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Religion hat kaum Einfluss auf den Bildungserfolg 

Essen. Eine am 23. Oktober in Berlin vorgestellte Studie der Universitäten Konstanz und Göttingen – gefördert von der Stiftung Mercator – zeigt: Das schlechtere Abschneiden einzelner Konfessionsgruppen im deutschen Bildungssystem ist nicht mit religiösen Faktoren zu erklären. Entscheidend für den Bildungserfolg sind in erster Linie der sozioökonomische Status des Elternhauses sowie sprachliche und kognitive Kompetenzen.
Angesichts der Ankunft hunderttausender Flüchtlinge aus islamisch geprägten Ländern wird zunehmend die „Integrierbarkeit“ muslimischer Migranten debattiert. Der geringere Bildungserfolg muslimischer Kinder und der langsamere Integrationsverlauf Türkeistämmiger werden in der öffentlichen Debatte oft auf religiöse Unterschiede zurückgeführt.
Eine Studie hat nun untersucht, ob Religionszugehörigkeit oder individuelle Religiosität Einfluss auf den Bildungserfolg hat. Die Analyse basiert auf dem deutschen Datensatz des Children of Immigrants Longitudinal Survey in Four European Countries (CILS4EU), einer Panelstudie von Schülerinnen und Schülern der neunten Klasse, ihren Eltern, Lehrerinnen und Lehrern. Die zentralen Ergebnisse lauten:
– Personen mit Migrationshintergrund sind in allen konfessionellen Gruppen tendenziell religiöser. 62 Prozent der muslimischen Schüler ist ihr Glauben „sehr wichtig“.
– Die Leistungsmotivation unter den Muslimen ist bei den religiösen Jugendlichen etwas stärker ausgeprägt – und auch teilweise stärker als bei den Einheimischen.
– In der Sprachverwendung zu Hause finden sich keine Unterschiede in Abhängigkeit von der individuellen Religiosität, wenngleich die Herkunftssprache von Muslimen häufiger verwendet wird als von anderen Konfessionsgruppen mit Migrationshintergrund.
– Muslime haben insgesamt etwas schlechtere Noten als die meisten anderen Konfessionsgruppen. Dies lässt sich allerdings damit erklären, dass sie mehrheitlich aus Elternhäusern mit niedrigerem Sozial- und Bildungsstatus stammen, und zu Hause häufiger die Herkunftssprache verwendet wird.
– Bei gleichem Sozial- und Bildungsstatus der Elternhäuser und ähnlichen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten zeigen sich keine signifikanten Unterschiede in den Noten oder dem besuchten Schultyp zwischen den Konfessionen. Dies spricht gegen die Annahme, dass muslimische Schülerinnen und Schüler systematisch diskriminiert werden.
 
„Der Bildungserfolg muslimischer Kinder wird also weder durch deren Religiosität noch durch ethno-religiöse Diskriminierung verzögert. Er verläuft vergleichsweise langsam, weil sie mehrheitlich aus bildungsfernen Elternhäusern stammen und daher unzureichend auf die Schule vorbereitet sind“, fassen die Autoren der Studie Prof. Dr. Claudia Diehl (Universität Konstanz) und Prof. Dr. Matthias Koenig (Universität Göttingen) zusammen.
„Bildungsungleichheit auf Religiosität oder Religionszugehörigkeit zurückzuführen, ist zu kurz gedacht. Stattdessen sollten Politik und Gesellschaft die Anstrengungen für frühkindliche Bildungsangebote und Ganztagsschulen ausbauen. Nur so kann man auf die individuellen Bedürfnisse von Schülern besser eingehen und die mit Migration verbundenen Herausforderungen im Bildungssystem meistern“, sagt Dr. Felix Streiter, Bereichsleiter Wissenschaft der Stiftung Mercator.
Die Studie finden Sie hier:
www.stiftung-mercator.de/de/publikation/religiositaet-und-bildungserfolg/

