrer Unwissenheit und ist in keiner Weise eine Rechtfertigung für die Zerstörung solcher Orte oder die Ermor­dung ihrer Aufseher.

Der libysche Großmufti veröffentlichte jüngst eine Fatwa, welche die Zerstörung einer Moschee neben eines Grabes erlaubte. Diese Fatwa war gleich aus mehreren Gründen unpassend. Zuerst einmal sollte der Mufti genau wissen, dass alle Gräber in Libyen, die bei einer Moschee sind, ausnahmslos vom eigentlichen Gebetsraum getrennt sind. Zweitens baute der Mufti seine Fatwa auf der isolierten Meinung des mittelalterlichen Juristen Ibn Taimija auf, den er als „den großen Weisen das Islam (Schaikh Al-Islam)“ beschrieb. So, als hätte es nicht unzählige andere Gelehrte gegeben, denen dieser Ehrentitel verliehen worden wäre. Es ist Fakt, dass die sehr große Mehrheit der muslimischen Gelehrten kein Problem darin sah, wenn ein Grab neben einer Moschee liegt, wie es in unserer Gesellschaft der Fall ist.

Wie dem auch sei, die große Moschee von Medina enthält nicht nur das Grab unseres Propheten, Allahs Friede sei auf ihm, sondern auch die seiner engsten Gefährten Abu Bakr und ‘Umar. Und kein einziger Muslim aus der Generation des Propheten hat jemals gemeint, man müsste ihre Überreste aus dem Moschee­bereich entfernen oder dass die Moschee verlegt werden sollte. Des Weiteren unterstreicht die Tatsache, dass die Prophetengefährten darüber diskutierten, ob sie den Körper des Propheten, Allahs Friede sei auf ihm, nicht unterhalb seines Minbars beerdigen sollten, die Annehmbarkeit dieser Handlung.

Und der Prophet selbst, Allahs Friede sei auf ihm, befahl, dass ‘ein Prophet dort bestattet werden muss, wo er seinen letzten Atemzug tut’. Und die Dame ­‘Aischa, die sehr kenntnisreich im islamischen Recht war, verrichtete das Gebet neben seinem Grab. Drittens, der Mufti hat der [Rechts-]Meinung der dominanten Rechtsschule hier in Libyen – der malikitischen – widersprochen, selbst wenn er sich ihrer Regeln durch das Fatwa-Recht verschrieb, das er selbst entworfen hatte.

Darauf folgt: Diejenigen, die Zivilisten ermorden und unser Erbe zerstören, sind Abtrünnige, die Allahs Recht herausfordern. Der Islam fordert von uns, ihnen Einhalt zu gebieten und sie für ihre Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen, denn unser Herr hat in der Schrift gesagt: ‘Der Lohn derjenigen, die Krieg führen gegen Allah und Seinen Gesandten und sich bemühen, auf der Erde Unheil zu stiften, ist indessen (der), dass sie allesamt getötet oder gekreuzigt werden, oder dass ihnen Hände und Füße wechselseitig abgehackt werden, oder dass sie aus dem Land verbannt werden. Das ist für sie eine Schande im Diesseits, und im Jenseits gibt es für sie gewaltige Strafe’ (Al-Maida, 33) und ‘wer ist ungerechter, als wer verhindert, dass an Allahs Gebetsstätten Sein Name genannt wird, und sich bemüht, sie zu zerstören? Jene sollen sie nur in Furcht betreten. Für sie gibt es im Diesseits Schande und im Jenseits gewaltige Strafe.’ (Al-Baqara, 114)

Schlussfolgerung: Es ist die Verantwortung der Nationalversammlung und der Übergangsregierung, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Abtrünnigen abzuschrecken und sie zur Rechenschaft zu ziehen; wieder aufzubauen, was diese zerstört haben und wieder zu erlangen, was von ihnen gestohlen wurde; aber auch jene im Sicherheitsapparat zur Verantwortung zu ziehen, die ihr Amt verrieten, als sie jenen Kriminellen halfen.

Gleichermaßen ruft die Liga der Liby­schen Gelehrten die geehrte Nationalversammlung und die Übergangsregierung auf, Druck auf die Regierung von Saudi-Arabien auszuüben, ihre Kleriker im Zaum zu halten, welche sich auf folgende Weise in unsere Angelegenheit einmischen: Die Bereitstellung von Intensivkursen für libysche Jugendliche, bei denen diese einer Gehirnwäsche mit extremistischen Ideen unterzogen werden. Wo ihnen gelehrt wird, den saudischen Klerikern die Treue zu schwören, unter Ausschluss ihres Herrn. Die Verteilung von kostenlosen Büchern und Aufnahmen in Libyen, mit denen unsere, ausge­glichenen religiösen Traditionen angegriffen werden. Und die Bombardierung der einfachen Masse mit der ­Propaganda, dass libysche Gelehrte alle wertlos seien und dass ihnen kein Gehör geschenkt werden sollte. Dementsprechend sollte angesichts der augenfälligen Einmischung in unsere inneren Angelegenheiten gegenüber der Arabischen Liga und der Organisation für die Islamische Zusammenarbeit eine formale Beschwerde eingereicht werden.

Die Verletzung der schwerwiegenden Pflicht zur Sicherheit und Stabilität unsere Landes ist eine Pflichtverletzung, wie der Prophet, möge Allah ihm Frieden geben, selbst sagte: ‘Diejenigen, die sich nicht aktiv um das Wohlergehen der muslimischen Gemeinschaft sorgen, sind kein Teil von ihr.’“

Basilikumsoße mit Paprika, Gewichtsverlust und Reichtum: Das sind die aktuellen Merkmale eines „Islamisten“. Von Yasin Bas

Hannover ( iz). Mit einer „Ermittlung von Radikalisierungsmerkmalen“ möchten einige Behörden der Gefahr des bösen, gemeinen, gefährlichen und allumfassenden „islamistischen Extremismus“ entgegenwirken. Die „Islamisten“ lauern überall. In der Nachbarschaft, auf der Arbeit, beim Einkaufen, im Restaurant, in der Schule ja sogar im Kindergarten. Sie sind so gefährlich, dass man sie nur sehr schwer erkennen kann. Sie besitzen übernatürliche Kräfte und können sich tarnen. Doch jetzt gibt es das Konzept von „Superman Schünemann“.

Obwohl einige muslimische Verbände schon lange in einem engen „Dialog“ und der „Kooperation“ mit den Sicherheitsbehörden stehen und bereits „vertrauensbildende Maßnahmen“ und Maßnahmen zum Ausbau der „Präventionspartnerschaften“ vorgelegt haben, ist es noch nicht genug. Die Ergebnisse sind nicht zufrieden stellend. Es werden kaum „Islamisten“ gemeldet. Wo sind die „Islamisten“? Wer hat sie gesehen? Auch die „Clearingstellen“ bekommen noch zu wenig Hinweise aus der Bevölkerung. So geht das nicht. Irgendwo müssen die hinterhältigen und millionenfach bei uns lebenden „Islamisten“ ja sein. Diese bösen, unverschämten, massenhaft eingewanderten und sich ungehörig schnell vermehrenden „Islamisten“. Diese „Islamisten“, die sich in unserer Gesellschaft einfach so, frech eingenistet haben und unsere verfassungsmäßige, freiheitliche Rechts- und Grundordnung bedrohen, sind einfach nicht auffindbar.

Nach dem im Frühjahr 2012 bekannt gewordenen Konzept des niedersächsischen Amts für innere Angelegenheiten sollen die sog. „Kooperationsgespräche“ auch auf Organisationen ausgeweitet werden, deren Schwerpunkte nicht im religiösen Bereich liegen. Im Klartext heißt das: Jeder redet mit jedem oder auch: Basilikumsoße mit Paprika. Die genannten „Partnerschaften“ sollen auf Justizbehörden, insbesondere Justizvollzugsanstalten und Staatsanwaltschaften übergreifen. Außerdem  sollen Schulen und Jugendbehörden (Bildungseinrichtungen, Jugendbehörden und Jugendeinrichtungen), Ordnungs-, Einwohnermelde- und Ausländerbehörden, Arbeitsämter, Sozialämter, Finanzbehörden und islamische Verbände und Moscheen in die Präventionskooperation eingebunden werden. „Bei der Zusammenarbeit mit anderen Behörden sollen deren Mitarbeiter für Auffälligkeiten sensibilisiert werden. In Einzelfällen sollen Kooperationspartner auch Informationen über betroffene Personen austauschen, um dem Radikalisierungsprozess entgegen wirken zu können. Teil dieses Netzwerks zur Prävention sollen auch Wirtschaftsunternehmen sein. […] Auch Firmen sollen für eventuelle politisch-islamistische Radikalisierung ihrer Mitarbeiter sensibilisiert werden“, schreibt eine deutsche Zeitung. Nicht nur Lehrer, Juristen, Jobberater, Finanzbeamte, sondern auch Arbeitgeber und Arbeitskollegen, sollen also neben ihrer eigentlichen Tätigkeit auch weitere detektivische Arbeit verrichten. Endlich mal wieder ein wenig „Action“ im sonst so tristen Büroalltag der Beamten und Angestellten. So kann endlich auch das Sommerloch sinnvoll gestopft werden. Auch die Menschen in den schweren Produktionsstätten, monotonen Bandanlagen sowie der Industrie dürften dem Ministerium über ein wenig Abwechslung dankbar sein.

