,

Wie die Parteien zum Islam stehen

(iz). Auf der Webseite der Deutschen Islamkonferenz (DIK) schreibt die 62-jährige Politologin Jytte Klausen, dass Muslime im Durchschnitt stärker zu konservativen Haltungen als die Mehrheitsbevölkerung neigten. Zum Teil fänden muslimische Verbände bei Themen wie Abtreibung, den Rechten von Homosexuellen oder der Bioethik Gemeinsamkeiten mit anderen religiösen Vereinigungen und Lobbygruppen.
Derzeit stünden jedoch, sagt die dänische Professorin, sozio-ökonomische Themen im Vordergrund, sodass die Mehrheit der Muslime im Allgemeinen für Mitte-Links-Parteien stimmte.
Etwa 4 Millionen Muslime in Deutschland
Da die deutschen Meldeämter und Statistiken Muslime nicht nach ihrer Religionszugehörigkeit, sondern unter der Rubrik „Verschiedene“ aufnehmen, beruhen Zahlenangaben über die Zahl ihrer Angehörigen nur auf Schätzungen. Aktuellere Prognosen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Zentralinstituts Islam-Archiv in Deutschland aus dem Jahr 2009 gehen von 4,25 Millionen Muslimen in der Bundesrepublik aus. Die Deutsche Islamkonferenz dagegen beziffert die Zahl der Muslime in Deutschland auf 3,8 bis 4,3 Millionen.
Die Berliner Soziologin Prof. Dr. Naika Foroutan ging im Januar 2016 auf einer Tagung in Osnabrück davon aus, dass sich diese Menge dank der Flüchtlingszahlen zumindest zeitweise um bis zu einer Million Menschen erhöhen könnte.
Nur Schätzungen bei der Zahl von wahlberechtigten Muslimen
Wie viele von den geschätzten etwa zwei Millionen eingebürgerten Muslimen das Wahlalter erreicht haben und wie viele von ihnen tatsächlich zur Wahlurne gehen, darüber gibt es keine gesicherten Daten. Jytte Klausen vermutet, dass es mehr als eine halbe Million muslimische Wähler in Deutschland gibt. Das Statistische Bundesamt schätzte die Wahlberechtigten unter den deutschen Muslimen im Jahr 2009 vorsichtig auf 750.000. Demgegenüber ging das Soester Zentralinstitut Islam-Archiv noch im selben Jahr von etwa 1,1 Millionen muslimischen Wählerinnen und Wählern aus.
Nimmt man diese Zahl als Basiswert, dann machen deutsche Muslime bei einer Gesamtmenge von 61,8 Millionen Wahlberechtigten (2013) in Deutschland bescheidene 1,78 Prozent aus. Nicht so großzügige Berechnungen kalkulieren ihren Anteil bei 0,7 bis 1,1 Prozent.
Zünglein an der Waage
Dennoch umwerben deutsche Parteien muslimische Bevölkerungsanteile und erkennen sie als nicht zu unterschätzende potentielle Wähler an. Besonders dann, wenn, wie bei vielen Wahlen der jüngeren Vergangenheit, nur wenige Stimmen die Entscheidung über Erfolg, Koalitionen, Regierungsbildungen oder den Einzug in ein Parlament ausmachen können.
CDU
Die CDU Bundeszentrale richtete im Jahr 2010 ein „Netzwerk Integration“ ein, das derzeit von der türkischstämmigen, muslimischen Bundestagsabgeordneten Cemile Giousouf geleitet wird. Neben Fragen der Migrations- und Integrationspolitik setzt es auch einen Schwerpunkt auf das Thema „Islam in Deutschland“. Das Büro der Bundestagsabgeordneten Giousouf teilt in einer Stellungnahme für die Islamische Zeitung (IZ) mit: „Auf der Grundlage der Ergebnisse der Islamkonferenz haben wir uns in den vergangenen Jahren intensiv für die Einführung islamischen Religionsunterrichts in deutscher Sprache und von in Deutschland ausgebildeten Lehrern an öffentlichen Schulen und die Etablierung von Lehrangeboten in islamischer Theologie an deutschen Hochschulen eingesetzt.“ Außerdem weist Giousouf darauf hin, dass die Gruppe CDU2017, in der sich jüngere Unionspolitiker versammelt haben, sich für Reformen in der Partei einsetze. Diese habe sich im letzten Jahr mit einem Thesenpapier für ein besseres Islam-Verständnis in Deutschland stark gemacht. Dieses Papier aber vertrete nicht die Bundestagsfraktion, sondern nur die CDU2017-Mitglieder.
Der offizielle Ansprechpartner für Kirchen und Religionsgemeinschaften in der CDU/CSU ist jedoch Franz Josef Jung, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion. In dem im Dezember 2015 veröffentlichten Parteitagsbeschluss „Zusammenhalt stärken – Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten“ positioniert sich die CDU-Zentrale gegenüber Muslimen wie folgt:
Muslime sind Teil Deutschlands – „Die bei uns lebenden Muslime sind heute ein Teil Deutschlands. Dazu gehört inzwischen auch ein Islam, der auf der Basis unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung gelebt wird.“ Die CDU ist ferner für die Fortsetzung der Deutschen Islam Konferenz, „um das Verhältnis von Staat und Religion für den Islam zu gestalten“. In dem Positionspapier spricht sich die Partei zudem für die Religionsfreiheit aus und wendet sich gegen die in letzter Zeit stark ansteigende Islamfeindlichkeit: „Die Freiheit der Religionsausübung der Muslime in unserem Land muss gegen antimuslimische Tendenzen auch in Zukunft nachdrücklich verteidigt werden.“
Punktuelle Zusammenarbeit – In der Frage einer Kooperation mit Muslimen heißt es aus der CDU-Zentrale, dass es eine punktuelle Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen, beispielsweise zur Durchführung einer Veranstaltung nach den Anschlägen gegen das französische Satiremagazin Charlie Hebdo, gegeben habe. Des Weiteren wird erklärt: „Vertreter muslimischer Organisationen nehmen als Gäste an unseren Bundesparteitagen teil. Und unser Generalsekretär Dr. Peter Tauber ist, wie auch viele unserer Abgeordneten in ihren Wahlkreisen, regelmäßig während des Ramadans bei Fastenbrechen-Veranstaltungen zu Gast.“
Cemile Giousouf sagt einschränkend, dass es keine eigenständigen Projekte zwischen der Fraktion und muslimischen Organisationen gebe. „Aber wir sind immer bemüht muslimische Organisationen in relevanten Veranstaltungen zu berücksichtigen. Auch in den parteinahen Stiftungen, die Konrad Adenauer Stiftung in diesem Fall, werden diese möglichst weitgängig eingebunden.“
SPD
Anja Strieder, Sprecherin des SPD-Parteivorstands, erklärt auf Anfrage, dass auch Muslime, die sich als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten verstünden, natürlich und selbstverständlich zur SPD gehörten. Im Februar 2014 hätten sich daher muslimische SPD-Mitglieder mit Unterstützung des Parteivorstands zu einem Arbeitskreis Muslime in der SPD zusammengeschlossen.
Der Arbeitskreis wird von Lydia Nofal, Tuba Işık, Selma Yıldız-İlkhan, Atila Ülger und Mohamed Ibrahim geleitet. Er setzt sich unter anderem zum Ziel, sich „für die Belange der Musliminnen und Muslime in Deutschland einzusetzen“, ihnen eine Stimme zu geben, der „‘Muslimisierung’ allgemeiner gesellschaftlicher und sozialpolitischer Probleme“ entgegenzutreten und der Islamfeindlichkeit sowie antimuslimischem Rassismus entgegenzuwirken.
