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Thema Muezzin: Medien scheiterten bei Berichterstattung

Verschwörung Medien

Wie ausgewogen haben Medien über den islamischen Gebetsruf in Köln berichtet? Der Journalist Fabian Goldmann hat hierzu 135 Artikel aus über einem Jahr ausgewertet und einmal mehr aufgezeigt, was in der „Islamdebatte“ bei uns schief läuft.

(Islam.de) Vor rund einem Jahr hatte die Stadt Köln ein Pilotprojekt gestartet, wonach islamische Gemeinden unter Auflagen freitags für fünf Minuten den Gebetsruf ertönen lassen dürfen – in der Lautstärke eines Gesprächs. Nach der Vorstellung des Projekts war eine bundesweite Debatte entflammt. Von Ranya Nassiba

Foto: Fabian Goldmann

Medien schrammen erneut an Betroffenen und dem Kern vorbei

Die islamdistanzierende bisweilen feindliche Haltung in vielen Berichterstattungen verdrängt immer wieder das im Grundgesetz verankerte Recht auf freie Religionsausübung. So wurde ein genuin religiöses Thema, das ein selbstverständlicher Teil der Vielfalt in diesem Land bildet und zudem vom GG vollständig geschützt ist, problematisiert und verunglimpft, als wäre der Islam eine extremistische Ideologie. 

Mehr noch zeigt die Debatte auf, wie selbstverständlich rassistische Motive in der Islamberichterstattung bedient werden. So waren verschwörungstheoretische Behauptungen einer „Unterwanderung“, „Islamisierung“ oder „Machtdemonstration des Politischen Islam“ das häufigste Argument gegen den Gebetsruf.

So wird der Gebetsruf, ein für Muslime alltäglicher und friedvoller Aufruf zum Gebet, zu einem Kampfprogramm umgeschrieben. Und das nicht etwa von muslimischen Fundamentalisten, die den Gebetsruf instrumentalisieren, sondern von sogenannten Islamexperten und Islamgegnern selbst. Damit stiften sie genau das, was sie angeblich bekämpfen wollen: die Politisierung der Religion.

Foto: Freepik.com

Es wird über Muslime gesprochen, aber nicht mit ihnen

Fabian Goldmanns Analysen zeigen die Absurdität des Ganzen auf: negative Expertenstimmen kamen am häufigsten zu Wort. Betroffenen und Verantwortlichen wurde kaum Gehör verschafft, um die Thematik kompetent einzuordnen. Es scheint, als würde sich ein blinder Automatismus einschalten, sobald das Thema Islam auf der Tagesordnung steht. 

Der Journalist untersuchte 135 Artikel aus über einem Jahr und schaute sich die Berichterstattung großer Zeitungen wie „Bild“, „Die Zeit“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), „Süddeutsche Zeitung“ (SZ), „Die Welt“ und „Die Tageszeitung“ sowie die vier auflagenstärksten Zeitungen in und um Köln an.

Goldmann ging der Frage nach, wer bei Islamdebatten zu Wort kommt und wer nicht. Wird nur über Muslime geredet oder auch mit ihnen? Werden Islamverbände hinzugezogen oder wird nur sogenannten Islamkritikern die Bühne geboten?

Auffallend ist das geringe fachliche Niveau deutscher Islamdebatten: Am häufigsten kamen Personen zu Wort, die in der Öffentlichkeit vor allem für Kritik am Islam bekannt sind oder ihm gar feindlich gegenüberstehen. Hingegen wurden Fachleute wie Islamwissenschaftler, Theologen oder Verfassungsrechtler kaum in Medien gehört.

Foto: Zentralrat der Muslime, Facebook

Das Gespräch mit Vertretern von Islamverbänden wurde ebenfalls kaum gesucht. Dass die SZ den ZMD-Vorsitzenden Aiman Mazyek mit den Worten zitierte, Köln sende mit dem Muezzinruf „ein Zeichen der Toleranz und der Vielfalt in die Welt“, blieb eine Seltenheit.