Afghanistan und die Kinderlähmung: Der Kampf um die letzten Fälle

Nur aus zwei Ländern werden noch Fälle von Kinderlähmung gemeldet. Eigentlich soll sie bald ausgerottet sein – aber im Krieg bricht sie leicht wieder aus. In Afghanistan müssen Impf-Teams mit Islamisten verhandeln.
Kabul (dpa). Eine Woche vor den Impfungen läuft die Maschinerie an. Delegationen reisen an und suchen den örtlichen Kriegsherrn auf, Geistliche und andere Freiwillige, die sich um die Gesundheit der Kinder sorgen, sprechen mit Familienvätern. Jedes Mal wieder erklären sie, was die Kinderlähmung ist und wieso die Söhne und Töchter im Dorf dagegen geschützt werden müssen. Manchmal müssen die Impfungen verschoben werden, weil im Gebiet gekämpft wird. Dann wartet das Impf-Personal auf den letzten Schuss, der ihr Startschuss ist.
Afghanistan ist neben Pakistan das einzige Land, in dem laut der „Global Polio Eradication Initiative“ in diesem Jahr neue Fälle der auch Polio genannten Kinderlähmung aufgetaucht sind. In den Straßen sind die Opfer leicht zu erkennen: verzerrte Körper mit verkümmerten Beinen oder Rücken, oft auf allen Vieren. Eine von 200 Infektionen führt zu dauerhaften Lähmungen, warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Bis zu zehn Prozent der gelähmten Kinder sterben. Eigentlich wäre das mit regelmäßigen Impfungen zu verhindern. Es ist kein Zufall, dass das Virus vor allem in Ländern überlebt, in denen Krieg herrscht.
Die gute Nachricht: Die Zahlen der Neuinfektionen sind bisher stetig zurückgegangen. In Afghanistan gab es 2015 noch 20 Fälle – in diesem Jahr sind es bisher sieben. In Pakistan ist die Zahl geschrumpft von 306 Fällen in 2014 auf bisher fünf in diesem Jahr. Nach massiven Militäroffensiven in Extremistengebieten hatten Impfteams ab 2015 endlich wieder Zugang zu den meisten Kindern im Land. „Aber wir wissen wohl: Solange wir nicht bei null Neuinfektionen sind, können wir schnell wieder ein Riesenproblem haben“, sagt die Chefin von Pakistans Anti-Polio-Programm, Ayesha Farooq, vor dem Welt-Polio-Tag am Samstag (28.10.).
Die WHO drückt es so aus: So lange auch nur ein Kind infiziert ist, sind alle Kinder weltweit in Gefahr. Wenn das Virus fortbestehe, könne es in zehn Jahren wieder 200 000 Neuerkrankungen geben.
Afrika zum Beispiel galt seit fast zwei Jahren als Polio-frei. Aber in Gebieten im Nordosten von Nigeria, die unter der Kontrolle der Terrormiliz Boko Haram standen, waren 2016 wieder eine Handvoll neuer Fälle diagnostiziert worden. Seitdem sind in 14 Kampagnen 58 Millionen Kinder geimpft worden, um die Ausbreitung zu vermeiden. Allerdings: Rund 400 000 Kinder blieben ohne Impfungen, denn sie leben in Gegenden, wo Boko Haram noch aktiv ist.
Afghanistan hat da wohl die größten Sorgen. Dort sind seit Ende der Nato-Kampfmission im Jahr 2014 die Taliban wieder auf dem Vormarsch. Heute kontrollieren sie rund elf Prozent des Landes und kämpfen um weitere 30 Prozent. Im Oktober 2017 herrscht in sieben „ihrer“ Bezirke in der südafghanischen Provinz Kandahar ein Impfbann – in vier schon seit dem Frühjahr. Prompt ist in einem dieser Gebiete im Juli ein weiterer Fall aufgetaucht, ein 18 Monate altes Mädchen.
In zwei Bezirken hätten die Taliban die Kampagne sozusagen in Geiselhaft genommen, sagt der Chef der Polio-Abteilung im Gesundheitsministerium in Kabul, Maiwand Ahmadsai: „Sie sagen uns, solange sich nicht auch die anderen Gesundheits-Leistungen in ihrem Bezirk verbessern, dürfen auch keine Impfungen stattfinden.“ Aber in fünf anderen hätten sie keine Gründe genannt. Die Taliban sind radikale Islamisten. Einige glauben, dass Impfungen Teil einer Verschwörung des Westens sind, um Muslime unfruchtbar zu machen. Andere glauben, die Impf-Teams seien Spione der Regierung.
Jetzt verhandeln die Impfenden. Es ist nicht das erste Mal. Letztes Jahr kamen sie an Zehntausende Kinder im umkämpften Kundus im Norden nicht heran. „Das ist dieses Jahr gelöst“, sagt der Chef der WHO in Afghanistan, Rik Peeperkorn. Mitunter laufe es darauf hinaus, dass Taliban in Impfteams aufgenommen werden müssen, erzählt ein afghanischer Kollege. „Aber wir nennen sie nicht Taliban, wir nennen sie Helfer. Es sind eben Leute mit Zugang, und wir brauchen Zugang.“
Das Virus ist tückisch, sagen Experten. Nur ein Bruchteil der Infizierten wird krank, aber alle können es weiter verbreiten. So kann es lange unentdeckt zirkulieren – vor allem natürlich in Gegenden, in denen geschossen wird. Solange das so bleibt, wird es wohl schwierig, die Zahl der Neuinfektionen in Afghanistan auf Null zu senken. Dass ein neuer Fall unentdeckt bleibe, sei aber unwahrscheinlich, sagt Rik Peeperkorn. Zehntausende freiwillige Aufpasser im ganzen Land – vom Mullah bis zum Ladenbesitzer- hätten ein Auge darauf.

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Diskussion um Feiertag: Sturm im Wasserglas

Berlin/Münster (dpa). Für Überlegungen zu einem muslimischen Feiertag in Teilen Deutschlands hat Innenminister Thomas de Maizière viel Gegenwind bekommen – doch ein Experte für Religionspolitik hält so einen Vorstoß für […]

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Welthunger-Index: Die Lücke zwischen Arm und Reich ist gewaltig