Muslime orientieren sich an Demokratie und Pluralität – Wie die Beauftragte der SPD-Bundestagsfraktion für Kirchen und Religionsgemeinschaften, Kerstin Griese, unserer Zeitung mitteilt, habe die Partei im Januar 2016 folgenden Beschluss gefasst: „Wir sehen den Islam als friedliche Religion, die Teil unseres Landes und unserer Gesellschaft ist.“ Ferner weist Griese auf folgende Position der Fraktion hin, die unter dem Eindruck der Vorfälle in Paris im November 2015 beschlossen wurde: „Insbesondere nach den brutalen Anschlägen in Paris (…) gibt es in der Bevölkerung große Sorgen und Verunsicherungen. Nun gilt es umso mehr, zusammenzustehen und sich von diesen menschenverachtenden Verbrechen nicht einschüchtern zu lassen. Dazu gehört auch, Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft nicht zuzulassen.“
Die religionspolitische Sprecherin betont außerdem, „dass wir uns nicht in einem Kampf zwischen Religionen und säkularer Gesellschaft und schon gar nicht in einer Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem Christentum befinden.“ Die allermeisten der vier Millionen in Deutschland lebenden Muslime, so Griese, fühlten sich als Teil Deutschlands und orientierten sich an den Grundwerten der Bundesrepublik, wie etwa Demokratie und Pluralität.
Gleichberechtigung für Religionsgemeinschaften – Griese, die in ihrer Funktion als Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften auch Ansprechpartnerin für Muslime ist, erklärt, dass sie in ihrer Position in regelmäßigem Austausch mit muslimischen Verbänden stehe. Sie setzt sich dafür ein, dass das Staatskirchenrecht im Sinne eines Religionsverfassungsrechts weiterentwickelt wird. Dabei betont sie eine „grundgesetzliche Offenheit für alle Religionsgemeinschaften“ sowie deren gesellschaftliche Gleichbehandlung. Außerdem erwähnt sie, dass die SPD mit Aydan Özoğuz die erste muslimische Staatsministerin in der Bundesregierung stelle. Özoğuz sei ebenfalls eine „wichtige Ansprechpartnerin für die Muslime in Deutschland“.
DIE LINKE
Christine Buchholz ist seit 2013 religionspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE und Ansprechpartnerin für muslimische Gemeinden und Verbände. Buchholz sagt, dass sie mit Sorge einen wachsenden antimuslimischen Rassismus in Deutschland und in Europa beobachte. „Seit den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 und dem sogenannten ‘Krieg gegen den Terror’ in Afghanistan, Irak und jetzt in Syrien werden von Politikern und Medien Vorurteile gegen Muslime geschürt und sie generell der Terrorunterstützung verdächtigt – auch um die Kriege zu rechtfertigen“, so die Politikerin.
Thilo Sarrazins Buch sei ein „Dammbruch für antimuslimischen Rassismus“ gewesen. Sarrazin habe Muslime zu Sündenböcken abgestempelt. Er unterstelle ihnen wahlweise Gewalttätigkeit, Rückständigkeit, Frauenfeindlichkeit und die Bildung von Parallelgesellschaften. DIE LINKE habe „diese rassistischen Behauptungen“ in der viel beachteten Broschüre „Thilo Sarrazins Rassismus und die Krise. Linke Argumente gegen rechte Hetze“ widerlegt.
Gemeinsam der rechten Hetze entgegentreten – Buchholz erklärt, dass rechte Bewegungen und Parteien wie Pegida, AfD, NPD und andere den Rassismus gegen Muslime verwenden, um ihre Organisationen aufzubauen. Der antimuslimische Rassismus diene dabei als „Brücke“ in die Mitte der Gesellschaft. „Muslimische Menschen, Migranten, Flüchtlingsheime und Moscheen werden immer häufiger Angriffsziele von rassistischer Gewalt.“ Laut Christine Buchholz müsse sich die Gesellschaft der rechten Hetze mit aller Kraft entgegenstellen.
Positionen der LINKEN zum Islam – Auf ihrem Parteitag im Jahr 2010 veröffentlichte DIE LINKE unter dem Titel „Für Solidarität und gegen antimuslimischen Rassismus“ einen Beschluss, in dem es heißt: „DIE LINKE kämpft gegen jede Form von Diskriminierung, Rassismus und Sündenbockpolitik. (…) DIE LINKE tritt für Religionsfreiheit und gleiche Rechte für alle Religionen ein. (…) DIE LINKE tritt gegen die Stilisierung des Feindbildes ‚Islam‘ ein und verteidigt das Recht auf freie Religionsausübung von Muslimen. Wir verteidigen das Recht aller Religionsgemeinschaften auf eigene Gebetshäuser, ob Synagogen, Moscheen oder Kirchen. Wir stellen Muslime und ihre Gemeinden nicht unter Generalverdacht. Wir arbeiten mit ihnen wie mit allen Bündnispartnern bei politischen Kampagnen zusammen, bei denen wir übereinstimmen. In Bündnissen geben wir die Eigenständigkeit als Partei DIE LINKE nicht auf. Die Partei DIE LINKE ist eine Partei, in der alle Menschen Platz haben, die die Programmatik teilen – unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion. In der LINKEN organisieren sich Atheistinnen und Atheisten und Anhängerinnen und Anhänger unterschiedlicher Religionen gemeinsam. (…)“
Für das Selbstbestimmungsrecht muslimischer Frauen – Das sei die Grundlage, auf der DIE LINKE arbeite. Diskussionen und unterschiedliche Ansichten gebe es in der LINKEN in der Frage, wie staatliche Neutralität gegenüber Religionsgemeinschaften ausgestaltet sein soll. Buchholz stellt dazu fest: „Ich spreche mich gegen ein Kopftuchverbot aus, weil es in die Religionsfreiheit eingreift. Im öffentlichen Dienst wird durch das Kopftuchverbot die Berufswahl von muslimischen Frauen eingeschränkt. Das ist Diskriminierung.“ Auch das Bundesverfassungsgericht sehe mittlerweile ein pauschales Kopftuchverbot nicht mit der Religionsfreiheit vereinbar. Das sieht die Politikerin genauso, „denn das Kopftuch ist ein Ausdruck der persönlichen Religionsfreiheit“. Die Kopfbedeckung sei nicht mit einem Kruzifix im Klassenzimmer vergleichbar. Buchholz bekräftigt demonstrativ: „Ich stehe ein für das Recht, Kopftuch zu tragen, überall.“
Kontakte mit muslimischen Religionsgemeinschaften – Als religionspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion steht Christine Buchholz in regelmäßigem Austausch mit den muslimischen Gemeinden und Organisationen zu Fragen wie Krieg und Frieden, Flucht, soziale Gerechtigkeit und Anstrengungen gegen Rassismus und gegen rechte Gewalt sowie Rechtspopulisten und Neonazis. Überdies haben Vertreterinnen und Vertreter der LINKEN sich an den bundesweiten Protesten gegen die Moscheeangriffe im September 2014 beteiligt und Diskussionen zum „Feindbild Islam“ veranstaltet. Die junge Abgeordnete aus Hamburg verweist zudem auf eine Broschüre der LINKEN zum Thema „Feindbild Islam“, die anlässlich einer Podiumsdiskussion beim Kirchentag 2010 erschienen ist. Die Publikation dokumentiere unter anderem die Positionen von Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime, und Stephan Kramer, dem ehemaligen Generalsekretär des Zentralrats der Juden, zum „Feindbild Islam“.