Stattdessen treten altbekannte Namen wie Ahmad Mansour und Necla Kelek in den Vordergrund. Ersterer hatte insgesamt dreimal so viele Erwähnungen (28) wie alle Islam- und Religionswissenschaftler, islamische Theologen und Verfassungsrechtler zusammen (9).

Und das, obwohl die Mehrheit der sonstigen Fachleute ein positives Statement zum Muezzinruf gaben. Mansour nutzte diese ihm von Teilen des Mainstreams gebotene Plattform geschickt, um gleich sein neustes Buch mitzupromoten, das wie alle anderen seiner Bücher die Angst-Rhetorik über den Islam bedient, aber mit null Lösungsansätzen daherkommt.

Vor allem Medien des Springer-Verlags fallen mit überwiegend negativen Stimmen zur Thematik auf. Allen voran die „Bild“-Zeitung: 13 abfällige Statements stehen einer einzigen positiven Stimme gegenüber.

Foto: Alexander Khitrov, Shutterstock

Islamfeindlichkeit in Redaktionen

islam.de befragte Goldmann zu den Missständen der Islamberichterstattung rund um den Gebetsruf. Dieser wies eindringlich auf den Mangel an Repräsentation hin. 

So ist eklatant, dass die großen islamischen Religionsgemeinschaften wie DITIB, der Zentralrat oder Islamrat, die die überwiegende Mehrheit der Moscheegemeinden repräsentieren, in der öffentlichen Debatte kaum präsent waren. „Das zeigt: Die angebliche mediale Dominanz der großen islamischen Verbände ist lediglich ein rechter Mythos“, so Goldmann.

Die Analysen bestätigen nur, was seit jeher Praxis bei den sogenannten „Islamdebatten“ deutscher Medien ist. Goldmann fasste die Tragik dahinter pointiert zusammen: 

Es ging in der Debatte um einen Ruf, der für fünf Minuten pro Woche in einem Kölner Innenhof zu hören ist (…), dass Medien darüber über ein Jahr in hunderten Beiträgen unter Überschriften wie „Ruf des Schreckens“ oder „Wie der Politische Islam unsere Demokratie unterwandert“ berichteten, zeigt wie akzeptiert und verbreitet Islamfeindlichkeit in vielen Redaktionen ist.“

* Erstmals auf der Webseite islam.de erschienen: https://islam.de/34571

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Ein Narrativ zerfällt. Im Nachgang wird die Operation Luxor dekonstruiert

kurzmeldungen Operation Luxor Österreich Wien

(iz). „Ein nie dagewesener Schlag gegen ‘Islamisten’ in Österreich sollte die Operation Luxor sein. Stattdessen wird die Razzia wohl als beispielloser Missbrauch von Justiz und Sicherheitsbehörden in die Geschichte des […]

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Klimaforscher: COP27 war nur sehr mäßiger Erfolg fürs Klima

Berlin (dpa). Nach Einschätzung des Forschers Ottmar Edenhofer brachte die Klimakonferenz in Ägypten nur mäßige Ergebnisse. „In Scharm el Scheich wurde ein Scheitern verhindert. Es war kein Durchbruch, und es war ein nur sehr, sehr mäßiger Erfolg für das Klima“, sagte der Direktor Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung am Sonntagabend im ZDF-„heute journal“. Er appellierte, den Fokus nicht zu sehr auf Klimakonferenzen zu legen. „Wir sollten uns mit der Zeit dazwischen befassen, und wir sollten jetzt anerkennen, dass wir nicht nur eine Ambitionslücke haben, sondern dass wir eine klaffende Implementierungslücke haben. Und das muss jetzt angepackt werden.“

Dafür gebe es zwar Anstöße aus dieser Konferenz. „Aber die müssen jetzt wirklich ernsthaft umgesetzt werden. Uns läuft die Zeit davon, und wir können es uns nicht erlauben, dass wir also bei jeder Klimakonferenz mit Hoffnungen starten, es käme der große Durchbruch. Und dann endet das Ganze doch wieder mit einer Enttäuschung.“