Der „niedersächsische Superman“ und seine Behörde haben nach Informationen der Internetnachrichtenplattform „MiGAZIN“ bereits vor Monaten einen Merkmalskatalog für potentielle radikale Muslime erstellt. [Die IZ berichtete ebenfalls vor zwei Monaten] Der bislang unveröffentlichte „Abschlussbericht der Projektgruppe Antiradikalisierung“ weise dreißig Radikalisierungskriterien auf. Dazu zähle beispielsweise eine „längere Reisen in Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung“. Das hieße, dass die in Deutschland lebenden etwa 4,5 bis fünf Millionen Muslime, die in den nahenden Sommerferien eventuell in ihre Herkunftsländer fahren könnten, potentielle, extrem radikale, gefährliche „Islamisten“ und Terroristen sein könnten. Ähnlich dürften demnach Muslime in Deutschland eingeschätzt werden, die beabsichtigen, in wenigen Wochen die Pilgerfahrt nach Mekka und Medina durchzuführen. Auch diese Damen und Herren könnten als „potentielle Dschihadisten“ angesehen werden.

Ein überlegenswerter Vorschlag könnte daher sein, die Kaaba nach Berlin oder Köln, noch besser nach München oder Nürnberg zu holen. Erstens könnten dadurch die Muslime in Deutschland „deradikalisiert“ und integriert werden und was gerade zur Zeit der Schuldenkrise noch gewichtiger ist: Deutschland könnte als Touristenmagnet Milliarden von Devisen und wertvolle Petrodollars einnehmen. Religionstourismus hieße das, nicht Religionsterrorismus. Daher die Bitte an die Behörden, nicht alles in einen Topf zu werfen. Auch die Kanzlerin würde endlich wieder ihr Lächeln zurückbekommen. Die Bürger sind verunsichert, dass ihre Staatsführung kaum noch lächelt und die Mundwinkel immer weiter runterhängen.

Neben dem „Reisen in Länder mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung“ sollen die Behörden in ihrem Bericht „sichtbare äußere Veränderungen (Kleidung, Verhalten, Gewichtsverlust durch veränderte Essgewohnheiten etc.)“ als Gefährdungsmerkmale auflisten. Eine Muslima mit Kopftuch hat daher von Anfang an schlechte Karten. Auch wenn sie die Kopfbedeckung möglicherweise gar nicht aus religiösen, sondern aus traditionell-kulturellen oder modischen Gründen trägt. Nicht wenige Frauen tragen Kopftuch und dazu eine hautenge Hose oder einen kurzen Rock. Die Muslime, die etwa Halal-Lebensmittel einkaufen oder verzehren, die mit der rechten Hand essen oder dem rechten Bein einen Raum betreten könnten nach dieser „Weisheit letzter Schluss“ ebenso scheinheilige „Staatsgefährder“ sein. Denn diese Merkmale lassen sich als Beispiele unter den Begriffen „veränderte Essensgewohnheiten“ und „Verhaltensweisen“ subsumieren. Ein anderes Merkmal für einen „potentiellen Terroristen“ – die Behörde spricht von „Gewichtsverlust“ und „Diät“ – könnte das Fasten im Ramadan sein. Nicht das jetzt einige auf die Idee kommen, die muslimische Glaubenspflicht, das Fasten im Ramadan, dankbar aufzugeben, damit sie nicht in das Visier des Staats- und Verfassungsschutzes geraten.

Manche staatstreuen Muslime könnten auf Schonkost umsteigen, um die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu festigen. Andere wiederum könnten denken, dass das Fasten und ihr Gewichtsverlust die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland unwiederbringlich vernichten könnte. Damit dies nicht passiert, könnte man Gelehrte oder gleich die Al-Azhar Universität in Kairo nach einem Rechtsgutachten bitten, dass den Muslimen – aber nur in Deutschland – das Fasten verbietet. Sozusagen ein schariakonformes Gutachten only for Gemany. Ob dann aber die Gewichtszunahme und die dadurch entstehenden Mehrkosten für das Gesundheitssystem die Verfassung bedrohen, ist eine andere Frage. Man müsste dazu noch bedenken, dass eine Ausnahme des Fastens in Deutschland, Migrationsströme aus „fremden Kulturen“ bedeuten würde.

Deutschland wäre dadurch ein Paradies auf Erden für die Muslime aus aller Welt. Halt: Paradies hört sich verdächtig an. Auch wenn das Wort „Jungfrauen“ fehlt, bitte ich dieses Wort zu streichen, um nicht als „potentieller Gefährder“ zu erscheinen. Möchte der niedersächsische Superman wirklich dieses Risiko eingehen? Auch die bunten Magazine im Zeitschriftenhandel könnten bald in das Visier des Verfassungsschutzes geraten. Jede Woche gibt es zahlreiche Diättipps in hunderten von Zeitschriften, die konsequent verboten werden müssten. Die großen deutschen Verlage wären von diesem Eingriff existentiell bedroht. Daher ein guter Rat an Emma, Tina, Petra und Laura: Mädels, ab heute bitte keine Diätseiten und Kochrezepte mehr in euren Heften. Ist das machbar? Wo wir schon vom Superman sprachen. Ist es Möglich, dass er vielleicht selber zum Islam konvertiert sein könnte? Denn bei ihm konnte vor einiger Zeit – die Fotografen können dies bezeugen – „sichtbare äußere Veränderungen“ festgestellt werden. Der Niedersachse trug plötzlich einen Bart. Das ist doch eine ganz klare „sichtbare äußere Veränderung“? Die Behörde, wäre sie ernsthaft und linientreu, wäre dadurch angehalten, den eigenen Hausherren ins Visier zu nehmen. Mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln, ja auch mit Fotoapparat, sollte Superman ab jetzt beobachtet werden, damit festgestellt werden kann, ob noch weitere „sichtbare äußere Veränderungen“ dazukommen. Dann hätte man nämlich endlich mal einen „Schläfer“, wie etwa jenen der vor kurzem in Duisburg-Essen vom Polizeidienst entlassen wurde, enttarnt.

Als ein weiteres Radikalisierungsmerkmal von Muslimen sollen die Sicherheitsdienste außerdem laut MiGAZIN-Informationen „plötzlichen Geldsegen“ ausgemacht haben. Oh nein. Scheich Abdel Ben Malik Abdel Aziz Ben Jabber Al Hakimi und seine Verwandschaft in Osterode, der in Katar und Dubai reiche Verwandte hat, muss alle verwandtschaftlichen Beziehungen in sein Land beenden. Die Familie, die mit Ölgeldern ein Vermögen macht, gilt als Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Es wäre besser, wenn ab jetzt alle Muslime, den Wunsch nach Reichtum und Geld ablegen und sich dem Beten sowie Hilfsjobs in der Industrie, Haushalts- und Reinigungsbranche widmen. Erfolgreiche und reiche Muslime sind nach dieser Logik ohnehin eine Gefahr für die innere Sicherheit.

Zu bedenken sind auch die unendlich vielen „Islamisten“, die aus religiöser Überzeugung und Praxis die besten Poker- und Glücksspieler sind. Auch sie rücken damit unweigerlich in den Blickpunkt der Ermittler. Die muslimischen Jugendlichen in Wettstudios, besonders jetzt in der Zeit der Fußball-Europameisterschaft, sollten unbedingt ihre Wetteinsätze überdenken, um nicht als „islamistische Terroristen“ und „Dschihadisten“ gebrandmarkt zu werden. Muslimische Geschäftsleute, Finanzdienstleister, Börsenspekulanten, Gold- und Schmuckhändler sollten am besten ihre Arbeit aufgeben oder zumindest darauf achten, nicht zu viel Geld zu verdienen. Auch die Bittgebete nach materiellem Reichtum und Geld, sollte am besten ganz eingestellt werden. In der Kommunikation mit Gott darf Geld aus diesem Grunde leider keine Rolle mehr spielen.

Ganz schlimm trifft es auch die muslimischen Bewunderer von Bruce Lee und Muhammad Ali. Laut Behörden ist nämlich ein „Besuch eines Kampfsportvereins“ ein weiteres, unglaublich sachliches und weitsichtiges Kennzeichen für einen potentiellen „Islamisten“. Die Kampfsportschulen, die demnach als „Brutstätten des Terrors“ angesehen werden müssten und deren Ausbilder die neuen „Hassprediger“ sein müssten, sollten unverzüglich aus Deutschland ausgewiesen werden, um das herrschende „Klima der Angst“ nicht noch weiter aufzuheizen. Willkommen in Deutschland. Willkommen bei Freunden!

"IZ-Begegnung" mit der angehenden "islamischen Theologin", Journalistin und Herausgeberin Nimet Seker über ihren Studiengang und den Stand muslimischer Gelehrsamkeit in Deutschland

(iz). Die Einrichtung von uni­versitären Lehrstühlen der so genannten „Islamischen Theologie“ und die im Zusammenhang stehende Einführung eines „Islamischen Religionsunterrichts“ gelten vielen als der wich­tigste materielle Fortschritt für muslimische Community in den letzten Jahren. Insbesondere, weil in den Augen mancher so eine Anerkennung des Islam als Religionsgemeinschaft und Körperschaft des öffentlichen Rechts mit vorbereitet werden könne.

Jenseits religions- und bildungspolitischer Fragen stellt die „Islamische Theologie“ eine ambivalente Entwicklung dar. Einerseits, so die Hoffnung der Beteiligten, kön­ne eine nicht radika­lisierte Schicht aus islam­rechtlichen Gebildeten entstehen. Andererseits, so die legitime Befürchtung anderer, bestünde die Gefahr der Schaffung eines politisch genehmen Islamverständnis. Bisher ist vollkommen unklar, inwieweit die Freiheit der islami­schen Lehre in Einklang mit dem akademischen Betrieb gebracht werden kann. Hierzu sprachen wir mit der Islamwissenschaftlerin Nimet Seker, die sich in Münster auf ihre Doktorarbeit vorbereitet.

