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Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza: „Deutungshoheit des Islam wieder dem Mainstream zurückgeben“

(iz). ­Es sind gelegentlich die Extreme, die Muslime nach Außen, aber auch in der Binnenwahrnehmung bestimmen. ­Insbesondere wegen der bisherigen ­Zurückhaltung des Mehrheitsislam schaf­fen es Kleingruppen oft, dass ihre Sicht […]

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„Zu Lasten der Mehrheit“

(iz). Innerhalb der islamischen Gemein­schaft hat das Internet zu einer neuen Gesprächskultur geführt. Jeder – ob Gelehrter oder nicht, ob kompetent oder unwissend – kann sich an den Diskussionen über islamische Themen betei­ligen. Wenn auch an manchen Stellen die Qualität dieser Debatten etwas zu wünschen übrig lässt, ist es nicht schlecht, dass Muslime sich auch auf diesem Weg mit dem innerislamischen Streit ausein­andersetzen. Es ist nicht einmal neu, zeichnet den Islam doch jahrhundertelang eine Kultur des niveauvollen ­Streites über Glaubensinhalte aus, wenn auch natürlich auf Grundlage einer ­gemeinsamen Basis; dem gemeinsamen Festhalten an den wichtigsten Regeln der Glaubenspra­xis, den Ibadat und den Muamalat. Im Medienzeitalter sollte man als Beo­bachter oder Teilnehmer nie ganz verges­sen, dass ein virtuelles Bild nicht vollkom­men dem realen Bild eines Phänomens entspricht. Die berühmte Verwandlung der Mücke in den Elefanten gehört ebenfalls zu den gewohnten Spielarten ­neuer Medien. Ganze Gruppen über einen Kamm zu scheren oder gar Muslime zu beleidigen – bis hin zur Unsitte, sich zum Richter des Glaubens anderer Muslime aufzuschwingen -, sollte zumindest zwischen uns Muslimen sowieso verpönt sein.

In diesem Sinne beteiligt sich auch die Islamische Zeitung immer wieder aktiv an den Schlüsseldebatten unserer Zeit. Grundsätzlich sind wir der Auffassung, dass keine Politik dieses Jahrhunderts ohne die Bezugnahme zu ökonomischen Fragestellungen verstanden werden kann. Überraschenderweise gilt dies auch für das große Thema der letzten Wochen: den salafitischen Wahabismus. Genug Geld hatte diese Gruppe immer. Über Jahrzehnte hindurch gab es die ­Ideologie nur als „Exportschlager“. In ihrem Ursprungsland selbst, in Saudi-Arabien, gelang es dem Königshaus lange, die Aggression dieser Gruppe mit Hilfe zahlrei­cher Petrodollars nach außen zu lenken. Die ursprüngliche logistische Zusammenarbeit der Dschihadisten mit den Amerikanern in Afghanistan ist hinläng­lich bekannt.

Aus ökonomischen Gründen – mit anderen Worten, aus Rücksicht gegenüber dem Wirtschaftspartner Saudi-Arabien – hatte der deutsche Verfassungsschutz diese Gruppierungen bis in das Jahr 2001 nicht erwähnt. Der radikale Arm der ­salafitischen Strömung, der so ­genannte „islamische Terrorismus“, hat mit seinen abscheulichen Verbrechen und seiner Idee eines „Ausnahmerechts“ bis heute nicht etwa dem Islam gedient, sondern die Vorlage für Vergeltung, aber auch für Krieg, Terror und Propaganda gegen Mus­lime geliefert. „Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber jeder der uns bekannten ­Terroristen war irgendwann einmal in salafitischen Zusammenhängen unterwegs“, wurde Verfassungsschutz-Chef Fromm im letzten Sommer zitiert. Diese alarmierende Aussage ist keine Polemik, sie stimmt und muss von Muslimen nachdenklich reflektiert werden. Schon im Interesse unser teilweise halbgebildeten Jugend sollte man – mit allen zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Kräften – den radikalen Flügel des Salafismus schlicht ausgrenzen und auch bei entsprechender Möglichkeit auffordern, unser Land zu verlassen.