Buchholz räumt jedoch ein, dass auch viele Linke nicht frei von Vorurteilen gegenüber Muslimen seien. „Deshalb ist es wichtig, vor Ort aktiv Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte zu suchen und aufeinander zuzugehen.“ Besonders wichtig sei ihr heute, dass „wir gemeinsame breite Bündnisse aufbauen gegen rechte Parteien, die Flüchtlinge und Muslime stigmatisieren und das demokratische Zusammenleben bedrohen“. Die NPD und auch die AfD wollten unter dem Deckmantel des Nationalkonservatismus zu einer neuen Sammelbewegung für Neonazis werden. „Das müssen wir gemeinsam verhindern“, verlangt die 44-jährige Bundestagsabgeordnete.
Bündnis 90/Die Grünen
Als religionspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen war Volker Beck bis Anfang März, bevor er seine Ämter abgab, Ansprechpartner seiner Partei für alle Religionsgemeinschaften in Deutschland. Beck erklärte unserer Zeitung vorher, dass die Grünen in einem engen Austausch mit den muslimischen Verbänden und Organisationen in Deutschland stünden.
Kontroverses Positionspapier „Islam einbürgern“ – In Bezug auf die Positionen seiner Partei zum Islam und den Muslimen in Deutschland verweist der Kölner Politiker auf den Fraktionsbeschluss zur Integration des Islam in Deutschland sowie auf das mit seinem Parteikollegen Cem Özdemir ausgearbeitete Diskussionspapier vom November 2015: „Islam einbürgern“. Dort bekräftigen Özdemir und Beck, dass „selbstverständlich auch Muslime und Aleviten in Deutschland Religionsfreiheit“ genossen. Sie hätten das Recht, ihr Leben nach ihren religiösen Vorstellungen auszurichten, solange dies nicht im Konflikt zu den Grundrechten Dritter stehe.
Die vier großen muslimischen Organisationen (DITIB, Islamrat, Zentralrat der Muslime und VIKZ), die etwa 1800 der 2400 Moscheegemeinden in Deutschland vertreten, werden in dem Positionspapier als „religiöse Vereine und nicht als Religionsgemeinschaften“ betrachtet. (Siehe dazu den Beitrag: Hintergründe zum politischen Islam: Yasin Baş zu den pauschalen Bewertungen von Cem Özdemir und Volker Beck. Wieso sich die Grünen mit ihrem Islam-Papier vergaloppieren).
Roadmap zur Gleichstellung und Integration des Islam – In dem im Juli 2012 unter dem Titel „Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam“ veröffentlichten und nach wie vor aktuellen Beschluss der Fraktion wird folgendes festgehalten: „Die vier Millionen in Deutschland lebenden Menschen muslimischer Herkunft stellen fünf Prozent der Bevölkerung dar. Sie sind selbstverständlich Teil dieses Landes, seiner Kultur und Gesellschaft. Muslimas und Muslime möchten gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben in Deutschland teilhaben und sich aktiv einbringen: im karitativen und seelsorgerischen Bereich, in den Medien und in den Schulen. Daher unterstützen wir das Anliegen der Muslimas und Muslime, Religionsgemeinschaft(en) im Sinne und nach den Regeln des Grundgesetzes zu bilden.“
Glaubensgemeinschaften, die eine Anerkennung im Rahmen der vom Religionsverfassungsrecht bereitgestellten Kooperationsformen mit dem Staat anstreben, müssten eine klare Position zur Achtung der Grundrechte, zu Fragen wie dem Austritt aus der Religionsgemeinschaft, zur Selbstbestimmung der Frau oder zur Nichtdiskriminierung von Homosexuellen aufweisen.
Arbeitskreis grüne MuslimInnen – 2006 gründeten Mitglieder mit muslimischen Wurzeln in der Partei einen „Arbeitskreis grüne MuslimInnen“. Die Organisation ist schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen tätig. Ihre Sprecherinnen und Sprecher sind Hasret Karaçuban und Ali Baş. Der Arbeitskreis befasst sich mit allen Fragen rund um das Thema Muslime. Er erhebt den Anspruch, der Politik Lösungsmöglichkeiten für bestehende Probleme anzubieten.
FDP
Die FDP betont, dass das Grundgesetz und der demokratische Rechtsstaat die Gewissens- und Glaubensfreiheit sowie die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften garantieren. Die Liberalen bekräftigen: „Dabei sind wir uns der Bedeutung der Religionsgemeinschaften für den Zusammenhalt der Gesellschaft wohl bewusst. Diese beschränkt sich nicht auf die christlichen Kirchen. Religionen wie der Islam spielen heute in erheblichen Teilen der Bevölkerung eine vergleichbare Rolle.“
Kopftuchverbot im öffentlichen Staatsdienst – Im Gespräch mit unserer Zeitung unterstreicht FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer: „Die FDP setzt sich auch dafür ein, dass der Islam ein Teil Deutschlands ist, genauso wie das Christentum, Judentum und andere Religionen, die in unserem Land gelebt werden.“ Die FDP erkenne an, dass es „nicht nur einen Islam gibt, sondern viele Auslegungen der Religion – ebenso, wie es auch nicht nur eine christliche Kirche gibt.“
Theurer spricht sich dafür aus, dass es Muslimen ermöglicht werden solle, ihre Religion möglichst frei und ungezwungen zu leben. Dazu gehöre auch der Bau von Moscheen, die Einrichtung von muslimischen Organisationen und anderen Versammlungsorten, das Recht auf Beschneidung der Jungen und auf das Schächten von Nutztieren zum Verzehr. „Frauen und Mädchen sollte es möglich sein, ein Kopftuch zu tragen und auch mit einem Kopftuch allen Berufen nachzugehen“, so Michael Theurer.
Eine Ausnahme für das Tragen religiöser Symbole bilde der Staatsdienst. „Wenn jemand im Auftrag eines weltanschaulich neutralen Staates auftritt, so ist auch er zur Neutralität verpflichtet – egal, welcher Religion er angehört. So wie sich die FDP gegen das Aufhängen von Kruzifixen in Klassenräumen ausgesprochen hat, ist sie auch gegen das Tragen von Kopftüchern durch Lehrkräfte“, bekräftigt das Präsidiumsmitglied der FDP und fügt an, dass es an hohen islamischen Feiertagen für Beamte und Angestellte kein Problem sein dürfe, vom Arbeitgeber beurlaubt zu werden. Im Gegenzug könnten die muslimischen Beamten und Angestellten beispielsweise an christlichen Feiertagen zum Einsatz kommen.
Forderungen der FDP an die Muslime in Deutschland – Auf der anderen Seite fordert die FDP von „unseren muslimischen Mitbürgern eine tolerante Haltung gegenüber den anderen existierenden Religionen in Deutschland und gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften“. Von der Pressestelle der liberalen Partei wird verlautbart, dass in Deutschland „kein Widerspruch zwischen islamischem Recht (zum Beispiel in den Hadithen) und deutschem Recht geduldet“ werde.
Der 49-jährige Theurer lässt darüber hinaus durch den FDP-Pressesprecher mitteilen, dass „keine Versionen des Islam geduldet werden (wie beispielsweise der Wahhabismus oder Salafismus), die unseren Grundwerten widersprechen“. In diesen Fällen müsse der deutsche Rechtsstaat dagegen vorgehen und im Extremfall auch Menschen ausweisen. „Auch die Übertragung mancher Fernsehkanäle via Satellit, wie beispielsweise Al-Manar, sehen wir kritisch, da dort regelmäßig zum religiösen Hass und Unfrieden aufgerufen wird“, stellt Theurer klar.