Nimet Seker studierte in Köln Islamwissenschaft, Germanistik und Ethnologie. Nach dem Ende ihres Studiums 2006 orientierte sie sich im Medienbereich und fand einen Platz in der online-Redaktion von Qantara.de, wo sie heute als Redakteurin tätig ist. Seker arbeitet auch als Autorin für andere Medien. Seit Oktober 2011 ist sie Stipendiatin am „Gradu­iertenkolleg für Islamische Theologie“ an der Universität Münster und konzentriert sich auf ihre Doktorarbeit. Daneben gibt die umtriebige Islamwissenschaftlerin halbjährlich das Magazin „Horizonte. Zeitschrift für muslimische Debattenkultur“ heraus.

Islamische Zeitung: Liebe Nimet, sie machen ja die unterschiedlichsten Dinge – von der Doktorarbeit bis hin zum Herausgeben eines Halbjahresmagazins. Was ­treibt Sie an und begeistert Sie?

Nimet Seker: (überlegt)… Ich habe in den letzten Jahren einen Durst nach Wissen entwickelt. Nach der ­Universität wollte ich erst einmal nur berufliche Perspektiven für mich entwickeln und der Journalismus hat mich interessiert. Bekanntermaßen haben wir muslimische Frauen mit Kopftuch es auf dem Arbeits­markt ohnehin nicht sehr leicht. Das war der Ausgangspunkt meines Engagements im Bereich Medien.

In den letzten beiden Jahren wurde meine Suche nach Wissen auch durch das neue Fach der „Islamischen Theolo­gie“ mit entfacht. Je mehr ich ­dazulerne, desto mehr merke ich eigentlich, wie wenig ich weiß. Ich möchte das, was ich mir angeeignet habe, an andere weitergeben.

Islamische Zeitung: Haben sie manch­mal das Gefühl, zwischen der Innenbetrachtung als Muslim und dem wissenschaftlichen Objektivismus der Universität hin- und herspringen zu müssen?

Nimet Seker: Nein, das Gefühl habe ich nicht. Natürlich hat man in der akademischen Welt den Anspruch, auf ­einer anderen Ebene zu agieren. Hier werden häufig Fragen behandelt, die für Muslime im Alltag vielleicht irrelevant ­scheinen – historische Dispute der Mutakallimun, Methoden der Qur’anexegese, neue hermeneutische Ansätze usw.

Im Gegensatz zu meinem Studium der Islamwissenschaft habe ich nicht das ­Gefühl, zwischen Binnen- und Außenperspektive wechseln zu müssen. In der Islamwissenschaft fiel mir irgendwann auf, dass ich eine klare Trennung zwischen meiner eigenen Gläubigkeit und dem, was ich in der Universität lernte, zog. Das hatte auch damit zu tun, dass das, was ich in der Islamwissenschaft in Köln (wo ich auch Lehrveranstaltungen abhielt) lernte, mit dem eigentlichen ­religiösen Gehalt nichts zu tun hatte. Da ging es eher um historische oder kulturhistorische Fragen.

Jetzt, bei der „Islamischen Theologie“, wird die Binnensicht dadurch gestärkt, dass wir viel mit Theologen anderer Religionen zu tun haben, die uns ­Muslimen unsere Positionen spiegeln und stellenweise kritisch in Frage stellen. Das führt dazu, dass man bei sich selbst über die Bedeutung der Offenbarung Gedanken macht. Dies hat sowohl meinen Zugang zum Islam gestärkt, als auch meinen Glauben gefestigt.

Islamische Zeitung: Können sie die fundierte Kritik an der „Islamischen Theologie“ nachvollziehen, die in dieser eine problematisch Neuschöpfung sieht?

Nimet Seker: Ich habe hier keine eindeutige Position. Anfänglich war auch ich sehr skeptisch. Auch in der Phase, als ich mich für das Doktorandenstudium bewarb, war mir nicht klar, wie sich das Fach entwickelt. Es ist natürlich klar, dass es sich hier um eine, von der deutschen Bildungspo­litik angestoßenen Sache handelt. Es sollen Religionslehrer und Imame ausgebildet werden. Letztendlich führt es aber auch dazu, dass wir in Deutschland auf das zurückgreifen, was man im Arabischen „Turath“ (intellektuelles Erbe) nennt. Und zwar nicht von säkularen Diskursen, sondern auch von klassischen islamischen Disziplinen.

Je länger ich mich mit dem Fach beschäftigte, desto weniger kann ich die Kritik nachvollziehen. Was ich zum ­Beispiel kritisch sehe, ist die ­vorschnelle Besetzung der Professuren. Es gibt nicht genug qualifiziertes Personal, sodass man auf Islamwissenschaftler oder Personal aus Nachbardisziplinen bis hin zu ­Leuten aus den Gesellschaftswissenschaften zurückgreifen muss. Das führt ­stellenweise zu einer Schieflage. Würde man ein Paar Jahre warten, hätten wir vielleicht mehr qualifizierte Leute. Das sind aber hochschulpolitische Fragen. Auf inhaltlicher Ebene – und da urteile ich nach meiner Erfahrung aus dem Graduiertenkolleg – kann ich die Kritik nicht nachvollziehen.

Islamische Zeitung: Es gibt aber bis in unsere Zeit nichts in den islamischen Wissenschaften, was sich mit „Theologie“ übersetzen ließe…

Nimet Seker: Natürlich nicht, das ist aber auch nicht gemeint. Der Begriff war ein Notbehelf. Ursprünglich schlug der Wissenschaftsrat den Begriff „Islamischen Studien“ vor, aber das wäre im internatio­nalen (englischsprachigen) Kontext missverständlich gewesen, weil dort die euro­päisch-säkulare Islamwissenschaft „Islamic Studies“ heißt. Auch wenn sich der Name eingebürgert hat, ist dies kein Gegenstück zur christlichen Theologie. Wir vertreten die klassischen Disziplinen Fiqh, Tafsir, Kalam/Aqida usw. Hinzu kommt das neue Fach der Islamischen Religions­pädagogik. In Hinsicht der Wissensgebiete richten wir unser Fach aber nicht nach christlich-theologischen Kriterien aus.

Islamische Zeitung: Liebe Nimet Seker, Vertreter ihrer Fachrichtung haben auch im Gespräch mit uns den Vorwurf zurückgewiesen, dass es sich hier um den Versuch der politischen Einflussnahme auf die Lehre des ­Islam handeln könnte. Von Einrichtungen wie der Mercator-Stiftung sind ­Mittel geflossen und nichtmuslimische Stimmen sprechen gelegentlich von einem „staatlichen Zähmungsinteresse“.  So mancher Vertreter des Faches wird ja in den Medien auch als Repräsentant des deutschen Islam positiv aufgewer­tet. Ist der Verdacht wirklich so abwe­gig, dass hier ein politisch genehmes Islamverständnis geschaffen werden soll?

Nimet Seker: Ich würde nicht in Frage stellen, dass es dieses Interesse gibt. Meine Kritik an den Kritikern lautet: Man sollte sich den Blick auf das Fach nicht durch bestimmte Einzelpersonen verstellen lassen, weil diese nicht für die Zukunft stehen. Gerade entsteht eine ganze Generation von Nachwuchswissenschaftlern, die die Kategorien von „traditionell“ und „fortschrittlich“ sprengen. Wie Eren Güvercin in seinem Buch „Neo-Moslems“ schreibt, lassen sie sich nicht mehr in Kategorien des medialen Diskurses pressen. Sie sind tief in ihrem Glauben verwurzelt; und viele auch in der Community. Das zeigt sich beispiels­weise daran, dass einige von ihnen eine Imam-Ausbildung haben oder Verbindungen zu den Verbänden unterhalten. Ich kann nicht erkennen, dass die Kluft, von der viele Kritiker sprechen, so existieren würde.

Mich stört das Misstrauen, das von den Verbänden, wie jüngst beim IGMG-Symposium, ausgesprochen wird. Es waren ja die Verbände, die jahrelang dafür arbeiteten, dass es in Deutschland ­einen islamischen Religionsunterricht gibt. Dieser soll bald in NRW und in Nieder­sachsen kommen. Dafür braucht es die Einrichtung entsprechender Studiengän­ge an den Universitäten, weil das Recht die akademische Ausbildung solcher Lehrkräfte vorsieht. Wo und wie ­sollten sie denn sonst ausgebildet werden? Mein Einladung an die Kritiker ist, dass sie sich auf den entsprechenden theologischen Tagungen und Seminaren einbringen. Da es in der islamischen Lehre kein staatliches Monopol bei der Gelehrsamkeit gibt, ist jeder aufgerufen, sich an der ­Debatte auf entsprechendem Niveau zu beteiligen.