Im Interesse der ausgewogenen Beurteilung des Phänomens Salafismus gehört auch ein anderes Kapitel im vielschichtig gewordenen Verhältnis von Staat und Muslimen. Die Ulmer Urgemeinschaft des radikalen Salafismus in Deutschland wäre vermutlich nicht ohne Mithilfe eines dubiosen Chefpropagandisten, der gleichzeitig V-Mann des baden-württem­bergischen Verfassungsschutz war, entstanden. Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt und der „Hassprediger“ steht auf keiner Fahndungsliste. Zweifelsohne gibt es praktisch keine Terrorgruppe in Eu­ro­pa, die nicht nachweislich auch von V-Leuten aktiv unterwandert war. Ohne etwas unterstellen zu wollen: Aber auch hier sollte sich die zu Recht besorgte Öffentlichkeit nicht einschläfern lassen.

Warum fällt es eigentlich manchen Muslimen schwer, gegen „salafitische Gruppierungen“ geistig mobil zu machen? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zunächst einmal verbindet alle Muslime die Liebe zum Propheten und zu den ersten muslimischen Generationen. Da sich der Salafismus „exclusiv“ auf sein Verhältnis zum Ursprung beruft, fällt es hier vielen Muslimen schwer, angemes­sen zu reagieren. Nur wenige Muslime verstehen den schleichenden Übergang von einem lebendigen Einheitsglauben – gemäßigt durch das praktische Beispiel des Propheten und den ‘Amal von Medina – hin zu einer modernen, abstrahierenden Ideologie, die den Salafismus heute auch ausmacht.

Nur langsam werden an sich ­wichtige, aufklärende Bücher – wie Abdelwahab Meddebs „Die Krankheit des Islam“ – oder viele Texte in der Islamischen Zeitung über die Widersprüche „islamischer Ideologie“ wahrgenommen. Der Aufsatz „Jenseits von Eden“ des Islamwissenschaftlers Muhammad Sameer Murtaza auf islam.de zeigt die Verflechtungen des Wahabismus beziehungsweise Salafismus und erklärt seine – Muslimen oft nicht bekannte – historische Entstehungsgeschichte. Die Wandlung der positiven Lebensenergie der Muslime zu einem modernen Geist – der stets verneint und die neue Welt mit seinem Glauben nicht etwa aufbauen, sondern zum Einsturz bringen will – beschreiben diese Autoren durchaus treffend.

Allerdings erschwert eine ­schleichende Politisierung des Diskurses die objektiv notwendige Kenntnisnahme von Fakten. Der beliebte Gegensatz zwischen rückwärtsgewandtem Salafismus und moder­nem Liberalismus kann Muslimen den fatalen Eindruck vermitteln, als würde eine konsequente Abrechnung mit dem Salafismus und seinem Anspruch auf eine Nähe zu den Quellen in der Praxis aus dem Islam herausführen. Die Verknüpfung der notwendigen Zurückweisung des (wahabitischen) Salafismus. allerdings nach Maßgabe einer teilweisen Aufgabe der ganzheitlichen Glaubenspraxis, die bei manchem Kritiker ebenfalls mitschwingt, wäre für die innerislamische Debatte fatal.

An dieser Stelle muss man kritisch hinzufügen, dass ein Grund für die ­mediale Herrschaft der Extreme und das unverhältnismäßige Gewicht von Kleingruppen in der Schwäche der Mitte zu finden ist. Der (angeblich) organisierte Islam in Deutschland, die Verbände und Moscheegemeinden haben zwar agile Funktionäre, aber bisher kaum glaubwürdige Gelehrte in der Öffentlichkeit etabliert. Ein Grund warum die, durchaus vorhandenen Lehrer bisher von der Bürokratie eher versteckt wurden, ist evident. Eine aktive, selbstbewusste islami­sche Lehre würde zwar den Extremismus zurückdrängen, könnte aber kaum bestätigen, dass die Zakat unnötig geworden ist, dass die ethnische Einteilung von Muslimen authentisch sei oder es besser wäre, GmbH’s als Stiftungen zu fördern. Im Ergebnis überlässt der organisierte ­Islam bisher das Internet den zahlreichen Laienprediger oder fördert verhalten eine vom Alltag abgehobene „Theologie“ an den Universitäten.