Aus früheren Versäumnissen lernen – Der baden-württembergische Politiker, der die FDP auch im Europaparlament vertritt, weist auf frühere Versäumnisse hin und fordert daher in Zukunft mehr Engagement in Bezug auf den Islam: „Institutionen zur Ausbildung von Imamen und islamischen Religionslehrern bereichern dabei nicht nur unsere Hochschullandschaft, sie sichern auch eine dauerhaft hohe Qualität des an staatlichen Schulen abzuhaltenden islamischen Religionsunterrichts und der ebenfalls zu stärkenden islamischen Anstaltsseelsorge.“
Die Öffnung der Anstaltsseelsorge und des Religionsunterrichts für den Islam sei zum einen verfassungsrechtlich geboten und zum anderen diene sie durch ihre integrative Kraft dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Präsidiumsmitglied der Liberalen spricht sich zudem für eine Mitwirkung islamischer Gemeinschaften an der nicht unwichtigen Erarbeitung von Lehrplänen für den islamischen Religionsunterricht aus.
Anerkennung einzelner Verbände, aber kein Alleinvertretungsanspruch – Die Verleihung des Status einer Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz für islamische Organisationen möchte Theurer nicht als rein symbolische Anerkennung gedeutet wissen. Hilfreicher sei es, so der Politiker, den Islam tatsächlich in das Bildungs- und Sozialwesen einzubinden. „So lange eine klare Struktur fehlt, ist es der richtige Weg, einzelne Gemeinschaften anzuerkennen und einzubinden. In Achtung vor dem Individuum darf einem Allvertretungsanspruch einzelner Organisationen, die tatsächlich nur einen Teil der Moslems vertreten, nicht nachgegeben werden.“
Radikalisierung verhindern, liberale Muslime stärken – Zuletzt betont die FDP, dass, wenn das Zusammenleben zwischen Muslimen und anderen Religionen sowie nicht-gläubigen Menschen in Deutschland gut funktionieren solle, unbedingt die „Radikalisierung von Teilen der muslimischen Bevölkerung in Deutschland“ mit allen Mitteln verhindert werden müsse. Zugleich bedeute das „eine Unterstützung der liberalen Kräfte innerhalb des Islam“.
CSU
Im Sommer letzten Jahres wurde der Arbeitskreis Migration und Integration gegründet, der eine aktive Gesellschaftspolitik betreiben, Vorurteile abbauen und mehr Menschen mit Migrationsgeschichte an das politische Leben in Bayern heranführen will. Der neugegründete Arbeitskreis ist aktuell dabei, sich sowohl strukturell als auch inhaltlich aufzustellen und hat mit der Erarbeitung entsprechender Positionspapiere, darunter auch zum Thema „Islam“, bereits begonnen. Sie erreichen den Arbeitskreis unter mig@csu-bayern.de. Der Landesvorsitzende ist Ozan Iyibas, der selbst alevitische Wurzeln hat.
Forderungen der CSU an Muslime in Deutschland – Als CSU erwarten wir von Menschen, die zu uns kommen, dass Sie sich integrieren und unser Grundgesetz und unsere Regeln des Zusammenlebens akzeptieren und wertschätzen. Diese Grundregeln des gelingenden Miteinanders in der offenen Gesellschaft richten sich an uns alle, sollen ein Zusammenleben gewährleisten und das ist unsere bürgerliche Leitkultur. Unter Leitkultur ist zu verstehen:
· Deutsch ist die Sprache des öffentlichen Lebens und das Tor zur Integration
· Das christlich-jüdische Wertefundament ist für unser Zusammenleben bindend
· Religionsfreiheit ist nicht schrankenlos
· Kulturelle Traditionen und Freiheiten müssen respektiert werden
· Alltägliche Umgangsformen sind Ausdruck von Respekt
· Unser solidarisches Zusammenleben besteht aus Rechten und Pflichten
Für uns als CSU gehört eine erfolgreiche Integration von Menschen mit Migrationshintergrund – unabhängig ihrer Herkunft oder Religion – zu den zentralen Aufgaben der Zukunft. Hierbei ist uns wichtig, die in Bayern oder Deutschland geborenen Muslime oder anderer Religionszugehörigkeit auf der Grundlage unseres Rechtsstaates und unserer Werte zu integrieren. Parallelgesellschaften treten wir entschieden entgegen und werden alles daran setzen, diese zu verhindern, um auch künftig ein friedliches Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen und religiösen Hintergründen zu gewährleisten.
Bayerisches Integrationsgesetz – Die Bayerische Staatsregierung hat mit dem Bayerischen Integrationsgesetz, das unter http://www.bayern.de/wp-content/uploads/2016/02/160223_BayIntG_FassungMinisterrat.pdf zur Verfügung steht, erstmals die Leitplanken für gelingende Integration festgelegt. Hierbei sind sieben Punkte zentral:
1.  Das Erlernen der deutschen Sprache
2.  Regelung von Landesleistungen
3.  Eine ausgewogene Siedlungs- und Bewohnerstruktur
4.  Die Achtung unserer Rechts- und Werteordnung
5.  Das Verbot, die verfassungsmäßige Ordnung zu unterlaufen
6.  Eigene Kompetenzen öffentlicher Einrichtungen
7.  Das Gesetz verankert ausdrücklich das Amt des Integrationsbeauftragten und den Bayerischen Integrationsrat.
AfD
Unsere Zeitung war ebenso an den Positionen der AfD zum Thema Islam und den Muslimen in Deutschland interessiert. Die Parteizentrale und das Pressebüro waren jedoch trotz mehrfacher schriftlicher Anfrage zu keiner Stellungnahme bereit.
Derzeit kaum Chancen für muslimische Parteien
Die politischen Parteien in Deutschland nehmen die Muslime durchaus ernst und vertreten bis auf die AfD offizielle Positionen in Bezug auf den Islam und die Muslime in Deutschland. Dies zeigt sich auch daran, dass nahezu alle Parteien einen direkten Ansprechpartner oder einen Beauftragten für Religionsgemeinschaften haben. Das Themenfeld findet überdies Erwähnung in den Parteitags- und Programmbeschlüssen. Des Weiteren engagieren sich muslimische Parteimitglieder und Mandatsträger in speziellen Plattformen und Arbeitsgemeinschaften in ihren jeweiligen Parteien oder parteinahen Stiftungen. Kontakte und Kooperationen mit islamischen Organisationen oder muslimischen Multiplikatoren sind ebenfalls – wenn auch meist nur sporadisch – vorhanden.
Die deutschen Parteien sind sich bewusst, dass sie mit Hilfe der Wahlstimmen von den deutschen Muslimen Urnengänge für sich entscheiden, Koalitionen eingehen oder etwa, was derzeit besonders für die FDP gilt, die Fünf-Prozent-Hürde überwinden können. Muslimische Formationen haben in Deutschland im Moment noch keine Chance, was auch daran liegen mag, dass Politikerinnen und Politiker mit islamischer Identität weitestgehend einen Platz in einer der großen Parteien finden können.
Ob dies auch langfristig bestehen bleibt, wird sich zeigen und liegt auch daran, wie sich die deutschen Parteien in Zukunft gegenüber dem Islam und den Muslimen in Deutschland positionieren. Menschen mit muslimischer Identität können in jeder politischen Partei eine Heimat finden. Sie können dabei behilflich sein, den Horizont bestimmter Parteien positiv mitzugestalten und zu erweitern. Die deutsche Politik braucht noch mehr engagierte Muslime, die unser Land mitformen und verbessern.
Zum Autor: Yasin Baş ist Politologe, Historiker, Autor und freier Journalist. Zuletzt erschienen seine Bücher: „Islam in Deutschland – Deutscher Islam?” sowie „nach-richten: Muslime in den Medien”.