Islamische Zeitung: Es gibt im deutschen Mainstreamislam kaum öffentlich auftretende Gelehrte. Es dürfte den meisten schwerfallen, mehr als zehn hiesige Gelehrte zu benennen…

Nimet Seker: Das ist natürlich ein ­Riesenproblem. Auf staatlicher Seite besteht die Sorge, dass es so genannte „extremistische“ Prediger von salafistischer Seite gibt, die auf Deutsch predigen und in kürzester Zeit in Medien sowie unter jungen Muslimen Gehör gefunden haben. Aus unserer Sicht ist das natürlich nur ein Randphänomen…

Aber aus nichtmuslimischer Sicht sind das diejenigen, die von jungen Leuten als Gelehrte wahrgenommen werden. Ein Interesse staatlicher Seite war es, ihnen zuvorzukommen, indem man eine wissenschaftliche Ausbildung implementiert und solchen Menschen Alternativen zu bieten, die ein Interesse an islamischer Lehre haben.

Islamische Zeitung: Noch einmal gefragt, ist es nicht ein Problem der muslimischen Community in Deutschland, dass es hier zu wenig strukturierte Gelehrsamkeit des Islam gibt?

Nimet Seker: Natürlich, diese Erfahrung machen wir als Wissenschaftler auch. Wir sind oft reine Schriftgelehrte, da es an der Universität keine klassische Madrassa-Ausbildung gibt. Oft merken wir bei bestimmten Fragen, dass man sich lieber an einen Lehrer wenden würde, der ein Wissen hat, das nicht nur aus Büchern kommt. Im Gegenzug sehe ich viele muslimische Akademiker, die sich an Privatinstitute in Deutschland, Frankreich oder im Nahen Osten wenden, wo sie Wissen über Scharia-Lehre oder andere Gebiete erwerben wollen. Wir haben hier keine traditionellen ­Gelehrten und oft dominiert „Schaikh Google“. Die Frage ist, ob wir als univer­sitäre Repräsentanten hier langfristig eine Alternative darstellen können. An diesem entscheidenden Punkt müssen wir arbeiten.

Islamische Zeitung: Für viele Muslime, insbesondere die Jugend, ist das Internet zu einem sehr wichtigen Mittel geworden, mit dem sie sowohl ­Wissen über den Islam erlangen wollen, als auch einen Teilaspekt ihrer muslimischen Identität ausleben. Gibt es eine Möglichkeit, die modern ­Kommunikation mit der Tradition zu versöhnen?

Nimet Seker: Immer mehr Personen und Institutionen, die traditionelles Wissen für sich in Anspruch nehmen, ­nutzen das Internet dazu. Ich glaube nicht, dass sich beide Aspekte ausschließen. Es gibt Gelehrte wie Abdulhakim Murad, die Vorträge und Seminare live im Internet übertragen. Ich würde mir wünschen, dass in dieser Hinsicht mehr passiert, weil man als Akademiker nur das Wissen greifen kann, das zur Verfügung steht. Sei es in Form von persönlichen Quellen, von Büchern und elektronischen Medien. Ich wäre auf jeden Fall dafür, dass wir uns mehr für das engagieren, was Sie als tradi­tionelle Gelehrsamkeit bezeichneten.

Islamische Zeitung: Aber wird die Übertragung des Wissens von ­Lehrer auf Schüler nicht durch die ­virtuellen Aspekte des Internets konterkariert?

Nimet Seker: Natürlich wird es das. Auch wenn wir von islamischer Lehre spre­chen, bewegen wir uns immer noch innerhalb säkularisierter Strukturen. Will man wirklich die traditionelle Lehre und ihre Methode in die Gegenwart transportieren, müsste man in der lokalen Moschee einen Gelehrten haben. Davon gibt es aber nicht viele; und werden sie auch in so schneller Zeit nicht haben.

Islamische Zeitung: Es gibt den wach­senden akademischen Diskurs und parallel den Diskurs, wie er vom organisierten Islam geführt wird. Sehr viel Metaphysik, sehr viel Reflexion… aber wo bleibt die Aktion? Sehen Sie hier – auch als aktive junge Muslimin – eine Diskrepanz?

Nimet Seker: Ja. Ich sehe diese Diskre­panz, aber ich sehe bei denjenigen, die zehn Jahre jünger sind als ich, das Verlan­gen, die Ebene der Reflexion zu verlassen und zum Handeln überzugehen. Ich glaube, dass ist das Erbe derjenigen, von denen wir unseren Islam gelernt haben: unsere Eltern und Großeltern. Die ­große Masse der Muslime sind immer noch die Kinder der Gastarbeiter. Ich kann mich erinnern, dass wir in unserer Familie bis zu meinem 13. oder 14. Lebensjahr davon gesprochen haben, in die Türkei zurückzukehren. Man hat sich darum bemüht, dass hier Moscheen entstehen und dass die Kinder den Islam lernen, worauf in meiner Familie sehr viel Wert gelegt wurde. Das meiste habe ich von ­meinen Eltern gelernt. So findet islamisches Lernen und islamisches Handeln immer statt: in der Gemeinschaft.

Dass wir jetzt diese Intellektualisierung haben, ergibt sich durch den äußeren Druck. Dieser drängt uns in die Defensi­ve und zwingt uns zu ständiger Positionierung, egal zu welchen Fragen. Das fängt an bei dem Thema Integration, über Extremismus und bis hin zur Auseinandersetzung mit christlichen Theolo­gen, die wissen wollen, wie Jesus im ­Islam gesehen wird.

Es liegt an den Muslimen selbst, dies in Handeln umzusetzen. Ich muss mich hier selbst kritisch hinterfragen, da ich oft fatalistisch denke und glaube, als einzelne wenig ändern zu können. Sich der Bedeutung der Gemeinschaft bewusst zu werden, ist in der Moderne beinahe verloren gegangen. Insbesondere in der Diaspora, wobei ich diesen Begriff eigentlich auch nicht mag. So etwas wie Diaspora kann es im Islam eigentlich nicht geben, da ich überall – in Indonesien, in der Türkei oder in Deutschland – Muslim bin.

Islamische Zeitung: Sie geben auch noch die Halbjahreszeitschrift „Horizonte“ heraus. Was müssen wir uns darunter vorstellen?

Nimet Seker: Als der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen für die Einführung der „Islamische Theologie“ an staatlichen Universitäten veröffentlichte und es klar wurde, dass die Bildungspolitik die Einrichtung des Fachs nun voran treibt, befürchtete ich, dass staatliche Bildungsinstitutionen ein Monopol über die Islamdiskurse erlangen würden. Die ursprüngliche Idee hinter dem Projekt war die Schaffung einer Gegenstimme. Es geht uns darum, Themen auf eine vertiefte Art und Weise aufzugreifen, die nicht nur Muslime beschäftigen, sondern die zeigen, dass sich Muslime als Teil der Gesellschaft begreifen. Die ersten beiden Ausgaben fielen eher akademisch aus: Die erste behandelte Idschtihad als ­Werkzeug des islamischen Rechts und die zweite führte in die Lehre von Imam Al-Ghazali ein.

Mit der dritten Ausgaben über Geld, ethisches Wirtschaften und das Konzept des so genannten „Islamischen Bankwesens“ geht es mir darum zu zeigen, dass sich Muslime mit drängenden Zeitfragen beschäftigen und nicht nur so tun, als wäre der Islam nur für einige wenige Dinge in unserem Leben von Bedeutung. Ich glaube, dass wir über unsere individu­elle religiöse Lebenspraxis hinaus etwas zur Gesellschaft beizutragen haben.

Islamische Zeitung: Das Projekt trägt auch den Titel „Zeitschrift für muslimische Debattenkultur“. Heißt das, es besteht in der Community ein Nachholbedarf?

Nimet Seker: Ich sehe einen großen Nachholbedarf, weil wir in Deutschland durch die vielen öffentlichen Debatten in die Defensive gerieten. Das führt dazu, dass wir uns in Mainstreammedien immer nur in bestimmten Formen äußern. Das erkennt man unter anderem daran, dass immer die gleichen Personen zur Sprache kommen, während andere Personen ignoriert werden und die Medien in Deutschland sich bewusst oder unbe­wusst nach der politischen Wetterlage ausrichten. Aber wir Muslime passen uns auch dem Druck der Debatten an und können kaum eigene Themen setzen. Hinzu kommt, dass Muslime in Deutschland kaum Medienmacht besitzen. Es entscheiden die Redakteure, wer zu welchem Thema was schreiben oder produ­zieren darf. Auf der muslimischen Seite ist man größtenteils nur passiv und scheint so etwas wie Streitkultur nur zu kennen, wenn es darum geht, etwa auf der Welle der Sarrazin- oder Kelek-Empörung zu reiten. Zum anderen interessieren sich Medien für Islam nur dann, wenn man über Sensationelles berichten kann, seien es nun gewaltbereite „Salafis­ten“ oder Muslime, die für die Homo-Ehe sind. Zum dritten entsteht Autoren- und Themenwahl immer vor dem Wissenshorizont der Medienmacher großer Zeitungen oder Medienanstalten.

Vor kurzem erhielt ich via Email die Anfrage eines Hörfunkjournalisten, der von mir wissen wollte, wen ich für die prägenden muslimischen Köpfe in Deutschland hielte. Meine Antwort war, dass ich die am häufigsten in den ­Medien auftauchenden Personen für unwichtig erachte, weil sie von Muslimen gar nicht als wichtig wahrgenommen werden. Ich habe ihm Personen genannt wie den traditionellen Gelehrten und Mawlawi-Schaikh Abullah Halis oder Erika Theissen, die das Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen in Köln aufgebaut hat und immenses leistet. Solche Personen sind in den Medien kaum präsent, hinterlassen aber etwas Prägsames.

Islamische Zeitung: Wie sahen die Reaktionen auf Ihre Zeitschrift aus? 