Berlin (KNA) Einige Zahlen zu Beginn: Ende September wurde bekannt, dass das weltweite Netto-Geldvermögen auf die unvorstellbare Summe von 128,5 Billionen Euro angewachsen ist. Dem Boom an den Börsen sei Dank. Wie der Allianz Global Wealth Report weiter festhielt, verfügte 2016 jeder Nordamerikaner im Schnitt über 168.130 Euro, Osteuropäer kamen auf 4.150 Euro, Afrika wurde gar nicht erst erfasst. Und noch eine Zahl: Erstmals nach gut einem Jahrzehnt nahm die Zahl der Hungernden im vergangenen Jahr wieder zu. Sie stieg laut Welternährungsorganisation FAO von 777 auf 815 Millionen Menschen.
Enorme Ungleichheiten offenbart auch der Welthunger-Index, der am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde. Der Eindruck drängt sich auf, dass der Kampf gegen Unterernährung stagniert. In 51 Ländern bleibt die Lage „ernst“ oder „sehr ernst“, in einem weiteren Fall, der Zentralafrikanischen Republik, ist sie sogar „gravierend“. Damit fallen unter diese Kategorien zwei Länder mehr als beim Welthunger-Index 2016. Eine ähnliche Tendenz offenbart auch der globale Indexwert, der die Ausbreitung des Hungers erfasst. Der fiel zwar im Vergleich zum Jahr 2000 um 27 Prozent; im Vorjahr waren es aber noch 29 Prozent.
Zur Ermittlung des Indexwertes nehmen die Experten vom International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington vier Bereiche ins Visier: Unterernährung, Auszehrung und Wachstumsverzögerungen bei Kindern sowie Kindersterblichkeit jeweils gemessen am Anteil an der Gesamtbevölkerung beziehungsweise der Mädchen und Jungen unter 5 Jahren. Auf einer 100-Punkte-Skala ist 0 („kein Hunger“) der beste, 100 der schlechteste Wert. Einige einkommensstarke Länder wie Deutschland blieben außen vor, ebenso mehrere Staaten, zu denen kein ausreichendes Zahlenmaterial zur Verfügung stand, wie die Krisenregionen Kongo, Südsudan oder Syrien.
Vorgestellt wird der Index seit 2006 jährlich vom IFPRI, der Welthungerhilfe sowie der irischen Organisation Concern Worldwide. Schlusslicht des diesmal 119 Länder umfassenden Rankings ist die Zentralafrikanische Republik mit einem Indexwert von 50,9. Es folgen mit dem Tschad, Sierra Leone, Madagaskar und Sambia vier weitere Länder in Afrika. Dann kommt der vom Krieg gezeichnete Jemen auf der Arabischen Halbinsel, bevor es mit dem Sudan und Liberia wieder zurück auf den Schwarzen Kontinent geht.
Doch es gibt auch Fortschritte. Insgesamt 14 Ländern bescheinigt der Bericht eine Reduzierung ihres Index-Wertes um 50 Prozent oder mehr im Vergleich zum Jahr 2000. Dazu gehören etwa Brasilien und Peru, Senegal und China. Weitere 72 Länder verbesserten sich um 25 bis 49,9 Prozent. Zu dieser Gruppe gehört Kenia. Das Land verzeichnete in den vergangenen Jahren ein konstantes Wirtschaftswachstum und investierte in die Ernährungssicherheit. Wie fragil die Lage jedoch ist, zeigte sich bei der diesjährigen Dürre in Ostafrika. Sie habe weite Teile Kenias „vor zusätzliche Herausforderungen“ gestellt.
In vielen Ländern kommen Kriege und politische Instabilität hinzu. Zugleich betonen die Autoren des Welthunger-Indexes, dass es auch innerhalb der einzelnen Länder teilweise erhebliche regionale Unterschiede gebe. In Nepal beispielsweise liegt der Anteil von Unter-5-Jährigen mit Wachstumsverzögerungen landesweit bei 37,4 Prozent; in einigen abgelegenen Bergregionen aber schnellte dieser Wert auf über 60 Prozent hoch.
Dies alles deute darauf hin, so fassen die Autoren vorsichtig zusammen, „dass ein standardisiertes ‘Universalkonzept’ zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung nicht die besten Ergebnisse erzielen würde“. Auch beeinflussten die Aktivitäten von multinationalen Agrar- und Nahrungsunternehmen die landwirtschaftlichen Märkte in Entwicklungsländern. Hier gelte es, im Kampf gegen Hunger verstärkt anzusetzen.
Zum Abschluss noch eine Zahl: In derselben Welt, in der mehr als 800 Millionen Menschen hungern und zwei Milliarden Menschen an unterschiedlichen Formen der Fehlernährung leiden, „ist ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung fettleibig“, hält der Welthunger-Index fest. Und ein Drittel aller Nahrungsmittel werde „verschwendet oder vergeudet“.

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Fehlende Bindeglieder: Verlustängste beschreiben längst Einheimische und Zuwanderer gleichermaßen