Die zweiwöchige Klimakonferenz in Ägypten hatte im Kampf gegen den drohenden Klimakollaps nur bei den Finanzhilfen für ärmere Staaten einen echten Fortschritt gebracht. Nach jahrzehntelangen Debatten einigte sich die Klimakonferenz erstmals auf einen gemeinsamen Geldtopf zum Ausgleich von Klimaschäden in ärmeren Ländern. Der neue Ausgleichsfonds soll unabwendbare Folgen der Erderhitzung abfedern – etwa immer häufigere Dürren, Überschwemmungen und Stürme, aber auch der steigende Meeresspiegel und Wüstenbildung. Begünstigt werden sollen Entwicklungsländer, die besonders gefährdet sind.

Edenhofer sagte zu diesem Fonds: „Es ist nicht klar, wer einzahlt. Es ist auch nicht klar, nach welchen Kriterien das Geld verteilt werden soll. Also da ist noch viel zu verhandeln.“ Nun wüssten die Hauptemittenten zwar, dass sie in Zukunft Klimaschäden bezahlen müssten. Damit hätten sie einen Anreiz, Emissionen zu vermeiden. „Aber das ist wirklich, gemessen an dem, was zu tun ist, ein sehr kleiner Schritt.“

Jemen: Waffenstillstand läuft aus. UN drängt weiter auf breiteres Abkommen

(Middle East Monitor). Die Kriegsparteien im Jemen haben es nicht geschafft, eine von den Vereinten Nationen vermittelte Waffenruhe zu verlängern, die am Sonntag auslief. Damit wurden die Hoffnungen einiger Jemeniten auf einen umfassenderen Pakt enttäuscht, der die wirtschaftlichen Probleme lindern und die relative Ruhe nach mehr als sieben Jahren Kämpfen verlängern würde, berichtet Reuters.

Der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Hans Grundberg, sagte am späten Sonntag, er werde sich weiterhin für eine verlängerte und erweiterte Vereinbarung zwischen der von Saudi-Arabien geführten Koalition und den Houthis einsetzen, die beide unter starkem internationalen Druck stehen, eine Einigung zu erzielen.

„Es ist ein trauriger Tag für das jemenitische Volk“, sagte Abdullah Ali, ein 58-jähriger Lehrer in der Hauptstadt Sana’a, wo sich die Menschen nach dem Auslaufen der Waffenruhe eilig mit Benzin und Lebensmitteln eindeckten.

„Wir hatten gehofft, unsere Gehälter zu erhalten und uns auf einen Waffenstillstand zuzubewegen. Wir sind schockiert“, sagte Ali am Telefon gegenüber Reuters.

Grundbergs Vorschlag sieht eine Verlängerung des Waffenstillstands um sechs Monate, einen Mechanismus zur Auszahlung der Löhne im öffentlichen Dienst und einen größeren Waren- und Personenverkehr in dem Land vor, in dem 80 Prozent der rund 30 Millionen Einwohner auf Hilfe angewiesen sind.

In einer Erklärung äußerten die Vereinigten Staaten ihre tiefe Besorgnis über das Auslaufen der Waffenruhe und erklärten, der erweiterte UN-Vorschlag werde dazu beitragen, Verhandlungen über einen „umfassenden Waffenstillstand und einen inklusiven, von den Jemeniten geführten politischen Prozess einzuleiten, der den Krieg dauerhaft beenden würde“.

Die ursprüngliche zweimonatige Waffenruhe wurde im April vereinbart und trotz Beschwerden beider Seiten über ihre Umsetzung zweimal verlängert. Sie erlaubte einige Treibstoffschiffe im Hafen von Hodeidah und einige kommerzielle Flüge von Sana’a aus, die beide von den mit dem Iran verbündeten Houthis gehalten werden.