Nimet Seker: Das Feedback war durchweg positiv. Aber, wie es häufig ist, bleibt es oft nur bei der Begeisterung. Es folgen leider keine weiteren Taten. Ich wünsche mir, dass sich mehr Autoren melden, die zu den drängenden Themen der Zeit schreiben möchten. Übrigens schreiben für „Horizonte“ auch Nichtmuslime. Dadurch, dass ich andere Themen als die setze, die uns vom Mainstream vorgegeben werden, merke ich, dass wir uns immer noch stark im vorge­gebenen Diskurs bewegen. Fragen wie die nach einer gerechten Wirtschaftsord­nung beispielsweise werden in unserer Gesellschaft, aber auch unter Muslimen nur am Rande thematisiert.

Stattdessen geht es um Integration, liberal versus konservativ oder den Salafismus. ­Gerade das letztere interessiert mich auf der öffent­lichen Ebene überhaupt nicht, da man den Neo-Salafisten überhaupt nur mit starken, religiösen Argumenten beikommt. Dafür muss man aber seine Reli­gion gut kennen, um ihr Verständnis von Qur’an und Hadithen widerlegen zu können.

Islamische Zeitung: Von Goethe stammt die Maxime, dass man eine Sache nur dann verstehen kann, wenn man sie liebt…

Nimet Seker: Das ist eine Maxime, die ich mir vielleicht noch mehr aneignen sollte. In vielen Dingen denke ich noch viel zu abstrakt. Viele Nachwuchs-Theologen haben einen sehr starken Bezug zu ihrem Glauben und sie werden durch das, was wir hier tun, sehr berührt. Diese Liebe und diese Leidenschaft ­sollte man bei allem, was man tut, natürlich nie vergessen.

Islamische Zeitung: Liebe Nimet Seker, danke für das ­Gespräch.

Kommentar: Das Spektakel gegen den „Salafismus“ hinterlässt gemischte Gefühle. Von Khalil Breuer

(iz). Nach den eher diesseitig orientierten „Hells Angels“ bekommen nun Gruppen, die dem Salafismus zugerechnet werden, Besuch von Staatsorganen und geladenen Medien. Spektakel hin oder her, zunächst kommt hier nur eine rechtliche Binsenweisheit zum Tragen: Wer in Deutschland zu Straftaten aufruft, sie ausübt oder an solchen beteiligt ist, wird einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Bis zum Ermittlungsergebnis gilt die Unschuldsvermutung, egal ob man Helm oder Gebetskappe trägt.

Radikale Salafisten, die zu Gewalt aufrufen oder etwa Selbstmordkommandos verherrlichen und keine Staatsbürger sind, müssen zu Recht mit Strafen und Ausweisung rechnen. Ihre ­obskuren Positio­nen werden nicht nur von einer überwäl­tigenden Mehrheit der islamischen Gelehrten, sondern auch von nahezu 100 Pro­­zent der Muslime im Lande abgelehnt. Und das ist auch gut so. Noch immer steht eine überwältigende Mehrheit der Muslime in der Mitte und meidet die Extreme des Glaubens oder Unglaubens.

Wer auf der anderen Seiten in Übersetzungen des Qur’ans verteilt, mag damit der islamischen Sache schaden oder auch nicht; sicher begeht er damit aber keine Straftat. Wer mit schlichter Rhetor­ik ins Paradies einlädt oder sonstige Glaubensüberzeugungen vertritt, bewegt sich inhaltlich voll im Rahmen unserer Rechts­ordnung. Weder Sozialrecht, Gesundheitsrecht oder Baurecht stehen – mit guten Gründen – unter dem Vorbehalt ­einer politischen Gesinnungsprüfung. Kon­sequent weiter gedacht heißt das auch: Auch die Gruppe Pro-NRW muss ihren Stuss öffentlich vertreten dürfen, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.

Diese Fakten sind klar und sie müssen verteidigt werden, auch dann, wenn man – wie diese Zeitung – den Salafismus seit ihrem ersten Erscheinen kritisch ­begleitet. Es geht schlussendlich genau um diese inhaltliche Auseinandersetzung, den Nachweis zu führen, dass der Salafismus keine besonders konsequente Glaubensausübung ist, sondern in weiten Teilen eine moderne Irrlehre. Nur so ­verhindert man die Schaffung eines Opfermythos und nur so kann man öffentlich trennen zwischen dem, was Muslime tun oder vertreten mögen und, was der ­Islam selbst ist. Einfache Logik: Es mag Muslime ­geben, die Banken ausrauben oder Geld stehlen, aber es gibt keinen islamischen Bankraub oder Diebstahl.

Beunruhigend ist gleichzeitig die anhaltende Vermischung der Begriffe ­unter dem unbestimmten Begriff des „Islamismus“, die Kriminalisierung einfacher Orthodoxie, die gleichzeitige Nennung von Gläubigen und Orthodoxen mit Verbrechern und Mördern. Kurzum: die Verwässerung der Debatte. Uns Muslimen muss an Differenzierung gelegen sein; auch dann, wenn wir nur über ­bescheidene Mittel verfügen. Unsere Vertretungen sind ja leider verstörend passiv und wenig kreativ, sichtbare Zeichen zu setzen.

Neben der Differenzierung geht es auch um die Rationalisierung der Debatte. Hundertschaften von Stadtindianern aller Couleur mögen ein schlimmes Ärgernis für die Demokratie darstellen, sie sind aber keine Bedrohung der demo­kratischen Ordnung. Sie sind die politi­schen Dinosaurier einer anderen Zeit. Ganz real ist die Ordnung von über 80 Millionen hier lebenden Menschen durch eine entfesselte Ökonomie bedroht.

Viele Muslime haben Angst, dass sie ohne Differenzierung und eine Rationalisierung der Debatte um den Islam in anstehenden Krisenzeiten endgültig zu Sündenböcken werden könnten.

Meinung: weiterführende Überlegungen von Zeycan Çetin über den Salafismus in Deutschland und seine politischen Folgen

“Um die Machtausübung zu bewahren, ist es notwendig, sich zu gewissen Zeiten des Terrors zu bedienen” (Niccolò Machiavelli, florentinischer Staatsphilosoph und Dichter)

(iz). Salafisten (Salafi) machen nicht erst seit der Koranverteilaktion auf sich aufmerksam. Die Bewegung existiert schon seit langen Jahren in Deutschland. Wieso aber wird erst jetzt so ausgiebig über diese Gruppierung berichtet? Wieso stürzen sich Politiker, Behörden und Medien gerade zu diesem Zeitpunkt so öffentlichkeitswirksam auf das Thema?

Bereits in den 1990er Jahren, insbesondere während und nach dem Krieg in Ex-Jugoslawien bildeten sich in immer mehr deutschen Städten salafistische Zirkel. Interessanterweise spielten auch einige Protagonisten der Kriege auf dem Balkan (sowohl des Bosnien- als auch Kosovokriegs) keine unbedeutenden Rollen beim Aufbau der salafistischen Gemeinden. Süddeutschland, vor allem Baden-Württemberg mit ihren Städten Freiburg, Heidelberg und nicht zuletzt Ulm/Neu-Ulm, scheinen schon in den 1990ern als Pilotregionen ausgewählt worden zu sein.

Aus dieser Region bereitete sich die Bewegung bekanntermaßen rasch in die gesamte Republik aus. Von hier stammten auch die vermeintlichen Inspiratoren und Mentoren der Szene. Hier wurden daher auch die konspirativen Begegnungsstätten wie der „Islamische Verein Ulm“, das „Multi-Kulturhaus“ (MKH) oder das „Islamische Informationszentrum“ (IIZ) – von Dritten unterstützt – aufgezogen. Nicht zuletzt betätigten sich in diesen Zirkeln zahlreiche V-Leute und Mitarbeiter verschiedener Nachrichtendienste.

Der Journalist und Autor Jürgen Elsässer enthüllt die Donau-Doppelstadt Ulm/Neu-Ulm in seinem Werk: „Terrorziel Europa. Das gefährliche Doppelspiel der Geheimdienste“ als Einsatzgebiet dieser Dienste: „Wer dort nach 9/11 zu Allah betete, geriet nicht nur in das Visier deutscher Staatsschützer, sondern auch ihrer US-amerikanischen Kollegen.“ Daneben sollen in Ulm auch ägyptische-, saudische- marokkanische- und israelische Geheimdienste um „islamistische“ Informanten geworben haben.

Weiter schreibt Elsässer, dass die Stadt „seit Ende der neunziger Jahre vom Verfassungsschutz gezielt zu einem ‘Honigtopf’ aufgebaut wurde, um militante Islamisten anzulocken, auch als Rekruten [!] für die Dienste.“ Der Publizist zitiert in diesem Zusammenhang auch einen Informanten, der folgendes zu Protokoll gibt: „Es geht dem Verfassungsschutz schon seit Jahren darum, Verdächtige aus einem größeren Umkreis nach Ulm zu locken. Dort wurden sie einerseits radikalisiert, andererseits als V-Leute gewonnen. Das war offensichtlich überhaupt kein Widerspruch für Staatsschützer.“

Interessant wird es, wenn man nachliest, wie wichtige Personen und „Organisator[en] des süddeutschen Islamisten-Netzes“ auf Drängen von Dritten nach Ulm und in die „Begegnungsstätten“ wie das Multi-Kulturhaus kamen. So zog beispielsweise Yehia Yousif, ehemaliger Unterstützer von muslimischen Kämpfern im Ex-Jugoslawien-Krieg und Schlüsselperson bei der Radikalisierung von vermeintlichen „Islamisten“ und von Juli 1996 bis März 2002 auch Mitarbeiter des baden-württembergischen Verfassungsschutzes, im Oktober 2000 von Freiburg nach Ulm, um die „Salafisten-Szene“ weiter zu konstruieren.