Fakt ist, der KRM – als mögliche Inte­ressenvertretung der verschiedenen muslimische Strömungen in Deutschland – ist seit Jahren gelähmt und bisher nicht in der Lage gewesen, ein aktives Programm – von und für Muslime – in der Öffentlichkeit zu etablieren. Die fehlende Präsenz in der Hauptstadt spricht hier Bände. Extreme Gruppen berufen sich daher immer wieder auf die Passivität und angebliche Gleichgültigkeit der muslimischen Mehrheit. Es wird Zeit, dass wir Muslime der Mitte unsere Außenwir­kung wieder gemeinsam – und vor ­allem stärker – selbst bestimmen.

Sorgen macht die augenscheinliche Ins­trumentalisierung des islamischen Extremismus durch einige Konservativen. Leider bekommt diese Denkrichtung ­immer wieder ideale Vorlagen. Ein Para­debeispiel sind die spektakulären Aktio­nen des Hartz-IV-Empfängers Ibrahim Abou-Nagie, der die Deutschen flugs mit der Massenverteilung einer Qur’anübersetzung vom Unglauben bekehren ­wollte, aber in seiner eigenen, nun leider öffent­lichen Existenz voller Widersprüche lebt. Im Jahr 2010, so berichtet er stolz auf Youtube, sei er schon vom Verfassungsschutz angesprochen worden, der – wie er schmunzelnd berichtet – seine polemi­sche Wortwahl nicht so gut fand. Niemand weiß, was aus diesen Kontakten wurde.

Für manche Konservative, die sehr häufig keine halbwegs niveauvollen Muslime persönlich kennen, werden diese vorgeschobenen Akteure zum Symbol des Islam in Deutschland an sich. Bedenklich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit agiert gelegentlich auch der ­christsoziale Bundesinnenminister Friedrich, der gerade zugeben musste, dass sein Ministerium bei der Veröffentlichung einer ­Jugendstudie ausgerechnet die „Bildzeitung“ als bevorzugten Medienpartner wählte. Friedrich hatte dann in der BILD die Studie einseitig – und unter Protest ihrer Autoren – als Indiz für das angeblich wachsende Gefahrenpotential muslimischer Jugendlicher bewertet. Viele Muslime rätseln schon länger über die Strategie des Ministers und bemängeln die Kultivierung der Gegensätze.

Geht es am Ende doch nur um die Förderung genehmer Muslime oder gar um eine mittelfristige „Verstaatlichung“ oder Bevormundung der künftigen muslimischen Vertretungen? „Der medienwirksa­me Aufschwung der kleinen Gruppe der Extremisten schafft die Voraussetzungen für die uns alle überragende Dialektik“, schrieb Khalil Breuer auf der IZ-Webseite über die Lage. ”Auf der einen ­Seite die vielbesungen Salafiten, auf der ande­ren Seite ein staatstragender, ­liberaler ­Islam, der trotz seiner Bedeutungslosigkeit zum entscheidenden ­Vertragspartner mutiert.“

Die Hype um den Salafismus – nur wenige Tage vor der Islamkonferenz entfacht – kommt tatsächlich denen ­gelegen, die im Islam in Deutschland vor allem ein langfristiges Sicherheitsproblem ­sehen wollen. Die hierarchisch verfasste Konferenz wirkt zunehmend als präventive Polizeiarbeit und richtet darüber hinaus weiteren Flurschaden an. Immer mehr „normale“ Muslime sehen in der Islamkonferenz und der andauernden Assozi­ierung der Muslime mit Gewalt vielmehr eine dauerhafte Beschädigung ihres Images.