(iz). In den frühen 1990er Jahren schien es so, als wären die alten ideologischen Abgründe der Geschichte mit der Wiedervereinigung der Deutschen endgültig überwunden. Ein Vierteljahrhundert später treten aber wieder neue und alte Spaltungen offen zu Tage, es sind in erster Linie Bruchlinien zwischen Arm und Reich, aber auch zwischen National und Global. Wer geglaubt hätte, dass Begriffe wie „Heimat“, „Nation“ oder „Leitkultur“ aus der Mode gekommen sind, wird heute eines Besseren belehrt. Sie sind längst wieder im Zentrum neuer Kulturdebatten.
Carl Schmitts Definition, dass der moderne Nihilismus durch die Trennung von „Ordnung und Ortung“ definiert sei, entfaltet heute wieder seine denkerischen Herausforderungen. Während der Siegeszug des Kapitalismus zweifellos die beherrschende Ordnung auf der Welt bildet, sorgen sich immer mehr Menschen um ihre eigene Verortung. In Deutschland ist dabei der alte Streit um das Gewicht nationaler oder weltbürgerlicher Gesinnung neu ausgebrochen. Zahlreiche neue Publikationen drehen sich um die Rolle von Heimat und Identität und indizieren mit der Fragestellung gleichzeitig einen Verlust derselben.
Eine interessante und lesenswerte Lektüre ist in diesem Kontext beispielsweise das Buch „Heimat“ von dem Publizisten Christian Schüle. Für den Autor ist „die Frage nach der Heimat die drängendsten Frage unserer Zeit“. Schüle zeigt die Bedeutung von typischen Heimaterfahrungen, die Abgründe der neuen Identitätspolitik und die veränderte Rolle von Heimat im Zeitalter der Technik.
Die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 stellt dabei nicht nur einen Bruch in der symbolischen Ordnung unserer Zeit dar, sie stellt auch die gewohnten Wertevorstellungen in Frage. Seit diesem Jahr und mit den Bildern massenhafter Flucht, wird der europäische Humanismus auf die Probe gestellt. Es geht um Grundsätzliches: Wo verläuft die Grenze unserer Aufnahmebereitschaft, gibt es eine Obergrenze für Asylsuchende und erlauben wir ein Menschenrecht auf freie Ortswahl?
Der radikale Unterschied zwischen dem rechtlosen Flüchtling und dem Status des europäischen Bürgers, zwischen dem, der Recht sucht und demjenigen, der ein Aufenthaltsrecht gewährt, erinnert Schüle, offenbart aber auch diverse Gemeinsamkeiten: „Die beiden so gegensätzlichen Figuren unserer Epoche haben, so scheint es, also etwas Fundamentales gemein: Grenzverlust. Heimatverlust. Identitätsverlust. Beide, Homo sacer und Homo faber, haben ihren Geborgenheitsraum verloren: der eine den physischen, der andere den metaphysischen. Auf je unterschiedliche Weise sind beide auf der Suche nach Heimat in Zeiten permanenter Mobilität.“
Tatsächlich lässt sich die Dynamik des vergangenen Wahlkampfes ohne diesen Aspekt eines populären Gefühls der Heimatlosigkeit nicht verstehen. Es war die sogenannte Alternative für Deutschland, die mit dem Ruf nach nationaler Geborgenheit die etablierten Parteien vor sich her getrieben hat und mit der Forderung nach „Grenzschutz“ das politische Motiv der Auseinandersetzungen lieferte. Im Mittelpunkt standen dabei weniger die systemischen Fragen nach den Fluchtursachen selbst, sondern die Bewältigung der Symptome und Krisen, welche die Realität des globalen Kapitalismus zuverlässig entfaltet. Der konkrete Zustrom von Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlingen nivelliert dabei auch die alten Seh- und Erfahrungsgewohnheiten und schafft einen Erfahrungsraum, der die Idee von Distanz und Nähe verändert.
Das alte Ideal der Besonnenheit im Umgang mit politischen Herausforderungen wird heute durch die sozialen Medien erschwert. Das alte Kommunikationsmodell, Sender sendet Signal an Empfänger, wird durch die Möglichkeiten massenhaft versendeter Botschaften wesentlich verändert. Es geht zunehmend um die Quantität der Meldungen, nicht mehr um ihre Qualität. Es wird um ­Assoziationshoheit gekämpft, insofern, als die Verknüpfung von Bildern mit guten oder schlechten Assoziationen meinungsbildend wird.
Gleichzeitig verstärken die neuen Medien die Erfahrung von Konflikten, sie sind potentiell unbegrenzt und sie erreichen jeden Empfänger ganz unabhängig davon, ob er vom Phänomen konkret betroffen ist. Gefragt ist so eine permanente Haltung des Ja oder Nein. Schüle fasst die Wirkung der Massenkommunikation auf den Zustand der Empfänger so zusammen: „Die Schere zwischen Pro und Contra spaltet sich mehr als jene zwischen Arm und Reich. Der Gesinnungsfuror zwingt jeden Einzelnen zur klaren Kante seiner bürgerlichen Selbst-Verortung in Zeiten von Kriegen und Krisen: Auf wessen Seite stehst du, Kamerad?“