,

Vom Abendland, den Muslimen und den Kirchen

„Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ – dieser Satz des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff bietet immer noch Stoff für Diskussionen. Auch die AfD greift ihn auf. Allerdings in negativer […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

Gerechtigkeit für Srebrenica?

Im Juli 1995 stürmen serbische Einheiten die UN-Schutzzone Srebrenica. Sie ermorden 8.000 Jungen und Männer. 21 Jahre nach dem Völkermord hört der Hauptangeklagte sein Urteil: Radovan Karadzic.
Den Haag (dpa). Den 21. Juli 2008 wird Serge Brammertz nie vergessen. An jenem Tag wurde Radovan Karadzic gefasst, 13 Jahre nach Ausstellung des ersten Haftbefehls. „Es war ein wichtiger Moment auf dem Weg zur Gerechtigkeit für die Opfer“, sagt der 54 Jahre alte Chefankläger des UN-Kriegsverbrechertribunals zum früheren Jugoslawien in Den Haag.
Karadzic gilt als einer der Hauptschuldigen für das schlimmste Verbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg – den Völkermord von Srebrenica von 1995. Für Chefankläger Brammertz ist Karadzic „der politische Architekt des Massenmordes“.
Fast 21 Jahre später werden die Richter an diesem Donnerstag über ihn urteilen. Die Anklage lautet auf Völkermord in zwei Fällen: Die gezielten Angriffe auf Muslime in bosnischen Städten wie Sarajevo und der Massenmord von Srebrenica. „Beides ist symbolisch für das Entsetzliche, zu dem Menschen fähig sind, um ihre politischen Ziele zu erreichen“, sagt der belgische Jurist.
Vier Jahre dauerte der Bosnien-Krieg. Er kostete mehr als 100 000 Menschen das Leben. Bei der mehr als 44 Monate dauernden Belagerung von Sarajevo wurden mindestens 10.000 Menschen getötet. Und dann Srebrenica: Im Juli 1995 hatten serbische Einheiten unter General Ratko Mladic die damalige UN-Schutzzone überrannt und etwa 8.000 muslimische Jungen und Männer ermordet.
Der Prozess gegen Mladic in Den Haag wird in diesem Jahr enden. Das Urteil wird im nächsten Jahr folgen. Mit den beiden großen Srebrenica-Prozessen wird auch die Arbeit des UN-Tribunals enden.
Immer wieder hatten Zeugen vor den Richtern in Den Haag die Taten geschildert. Nur wenige Männer hatten die Massaker überlebt, weil sie sich tot gestellt und unter der Leichenbergen verborgen hatten. Bilder von den Massengräbern wurden gezeigt. Die Leichen waren zerstückelt und an verschiedenen Orten begraben worden. Erst im Dezember 2015 war erneut ein solches Massengrab entdeckt worden – verborgen unter einer Mülldeponie.
Für die Anklage ist erwiesen: Karadzic, Mladic und auch der Ex-Staatspräsident von Jugoslawien, Slobodan Milosevic, hatten diese Verbrechen geplant und organisiert. Doch Milosevic starb vor zehn Jahren in seiner Zelle an einem Herzinfarkt, noch vor dem Urteil.
Nur wenige hundert Meter Luftlinie vom Tribunal entfernt aber wurde Milosevic posthum vom Vorwurf des Völkermordes freigesprochen. Zumindest wurde das Urteil der höchsten Richter der Vereinten Nationen im Friedenspalast von 2007 so interpretiert. Der Internationale Gerichtshof hatte das Massaker in der ostbosnischen Enklave zwar eindeutig als Völkermord klassifiziert. Serbien habe dies nicht verhindert. Dennoch kamen die Richter zu dem umstrittenen Urteil: „Das Gericht erklärt mit 13 zu 2 Stimmen, dass Serbien keinen Völkermord verübt hat.“
Trotz aller Prozesse und Urteile aber bleibt Srebrenica ein schwarzes Kapitel auch für die UN und besonders die Niederlande. Denn auch die Staatengemeinschaft hatte den Völkermord nicht verhindert, und niederländische UN-Blauhelmsoldaten hatten sich den Truppen von Mladic kampflos ergeben.
Als politisch Verantwortlicher aber – so ist die Erwartung – dürfte Karadzic schuldig gesprochen werden, mehr als sechs Jahre nach Beginn des Prozesses. Der 70 Jahre alte Psychiater, Dichter und selbst ernannte Staatsmann hatte sich selbst verteidigt und im Gerichtssaal eine neue Bühne gefunden. „Er war nicht der schlechteste Verteidiger“, räumt Brammertz anerkennend ein. „Er hat alles herausgeholt, was für ihn drin war.“
Es war ein Prozess der Superlative. Mehr als 800.000 Seiten Gerichtsakten, 586 Zeugen, 497 Sitzungstage. Das Urteil erfolgt fast 21 Jahre nach dem Massenmord. „Es hat viel zu lange gedauert“, sagt Brammertz. Aber das Urteil sei der Beweis, dass auch die höchsten Politiker zur Rechenschaft gezogen würden.
Doch ist damit auch der Gerechtigkeit genüge getan? Der Chefankläger schüttelt den Kopf. „Zu viele Täter laufen noch frei herum.“ Und Serbien tue viel zu wenig, um die Geschichte aufzuarbeiten. „Es gibt immer noch Politiker, die den Genozid leugnen. Wie soll es da jemals zu einer Aussöhnung kommen?“