Ein Mittelweg und die Stärkung der Mitte, wo sich die praktizierenden und maßvollen Muslime sehen, sieht ­wahrlich anders aus. Überfällig wäre die endgülti­ge und thematische Loslösung der Konferenz vom Innenministerium. Die notwendige Zusammenarbeit der Muslime mit dem Staat gegen den Extremismus könnte dort mit weniger Getöse fortgeführt werden. Die Debatte weiterhin auf Sicherheitsaspekte zu reduzieren, ist schädlich. Es richtet sich schlussendlich gegen die Interessen der Bundesrepublik, dass noch immer Millionen von potenti­ellen Bürgern mit Gewalt und Extremis­mus assoziiert werden.

„Wir brauchen Alternativen!“ Ein Kommentar von Khalil Breuer

(iz). Der Umgang des Bundesinnenministers mit dem Islam wirkt zunehmend wie eine Inszenierung. Vor den wichtigen Wahlen in Nordrhein-Westfalen herrscht bei Konservativen im Lande eine durchschaubare Arbeitsteilung. Die Wortmeldungen bewegen sich zwischen den Forderungen nach einer besonnenen Innenpolitik und der Bedienung der Stammwähler – besonders derjenigen mit leichter Identitätskrise. Der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Kauder bezweifelt in dieser Logik, ob der „Islam zu Deutschland gehört“. Innenminister Friedrich gibt parallel auf der Islamkonferenz – deren Ablauf, Themen und Teilnehmer er ganz demokratisch alleine bestimmt – für ein paar Stunden den besonnen Innenpolitiker.

Nicht lange vor dem Treffen war der „andere“ Friedrich mit seiner merkwürdigen Interpretation einer Jugendstudie – und mit Hilfe seines „Medienpartner” BILD – an die Öffentlichkeit gegangen. Das Ziel war klar: Die Existenz von über vier Millionen Muslimen in Deutschland unter die Logik der „Extremismusabwehr“ zu stellen. Das heißt für Muslime: Immer defensiv, immer entschuldigend, immer anbiedernd um Anerkennung bittend. Die bequeme Nebenwirkung dieser Strategie ist, dass die Muslime in Deutschland bis heute verfassungsrechtlich eindeutig benachteiligt werden.

Ganz zufällig wirkt auch das Spektakel um den Salafismus nicht. Vorsicht bitte: Ja, es gibt kaum einen Terroristen, der nicht von dieser Schule infiltriert wurde. Aber es hätte auch ohne einen V-Mann des baden-württembergischen Verfassungsschutzes die Ulmer Muttergemeinschaft des extremen Salafismus so nicht gegeben. Der Mann lebt übrigens bis heute vollkommen unbehelligt in Saudi-Arabien. Das scheint keinen unserer scharfen Innenpolitiker bis heute weiter zu stören.

Der medienwirksame Aufschwung der kleinen Gruppe der Extremisten schafft die Voraussetzungen für die uns alle überragende Dialektik. Auf der einen Seite die vielbesungenen „Salafiten“; auf der anderen Seite ein staatstragender „liberaler Islam“, der trotz seiner Bedeutungslosigkeit zum entscheidenden Vertragspartner mutiert. Das Ergebnis dieses planvollen Gegeneinanders ist die absehbare Verstaatlichung des offiziellen Islam. Es ist unter diesen Umständen verständlich, dass immer mehr Muslime mit dem Spektakel Islamkonferenz nichts mehr anfangen können.

Konkrete Inhalte der Debatte sind Muslimen beinahe in Gänze unbekannt. Die Islamkonferenz – eine an sich gute Idee des ehemaligen Innenminister Schäuble – dreht sich inzwischen offensichtlich im Kreis. Offiziell und immer wieder die Verneinung von „Zwangsheirat“ und „Gewalt“ zelebrieren zu müssen, empfinden viele Muslime zu Recht als Beleidigung. Wo endet das? Werden wir Muslime auch bald klarstellen müssen, dass es keinen „islamischen Bankraub“ gibt?