Die Politisierung auf algorithmischer Grundlage eines Ja oder Nein, Freund oder Feind, gipfelt in der zunehmenden Tendenz, physische und geistige Heimat alleine in einer Negation, in der Abgrenzung vom Anderen zu gewinnen. Die Rechtspopulisten setzen darüberhinaus darauf, den Zuwanderer, der keine Heimat beanspruchen soll oder darf, auch systematisch auszugrenzen.
Die verbreitete Abhandlung der muslimischen Präsenz in Deutschland unter dem Stichwort der „inneren“ Sicherheit, wird insoweit von der AfD abgründig konsequent fortgeführt. Sie läuft unter anderem auf den Begriff einer „islamischen“ Kriminalität hinaus, die sich angeblich aus der Offenbarung ergeben soll und dem nur entrinnt, wer sich nach dieser Logik komplett vom Islam de-assoziiert. Das AfD-Phantasma einer „islamischen“ Zuwanderung begleitet zudem die absurde Vorstellung, dass jede x-beliebige (Straf-)Tat eines Zuwanderers dem Islam direkt zuzurechnen sei.
Es ist kein Zufall, dass die Ausgrenzung der muslimischen Präsenz, gerade mit dem Begriff des angeblichen Kampfes um den öffentlichen Raum, dem Heimatraum, einhergeht. Das Phantasma der Burka gilt hier als imaginäres Feindbild, dass die symbolische Ordnung gefährdet, obwohl die reale Gefahr, ausweislich einer Handvoll Burkaträgerinnen in Deutschland, erst mühsam konstruiert werden muss.
Die selbsternannten Bewahrer von Heimat, die aus einem Gegensatz, der Abwehr des Fremden, ihre Position entwickeln, müssen daher immer wieder neu behaupten, dass der Fremde potentiell gefährlich und nicht integrierbar sei. Von dem Ausnahmefall ausgehend, dem Straftäter, wir so auf eine Neigung der ganzen Gruppe zum Extrem geschlossen. Selbstverständlich ist auch ein konkreter Beitrag für die Verwirklichung heimatlicher Räume, der so Ausgegrenzten, aus dieser, rechtspopulistischen Sicht undenkbar.
Es gehört zu der starken Seite der Bemühungen Schüles um seinen neuen Heimatbegriff, dass er nicht nur die Probleme gescheiterter Integration aufzählt, sondern auch darüber nachdenkt, wie eine neue Heimat, die nicht auf die Fiktion biologischer Unterschiede setzt, funktionieren könnte. Für den Kulturwissenschaftler kommt hier dem in Vergessenheit geratenen Begriff des „Oikos“ eine signifikante Rolle zu: „Der Oikos – worin Ökonomie und Ökologie gleichermaßen begriffen sind, generiert das wichtigste Bindemittel zerfallender Gemeinschaften: das Gefühl der Beteiligung. Das Gefühl zu brauchen und gebraucht zu werden.“
Es geht Schüle also um nichts weniger als die intelligente Einbindung der Flüchtlinge oder Immigranten in die Gemeinschaft, als eines der wichtigsten Zukunftsprojekte unserer Zeit. Im Fall der Muslime in Deutschland also auch darum, nicht nur den sogenannten politischen Islam als ein Feindbild zu pflegen, sondern auch die soziale, ökonomische und kulturelle Kompetenz von Muslimen endlich als einen gesellschaftlichen Zugewinn zu verstehen.
Schüle sieht dann auch unter diesem Blickwinkel in den städtebaulichen Konzepten der islamischen Welt, er nennt das Beispiel Istanbul, durchaus etwas, wovon man hier lernen könnte. Hier ergibt sich dann – im Umkehrschluss – gleichzeitig die Frage an die Muslime selbst: Wie verstehen sie eine gute Nachbarschaft, was tragen sie für ihr Stadtviertel bei oder wie konzipieren sie künftig Moscheeanlagen, die auch als soziale Dienstleister für Nichtmuslime gleichermaßen zugänglich und hilfreich sind?
Die aktive Aufforderung zur Teilnahme an der Schaffung von neuen heimatlichen Räumen, ist so das Gegenmodell für eine passive Haltung, die sich bei Muslimen ja leider durchaus feststellen lässt, die sich in Form der Flucht in Utopien, einer eigenen nationalistisch angehauchten Identitätspolitik, oder in Zuständen der „inneren Immigration“ zeigt.
Es wird wichtig sein, zu verstehen, dass die Erfahrung von Heimatverlust, sei es im Betrieb unserer modernen Städte oder in der Langeweile der Provinz, heute niemanden exklusiv auszeichnet. Hier wird zunächst ganz allgemein ein Gefühl unserer Zeit, unserer condition humaine, an sich beschrieben. Nimmt man das ernst, dann zeigt sich gerade der Umgang mit globaler und grenzenloser Technik als die entscheidende Frage unserer Epoche. Die Idee, man könne sich vor dieser Dynamik einfach hinter Mauern verstecken, zeigt sich dann in dieser Verortung als das, was es ist: eine Phantasie.