„Ich werde meine unermüdlichen Bemühungen fortsetzen, mit den Parteien in Kontakt zu treten, um schnell eine Einigung über den weiteren Weg zu erzielen“, sagte der Gesandte in einer Erklärung und forderte die Parteien auf, Ruhe zu bewahren.

Der Konflikt, der weithin als Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran angesehen wird, hat Zehntausende von Menschen das Leben gekostet, die Wirtschaft ruiniert und Millionen von Menschen hungern lassen.

Riad hat versucht, einen kostspieligen Krieg zu beenden, in dem die Houthis Raketen- und Drohnenangriffe auf Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate gestartet haben.

Die Parteien warfen sich am Sonntag gegenseitig vor, die Friedensbemühungen zu behindern. Die von Saudi-Arabien unterstützte Regierung warf den Houthis, der De-facto-Regierung im Norden, vor, das Abkommen abzulehnen.

Der Oberste Politische Rat der Houthis kritisierte den UN-Vorschlag als unzureichend und drohte mit Angriffen auf „Flughäfen, Häfen und Ölgesellschaften der Aggressorländer“, sollte die von Saudi-Arabien angeführte Militärkoalition ihre See- und Luftbeschränkungen nicht aufheben.

Die USA forderten die Houthis auf, die Verhandlungen in „gutem Glauben“ fortzusetzen und mit der UNO an einem erweiterten Waffenstillstandsabkommen zu arbeiten.

„Die Vereinigten Staaten unterstreichen, dass die Rhetorik der Houthis, die die kommerzielle Schifffahrt und die in der Region tätigen Ölgesellschaften bedrohen, nicht hinnehmbar ist“, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, in der Erklärung.

Die Koalition intervenierte im März 2015, nachdem die Houthis die international anerkannte Regierung in Sanaa vertrieben hatten. Die Gruppe sagt, sie kämpfe gegen ein korruptes System und ausländische Aggression.

* Veröffentlicht im Rahmen CCL 4.0-Lizenz.

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Woran ist man gescheitert? Zur Niederlage des Westens am Hindukusch

Die Entscheidung von Präsident Biden, die US-Truppen endlich aus Afghanistan abzuziehen, war richtig und sicherlich überfällig. Die mangelnde Vorbereitung auf einen geordneten und sicheren Abzug war jedoch ein weiterer schrecklicher […]

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Afghanistan: Die Debatte um eine „Schuldfrage“ hat begonnen

Nach dem Absturz Afghanistans ins Chaos steht die Schuldfrage im Raum. Hat die internationale Gemeinschaft versagt? Oder waren die afghanischen Streitkräfte einfach nicht bereit zu kämpfen? Die Meinungen der Regierenden in Washington und Berlin gehen auseinander.

Washington (dpa/iz). Trotz der faktischen Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat US-Präsident Joe Biden seinen Entschluss zum Abzug der US-Truppen aus dem Land gegen wachsende Kritik verteidigt. „Ich stehe voll und ganz hinter meiner Entscheidung“, sagt Biden am Montag (Ortszeit) im Weißen Haus. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) räumten dagegen ein, die internationale Gemeinschaft habe die Lage in Afghanistan falsch eingeschätzt und ihre Ziele bei dem Einsatz nicht erreicht. Biden wiederum betonte, die jüngsten Entwicklungen hätten ihn in seiner Entscheidung nur bestärkt. Den Taliban drohte er zugleich mit Vergeltung, falls sie US-Kräfte oder -Ziele angreifen sollten.