Bleibt die Frage nach der Mitte. Hier müsste beispielsweise der KRM – der sich ja als Interessenvertretung aller Muslime versteht – agieren. Leider kommt da außer vielen langweiligen Presseerklärungen relativ wenig. Noch immer können sich die Verbände nur schwer aus ihren alten ethnischen Beziehungen befreien. Es fehlt ihnen an einer glaubwürdigen Vision, was positiv gedacht das Angebot des Islam in Deutschland sein soll. Keine Präsenz in Berlin und kein wahrnehmbares Programm, so wird die Mitte weiter geschwächt. Es wird Zeit für eine alternative Islamkonferenz, deren primäres Ziel die Stärkung der Mitte und die Zurückdrängung der Extreme sein sollte.

Nur die halbe Wahrheit. Und was folgt daraus? Kommentar von Morad Bouras

(iz). Volker Kauder betont seine Ansichten und tritt in die Fußstapfen des CSU-Manns Friedrich. Jener Innenminister, der wie Kristina Köhler so einige Parolen geschwungen hat und Studien instrumentalisierte, zeigte mit seiner ersten Amtshandlung seine Position und revidierte Wulffs Aussage der Islam gehöre zu Deutschland. Was bedeutet diese Aussage eigentlich und welche Konsequenzen ziehen Schröder, Friedrich und Co. daraus?

Über 4.000.000 Muslime sind in Deutschland zugegen. Davon ist ein großer Teil vor mehreren Generationen zugewandert. Von diesen vier Millionen Muslimen sind etliche in Deutschland geboren und besitzen die deutsche Staatsbürgerschaft. Mittlerweile zählen auch zahlreiche Deutsche dazu, die ihren alten Glauben ablegten, und den Islam für sich persönlich aussuchten, um so ihr Heil zu finden. Verwerflich?

Kaut Kauder auf einer längst ad acta gelegten Debatte herum, oder versucht er bereits jetzt, Wahlkampf zu machen? In konservativen Kreisen findet diese Parole oft Anklang. Es scheint, als gäbe es nichts Wichtigeres, als eine Meinung zu betonen, die zu begründen auf Wege führt, die allenfalls ins Verderben münden. Wie argumentiert eine Person diese Position? Mit äußeren Merkmalen der Muslime? Mit ihrem Verhalten? Ihrer Bildung? Ihren sprachlichen Fähigkeiten? Ihrer Gewalt, sei sie wenig oder etwas stärker ausgeprägt? Und wenn nun diese Position vertreten wird, welche Schlussfolgerung zieht sie nach sich?

Die Anwesenheit der Muslime in Deutschland begann weit vor 100 Jahren. In Europa seit über 1.000 Jahren. Das sind Fakten, keine Hirngespinste. Im Zuge der Gastarbeiterrekrutierung, in Zeiten in denen man vom Wirtschaftswunder sprach, wurden gezielt ungebildete, aber kräftige Männer aus der Türkei, Griechenland und anderen Ländern angeworben. Natürlich sorgte man sich um sie und bot ihnen eine nette Rückkehrprämie an und fügte Anfang der 1980er hinzu, dass mit der Annahme der Prämie alle Rentenansprüche aufgehoben werden würden. Dass die meisten aus der Türkei stammten und Muslime waren, ist dem Kapitalismus egal. Er funktioniert einfach.

…und was folgt daraus?
Keine Gotteshäuser für Muslime? Keine freie Schul- und Berufswahl? Extra Steuern? Keinen Islamunterricht an Schulen? Wie soll es denn mittel- und langfristig aussehen? Sollen die Parolen, die Instrumentalisierungen der Studien, die Uminterpretation der islamologischen Erkenntnisse so lange vollzogen werden, bis die Muslime selbst verwirrt sind und ihres Selbstbewusstseins beraubt werden? Ist mit Integration tatsächlich Assimilation gemeint? Was will man von den Muslimen und dem Islam? Wieso wird andauernd um den heißen Brei geredet?

