Europäische Muslime luden zu einem Berliner Hearing über die Lage in der Ukraine und auf der Krim

Berlin (EMU). Auf Einladung der European Muslim Union (EMU) Foundation und der Islamischen Zeitung fand am Samstag, den 03. Mai 2014, eine Anhörung zur Lage von Muslimen in der Ukraine, insbesondere auf der Krim, in einem Berliner Konferenzhotel statt. Zu dem Fachtreffen reisten muslimische Gäste aus dem In- und Ausland an. Es war der EMU wichtig, dass europäische Muslime sich solidarisch mit ihren bedrängten Geschwistern zeigten.

Der erste Teil des Hearings war durch Impulsreferate von vier Rednern gewidmet. Zu Beginn leitete IZ-Herausgeber und EMU-Vorsitzender, Rechtsanwalt Abu Bakr Rieger, den Event ein.

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Rieger machte deutlich, dass dabei nicht um eine simple Schwarz-Weiß-Sicht auf die Dinge ginge, noch um eine einfach gestrickte anti-russische Haltung. In der Vergangenheiten wurden – durch mehrere Reisen der Stiftung sowie hochrangige Begegnungen – gute Beziehungen zu russischen Muslimen und offiziellen Vertretern geknüpft. Auch hätten Gemeinsamkeiten im Engagement gegen den Terrorismus bestanden. Allerdings müsse man jetzt feststellen, dass derzeit berechtigte Sorgen über die jetzige und zukünftige Haltung Moskaus gegenüber Minderheiten – namentlichen muslimischen Bevölkerungsteilen bestünden.

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Von den Referenten sprach zuerst IZ-Chefredakteur Sulaiman Wilms über die Geschichte der Muslime in der Region und stellte einen Zusammenhang zur Geschichte der europäischen Muslime insgesamt her. Wilms machte unter anderem klar, dass die muslimischen Krimtataren ein integraler Bestandteil der europäischen Geschichte sowie der muslimischen Gemeinschaft Europas seien.

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Danach folgte der Geopolitik-Fachmann Parvez Asad Sheikh von der Universität Barcelona. Sheikh rückte die Krise um die Ukraine in die globale Krise des Nationalstaats insgesamt ein. Dieser stünde derzeit vor enormen Herausforderungen. Insbesondere das Erstarken einflussreicher anti-muslimischer Bewegungen, wie der Front National in Frankreich, werfe grundlegende Fragen nach dessen weiterem Bestand auf. Es sei zu befürchten, dass es zukünftig zu Erstarken von Großräumen, einer „völkischen Politik“ sowie zu einer Benachteiligung von Minderheiten kommen werde.

Im zweiten Teil der Impulsreferate sprachen der ukrainische Akademiker und Übersetzer des Qur’an ins Ukrainische, Mykhaylo Yakubovych, und Abdurrahman Egiz (Vertreter des Mejlis des Krimtatarischen Volkes) über die aktuelle Lage in der Ukraine, die Position von Muslimen in der ukrainischen Gesellschaft sowie anschließend über das konkrete Schicksal der Tataren.

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Laut Yakubovych entsprächen viele Stereotypen der internationalen Berichterstattung nicht der wirklichen Lage vor Ort. Als Element der religiösen Landschaft ihrer Heimat seien die ukrainischen Muslime kein „Fremdkörper“, sondern integraler Bestandteil ihres Landes. Begründet sei dies unter anderem durch die umfassende religiöse Freiheit, die die ukrainischen Muslime – im Vergleich zu Russland, aber auch zu Westeuropa – seit der Unabhängigkeit ihres Landes genossen hätten.

Es bestehe gar keine Frage, dass der Islam in der mehrheitlichen Wahrnehmung der ukrainischen Bevölkerung zur Identität des Landes gehöre. In der derzeitigen Krise hätten die Muslime – auch jene in den umstrittenen Regionen der östlichen Landes wie dem Donezkbecken – mehrheitlich der Maidan-Bewegung zugestimmt. Dazu gehörten selbstverständlich auch die krimtatarischen Muslime, welche die Mehrheit der muslimischen Gemeinschaft der Ukraine stellten.