Bei Handlungen, die amerikanisches Personal oder deren Mission gefährden würde, müssten die Taliban mit einer „raschen und starken“ militärischen Reaktion der USA rechnen, sagte Biden. „Wir werden unsere Leute mit vernichtender Gewalt verteidigen, falls nötig.“

Der US-Präsident erhob schwere Vorwürfe gegen die entmachtete politische Führung und die Streitkräfte des Landes. „Die politischen Anführer Afghanistans haben aufgegeben und sind aus dem Land geflohen“, sagte er. „Das afghanische Militär ist zusammengebrochen, manchmal ohne zu versuchen zu kämpfen.“ Die jüngsten Ereignisse hätten bekräftigt, dass die Abzugsentscheidung richtig sei. „Amerikanische Truppen können und sollten nicht in einem Krieg kämpfen und in einem Krieg sterben, den die afghanischen Streitkräfte nicht bereit sind, für sich selbst zu führen.“ Biden räumte aber ein, die USA hätten das Tempo des Taliban-Vormarsches unterschätzt: „Dies hat sich schneller entwickelt, als wir erwartet hatten.“

Die Taliban hatten in den vergangenen Wochen nach dem Abzug der ausländischen Truppen in rasantem Tempo praktisch alle Provinzhauptstädte in Afghanistan eingenommen – viele kampflos. Am Sonntag rückten sie schließlich in die Hauptstadt Kabul ein. Kämpfe gab es keine. Der blitzartige Vormarsch überraschte viele Beobachter, Experten und auch ausländische Regierungen.

Maas gestand ein, es gebe nichts zu beschönigen: „Wir alle – die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft – wir haben die Lage falsch eingeschätzt.“ Merkel schloss sich ausdrücklich an. „Da haben wir eine falsche Einschätzung gehabt. Und das ist nicht eine falsche deutsche Einschätzung, sondern die ist weit verbreitet“, sagte sie. Jenseits der Bekämpfung des Terrorismus sei bei dem Einsatz auch alles „nicht so geglückt und nicht so geschafft worden, wie wir uns das vorgenommen haben“. Es seien „keine erfolgreichen Bemühungen“ gewesen, sagte sie mit Blick auf den Versuch, das Land zu Demokratie und Frieden zu führen und dort eine freie Gesellschaft zu entwickeln.

Auf dem Papier waren die Taliban den afghanischen Sicherheitskräften weit unterlegen. Rund 300.000 Kräfte bei Polizei und Armee standen Schätzungen zufolge rund 60.000 schlechter ausgerüsteten Taliban-Kämpfern gegenüber. Diese profitieren aber von ihrem brutalen Ruf, den sie während ihrer Herrschaft in den 90er-Jahren mit öffentlichen Exekutionen oder Auspeitschungen erlangt haben.

Damals hatten die Taliban mit teils barbarischen Strafen ihre Vorstellungen eines „islamischen“ Staates durchgesetzt: Frauen und Mädchen wurden systematisch unterdrückt, Künstler und Medien zensiert, Menschenrechtsverletzungen waren an der Tagesordnung. Befürchtet wird nun eine Rückkehr zu derart düsteren Zuständen.

Die Taliban hatten einst Al Qaida-Kämpfern und dem damaligen Chef der Terrororganisation, Osama bin Laden, Zuflucht gewährt. Die Anschläge der Terrorgruppe in den USA vom 11. September 2001 hatten dann den US-geführten Militäreinsatz in Afghanistan ausgelöst, mit dem die Taliban entmachtet wurden. Bin Laden selbst wurde im Mai 2011 bei einem Einsatz von US-Spezialkräften in Pakistan getötet.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron warnte davor, dass Afghanistan wieder zu einem Zufluchtsort des Terrorismus werden könnte. Er kündigte eine Initiative mit den europäischen Partnern dagegen an. Großbritanniens Premierminister Boris Johnson kündigte nach einem Telefonat mit Macron an, in den kommenden Tagen auch im Kreis der G7 – einer Gruppe führender Industrienationen – über Afghanistan reden zu wollen. Auch Johnson hatte zuvor gemahnt, das Land dürfe nicht wieder zur Brutstätte von Terrorismus werden.

Biden hielt dagegen, das ursprüngliche Ziel des US-Einsatzes in Afghanistan, das Ausmerzen der Terrorgruppe Al-Qaida nach den Anschlägen vom 11. September 2001, sei erreicht. Auch bin Laden sei getötet worden. Die USA könnten islamistische Terrorgruppen wie Al-Qaida auch ohne eine permanente Militärpräsenz in dem Zielland effektiv bekämpfen – das US-Militär zeige dies in anderen Ländern wie Somalia oder Jemen. Der US-Präsident betonte außerdem, es sei nie Ziel des Einsatzes gewesen, dort eine geeinte Demokratie zu schaffen.