Das Herumreiten von Kauder auf dieser Frage kommt zur richtige Zeit. Die Koranverteilung einiger Muslime, denen das Staatsfeindtrikot übergezogen wurde, erregt die Gemüter dieses Landes. Das der „Wachturm“ der Zeugen Jehovas an jeder Straßenecke zu finden ist und einem in die Hand gedrückt wird, wird dabei außer Acht gelassen und gar nicht thematisiert. Traut man den bundesdeutschen Bürgern so wenig zu, als das sie sich selbstbewusst und vernünftig mit einer Weltreligion auseinandersetzen?

Ist Deutschland nicht das Land der Dichter und Denker, das Land der Ingenieurskunst und nicht zuletzt eine Kulturnation? Es scheint als sei das Selbstvertrauen in die geistigen Fähigkeiten der Deutschen verloren gegangen. Die Aussage, „Der Islam gehört zu Deutschland“, ist richtig. Die Aussage, dass die Muslime zu Deutschland gehören ist auch richtig. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Muslime aus Deutschland auswandern, ist gering. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie sanktioniert werden für das was sie sind, scheint zu steigen. Zu Recht?

Ein Kommentar zu den aktuellen „Verteilaktionen“ in deutschen Fußgängerzonen. Von Cemil Sahinöz

(iz). Zunächst sei einmal gesagt, dass niemand bei gesundem Verstand gegen das Verteilen von Übertragungen der Bedeutungen des Qur'ans ist [nach islamischer Sicht lässt sich der Qur’an so nicht „übersetzen“; Anm. d. Red.]. Kaum einer wird dies negativ einstufen oder als sinnlos sehen. Auch wir Muslime bekommen ständig Bibeln in die Hand gedrückt. Das ist völlig legitim – und vor allem legal.

Warum aber Muslime selbst gerade diese Verteilung anzweifeln, hat einen anderen Hintergrund. Es liegt nicht am Qur’an oder an seiner Verteilung. Die Salafiten können nicht mit dem Argument kommen, Muslime wären gegen die Verteilung von Allahs Offenbarung. Dies ist schlicht und einfach falsch. Schon jetzt werden Muslime, die sich dagegen aussprechen, in salafistischen Kreisen als Feinde oder sogar als „so genannte Muslime“ apostrophiert.

Muslime – allen voran die Dachverbände – sind aus anderen Gründen gegen diese Verteilung. Schauen wir uns dazu einfach mal den Effekt dieser Verteilungen an: Die Verteilenden behaupten, dass sich dadurch die Meinung zum Islam verbessern würde. Demnach würden die Menschen den Qur'an lesen und so ein anderes Bild vom Islam bekommen.

Mal Hand auf Herz, liebe „Salafiten“? Ist das wirklich so? Ist nicht durch diese Aktion genau das Gegenteil bewirkt worden? Hat man so die Herzen der Menschen gewonnen?

Der Prophet Muhammed hat immer kontext-gebunden gehandelt. Er hat die Psychologie der Menschen gut verstanden und dementsprechend Liebe in den Herzen der Menschen erzeugt? Leider ist durch diese Aktion genau das Gegenteil entstanden. Nur noch mehr Hass, noch mehr Provokation und noch mehr undifferenzierte Polemiken.

Das Ganze hat einen psychologischen Effekt, der bisher ganz außer Acht gelassen wurde: Im unseren Unterbewusstsein werden nun die Begriffe „Salafismus“ und „Koranverteilung“ miteinander verknüpft. Jedes Mal, wenn nun ein Qur’an verschenkt wird, wird man an Salafiten denken. Das ist sehr schädlich. Das Thema des Schenkens von Qur’anübertragungen wird damit sicherlich für viele Moscheevereine nicht mehr in Frage kommen. Und das ist der eigentliche Knackpunkt dieses Theaters. Der Weg für die Verteilung von Qur’anübertragungen wird hier ganz verschlossen.

Dass, was die Betreiber der Aktion also erreichen wollen, erreichen sie aber nicht. Sie bewirken genau das Gegenteil. Warum tun sie es aber trotzdem?

Der Salafist hinter dem Stand wird sich dafür nicht wirklich interessieren. Dieser würde sagen, er mache es „für Allah“ – was immer er auch damit meint. Schauen wir daher nicht auf die Theaterbühne und auf die Inszenierung, sondern dahinter. Fragen wir uns einfach einmal, wem das Ganze nützt?