Yousif, der 1988 aus Ägypten nach Deutschland auswanderte, promovierte 1994 an der Universität Freiburg im Fachbereich Medizin. Er lieferte seinen Auftraggebern Indizien, die gegen das MKH, wo er selbst als Prediger tätig war, verwendet wurden, was Elsässer im Gespräch mit dem Anwalt des MKH aufdeckt. Den Anwalt Christoph Käss erinnere die ganze Geschichte an das NPD-Verbotsverfahren, wo viele Beweise überhaupt von V-Leuten produziert worden seien. Wie widersinnig ist es, möchte man sich fragen, dass jemand im Auftrag von Dritten kriminell operiert und seine Handlungen den Behörden als Beweismittel für seine Bösartigkeit zur Verfügung stellt.

Heribert Prantl schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) in einem anderen Bezug über Spitzel: „Der Staat geht in die Irre, wenn er sich zu sehr auf solche Leute verlässt. Prantl, selbst ehemaliger Richter und Staatsanwalt, stellt zudem die Frage, die sich auch viele andere Menschen stellen: „Welchen Anteil an Straftaten hat der V-Mann? Hat er die Täter verleitet? Hat er sie zu den Taten angeleitet?“ Denn wenn dies so sein sollte, machen sich die Auftraggeber selber strafbar. Dann gibt es wieder viel Arbeit für Untersuchungsausschüsse und -kommissionen.

„Interessant“ sei für den Autor und Journalisten Eren Güvercin im Übrigen, „dass bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung von Yehia Yousifs Sohn, Omar Yousif, Unterlagen für die Herstellung des Flüssigsprengstoffs TATP gefunden wurden, mit dem später die Sauerland-Gruppe auf dilettantische Weise experimentiert“ habe. „Seltsamerweise wurde sowohl gegen Yehia Yousif als auch seinen Sohn kein Auslieferungsantrag gestellt, nachdem sie sich 2004 nach Saudi-Arabien abgesetzt hatten“, schreibt Güvercin in seinem kürzlich vorgestellten Werk: „Neo-Moslems. Portrait einer deutsche Generation“. Diese Dubiositäten verleiten Güvercin in seinem Buch zu der Frage und der danach folgenden Erkenntnis: „Wieso wird in den Mainstream-Medien bisher die Rolle des Hasspredigers Yousif, der gleichzeitig auch Informant des Verfassungsschutzes war, nicht hinterfragt? Yousif hatte entscheidend zum Erstarken salafitischer Gruppen beigetragen. Gleichzeitig war er aber auch Lohnempfänger des Verfassungsschutzes.“

Yehia Yousif, Reda Seyam und weitere wichtige Persönlichkeiten der salafistischen Szene haben nach diesen Feststellungen im Auftrag anderer Stellen für das Erstarken des Salafismus in Deutschland gedient. Die Personen, Organisationen und Wirkungsstätten sind beliebig austauschbar. Was in Ulm stattfand, kann heute genauso in Solingen, Hamburg, Bonn, Berlin oder Buxtehude stattfinden. Was früher die Aufgabe von Yehia Yousif und anderen Predigern gewesen ist, könnten heute Gans, Vogel, Fuchs und Adler übernommen haben. Was spricht dagegen, dass die Funktion, die früher beispielsweise das MKH, IIZ oder die „Sauerland-Gruppe“ spielten, heute Organisationen wie die „Internationale Dschihad Union“ (IJU), „Globale Islamische Medienfront“ (GIMF), „Islamische Bewegung Usbekistan“ (IBU) oder andere kleine und lokale Gruppen übernommen haben könnten?

Die Verteilung des Korans bringt Hebel in Bewegung
Im April 2012 wurden in zahlreichen deutschen Städten Gratisexemplare des Korans verteilt, wodurch der Salafismus (Salafiyya) urplötzlich zu einem „Mainstreamthema“ avancierte. Der zeitliche Kontext dieser Aktion, kurz vor den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und dem bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, ist nicht zu unterschätzen.

Die Nordrhein-Westfalen-Wahlen waren schon immer richtungweisend – auch für die Bundestagswahlen. Die konservativen Parteien benötigten daher jede einzelne Stimme, auch aus dem rechten Spektrum. Für sie ging es um alles oder nichts. Dass am Ende sogar der Spitzenkandidat und Vorsitzende seinen Hut nehmen musste und auch noch vor aller Öffentlichkeit von der Kanzlerin gedemütigt wurde, zeigt die Dramatik dieses Wahlkampfes, in der auch die rechtsgerichtete Pro NRW durch sensationslustige Provokationen auffiel. Außerdem wurde das Thema verdächtig kurz vor der Islamkonferenz zum Sieden gebracht. Politiker forderten – besonders von den muslimischen Verbänden – eine Distanzierung und Verurteilung der Salafisten.

Die kostenlose Verteilung von Koranexemplaren war bis heute in Deutschland weniger üblich. In der Regel haben Vereine oder einzelne Gruppen religiöse Literatur zum Kauf angeboten. Hinter der PR-trächtigen Verteilaktion soll ein wohlhabender Kölner Prediger und Geschäftsmann stehen, der zur Zeit, so berichtet eine große Boulevardzeitung, angeblich von Hartz-IV lebe. Der Mann heißt Ibrahim Abou-Nagie. Doch wer ist der neue Hauptdarsteller in diesem schlechten Film?

Khalil Breuer stellt in seinem Hintergrundbericht: „Der Polizist, der ein Salafist war!“ für die Islamischen Zeitung (IZ), zwei zutiefst denkwürdige Fragen: Hatte der durch die Koran-Verteilaktion bekannt gewordene Ibrahim Abou-Nagie eigentlich auch Kontakte zum Verfassungsschutz (wie er auf Youtube selbst behauptet)?“ und weiter: „Wie viele V-Leute gibt es denn in der salafitischen Szene?“ Ebenso große Beachtung verdient dieser Paragraph des Journalisten: „Ganz neu ist das strategische Interesse des Verfassungsschutzes an der Salafismus-Szene nicht. Schon in einem Artikel der FAZ vom 3.10.2010 über den Prediger Vogel wird auch die Einschätzung des Islamwissenschaftlers Müller vom Verfassungsschutz Stuttgart einbezogen. ‚Er tritt den gängigen Islam-Organisationen vors Schienbein’, wird Müller dort zitiert, denn ‚er ist ein spannendes Experiment, er bringt Bewegung in die Szene’.“

Das Ziel Abou-Nagies soll es sein, Millionen Exemplare des Korans in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu verschenken. Bis jetzt seien etwa 300.000 Exemplare verteilt. Sie seien eine Übersetzung von Mohammed Ibn Ahmas Rassoul und Abdullah Bubenheim. Die Behörden halten die Übersetzungen für neutral beziehungsweise nicht verfassungsfeindlich. Dennoch hat die Ulmer Druckerei Ebner & Spiegel die Auslieferung der Korane aufgrund der medialen Kritik eingestellt. Der Initiator der Verteilaktion Abou-Nagie, betreibe zudem die Internetplattform „Die wahre Religion“ (DWR), die im Bundesverfassungsschutzbericht 2010 dem politischen Salafismus zugeordnet wird.

Orientierung am „Urislam“
Der Salafismus ist nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ein Sammelbecken einer als „islamistisch“ bezeichneten Bewegung in Deutschland. Nach Schätzungen von Sicherheitskreisen sollen der Bewegung etwa 3.000 bis 5.000 Personen angehören.

Der Terrorismusexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Guido Steinberg, geht dagegen von fast 10.000 Anhängern der Gruppe aus. Insgesamt gebe es in Deutschland etwa 130 gewaltbereite „Gefährder“. Nicht alle davon, lediglich „zwei Dutzend“ seien der salafistischen Szene zuzuordnen. Ziel von Salafisten sei laut Sicherheitsbehörden die Gründung eines islamischen Staats, in dem wesentliche Grund- und Menschenrechte keine Geltung haben sollen. Die Bewegung soll im 19.Jhd. in Ägypten entstanden sein und orientiere sich an einer wortgetreuen Koranauslegung sowie einem Urislam ohne jede theologische Entwicklung.

Andere Beobachter weisen auf die engen Parallelen zwischen dem Salafismus und dem saudi-arabisch dominierten Wahhabismus hin. Heute werden beide Strömungen, die als ultrakonservativ gelten, im Sprachgebrauch gleichbedeutend verwendet. Moderne Medien und Kommunikationskanäle wie das Internet spielen nach Ansichten von Experten eine wichtige Rolle in der Propagandatätigkeit der Salafisten in Deutschland.

Daher richte sich die Arbeit der Bewegung nach Erkenntnissen von Sicherheitsbehörden besonders auf junge Muslime und Konvertiten in einer „schwierigen Lebensphase“. Auch junge Nichtmuslime sollen von den Salafisten, mit dem Ziel, sie zur salafistischen Strömung zu bekehren, umworben werden.

Zu den bekanntesten Mitgliedern der Szene zählen Pierre Vogel oder der Berliner Ex-Rapper Deso Dogg (Abou Maaliq). Die Bewegung, die in Solingen, Remscheid, Berlin, Bonn, Braunschweig, Mönchengladbach, Ulm und weiteren Städten im Bundesgebiet organisiert ist, steht unter einer intensiven Beobachtung der Dienste. Für zahlreiche Salafisten gelten Muslime, die nicht auf ihrer Seite stehen oder die Bewegung zumindest kritisch betrachten, als „Ungläubige“ (Kuffar). Sie sind daher nicht selten Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt.