Die USA, Deutschland und andere westliche Staaten begannen derweil, in großer Eile ihre Bürger und gefährdete afghanische Ortskräfte aus Afghanistan auszufliegen. Die USA schickten mehrere Tausend Soldaten nach Kabul, um die Evakuierungsaktionen zu sichern. Das US-Militär ist dort nach eigenen Angaben inzwischen mit rund 2500 Soldaten im Einsatz. In einigen Tagen sollen es laut Pentagon bis zu 6000 werden.

Am Flughafen in Kabul spielten sich dramatische Szenen ab. Hunderte oder vielleicht auch Tausende verzweifelte Menschen versuchten, auf Flüge zu kommen, wie Videos in Online-Medien zeigten. Für Entsetzen sorgten Aufnahmen, die zeigen sollen, wie Menschen aus großer Höhe aus einem Militärflugzeug fallen. Es wurde gemutmaßt, dass sie sich im Fahrwerk versteckt hatten oder sich festhielten. Diese Angaben konnten zunächst nicht unabhängig verifiziert werden.

Unter schwierigen Bedingungen angesichts der chaotischen Zustände begann das erste Bundeswehrflugzeug den Evakuierungseinsatz am Flughafen Kabul. Nach stundenlanger Verzögerung und Warteschleifen landete die Maschine vom Typ A400M dort in der Nacht zu Dienstag, setzte Fallschirmjäger ab, die die Rettungsaktion absichern sollen, nahm auszufliegende Menschen an Bord und startete schnell wieder.

Das Chaos in Afghanistan hat international Entsetzen ausgelöst und Biden wegen seiner Abzugsentscheidung unter Druck gebracht. Er hatte im Frühjahr angekündigt, dass die damals noch rund 2500 verbliebenen US-Soldaten Afghanistan bis zum 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 verlassen sollten. Zuletzt wurde das Abzugsdatum auf Ende August vorgezogen. Angesichts des Rückzugs der US-Truppen holten auch die anderen Nato-Partner ihre Soldaten nach Hause.

Die Regierung von Bidens Amtsvorgänger Donald Trump hatte den Abzug eingeleitet. Biden entschied sich nach seinem Amtsantritt dafür, davon nicht abzurücken, sondern nur den Zeitplan zu ändern. Damit setzte er sich über Warnungen von Experten hinweg, die desaströse Folgen eines bedingungslosen Abzugs vorausgesagt hatten

Die IZ-Blogger: Bitterer bosnischer Frühling

(iz). Immense Schäden sind das Resultat der landesweiten größten Proteste in Bosnien-Herzegowina nach Ende des Bosnien-Krieges. In mehreren Städten des Landes brannten Regierungsgebäude. Die Proteste hatten sich am Mittwoch entzündet, weil vier privatisierte Staatsunternehmen pleite gingen. Monatelang bekamen die Arbeiter keinen Lohn. Die Protestwelle, die in Tuzla ihren Anfang fand, weitete sich in den kommenden Tagen auf das gesamte Land aus.

Die Proteste in der Hauptstadt Sarajevo zeigten abermals, wie unfähig die führenden bosnischen Politiker sind, Herr der Lage zu werden. Der politischen Kaste geht es (noch) gut, da Bosnien mit Krediten des Internationalen Währungsfonds (IWF) am Leben gehalten wird. Viele dieser so genannten Geldspritzen werden aber nicht für Entwicklungsprojekte verwendet, sondern landen als Gehälter bei den Bediensteten, die vom Staat ihr Salär beziehen. Somit wurde vielerorts der bosnische soziale Frieden mit IWF-Geldern gekauft. Doch auch dies wird bald ein Ende haben, wenn es an die Rückzahlung der Kredite geht.