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Als deren Vertreter schloss Abdurrahman Egiz die Impulsreferate mit einer Beschreibung der grundsätzlichen Schwierigkeiten seines Volkes sowie der jetzigen Krise ab. Egiz, der nur drei Tage nach dem Event von unbekannten Schlägern auf der Krim angegriffen worden sei, sah die Rechte seines Volkes durch den Anschluss seiner Heimat an die Russische Föderation gefährdet. „Alle Vorgänge in der Ukraine betreffen uns ebenso.“ Der Führungsgestalt der Krimtataren sei der Zutritt zur Krim verweigert worden. Es sei symbolisch für die Lage seines Volkes, dass Mustafa Dschemilew, nachdem dieser sich bereits zu Sowjetzeiten für eine Rückkehr der verbannten Krimtataren in ihre Heimat einsetzte, erneut nicht heimkehren kann.

Laut Egiz sind sich die Krimtataren bewusst, dass sie selbst nicht in der Lage sind, aktiv ihre derzeitige Lage zu verändern. Daher habe man sich für eine Politik der Nichtkonfrontation entschieden, sondern bemühe sich derzeit auf der Krim um einen Schutz der Muslime und ihrer Einrichtungen. Vielmehr müsse die jetzige Krise der Ukraine und der Krim durch die internationale Gemeinschaft gelöst werden. Auch stünden die muslimischen in Länder hier in der Pflicht. Sein Volk rufe diese auf, „unsere Rechte zu schützen“. Es sei durchaus möglich, dass es in der Zukunft zu Diskriminierungen komme beziehungsweise, dass sich die Bedingungen derart verschlechtern, was es den Leute unmöglich mache, auf der Krim zu verbleiben.

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Im zweiten Teil der Anhörung hatten die Teilnehmer die Gelegenheit zur Klärung offener Fragen und einige Aspekte der angesprochenen Themen zu vertiefen. Deutlich wurde dabei, dass es in Deutschland – und darüber hinaus – einen Bedarf nach mehr Informationen über die Lage der Krimtataren wie der ukrainischen Muslime insgesamt gibt. Bisher komme die Einschätzung der Politik der Großmächte noch ohne eine muslimische Position aus.

Einhelligkeit bestand auch darin, dass – nicht nur – die jetzige Krise einen stärkeren, anhaltenden Austausch der Muslime in Ost- und Westeuropa nötig mache. Ebenso herrschte unter den Redner Konsens, dass es in der Ukraine kein Platz für antimuslimische und antisemitische Ressentiments geben darf.

In absehbarer Zeit sei vorgesehen, dass eine Delegation der European Muslim Union die Ukraine besuchen werde.

INFORMATION: Die Vorträge werden in Bälde als Videoclips auf der EMU-Webseite zur Verfügung stehen. Ebenso ist eine Dokumentation mit den überarbeiteten Wortbeiträgen vorgesehen.

HINWEIS FÜR INTERESSENTEN: Für Hintergrundinformationen, Interview- und Kontaktanfragen sowie Bildmaterial bitte an media@emunion.eu wenden.

IZ-Debatte Doppelpass: Nicht der Doppelpass ist das Problem, sondern der Geist hinter der Kampagne. Von Sulaiman Wilms

(iz). Wie bei so vielen Diskussionen geht es auch beim The­ma der doppelten Staatsbürgerschaft nicht um den Gegenstand der Debatte, sondern um das, was unausgesprochen bleibt. In Zeiten der grassierenden Pawlowschen Reiz-Reaktions-Kultur muss das Selbstverständliche ­leider immer betont werden. Eine kritische Haltung ist per se noch kein Hinweis auf eine „weiß-“ oder „bio-deutsche“ Einstellung (wie ein eher einfach begabter Geist meinte).

Einer der problematischeren Aspekte, zumindest soweit es die Schnittmenge aller praktizierenden Muslime betrifft, ist die Gleichsetzung von Fragen, die einerseits den Islam und die Muslime betreffen, mit solchen, die andererseits unter den schwammigen Themen „Migration“ und „Integration“ subsumiert werden. Gewiss, wir operieren hier nicht mit abstrakten Größen, sondern mit Menschen, deren konkrete Lebenswirklichkeit viele Aspekte umfasst. Darunter befinden sich natürlich auch viele ­Muslime, die tatsächlich beide Staatsbürgerschaften haben, haben wollen oder aus dringenden Gründen haben müssen.

Es ist aber ein schwerwiegender ­Fehler, wenn beide Dinge gleichgesetzt werden und sich die muslimische Community beispielsweise für das unannehmbare Verhalten kleinkrimineller Jugendliche zu rechtfertigen hat. Und es ist ein wesentlich weitreichenderes Problem, wenn sich Organisationen und Moscheeverbände – die de facto den Anspruch erheben, den Islam und die Muslime zu vertreten – gleichzeitig eine identitäts-orientierte Politik als Interessenverband von „Migranten“ betreiben. Dass sie dadurch die multi-ethnische muslimische Community auf einen monokulturellen Teil reduzieren, scheint ihnen nicht bewusst zu sein. Oder es kümmert sie nicht.