Nichtmuslimen? Wohl kaum. Wie bereits oben beschrieben, hat es hier genau den Gegeneffekt erzeugt.

Muslimen? Sicherlich nicht. Da der Islam und die Muslime allgemein wieder im Visier stehen, muss sich jeder Muslim rechtfertigen. Es folgen wieder viele undifferenzierte Meinungen und Berichterstattungen zum Islam.

Den Salafiten? Richtig. Die Salafiten sind die einzigen, die davon profitieren. Maximal 5.000 gibt es in Deutschland. Im Gegenzug gibt es ca. 4,5 Millionen Muslime. Dass heißt, 0,11 Prozent der deutschen Muslime haben einen Nutzen davon. Die restlichen 99,89 Prozent müssen es ausbaden.

Es scheint also alles eine PR-Strategie zu sein. So, wie wir es schon in der Vergangenheit von diesen Gruppierungen kennen. Das Schlimme dieses Mal ist jedoch, dass dafür der Qur’an missbraucht wird. Ob sich dessen wirklich alle Salafiten bewusst sind?

Der Hype um die „Salafiten"

(iz). Wir Muslime lieben nicht nur unseren Propheten, sondern auch die ersten Generationen der Muslime und ihre Gemeinschaft in Medina. Ohne genaue Kenntnisse des Ursprungs des Islam wüssten wir weder, was „der ‘Amal von Medina“ ist, noch könnten wir den geraden Weg bestimmen, der sich auch aus der Abneigung des Islam gegenüber den Extremen ergibt.
Ohne die Liebe zum Ursprung wüssten wir nicht, das der Prophet Moschee und Markt etablierte und damit die geistigen und materiellen Bezüge vereinte. Ganz zu schweigen hätten wir keine Kenntnis von der entscheidenden Rolle der Frauen, die den Propheten mit zu dem gemacht hat, was er war: ein Vorbild.
Die aktuelle Hype um die Salafiten hat eine andere Bedeutung. Es geht dabei nicht wirklich darum, auf die Ursprünge des Islam hinzuweisen und ihre wirkliche Bedeutung im hier und jetzt zu bestimmen. In diesem Fall müssten wir ja in erster Linie die ökonomische Regeln des Islam debattieren, die Mu‘amalat studieren und die Beachtung der Regeln der Zakat anmahnen. Dies wäre eine konstruktive und interessante Debatte für Jedermann. Aber wie gesagt, darum geht es nicht.
Hier geht es vielmehr um eine destruktive Dialektik zwischen den Extremen, die einige Handvoll Außenseiter zwischen den Randbereichen des Puritanismus und der Esoterik gestalten. Der Islam wird dabei entweder als kulturell fremdartig und orthodox präsentiert, oder aber als individualistisch und beliebig. Diese Debatte geht zu Lasten der großen Mehrheit der Muslime, die sich in den Rechtsschulen gut aufgehoben sehen und aus dieser Verortung heraus den ‘Amal der ersten Generationen studieren. Diese Mehrheit präsentiert den Islam, so wie er ist: offen, positiv und attraktiv.
Nicht unschuldig an der Lage sind auch Medien, die eine besonnene Auseinandersetzung mit dem Islam durch die Beförderung der Extreme besorgen. Wer den Islam wirklich kennenlernen will, sollte sich inmitten etablierter Gemeinschaften bewegen. Er sollte eine Dschama’at suchen, die nicht kulturelle Abgrenzung betreibt, sondern die Maximen des Islam vorlebt. Die Stärkung der Extreme ist auch der Diffamierung vieler muslimischer Gemeinden geschuldet. Sie sind die eigentliche Mitte des Islam, die dann verloren geht, wenn das islamische Recht nicht mehr gelehrt wird.

Belgien: Imam erliegt einer Rauchvergiftung. Ein Tatverdächtiger wird festgenommen. Über die Motive wird noch gerätselt.