Bei den Angriffen auf das brennende Präsidiumsgebäude in der bosnischen Hauptstadt zeigte sich auch der politische Unwille. Die SIPA (State Investigation and Protection Agency), die ihren Aufgaben her in etwa dem deutschen Bundeskriminalamt entspricht und zuständig ist für den Schutz von Regierungsgebäuden, war nicht präsent, als die ersten Scheiben zu Bruch gingen. Das bosniakische Präsidiumsmitglied Bakir Izetbegović rief die Spezialeinheit der Föderationspolizei an, um Ruhe und Ordnung herzustellen. Bei der SIPA, die von einem bosnischen Serben geleitet wird, rief er nicht an, da Izetbegović hier nicht auf schnelle Hilfe hoffen konnte.

Ebenso konnte sich der amtierende Sicherheitsminister und ehemalige Medienmogul Fahrudin Radončić nicht mit Ruhm bekleckern. Er beließ es lieber bei Parolen und erinnerte an seine Ermahnungen, in denen er letztes Jahr vor solchen und ähnlichen Taten warnte. Von Koordinierung der Polizei und Schutz der Bürger keine Spur. Radončićs Partei, die SBB, hofft weggeschwommene politische Felle im Fall vorgezogener Neuwahlen zurückzuholen. Politische Spekulationen gehen vor Bürgerschutz. Alles Resultate des Daytoner-Abkommens.

Politisches Kapital aus den Protesten schlagen primär die nationalistischen politischen Gruppierungen, die dem bosnischen Gesamtstaat nicht wohl gesonnen sind und ihrem Traum der Abspaltung beziehungsweise Loslösung vom Gesamt-Staat nun ein Schritt näher gekommen sind. Angefangen vom Präsidenten der bosnischen Serben-Republik Milorad Dodik, der schnurstracks nach Belgrad flog, um sich dort mit dem stellvertretenden serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vučić zu treffen. Der kroatische Ministerpräsident Zoran Milovanović flog nach Mostar, um dort die hiesigen kroatischen politischen Führer zu sehen. Im Chaos wäre es einfach, eine kroatische Republik in Bosnien herzustellen. Gründe gibt es zuhauf, die das System Dayton immer wieder produziert. Die serbische Republik wurde durch Dayton zementiert. Zement, der getränkt ist von Tötungen, Vertreibungen und Massengräbern über das ganze Land. Das Massengrab von Prijedor, in dem 430 bosniakische Leichen gefunden wurden, wird nicht das letzte sein, das freigelegt wird.

Dies sind nicht die ersten Proteste. Schon im Sommer wurde in Bosnien demonstriert. Demonstranten belagerten das Parlament in Sarajevo, nachdem ein krankes bosnisches Baby aus politischen Gründen gestorben war. Der Grund: Die politische Klasse hatte sich im Streit um neue Personalausweise nicht auf einen Kompromiss einigen können, weshalb die Familie des kranken Kindes keine Dokumente besaß, um es zu einer lebensrettenden Behandlung nach Deutschland zu bringen. Die damaligen Proteste verliefen sich aber rasch wieder.

Zu erwarten ist, dass die Proteste, die von der nordbosnischen Stadt Tuzla ausgingen, sich wiederholen werden. Zu groß ist der Unmut der Bevölkerung, die sich mit Problemen der Arbeitslosigkeit, sozialer Ungerechtigkeit und Armut auseinander setzen muss. Der Nachteil der Protestbewegung ist, dass sie nicht koordiniert wird und von keiner Bürgerbewegung eine Steuerung erfährt. Sie passiert im bosnischen Affekt. In der Ukraine leistet diese Aufgabe die Opposition. In Bosnien ist diese nicht fähig, den gemeinsamen Nenner zu finden. Zu tief sind die politischen Gräben, die ihnen das System Dayton bietet, gegeneinander statt miteinander zu arbeiten.