Sprächen wir hier über den reinen Verwaltungsakt einer doppelten Staatsbürgerschaft beziehungsweise über die Ungleichbehandlung unterschiedlicher Men­schengruppen, dann erübrigt sich eine Diskussion. Die absolute Mehrheit der jungen Menschen, die in den nächsten Jahren vom Ablauf der bisherigen Optionslösung betroffen sind, würde nach Angaben der Deutschen Pressagentur sowieso für die deutsche Staatsbürgerschaft optieren.

Einer der großen Fehler der Identitäts-Politik (von Argumenten aus der islami­schen Lehre abgesehen) ist, dass sie ­reale oder imaginierte Ausgrenzungserfahrungen übernimmt, diese Ausgrenzung also zum Maßstab des eigenen Selbstbildes macht. So wäre es falsch zu ­glauben, alle Muslime mit Migrationshintergrund verspüren überhaupt den Wunsch nach dem Doppelpass. „Ich beharre auf die doppelte Staatsbürgerschaft, weil es für einige Migrantengruppen selbstverständlich, für andere aber verwerflich und ein Indiz für mangelhaften Integrationswillen ist“, begründete eine junge Frau ihre Position im Rahmen einer Debatte. „Die neue Generation, die dritte, braucht es nicht und wird es später mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht haben wollen… Die erste und zweite hat aber noch viel mit beiden Ländern zu tun… Ist das ein Problem für Deutschland, es zumindest noch eine Generation zu erlauben?“, relativiert ein junger Muslim. Es gibt aber eben auch andere – vermeintlich Betroffene –, die abwinken: „Die Türkei hat in den letzten zehn Jahren ihre Gesetzgebung den euro­päischen Normen angepasst. Als Deutsch­türke mit deutscher Staatsangehörigkeit habe ich das Recht, zum Beispiel ein Erbe anzutreten, zu arbeiten oder mich nieder­zulassen. Es gibt keine Einschränkungen. Der türkische Pass ist nur ein Stück ­Papier.“

Wenn wir das Objekt der Begierde hinter uns lassen, verschwimmt die Motivlage. So hat eine mono-ethnisch Fokussierung in den letzten Monaten inner­halb der Community zugenommen. Und mehr als eine türkisch-muslimische Fraktion betreibt gerade mehr als nur ein halb- oder vollkommerzielles Medienprojekt. Bei diesen steht nicht das Muslim-Sein im Vordergrund, sondern der „Migrant“ oder der „Türke“. Einige Beo­bachter glauben gar, dass der ursächliche Impuls für die Re-Ethnisierung durch den inner-türkischen Machtstreit zwischen AKP und der Gemeinde von Fethullah Gülen motiviert ist.

Weitere Aspekte dieser Kampagne – wie die programmatische Verlängerung der ethnischen Identität über ihre natürliche Halbwertszeit hinaus – erschweren es außerdem, das Projekt einer über-ethnischen Community voranzutreiben. Die lautstarke Forderung nach diesem staatsbürgerlichen Hintertürchen reduziert den Druck auf Politik und Öffentlichkeit, die muslimische Gemeinschaft endlich voll anzuerkennen und ein vernünftiges Verhältnis zu ihr zu schaffen. Zumal das Missverständnis aufrecht­erhalten wird, wonach der Islam eine Religion von „Fremden“ sei. Und sie bekräftigt jene irrigen Vorurteile, Muslime in Deutschland würden vor ­allem Forderungen stellen. Es geschieht sicherlich nicht bewusst: Aber so werden Bemühungen unterminiert, dass sich die Muslime als vollständiger Teil dieses Landes verstehen.

Für die muslimische Community – persönlich wie kollektiv – sehe ich vor allem Nachteile in solchen und anderen Kampagnen. Ein Sufi-Schaikh sagte einmal, dass das menschliche Herz keine widerstrebenden Leidenschaften beherbergen kann.

Wie sollen muslimische Kinder (die längst keinen Migrationshintergrund mehr haben) eine fest ­verortete muslimi­sche Identität entwickeln, wenn sie nicht einmal wissen, wo sie daheim sind? Bereits in der Vergangenheit ­mussten viele junge Muslime unnötige Konflikte bestreiten, bis sie die Möglichkeit erkannten, dass sie auch als Deutsche Muslime sein können.