Brüssel (dpa/IZ). Bei einem Brandanschlag auf die Brüsseler Riad-Moschee ist ihr 46 Jahre alter Imam getötet wurden. Er erlag einer Rauchvergiftung, berichteten belgische Medien am Montagabend. Eine weitere Person atmete giftige Dämpfe ein, überlebte aber. Laut Nachrichtenagentur Belga nahm die Polizei einen Tatverdächtigen fest. Es soll das Gebäude im Stadtbezirk Anderlecht in Brand gesetzt haben. Über die Hintergründe der Tat herrschte zunächst Unklarheit.

Das Feuer breitete sich rasch in dem aus, konnte aber von der Feuerwehr gelöscht werden. Nach Angaben des “SPIEGEL” sei die Moschee hingegen “komplett oder fast vollständig” verbrannt worden. Bei dem Anschlag hielten sich laut Belga etwa 10 Menschen in dem Gebäude auf. Der Vorbeter wurde in der ersten Etage gefunden. Die belgische Innenministerin Joelle Milquet verurteilte den Anschlag scharf. Sie sei “sehr schockiert”, berichtete Belga. In Anderlecht unweit des größten Brüsseler Bahnhofs Gare du Midi leben viele Einwanderer. Am Abend versammelten sich laut Rundfunk mehrere hundert Menschen vor der Moschee.

Das Hamburger Nachrichtenmagazin zitierte die Polizeisprecherin Marie Verbeke. Wie der “SPIEGEL” berichtete, soll es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen 34-jährigen, gebürtigen Muslim handeln. Nach möglichen Mittätern werde nicht gefahndet. Wegen fehlender Papiere sei eine sofortige Identifizierung des Mannes unmöglich gewesen. Die betroffene Moschee befindet sich in einem Viertel mit einem großen muslimischen Bevölkerungsanteil, deren Mehrheit marrokanischer Abstammung ist.

Der Publizist und Blogger Akif Sahin verwies heute Vormittag auf eine Twitter-Meldung der belgischen Parlamentarierin Mahniur Özdemir. Die praktizierende Muslimin vermutete, dass es sich bei dem Anschlag auf die mutmaßlich schiitische Moschee um die Tat eines so genannten “Salafiten” handeln könnte. Ein Artikel des Berliner “Tagesspiegels” verstärkt die Vermutung. Demnach habe ein Vertrater der Riad-Moschee ausgesagt, Zeugen seien sich darüber einig gewesen, der mutmaßliche Täter gehöre dieser Glaubensrichtung an. Angeblich habe sich der mutmaßliche Angreifer in Ausrufen auf den Syrien-Konflikt bezogen. Das syrische Regime des Assad-Clans wird in der aktuellen Niederschlagung der Protestbewegung vom schiitischen Iran unterstützt.

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Interview: Islamwissenschaftler Rauf Ceylan über radikale Islamisten. Von Benedikt Angermeier (KNA)

(KNA). Die so genannten „Salafisten“ seien laut Verfassungsschutz die „am schnellsten wachsende islamistische Strömung in Deutschland“. Gerade bei Jugendlichen hätten die extremistischen Vereinigungen großen Erfolg. „Wir haben das Spielfeld den […]

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Extreme Gruppen sind eine Herausforderung für den gemäßigten Mehrheitsislam. Auf sie muss reagiert werden, meint Sulaiman Wilms

(iz). Im Rahmen des umstrittenen ­Präventivgipfels von Innenminister Friedrich kritisierten Muslime, dass nur auf den „Extremismus“ ­ver­ein­zelter Muslimen geblickt werde. Gleichzei­tig vernachlässige der Staat, so Nurhan Soykan, Generalsekretärin des Zentralrates […]

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In Bonn will man den Ursachen von Extremismus verstärkt nachgehen. Von Musa Sahin

(iz). Nachdem bereits im Dezember vergangenen Jahres in Bonn Hausdurchsuchungen bei den dort lebenden Predigern Pierre Vogel („Einladung zum Paradies“) und „Abu Dujana“ („Die wahre Religion“) von ausführlichen Berichten in […]

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