Lecks, Dürren, Terror

120 Liter Wasser verbraucht jeder Deutsche pro Tag. Duschen, Kochen oder Waschen: Der Hahn wird ohne großes Nachdenken aufgedreht. Durch weltweiten Wassermangel könnte sich die Lage dramatisch verändern.
Bonn (KNA). 2.000 Liter Wasser sind nötig, bevor ein Rindersteak auf dem Teller landet, 20 Liter für 100 Gramm Gemüse. Die Landwirtschaft verbraucht 70 Prozent des weltweit genutzten Wassers; in den am wenigsten entwickelten Ländern liegt die Quote sogar bei 90 Prozent. Im Kontrast dazu stehen die 750 Millionen Menschen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. Ende des Jahrhunderts könnten es nach aktuellen Prognosen zwei Milliarden sein.
Besonders stark betroffen sind Länder in Afrika, Asien oder Lateinamerika. Sie kämpfen schon lange mit Dürren oder Überschwemmungen. Derzeit trifft es Äthiopien besonders hart; das Land am Horn von Afrika durchlebt wegen des Wetterphänomens El Nino schon das zweite Dürrejahr in Folge. Laut einem Bericht des Magazins „Science Advances“ leiden weltweit vier Milliarden Menschen mindestens in einem Monat des Jahres unter Wasserknappheit, fast die Hälfte von ihnen in China und Indien.
Der diesjährige Weltrisikobericht des Weltwirtschaftsforums nennt die Wasserkrise als eine der größten Gefahren des kommenden Jahrzehnts. Auf die Zusammenhänge zwischen Wasserknappheit und Fluchtbewegungen haben Wissenschaftler wiederholt hingewiesen. Und auch auf wirtschaftlicher Ebene ist Wassermangel eine Bedrohung, warnt jetzt die Unesco: Er könnte in den kommenden Jahren zur Stagnation des Wachstums und zum Verlust von Arbeitsplätzen führen.
Über zwei Drittel der weltweiten Arbeitsplätze hängen von der Ressource Wasser ab. Das geht aus dem aktuellen Weltwasserbericht hervor, den die Unesco am morgigen Dienstag in Genf vorstellt. Und der Wassersektor soll weiter anwachsen – zum Beispiel, um Menschen in Bangladesch, Benin oder Kambodscha den Zugang zu sauberem Wasser zu ermöglichen.
Durch Bevölkerungswachstum, Klimawandel und steigende Lebensstandards wächst zugleich jedoch der Druck auf die Süßwasservorräte, so die Unesco. 2050 werden laut Schätzungen rund neun Milliarden Menschen auf der Erde leben. Der Bedarf an Nahrungsmitteln soll im selben Zeitraum sogar um 70 Prozent steigen. „Wassermangel ist aufgrund dieser Entwicklungen eine akute Bedrohung. Eine neue Ressourcennutzung ist erforderlich, beispielsweise durch das Recyclen von Abwässern oder eine bessere Regenwassernutzung“, mahnt die Unesco.
Doch teils wird der Kampf ums Wasser mit voller Absicht verschärft. In Syrien und im Irak hat die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) strategisch bedeutsame Wasserressourcen und weite Teile der Wasser-Infrastruktur unter ihre Kontrolle gebracht. Zeitweise haben die Terroristen bereits einzelne Städte von der Strom- und Wasserversorgung abgeschnitten oder aber mit gezielten Überflutungen ganze Ernte- und Nutztierbestände vernichtet.
Der schwedische Nahost-Experte Anders Jägerskog erklärte unlängst im Magazin des Stockholm International Water Institute (SIWI), die Lage habe sich verschlimmert durch die Weigerung der syrischen Regierung, in Wasser-Infrastruktur zu investieren.
Greifbar wird die Bedrohung auch für Europa, wenn der Politikwissenschaftler Tobias von Lossow über eine weitere Möglichkeit spricht, Wasser als Waffe einzusetzen: durch Verunreinigung oder Vergiftung. Aus mehreren Orten in Nahost gab es bereits Berichte über vergiftetes Trinkwasser, und der IS hält seine Anhänger dazu an, dem Beispiel andernorts zu folgen. Ein Anschlag auf die Wasserversorgung der kosovarischen Hauptstadt Pristina konnte im vergangenen Sommer nur knapp verhindert werden.
Zudem haben die Industrieländer selbst im Umgang mit der Ressource einigen Nachholbedarf. 30 Prozent des Wassers, das dem weltweiten Kreislauf entnommen wird, geht durch Lecks verloren. In London liegt die Verlustquote bei 25, in Norwegen bei 32 Prozent.
In der Erneuerung solch alternder oder ineffizienter Infrastruktur sieht die Unesco unterdessen eine Chance. Die Wasser-Branche werde dadurch künftig wachsen – auch durch den steigenden Bedarf der Industrie, zum Beispiel im Bereich der erneuerbaren Energien. Hier ist Deutschland bislang ein Vorreiter: Schon 2014 war es eines der Länder mit den meisten Beschäftigten in diesem Sektor.