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Reise zum muslimischen Europa

(iz). In seinem monatlich erneuerten Ratgeber entdeckt der Fotograf und Reisejournalist Tharik Hussein Europas vergessenes muslimisches Erbe. Er besucht lange vernachlässigte Orte auf dem ganzen Kontinent. Mit ihm lässt sich […]

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Wie die Modeindustrie Musliminnen mit „Empowerment“ lockt

(iz). In den vergangenen Wochen und Monaten wurde nun auch dem desinteressiertesten Modeverweigerer bewusst, dass sich auf den Bildschirmen und Laufstegen der Welt etwas verändert. Immer häufiger finden sich in Magazinen, Sendungen und Werbekampagnen Models, die nicht in das bisher gängige Bild der großen, hellhäutigen, blonden Grazie passen. Man achtet bewusst darauf, auch übergewichtige, außergewöhnlich pigmentierte, körperlich beeinträchtigte, schwarze, naturgelockte und hijabtragende Models zur Vermarktung von Fashion- und Beautyprodukten einzusetzen.
So weit, so gut. Sinn dieses Artikels ist nicht, zu bestreiten, dass es schön ist, verschiedene Gesichter, Formen und Farben in den Medien sehen zu können. Schließlich ist es ein Abbild der Gesellschaften, in denen wir heute leben. Ein Blick auf die Großstädte der Welt reicht, um das Offensichtliche festzustellen: Es gibt weder eine monokulturelle Welt, noch gibt es eine Standard-Form von Schönheit.
Man könnte also meinen, dass hinter diesen Entwicklungen in den Schönheitsindustrien philanthropische, friedensstiftende Absichten lägen. Und so finden sich immer mehr Stimmen, die hier von „Empowerment“ der Minderheiten, der bisher Benachteiligten sprechen. Es ist von Teilhabe die Rede und von einem Gefühl, endlich repräsentiert zu werden.
Repräsentiert von wem? Müssen etwa Musliminnen, die einen Hijab tragen, sich von Chanel und H&M vertreten lassen? Ist es die Pflicht von Großkonzernen, für die Rechte der muslimischen, der schwarzen, der asiatischen Frau einzustehen? Durch klug angelegte Werbekampagnen erhalten wir diesen Eindruck. Die Models selbst sind davon überzeugt. Sie sprechen sich für Pluralität aus und sind der Auffassung, einen Beitrag dazu zu leisten, die Augen der Menschen an die Buntheit ihrer eigenen Umgebung anzupassen.
In einem Interview sagte ein afro-amerikanisches Model kürzlich, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft Ängste – wie etwa Schönheitswahn – herbeigeführt würden, um bestimmte Produkte an bestimmte Leute verkaufen zu können. Sie kritisiert diese Lage und die damit einhergehende „Unterdrückung“ von Andersartigen. Sie ist sich der Mechanismen bewusst. Im nächsten Satz fällt es ihr aber überhaupt nicht schwer, schlicht festzustellen: „Ich bin ein Model. Mein Job ist es, Produkte zu verkaufen.“ Geht es hier also immer noch um Empowerment oder doch um den guten alten Kontostand? Fakt ist, dass die Models, die bei großen Namen nun endlich „mitmischen“ dürfen, sehr viel Geld verdienen und die sie anwerbenden Konzerne Unmengen an neuen Kunden gewinnen und Profit schlagen. Es ist ein lukratives Geschäft für beide Seiten.
Diejenigen, die dies nicht verstanden haben, sprechen weiterhin von einem kulturellen Fortschritt und Akzeptanz für den Anderen. Ob sich die Arbeiterinnen, die in sklaven-ähnlichen Beschäftigungsverhältnissen eben diese Produkte unserer „Befreiung“ herstellen, dieser Bestärkung ihrer Rechte bewusst sind? Ob sich wohl die stolzen Models darüber im Klaren sind, dass es äußerst fragwürdig ist, nun endlich zu einer Industrie dazugehören zu können, die dafür verantwortlich ist, Essstörungen in ganzen Generationen von Frauen geschaffen zu haben und lächerliche Modestandards gesetzt zu haben, die mitunter gesundheitsschädlich sind? Ob die Befürworterinnen es wohl problemlos hinnehmen können, dass diese Industrie gezielt alles, was als Makel gilt, schonungslos weg retouschiert und durch gezielte Posen den Eindruck vermittelt, als müssten Frauen zu jeder Zeit „heiß“ aussehen? Sobald wir bei den Großen endlich mitmachen dürfen, scheint jede berechtigte Kritik wie verschwunden und alle sind froh, endlich wahrgenommen und bestärkt zu werden.
Das Geschäft mit der Schönheit ist nichts anderes als eine Goldgrube und da wäre es in einer globalisierten kapitalistischen Welt unsinnig, sich der breiten Masse and Konsumenten zu verweigern und sie nicht durch eine scheinbare Repräsentation zum Kauf zu bewegen. Das ist der ganze Zauber der Geschichte. Es geht nicht um Befreiung, Rechte oder Teilhabe. Eine Marktlücke wurde erfolgreich er­schlossen und es hat wunderbar funktioniert. Alle sind begeistert und shoppen nun Rihannas Make-Up, weil sich nun auch eine „Hijabi“ davon zukleistern ließ.
Es ist nicht bestreitbar, dass ein enges und eurozentrisches Schönheitsideal nicht gutzuheißen ist und jedem Mädchen in die Wiege gelegt werden müsste, ihre natürliche Schönheit wertzuschätzen und später ihre Entscheidung, sich anzuziehen wie es ihr gefällt, zu respektieren. Diese Dinge geschehen aber in Elternhäusern, in Familien, in Ge­mei­nschaften. Wenn es Kampagnen sind, die uns dieses Gefühl vermitteln, dann läuft etwas schief. Und eine Auseinandersetzung mit diesem Thema auf dem Spielfeld der Fashionindustrie wird nur den Geldbeutel leeren, statt tatsächliches Selbstbewusstsein zu schaffen.
Es gibt bereits Stimmen, die beklagen, dass all die Hijabi-Bloggerinnen schon so weit von einer bescheidenen, natürlichen Schönheit und Bekleidung entfernt sind, dass man sich die Frage stellen müsse, was dies noch mit dem Hijab, wie er im Qur’an beschrieben wird, zu tun habe. Und wie macht man eigentlich Wudu’, wenn das überproportionale Make-Up und die falschen Wimpern im Weg stehen?