Debatte breitet sich rapide aus und bedroht alle Muslime
Die Verteilaktion hatte sich nach dem Osterwochenende 2012 anfänglich zu einer Debatte über das heilige Buch der Muslime ausgeweitet. Das Thema wurde seitdem in den Medien intensiv diskutiert und weitet sich täglich mit neuen Meldungen wie ein Feuer aus. Im Zusammenhang mit den Mai-Kundgebungen, den Attacken auf Polizeibeamte in Solingen (1.Mai) sowie Bonn (5.Mai), Provokationen der rechtsradikalen Gruppierung Pro NRW und den Drohungen von „Islamisten“ auf der Videoplattform Youtube, werden die Anhänger der Salafiyya und damit instinktiv auch die übrigen Muslime pausenlos mit Gewalt, Radikalismus und des Sicherheitsrisikos in Verbindung gebracht.

So wurde wenige Wochen nach der Koranverteilaktion die Dosis der Nachrichten stetig erhöht. Zunächst gerieten Pro-NRW-Aktivisten und einige gewaltbereite Salafisten in Solingen aneinander. Ähnliches ereignete sich ein paar Tage später in Bonn. Dabei griffen einige Gewalttätige auch Polizisten an und verletzen diese – zum Teil schwer.

Kurz darauf folgte diese kuriose Meldung: Ein 31 Jahre alter Essener Polizeikommissar ist unter besonderen Umständen als Salafist aufgefallen und wurde Anfang Mai aus dem Polizeidienst suspendiert. Gegen Ali K. sei ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel eingeleitet worden, ihn aus dem Staatsdienst zu entlassen. Heinz Tutt vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet, dass der Beamte im Jahr 2009 für sechs Monate auch für den NRW-Verfassungsschutz gearbeitet habe. Er sei bei einem mobilen Observationskommando eingesetzt gewesen und habe Extremisten ausspähen sollen.

Der Beamte mit Migrationshintergrund soll sich in seiner Freizeit für „radikale Islamisten“ engagiert haben. So habe er Infostände für salafistische Vereine angemeldet und sich an deren Aktivitäten beteiligt, bestätigte die Polizei. Ein „Salafist“ in den Reihen der Polizei und des Verfassungsschutzes: Ein Einzelfall?

Es vergeht mittlerweile kein Tag, wo nicht über Salafisten und so genannte „Islamisten“ gesprochen wird. Zudem haben sich zahlreiche Politiker, muslimische Funktionäre und Kirchenvertreter in die Debatte eingeschaltet. Fast täglich wenden sich Pressevertreter/innen mit Fragen an die muslimischen Verbände und verlangen nach Statements von Repräsentanten. Damit werden auch die islamischen Organisationen in Deutschland – bewusst oder unbewusst – mit in die Debatte um Extremismus, Gewalt und Terror eingespannt. Wissentlich?

Populistische Forderungen wirken destruktiv
Auch wenn jetzt einige Politiker danach rufen, die Personen, die Korane verteilen auszuweisen, sie noch strenger zu kontrollieren oder gar die Koranverteilung zu verbieten, wer soll denn ausgewiesen werden? Deutsche Konvertiten oder jugendliche Deutsche mit Migrationsbiographie, die hier geboren, hier sozialisiert, aufgewachsen und nicht zuletzt hier „geködert“ wurden?

Die Probleme, mit denen sich die Politiker, die jetzt nach harten Strafen, Verboten oder Abschiebungen rufen, sind nicht so klar und einfach, um sie mit Untersagungen oder Ausweisungen zu lösen. Zum Teil sind sie sogar hausgemacht. Die „Panikmacher“ (Patrick Bahners, FAZ) sind wieder im Scheinwerferlicht. Der Dauergast in spätabendlichen Talkshows, Bosbach, seine Kollegen Uhl und Innenminister Friedrich, der die Öffentlichkeit im Zuger der Publikation der Studie „Lebenswelten junger Muslime in Deutschland“ bewusst getäuscht hat und verantwortlich für die Lancierung der Untersuchung an die Bild-Zeitung war (siehe Interview von Yasin Baş mit Ulrich Paffrath), übertreffen sich mit Vorschlägen.

Christian Bommarius von der „Frankfurter Rundschau“ (FR) spricht in dieser Hinsicht von „großmäuligen Forderungen“ und „schlechter Rhetorik“. Er sagt, dass Vereinsverbote „nicht nur das letzte Mittel im Kampf gegen extremistische Gruppen“, sondern im Fall der Salafisten auch „wirkungslos“ seien. „Deren Vereine lösen sich schneller auf, als ein Innenminister sie verbieten kann. Und was den Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft betrifft, so verbietet ihn das Grundgesetz (Art. 16 Abs. 1).“ Da viele Salafisten in losen Strukturen oder in gar keinem Verein organisiert sind, bringen Verbote bedauerlicherweise wenig.

Außerdem: Eine Ausweisung, Ausbürgerung oder der Entzug der Staatsbürgerschaft hört sich zwar spannend an, erinnert aber eher an totalitäre und menschenverachtende Staatssysteme. Oder möchte ein Innenminister einen deutschen Salafisten von Bayern nach Mecklenburg-Vorpommern ausweisen? Bommarius hält es überdies für „gefährlich“, dass Politiker zwar von Salafisten reden, die deutsche Öffentlichkeit aber „Moslems“ versteht. So wird die große Mehrheit der Muslime – wieder einmal – unter Generalverdacht gestellt.

Kontrolliert außer Kontrolle
Zunächst einmal sollte die Problemgruppe besser erkannt werden. Es sind meist junge Menschen, unter ihnen auch viele mit durchaus guter Bildung, die in den Salafismus treiben. Für die Islamismus-Expertin Claudia Dantschke vom Zentrum für Demokratische Kultur in Berlin sei der Salafismus nicht, wie viele denken, „von außen eingeschleppt“, sondern „ein Problem hier aufgewachsener Jugendlicher, die sich entfremdet, isoliert und unverstanden fühlen“ (zit. n. Jan Bielicki, Süddeutsche Zeitung).

Es sind in aller Regel deutschsprachige und deutsch sprechende Menschen, die auch in ihrer Freizeit deutsch sprechen. Es sind immer mehr deutschstämmige, also ethnische Deutsche, die der Bewegung angehören. Auch die „intelligenten“ Prediger sprechen nahezu fehlerfrei Deutsch. Beachtlich sind auch die fast fehlerfreien und sehr professionell erstellten Videobotschaften von einigen „Radikalen“. Sie sprechen in diesen Videos teilweise noch besser Deutsch als ein Germanist oder Literaturwissenschaftler.

Der Salafismus entfaltete sich und gedieh in seinen „jungen Jahren“ besonders in den deutschen Zentren in Süddeutschland, worauf anfangs eingegangen wurde. Heute ist die Bewegung in ganz Deutschland verbreitet. Momentan scheint etwas aus der Kontrolle geraten zu sein in Bezug auf den Salafismus in Deutschland. Oder sollte etwa etwas kontrolliert außer Kontrolle geraten?

Dantschke empfiehlt zumindest eine Doppelstrategie in der Angelegenheit. Sie fordert zum einen ein hartes Eingreifen und die konsequente Bestrafung von Gewalttätern. Zum anderen, das erscheint ihr wichtiger, fordert sie eine bessere Jugendarbeit in Kommunen, Jugendzentren, Schulen und Moscheen, um Jugendliche vor Gefahren zu schützen. Prävention ist damit auch in der Jugendarbeit von zentraler Bedeutung.

Kostenlose PR
Eine so große mediale Aufbereitung des Themas, beginnend mit einer Verteilaktion des heiligen Buchs der Muslime über weitere Aktivitäten von Salafisten ist von Anfang an Wasser auf die Mühlen der Salafisten gewesen. Die Bewegung bekommt jetzt noch mehr Zulauf und gewinnt bei vernachlässigten Jugendlichen an Attraktivität. Ist das ein kalkuliertes Risiko?

Steffen Hebestreit vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ wies zu Recht auf ein Paradox hin und sagt, dass sich die Behörden „seltsam zwiespältig“ verhalten. Hebestreit übt dabei auch Selbstkritik, wenn er es als „seltsame Logik“ bezeichnet, dass vermeintliche „Einzeltäter“ erst durch das „mediale Echo“ auf den Salafismus oder Drohvideos aufmerksam (gemacht!?) werden. Die Kommentare der Behörden und Politiker sowie die großzügige mediale Aufbereitung des Themas, bringen nur noch mehr Aufmerksamkeit für die Aktivisten. Es ist eine kalkulierte und kostenlose Werbekampagne.

Die Verteilung des Korans scheinen zwar auch abendländische Untergangssorgen und Ängste zu befeuern. Im Nachhinein kann aber festgestellt werden, dass die Verteilaktion nur der Beginn einer neuen Sicherheitsdebatte gewesen ist. Kaum einer, der jetzt nach einem Verteilverbot für das heilige Buch ruft, kennt den Koran, hat ihn jemals gelesen. Sogar Innenminister Friedrich gab in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom 31. März 2011 zu, noch nie im Koran gelesen zu haben. Vielleicht hat er es inzwischen – wegen seines Amtes oder als Gastgeber der Islamkonferenz – nachgeholt? Wenn die Menschen den Koran kennen würden, sähen sie die Parallelen zur Bibel und der Thora. Dann sähen sie, dass es weitaus mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den heiligen Büchern gibt.