Blutige Strategie des Terrors

Die Sicherheitslage in der Türkei bleibt angespannt. Nun kam es erneut zu einer Explosion in der Metropole Istanbul. Ihr Gouverneur, Vasip Sahin, spricht von einem Selbstmordanschlag.
Istanbul (dpa/IZ). Bei einem Selbstmordanschlag im Zentrum der türkischen Metropole Istanbul sind mindestens fünf Menschen getötet und eine Vielzahl verletzt worden, teilte der Sahin am Samstag mit. Zum Hintergrund des Anschlags machte er keine Angaben. Es werde ermittelt. Die Nachrichtenagentur Anadolu bestätigte die Angaben in einer Meldung vom heutigen Morgen.
In der Nähe des Explosionsortes befindet sich ein Einkaufszentrum. Hubschrauber kreisten über dem Unglücksort, Rettungswagen rasten zur Detonationsstelle. Die Polizei sperrte die Einkaufsstraße Istiklal weiträumig ab, wie ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur berichtete.
Die oberste Aufsichtsbehörde der Türkei für Radion und Fernsehen ordnete unterdessen eine befristete Nachrichtensperre für Bilder und Videoaufnahmen vom Anschlagwort an. Dazu gehörten Liveaufnahmen vom Anschlag, danach sowie Bilder von Opfern.
Das Auswärtige Amt forderte deutsche Staatsbürger in Istanbul auf, in ihren Hotels zu bleiben und auf weitere Informationen zu warten. Am Donnerstag hatte das Ministerium geraten, die Umgebung des Generalkonsulats zu meiden. Die diplomatische Vertretung befindet sich ebenfalls in dem Bezirk Beyoğlu. Außerdem wurde die deutsche Schule geschlossen, die sich in einer Nebenstraße der İstiklal Caddesi befindet, etwa einen Kilometer entfernt vom Ort der Explosion.
Erst vergangenen Sonntag gab es einen Anschlag in der Hauptstadt Ankara mit 37 Toten, zu dem sich eine Splittergruppe der verbotenen Terrororganisation PKK bekannte. Die Tat sei eine Vergeltung für die „Massaker in Kurdistan“, hatte die Gruppe in ihrem Bekennerschreiben mitgeteilt und zugleich neue Anschläge angekündigt. Die türkische Armee geht seit Monaten in einer Militäroffensive gegen die PKK im Südosten der Türkei vor.

,

Ein Groß-Imam auf Reisen

‘Abdullah ibn Al-Mubarak sagte: „Der Anfang des Wissens ist Absicht, dann Zuhören, dann Verstehen, dann Handlung, dann Bewahrung und dann Verbreitung.“ (zitiert nach Qadi ‘Ijad, Tartib Al-Madarik) (iz). In einem […]

IZ+

Weiterlesen mit dem IZ+ (Monatsabo)

Mit unserem digitalen Abonnement IZ+ (Monatsabo) können Sie weitere Hintergrundbeiträge, Analysen und Interviews abrufen. Gegen einen Monatsbeitrag von 3,50 € können Sie das erweiterte Angebot der Islamischen Zeitung sowie das ständig wachsende Archiv nutzen.

Abonnenten der IZ-Print sparen beim IZ+ Abo 50%.

Wenn Sie bereits IZ+ Abonnent sind können Sie sich hier einloggen.

* Einfach, schnell und sicher bezahlen per Paypal, Kredit-Karte, Lastschrift oder Banküberweisung. Das IZ+ Abo verlängert sich automatisch um einen Monat, wenn es nicht vorher gekündigt wurde. Sie können ihr bestehendes Abo jederzeit auf der Mein Konto-Seite kündigen.

Wer, wenn nicht wir?

Kerpen (IGMG). „Gestatten, Muslim.“, die Straßen-Begegnungsaktion der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) wurde am 12.03.2016 erfolgreich durchgeführt. In acht Ländern und an 132 Ständen haben Muslime mit 130.000 Bürgerinnen und Bürger Gespräche geführt und für mehr Miteinander geworben.
„Wir sind sehr erfreut über die durchweg positive Resonanz. Die Aktion ‘Gestatten, Muslim.’ war auch in diesem Jahr sehr erfolgreich. Sowohl von den teilnehmenden IGMG-Gemeindemitgliedern als auch von den Bürgerinnen und Bürgern haben wir tolles Feedback bekommen”, erklärte Bekir Altas. Altas ist Generalsekretär der IGMG. Unterstützt wurde die Aktion in diesem Jahr von zahlreichen Lokal- und Landespolitikern.
„Gestatten, Muslim.“ ist als ein einfaches, unbekümmertes Angebot zum Gespräch konzipiert. Es soll den Menschen eine Gelegenheit geben, ihre muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Ort kennenzulernen. „Dieses Ziel haben wir erreicht. Die Menschen haben die Gelegenheit bekommen, Fragen zu stellen und über etwaige Vorurteile und Ängste zu reden“, sagte Altas und fragt: „Wer, wenn nicht wir, müssen diese mit abbauen?“
Die Aktion “Gestatten, Muslim.” fand in diesem Jahr zum zweiten Mal statt. 2015 wurde die Aktion an über 100 Standpunkten in fünf Ländern durchgeführt. 61.000 persönliche Gespräche wurden gezählt. „Ich freue mich, dass wir den großartigen Erfolg aus dem vergangenen Jahr verdoppeln konnten. Vielen Dank daher an alle, die an dieser tollen Aktion mitgemacht haben.“
Initiiert und konzeptioniert wurde die Aktion von der IGMG, durchgeführt wurde sie von den europaweit über 500 Moscheegemeinden vor Ort. Neben mehreren europäischen Ländern und Australien fand die Aktion in Deutschland unter anderem in den Städten Berlin, Hamburg, Bremen, Hannover, Dortmund, Düsseldorf, Köln, Frankfurt a.M., Stuttgart und Nürnberg statt.