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In Gemeinschaft leben

Allah sagt in Seinem Edlen Qur’an: „Oh ihr Menschen, Wir haben euch ja von einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Völkern und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Gewiss, der Geehrteste von euch bei Allah ist der Gottesfürchtigste von euch. Wahrlich, Allah ist Allwissend und Allkundig.“ (Al-Hudschurat, 13)
(iz). Heute müssen wir mehr denn je fest an der Gesellschaft des anderen festhalten. Dies ist keine Zeit für Isolation. Das Modell des Staates und des Individuums ist brüchig geworden, wie wir kürzlich nach der schrecklichen Feuersbrunst in einem Londoner Hochhaus feststellen mussten. Der Staat versagte in seinen selbst-definierten Aufgaben. Er kümmerte sich nicht um seine Bürger und schien komplett handlungsunfähig zu sein.
Nicht nur wirkten seine Vertreter komplett unfähig für Mitgefühl oder Einfühlsamkeit. Sie waren nicht in der Lage, die fundamentalsten Hilfsmaßnahmen zu koordinieren. Menschen blieben bedürftig zurück. Ihnen fehlten Nachrichten, Erleichterung, grundlegende Dinge oder sogar ein Ort zum Übernachten. Sie wurden im Stich gelassen. Der Staat scheiterte, aber die Menschen sprangen ein. Sie spendeten, öffneten ihre Türen, koordinierten und füllten das Vakuum, das der Staat hinterließ. Als die vielgerühmten Regierungsstrukturen zusammenbrachen, stand die Gemeinschaft auf.
Gemeinschaft ist der Schlüssel zum Erfolg des menschlichen Wesens. Es gibt Dinge im Laufe unseres Lebens, die wir nicht alleine bewältigen können; nicht durch uns selbst überwinden können. Es ist egal, wie viele Strukturen wir errichteten. Es spielt keine Rolle, wie viele Gesetze wir erlassen. Die ­Isolation zerstört uns. Aber das Modell der Moderne ist eines der stetig anwachsenden Isolation, bei dem der Staat als Ersatz für unseren Mitmenschen agiert. Es funktioniert nicht, wie der Brand in London zeigte. Gemeinschaft und Zusammensein sind entscheidend.
Solche Manifestationen des Gemeinschaftsgefühls wie in London sind nicht länger die Norm. Es braucht außerordentliche und schreckliche Umstände, um sie an den Tag zu bringen. Außerhalb von ihnen setzen sich Teilnahmslosigkeit und Blindheit durch. Wie lange lebte diese Gemeinschaft in Kensington, umgeben von den reichsten der Reichen, die für sie keinen Finger der Großzügigkeit rührten? So groß ist die Dunkelheit der Moderne, dass wir nicht sehen können, bis ein Feuer vor unseren Augen brennt.
Gemeinschaft ist so klar die Antwort für unsere Schwierigkeiten, aber es ist genauso klar, dass jede Generation beobachtet, wie sie sich weiter auflöst. Also ist es unsere Aufgabe als Muslime, sie wiederzubeleben. Wir kennen sie besser als die meisten anderen, denn wir kennen ihre Bedeutung. Es war kein Zufall, dass viele der ersten Nothelfer in London Muslime waren. Ein Großteil der Hilfe wurde von ihnen organisiert. Gemeinschaft bedeutet uns noch etwas. Wir haben noch ein Maß an Brüderlichkeit und Dschama’at. Sie waren immer der Eckstein unseres großen Dins.
Wir wissen, dass wir nicht geschaffen wurden, um alleine als Einsiedler zu leben. Dass wir auf diese Erde gebracht wurden als ihre Kalifen. Und das bedingt Austausch und keinen Rückzug. Das Beispiel des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, war das Knüpfen von Bindungen und nicht ihre Trennung. Dieser Din ist einer der sozialen Interaktionen und der gemeinsamen Anbetung, nicht nur der individuellen ‘Ibadat.
Die Vervollkommnung aller Säulen des Islam, die scheinbar individuelle Anbetung bedeuten, findet sich nur in Gemeinschaft. Das Glaubensbekenntnis ist nicht besiegelt, solange es nicht bezeugt wird. Das Gebet ist bedeutungsvoller und wertvoller in Gesellschaft. Zakat wird nicht an sich selbst oder abhängig bezahlt, sondern an die Bedürftigen der Gesellschaft. Fasten am besten mit anderen gebrochen. Das Bittgebet wird eher beantwortet, wenn es einen breiten Rahmen hat und mehr Menschen miteinbezogen werden.
Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Die Hand Allahs ist mit der Gruppe.“ Diese Dschama’at, diese Gruppe, von der wir sprechen, ist nicht nur eine wahllos zusammengewürfelte Sammlung von Leuten. Denn jede Gesellschaft kann schädlich sein, wenn sie auf der Lüge basiert und nicht auf der Wahrheit. Man muss nur die zerstörerische Wirkung eines Mobs betrachten. Menschen, die auf der persönlichen Ebene scheinbar zivilisiert und vernünftig sein können, können als Gruppe verrückt und irre handeln.
Das Geheimnis des Erfolgs in dieser Sache ist – wie bei allen anderen – Unterscheidungsvermögen (arab. Furqan). Diejenigen, mit denen wir Zeit verbringen, prägen unser Selbst. Sie werden einen auf ihr Niveau bringen – ungeachtet der eigenen Qualitäten –, bis man so wie sie wird. Das ist die unausweichliche Folge von Gesellschaft. Die Folgen sind schnell zu spüren und können innerhalb von Wochen beinahe permanent werden.
Wer vierzig Tage mit einer Gruppe verbringt, wird einer von ihnen. Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Männer folgen dem Din ihres engen Freundes. Also schaut genau hin, mit wem ihr euch anfreundet.“ Sind die Leute rechtschaffen oder handeln sie falsch? Verbringen sie ihr Leben mit nützlichen Dingen oder sinnloser Zeitverschwendung? Erinnern sie uns an unseren Herrn oder veranlassen sie uns zum Vergessen?
Es gibt in Wahrheit nur zwei Kategorien von Menschen: Diejenigen, die uns erheben und solche, die uns hinabziehen. Es gibt keine dritte Kategorie. Denn der Mensch ist immer im Wandel und steht niemals still. Beide ­Kategorien wurden vom Gesandten Allahs, Heil und Segen auf ihm, in einem bekannten Hadith beschrieben: „Das Gleichnis eines guten Gefährten und eines schlechten ist wie ein Parfumhändler und der Geselle eines Schmieds. Der Parfümhändler wird euch etwas davon geben, ihr kauft bei ihm oder ihr erfreut euch an seinem angenehmen Geruch. Der Schmied wird entweder eure Kleider ­verbrennen oder ihr leidet unter seinem abstoßenden Geruch.“
Der gute Gefährte ist derjenige, von dessen Gesellschaft man Nutzen zieht, selbst wenn er nichts für einen tut. Und der schlechte schädigt einen, selbst wenn er nichts gegen einen unternimmt. Die gute Gesellschaft erhebt uns und erinnert uns an Allah. Und das Maß, in dem sie das tut, ist das Kriterium, anhand dessen wir jeden beurteilen, dem wir begegnen. Es geschah nicht umsonst, dass Allah die Gläubigen als gegenseitige Freunde beschrieb. Der Prophet sagte: „Die Gläubigen sind füreinander wie die Klinker einer gut gemauerten Wand. Jeder stärkt den anderen.“
Sobald man die richtigen Menschen gefunden hat, soll man an ihrer Gesellschaft festhalten und sie niemals loslassen. Man sollte wissen, dass es zwei Arten von Gemeinschaft gibt – den breiteren sowie den inneren Kreis. Und der Mensch muss beide haben, um sicher zu sein. Wir brauchen die zweite Stufe der Dschama’at, um wirklich überleben zu können.
Dieser Kreis korrespondiert mit unserem gelebten Alltag. Es sind die Leute, mit denen wir tatsächlich regelmäßig Zeit verbringen. Solch eine Gruppe von Männern und Frauen muss in der Lage sein, sich aufeinander zu verlassen – durch dick und dünn, Überfluss und Hunger. Sie sind füreinander da – in den besten Zeiten und den schlimmsten. Solche Leute brauchen keine Katastrophen, um großzügig, liebend und menschlich zu sein. Sie sollten klar, offen und frei sein. Und es darf keinen Tratsch und keine üble Nachrede geben. In diesem Fall können wir nicht auf Erfolg hoffen. Im Nachwort seines Buches „The Entire City“ schreibt Schaikh Dr. Abdalqadir as-Sufi: „Entscheidend sind einige wenige Gefährten für Gesellschaft im Dunklen.“ Ein Kreis von „Männern und Frauen, die nicht durch Blut oder Rang verbunden sind, sondern eine geteilte Qualität des Lebens, die reine Anbetung des Herrn der Welt verlangt. Ein anhaltender Wettstreit unter seinen Mitgliedern“ in Großzügigkeit, Hilfe, Wachstum, Lernen und gegenseitiger Sorge.