Fehlende Gelassenheit auch Ausdruck von fehlender Souveränität?
In Deutschland und anderen Staaten der Welt werden „Wachttürme“ (Periodika der Zeugen Jehovas), Bibeln, Korane und weitere religiöse Schriften verteilt. Am aktivsten verbreiten christliche Missionare, Stiftungen und Verlage ihre „heiligen Schriften“ auf der Welt. In manchen Staaten werden sie daran gehindert. Wenn sie Glück haben, werden sie aus den jeweiligen Ländern ausgewiesen. Doch es kommt auch vor, dass sie gefoltert werden oder ihr Handeln mit ihrem Leben bezahlen. Warum? Weil sie das Wort Gottes verbreiten? Zum Glück gibt es in Deutschland die Religionsfreiheit. Aus diesem Grunde wäre es ratsam, gelassener, unaufgeregter, ja souveräner mit dem Thema umzugehen.

Der „Anti-Koran-Reflex“
Lucas Wiegelmann von der Tageszeitung „Die Welt“ bezeichnet das, was nach der Koranverteilung passierte, als einen „Reflex“. Er nennt es einen „Anti-Koran-Reflex“, das es in Teilen der deutschen Gesellschaft gebe. Er schreibt: „Jede Sekunde [!] verteilt der evangelische Gideonbund weltweit zwei Bibeln. Würde man die Bände stapeln, käme jede Stunde ein Turm in der Höhe des Big Ben (96 Meter hoch) heraus.“ Wiegelmann gibt zudem den Christen einen beschwichtigenden Rat mit auf den Weg: „Für Christen gibt es keinen Grund, die Konkurrenz der heiligen Bücher zu scheuen. Jeder wirkliche Gläubige geht ohnehin davon aus, dass seine Ansichten überzeugender sind als andere.“

Auch die Meinungsfreiheit garantiert den Menschen, Literatur zu drucken und zu verteilen, deren Inhalt sich im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. Für Muslime ist es eine Pflicht, sich an die Verfassung und Normen der Gesellschaft zu halten, in denen sie leben. Demokratie, Rechtstaat und Grundrechte stehen nicht zur Debatte. Die islamischen Verbände, die im „Koordinierungsrat der Muslime“ (KRM) organisiert sind, haben das des Öfteren klar und deutlich verkündet.

Unglücklicherweise wurden diese, dem Frieden, gegenseitigem Respekt und der Toleranz dienenden Botschaften – im Gegensatz zu den jetzigen Negativereignissen – von den Medien nicht genügend registriert. Bibel- und Koranverteilungen sind das gleiche, solange sie nicht gegen die Verfassung verstoßen. Daher ist es schwer verständlich, dass es demokratische Politiker sind, die eine Verteilung als Akt verboten sehen möchten. Die Initiatoren oder Hinterleute der Aktion zu überwachen, zu kontrollieren und zu zähmen, ist eine ganz andere Frage als die der Verbreitung des heiligen Buches der Muslime.

Mordsserienskandal an Migranten gerät ins Abseits
Angemerkt sei noch, dass die schockierenden Enthüllungen der Nazi-Morde an neun Migranten und eine deutsche Polizistin durch diese Salafisten-Debatte überlagert wurde. Nach Bekanntwerden des Skandals, diskutierte Deutschland erst monatelang über Christian Wulff. Nun setzt sich die Öffentlichkeit abermals mit „gewaltbereite Islamisten“ auseinander.

Die NSU-Morde und das abartig organisierte Netzwerk dahinter, werden insofern erneut durch andere Themen ins Abseits gerückt. So verwundert auch diese Meldung aus den letzten Tagen nicht mehr sonderlich. Im Gegenteil, es fügt sich in das angesprochene perverse Bild: Die Polizei in Bayern suchte im Zuge der Mordserie an Migranten mit großem Aufwand nach „kriminellen Ausländern“ und nicht nach Rechtsterroristen.

Dafür betrieben die Ermittler eigens einen Dönerimbiss. Der Inhaber sei ein V-Mann gewesen, der absichtlich keine Rechnungen von Lieferanten bezahlte, um „kriminelle Ausländer“ anzulocken. Dies spricht für die Einseitigkeit der Ermittlungen. Zusätzlich melden die Nachrichtenagenturen, dass der Thüringer Verfassungsschutz einen als V-Mann arbeitenden Neonazi in den neunziger Jahren mehrmals vor Durchsuchungen der Polizei gewarnt habe. Es gebe vier bis fünf solcher Fälle, sagt Gerhard Schäfer, Vorsitzender der Kommission zur Untersuchung des Thüringer Behördenverhaltens rund um die Nazi-Terroristen.

Barbara John, die Ombudsfrau der Naziopfer sagt: „Dieser Wahnsinn hat Methode“. Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass diese verbrecherischen Taten „Methode“ und „System“ haben, dann ist das Vertrauen vieler Menschen ins Rechts- und Gerechtigkeitssystem missbraucht. Die Enthüllungen aus dem Thüringer Untersuchungsausschuss deuten auf chaotische Zustände bei Justiz, Polizei und Diensten hin.

Kommunikationsdefizite und „Revierkämpfe“ sind nur die Spitze des Eisbergs. Peinlich ist jedoch eines: Noch immer gibt es niemanden, der Verantwortung für diese abscheulichen Taten übernimmt und von seinen Ämtern zurücktritt. Noch immer gibt es keinen, der eigene Fehler zugeben möchte. Ob die Untersuchungsausschüsse und Prüfungskommissionen daran etwas ändern werden, bleibt abzuwarten.

Hintergrund: Der Polizist, der ein Salafist war! "Bewegung in der Szene". Recherchebedarf wächst stetig. Von Khalil Breuer

(dpa/iz). Das ist schon eine merkwürdige – man könnte auch sagen, abenteuerliche – Geschichte. Ein 31-jähriger Polizist aus Essen ist ganz zufällig als Salafist aufgefallen und soll nun aus dem Polizeidienst entfernt werden. Der Beamte wurde suspendiert. Es sei ein Disziplinarverfahren mit dem Ziel eingeleitet worden, ihn aus dem Staatsdienst zu entlassen, teilte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) am Dienstag in Düsseldorf mit. Doch damit noch nicht genug. Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) berichtete, der Beamte habe im Jahr 2009 auch für den NRW-Verfassungsschutz gearbeitet. Er sei bei einem mobilen Observationskommando eingesetzt gewesen und habe Extremisten ausspähen sollen. In Polizeikreisen wurde dies bestätigt.

Der Kommissar mit ausländischen Wurzeln sei in seiner Freizeit durch Aktivitäten für die radikalen „Islamisten“ aufgefallen. So habe er Info-Stände für salafistische Vereine angemeldet und sich an deren Koran-Verteilaktion beteiligt, bestätigte die Polizei. Soweit die offizielle Geschichte. Jetzt kommen die Fragen, denn so langsam sollten in den deutschen Redaktionsstuben ein wenig der journalistische Ehrgeiz angefacht sein. Es drängen sich ein paar Punkte geradezu auf. Wie viele V-Leute gibt es denn in der salafitischen Szene? Hatte der durch die Koran-Verteilaktion bekannt gewordene Ibrahim Abou-Nagie eigentlich auch Kontakte zum VS (wie er auf Youtube selbst behauptet)?

Ganz neu ist das strategische Interesse des Verfassungsschutzes an der Salafismus-Szene nicht. Schon in einem Artikel der FAZ vom 3.10.2010 über den Prediger Vogel wird auch die Einschätzung des Islamwissenschaftler Müller vom VS Stuttgart einbezogen. „Er tritt den gängigen Islam-Organisationen vors Schienbein“, wird Müller dort zitiert, denn „er ist ein spannendes Experiment, er bringt Bewegung in die Szene.“

Der baden-württembergische VS hatte schon einmal mit der radikalen Szene zu tun: In Freiburg beschäftigte die Behörde von 1995-2002 einen radikalen Prediger als V-Mann; Yehia Youssif, der später die radikale, teilweise militante Ulmer Bewegung der Salafiten gründete. Bei seinem Sohn wurde zudem Sprengstoff gefunden. Die näheren Umstände der Beschäftigung des zwielichtigen V-Mannes sind bis heute ungeklärt.

Die sagenumwobene Ulmer Gemeinschaft wurde de facto zum Berührungspunkt nicht nur der „Sauerlandgruppe“, sondern praktisch aller in Deutschland lebenden oder als solche, verdächtigten Terroristen. Der Mann flüchtete übrigens 2004 ins Ausland, ohne bis heute Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen geworden zu sein.

Kommentar: Kampf gegen Extremismus, aber wie? ZMD stößt eine Debatte an. Von Khalil Breuer

(iz). In einem deutschen Universitätssaal machte ich vor einigen Jahren ein merkwürdige Beobachtung: In einer Diskussionsrunde hielt ein Mann aus dem Publikum plötzlich eine scharfe und polemische Rede. Danach setze […]

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Interview: Islamwissenschaftler Rauf Ceylan über radikale Islamisten. Von Benedikt Angermeier (KNA)

(KNA). Die so genannten „Salafisten“ seien laut Verfassungsschutz die „am schnellsten wachsende islamistische Strömung in Deutschland“. Gerade bei Jugendlichen hätten die extremistischen Vereinigungen großen Erfolg. „Wir haben das Spielfeld den […]

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