Der kroatische Ex-Präsident Stjepan Mesić forderte die Revision des Dayton-Abkommens. „Dieses Abkommen, das wir alle begrüßt haben, weil es einen blutigen Krieg beendet hat, ist mit dem Willen seiner Erschaffer zu einem Hindernis geworden, BiH in ein funktionierendes Land zu verwandeln“. Wichtig sei, dass die internationale Gemeinschaft und die Vertragsunterzeichner, darunter auch Kroatien, begreifen, dass eine unaufschiebbare Änderung es Abkommens notwendig sei, betonte Mesić. Der Ex-Präsident meinte, dass die zwei Entitäten des Landes, die sich immer mehr zu „Para-Staaten“ entwickeln würden, weder eine historische noch eine politische Berechtigung hätten.

Die Frage, die sich ebenso stellen muss, ist, welche Strategie die internationale Staatengemeinschaft verfolgt. In den letzten Jahren verwaltete sie mehr das Systemchaos, als es zu ordnen oder gar neu aufzustellen. Warnende Fortschrittsberichte der Europäischen Union in Bezug auf die Beitrittsunfähigkeit des Landes konnten weder aufwecken noch schrecken. Man hat es sich im bosnischen Chaos bequem gemacht und beobachtet den leisen Untergang des Landes. Die Amerikaner schweigen, überlassen den Europäern das Feld. Europa tut das, was es am besten machen kann. Es schreibt fleißige Berichte an und in Brüssel und lamentiert hier und da. Gut bezahlte EU-Diplomaten müssen natürlich auch irgendwelche Resultate liefern.

„Deutschland würde mit solch einer Verfassung den Laden nach vier Jahren dicht machen“, kommentierte ein deutscher Politiker das Daytoner-Konstrukt. Bosnien hat bald die Marke von 20 Jahren geknackt. Da in Sotschi die olympischen Winterspiele stattfinden, ist diese bosnische Ausdauer goldmedaillenverdächtig. Fragt sich nur wie lange.

Bundesinnenminister sucht nach Alternativen für Islamkonferenz

Frankfurt (KNA). Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU) will laut einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Deutsche Islamkonferenz in ihrer alten Form nicht wiederaufleben lassen. „Eine reine Wiederholung angesichts der Debatten in den vergangenen Jahren halte ich nicht für sinnvoll“, zitiert das Blatt in seiner Mittwochsausgabe den Minister. Er wolle, so de Maiziere, die muslimischen Verbände in Deutschland zu einem Gespräch einladen, „um ihre Meinung zu hören“. Noch im Januar werde ein solches Treffen stattfinden.

Bei der Gelegenheit will de Maiziere die Verbände darum bitten, ihre Vorstellungen darüber zu präsentieren, was sie sich von einer Fortsetzung der Konferenz erwarten und welche Themen sie dabei im Auge haben. Wenn es eine neue Konferenz geben sollte, müsse sie nicht unbedingt Islamkonferenz heißen. „Wie wir das nennen, müssen wir dann sehen.“

Die erste Sitzung der Deutschen Islamkonferenz fand im September 2006 unter dem damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) statt. Im Mai vergangenen Jahres war die Konferenz unter de Mazieres Amtsvorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) auf ihrer letzten Sitzung im Streit darüber auseinandergegangen, ob die Konferenz weiter vom Innenministerium geführt werden solle und ob Sicherheitsfragen und Extremismus im Vordergrund stehen dürften.

Eine Buchkritik von Sulaiman Wilms

(iz). Geschichte ist faszinierend. Für alle offenbart ein Blick auf sie weit mehr als nur eine zweckfreie Erkenntnis, sondern – wenn man daran glaubt – auch Erkenntnis des menschlichen Schicksals. […]

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Scheitern als Chance

(iz). Während eines Interviews im Jahre 1988 sagte mir der Chef der Awami-Nationalpartei, Wali Khan: “Amerika benutzte die Afghanen, um seine Rechnung mit den Russen zu begleichen, und ließ sie […]

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