Die Bundestagswahlen lassen einen Ruck durch das Parlament gehen. Nach rechts.

(iz/dpa). Deutschland hat gewählt. Und es geht ein Ruck durch die Parteienlandschaft, vor allem nach rechts.
Während die CDU mit knapp 32,9 % eines ihrer schlechtesten Ergebnisse seit der Gründung einfährt, kommt auch die SPD nur noch auf 20,5 %. Grüne und Linke erreichen jeweils knapp 9 % und verbessern sich nur leicht.
Zu den großen Gewinnern gehört die FDP, die mit 10,8 Prozent und einem Zuwachs von sechs Prozentpunkten wieder in den Bundestag einzieht. Aber auch die AfD feiert, denn sie verbesserte sich im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 auf 12,6 % und entsendet somit voraussichtlich 94 Abgeordnete in den Bundestag.
Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte in der Wahlnacht, sie sei mit den Ergebnissen zufrieden. Für Regierungsgespräche kommt für die CDU derzeit lediglich eine große Koalitioon mit der SPD in Frage oder die so genannte Jamaica-Koalition mit Grünen und Liberalen.
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sieht seine Partei jedoch in der Opposition. Am Sonntagabend sagte er, die SPD habe sich den Platz dort verdient. Auch viele Experten vermuten, dass die Sozialdemokraten nach der Wahlniederlage versuchen werden, sich in der Opposition neu zu formieren. Zudem solle verhindert werden, dass die AfD als drittstärkste Kraft Oppositionsführerin wird. Auch SPD-Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender Martin Schulz schwor die SPD auf die Oppositionsrolle ein: „Diesen Auftrag werden wir annehmen.”
„Hoffentlich kommt wenigstens bei der SPD der Warnschuss an”, sagte Sahra Wagenknecht von der Linken. „Es wäre super, wenn sie in die Opposition gehen und sich da mal regenerieren.” Dieses Anliegen dürfte in Erfüllung gehen – doch für die Linke wird es so in den kommenden vier Jahren nicht leichter. Bisher war sie Oppositionsführerin und Wagenknecht die wortgewaltigste Gegnerin der Kanzlerin im Bundestag. Nun ruft sie aus: „Wir werden der soziale Oppositionsführer bleiben.”
Die Rechtspopulisten sorgten bereits am Montagmorgen für Schlagzeilen, als die Parteivorsitzende Frauke Petry auf der Pressekonferenz verkündete, nicht zur AfD-Fraktion gehören zu wollen. Mit ihrem Direktmandat ist es ihr möglich, als fraktionslose Abgeordnete im Bundestag zu sitzen.
„Ich hätte mir auch gewünscht, dass auch der nächste Deutsche Bundestag ohne eine rechtspopulistische Fraktion zusammengetreten wäre”, sagte Bundestagspräsident Lammert. „Aber Wahlen finden nicht statt, um den Erwartungen von etablierten Parteien Raum zu verschaffen, sondern um den Erwartungen der Wähler Ausdruck zu geben.” Das Ergebnis für die große Koalition nannte Lammert „ernüchternd”.
Die Badische Zeitung schreibt, das starke Abschneiden der AfD sei auch ein Bruchmit den Werten „Weltoffenheit, Liberalität, Toleranz”, die von den Wählern als „Heuchelei sogenannter Altparteien” gewertet würden. Auch die Süddeutsche Zeitung attesiert der CDU und der SPD Unfähigkeit, die „Unzufriedenheit der Wähler zu einer Wechselstimmung anzufachen”. Die Zeit hingegen schreibt: „Man vergleiche dieses Wahlergebnis bloß mit den jüngsten Wahlen in den USA, Frankreich, Polen oder England. Die Wahlkämpfe unserer Nachbarn und Verbündeten waren von harten ideologischen Konflikten geprägt und hatten meist den Austausch der politischen Elite zur Folge. Verglichen damit ist Deutschland ein Hort der Stabilität.”
Aus dem Ausland kommen vorrangig Gratulationen zu Merkels Wahlsieg. Frankreichs Präsident Macron betonte, dass die Zusammenarbeit beider Länder dadurch nur weiter gestärkt werde. In ihren Beglückwünschungen lobten europäische Staatschefs die Bundeskanzlerin vor allem für die Stabilität, für die sie stünde.
Die Zeitung Corriere della Sera aus Italien schreibt jedoch: „Instabil. So hat sich Deutschland, wider Erwarten, gestern Abend enthüllt.” Auch andere Pressestimmen aus dem Ausland titeln von einem Versagen der bisherigen Regierung. Für die BBC ist Merkels Wahlgewinn kein „Sieg”. Der französische Le Figaro titelt, Merkel habe sich in den Geschichtsbüchern als „Mutti der AfD” befleckt.
 

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Europas Muslime: Loyalität trotz verbreiteter Diskriminierung

Wien (dpa). Die meisten Muslime fühlen sich trotz mancher Anfeindungen einer Umfrage zufolge in der EU zu Hause. 76 Prozent der Befragten hätten ein starkes Zugehörigkeitsgefühl zu dem Land, in dem sie lebten, geht aus einer am 21. September veröffentlichten Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) hervor. Ihr Vertrauen in öffentliche Einrichtungen sei sogar höher als das der Allgemeinbevölkerung. Allerdings sei dieses Vertrauen zum Beispiel in die Arbeit von Polizei und Justiz bei den jüngeren Muslimen weniger ausgeprägt als bei den älteren.
„Die Ergebnisse unserer Erhebung zeigen, dass es vollkommen lächerlich ist, zu behaupten, Muslime wären in unseren Gesellschaften nicht integriert“, erklärte FRA-Direktor Michael O’Flaherty. Jeder Fall von Hass und Diskriminierung erschwere aber ihre Einbindung. Ohne Offenheit der Einheimischen bestehe die Gefahr, ganze Bevölkerungsgruppen zu entfremden, so Flaherty.
In der oft diskutierten Frage zur Einstellung von Muslimen gegenüber Gewalt gibt die Umfrage eine zunächst recht deutliche Antwort: 87 Prozent lehnen Gewalt als Reaktion auf rassistische oder religiöse Beleidigungen als „niemals akzeptabel“ ab. Aber elf Prozent finden Gewalt in diesem Zusammenhang „manchmal“ oder „immer“ akzeptabel. Unter den Nichtmuslimen ist die Ablehnung von Gewalt aus religiösen Gründen deutlich stärker ausgeprägt.
Der FRA-Bericht ist Teil einer Umfrage im Jahr 2016 unter 25 500 Migranten und Angehörigen von Minderheiten in allen 28 EU-Staaten. 10 500 von ihnen waren muslimische Zuwanderer.
Von den Muslimen haben laut Umfrage 39 Prozent aufgrund ihrer Herkunft Diskriminierung, Belästigung oder Gewalt erlebt. Das gelte vor allem für die Wohnungs- und Arbeitssuche sowie für Arztbesuche. Jeder dritte Befragte erzählte, dass er bei der Jobsuche schlechte Erfahrung gemacht habe. Opfer von Diskriminierung seien vor allem Menschen aus Afrika.
Im Vergleich zu einer ähnlichen Umfrage vor zehn Jahren habe sich nichts gebessert, bilanzierte die FRA. Gerade in Deutschland sei die Lage für Zuwanderer speziell aus Afrika nicht einfacher geworden. Rund die Hälfte der Befragten gab an, in letzter Zeit aus rassistischen Gründen schikaniert oder diskriminiert worden zu sein.
Die Umfrage berücksichtigt nicht die seit 2015 herrschende Migration. Die Befragten mussten mindestens ein Jahr in der EU in einem privaten Haushalt leben. Sie stammten aus der Türkei, Afrika und Asien. Insgesamt leben in der EU rund 20 Millionen Muslime, fast die Hälfte davon in Frankreich und Deutschland.
Die EU-Agentur spart nicht mit Kritik an letztlich halbherzigen Integrationsplänen europäischer Staaten. Zwar habe fast jedes Land eine Strategie bei der Integration und erwarte eine deutliche Anpassung an seine Werte. Zugleich eröffneten sich gerade für die junge Zuwanderer aber kaum wirkliche Möglichkeiten der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. «Das Schaffen eines Zugehörigkeitsgefühls wird das Zusammenleben beflügeln», heißt es in dem Bericht.