Beiträge zur Psychopolitik

„Jedenfalls sollte nun dem Letzten klar sein, dass die Stunde für die Solidarität zwischen den Muslimen gekommen ist. Not würde nun zum Beispiel eine überzeugende, gemeinsame Strategie gegen die islamophobe Tendenzen der Gesellschaften tun.“
(iz). Nüchtern betrachtet hat bundesdeutsche Landespolitik in den letzten Jahren einiges an Bedeutung verloren, denn viele Entscheidungsebenen sind in Zeiten der „Krisen“ längst nach Brüssel und Berlin verlagert worden. Am jüngsten „Superwahltag“ schien es aber für einen Moment, als hätte sich das Schicksal unseres Landes in Magdeburg, Stuttgart oder Mainz entscheiden können.
Die programmatischen Unterschiede zwischen CDU, Grünen und der SPD in der konkreten Landespolitik dürften dabei nur Politprofis wirklich erschöpfend aufzählen können. Dieser Wahlsonntag und seine relativ hohe Beteiligung war also weniger ein Indiz für das gesteigerte Interesse an Landespolitik als solcher, sondern eher ein Stimmungsbarometer. Im Kern ging es darum, wie die Bevölkerung zur aktuellen Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel steht.
Das Ergebnis lässt nicht nur verschiedene bunte Koalitionen in den Bundesländern zu oder macht gar eine Regierungsbildung sehr schwierig, sondern erlaubt auch verschiedene Interpretationen ihrer Bedeutung für die Stimmung im Lande als solches. In Baden-Württemberg hat der amtierende grüne Ministerpräsident Winfriede Kretschmann mit einer vernünftig differenzierenden Position zur Flüchtlingspolitik gepunktet. Die Union im Ländle verlor dagegen eher mit einem unscharfen Kurs in dieser umstrittenen Frage.
Besonders krass wirkte das Ergebnis in Sachsen-Anhalt. Aus dem Magdeburger Landtag sind künftig weniger realpolitische Erdbeben zu erwarten, als vielmehr zahlreiche Beiträge zur Psychopolitik. Eine starke Alternative für Deutschland wird ihre programmatische Schwäche und ihre eigenen Identitätsprobleme mit ihrer negativen Haltung gegen Muslime, Flüchtlinge und andere Unliebsame übertünchen. Die Partei unter Führung von Frauke Petry hat Bilder, Stimmungen und Vorurteile nötig, denn 75 Prozent ihrer Wähler und Wählerinnen entscheiden sich für die AfD nicht wegen konkreter Inhalte.
In der Sendung „Illner Spezial“ erinnerte Peter Tauber die AfD-Bundesvorsitzende daran, dass aber auch in Sachsen-Anhalt immerhin 75 Prozent der Bevölkerung die Vereinnahmung durch die Alternative für Deutschland – in ihrer anmaßenden „Wir sind das Volk“-Logik – ablehnen oder zumindest nicht stützen würden. Zudem dürfte Parteichefin Frauke Petry selbst in der östlichen Sphäre der Wut bald als zu liberal gelten, und die Partei sich weiter dialektisch aufspalten.
Viele Muslime fragen sich, ob man vor der AfD Angst haben muss und ob die rechten Dämonen im Land zurückkehren. Nimmt man den Stil der neuen Rechten in den sozialen Medien ernst, dann ist zumindest Sorge berechtigt. Auch künftig wird die Partei die Dialektik gegen den Islam ­schüren und die Differenzierung über die Lage der Muslime in diesem Lande erschweren. Die Zurückweisung dieser Machenschaften ist unsere Aufgabe und – solange sich Muslime nicht zurückziehen, sondern sich aktiv engagieren – ist auch Angst der falsche Spirit.
Jedenfalls sollte nun dem Letzten klar sein, dass die Stunde für die Solidarität unter den Muslimen gekommen ist. Not würde zum Beispiel nun eine überzeugende, gemeinsame Strategie gegen die islamophoben Tendenzen der Gesellschaften tun. Daraus wird wohl nichts, denn leider sind wir Muslime noch immer durch die verkrusteten Verbandstrukturen gelähmt. In der offensichtlich wichtigen Flüchtlingspolitik hat sich der KRM gerade wieder einmal öffentlich entzweit.
 

, ,

„Die künstlerische Tätigkeit vollendet mich als Imam“

Der Aachener Mehmed Jakubovic arbeitet nicht nur seit über 20 Jahren als Imam für die bosniakische Gemeinde der Stadt, er ist auch Kalligraf und hat in Zusammenarbeit mit Islamic Relief den diesjährigen Kalligrafie-Kalender der Hilfsorganisation mit seinen Bildern geschmückt. Wir haben uns mit ihm über seine Kunst unterhalten.
Islamische Zeitung: Sehr geehrter Herr Jakubovic, Sie befassen sich mit Kalligrafie, Malerei und Holzschnitzerei. Wann haben Sie damit angefangen und wie sind Sie dazu gekommen?
Mehmed Jakubovic: Vielleicht sollte ich einige Jahre in die Vergangenheit gehen, in meine jüngeren Jahre, zur Zeit meines Wehrdienstes. Aus Langeweile habe ich angefangen, Soldatenstiefel zu zeichnen. Als ich die Bilder in der Kaserne den anderen zeigte, haben sie mir nicht geglaubt, dass ich sie gezeichnet habe. Also habe ich ein Bild Titos genommen und nachgezeichnet. Sie wissen ja, wer Tito war. Also habe ich ihn gezeichnet und sie haben den Feldwebel gerufen, damit er das Bild sieht. Er hat es mir auch nicht geglaubt, also wurde ich sauer und habe ein berühmtes Bild Titos genommen und auch dieses nachgezeichnet. Als er dieses dann gesehen hat, musste er erstaunt feststellen, dass ich tatsächlich zeichnen kann. Daraufhin wurden meine Tage in der Armee um einiges leichter. Sie wussten, dass ich ein Imam bin, dass ich die Medresse abgeschlossen hatte; was mit Vernehmungen, Ausfragen, Misstrauen und dergleichen einherging. Als ich jedoch angefangen hatte zu zeichnen, hat sich alles verändert. Ich habe Soldaten porträtiert, habe die Informationstafel beschriftet und durch diese Tätigkeiten wurden meine restlichen Tage in der Armee sehr erleichtert. So haben mir die Kollegen ab und zu einen Kaffee spendiert, mir saubere Hemden gegeben oder haben an meiner Stelle Wache gehalten.
Danach habe ich mit dem Porträtieren weitergemacht, bis ich mein Studium begann. Dort habe ich zwei meiner Professoren gezeichnet, Professor Husein ef. Djozo und Professor Ibrahim ef. Trebinjac. Professor Djozo habe ich sein Porträt gezeigt und er sagte zu mir: „Mehmed, ich denke, die Muslime sind nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, Bilder zu vergöttern. Früher waren sie verboten, aber das ist heute eine veraltete Regelung. Dennoch würde ich dir raten, dich mit etwas anderem zu beschäftigen und etwas anderes zu zeichnen.“ Also habe ich nie wieder ein Porträt gezeichnet.
Die nächste Phase begann, als ich anfing als Imam zu arbeiten. In Bihac habe ich Landschaften gezeichnet, und als ich in Donji Vakuf arbeitete, hatte ich in der Moschee einen Qur’anhalter, der so schön geschnitzt war, mit so schönen Motiven versehen war, dass ich diesen beim Qur’anlesen ständig begutachtet habe und es hat mich sehr fasziniert, wie diese Motive zustande kommen. Als ich in dieser Gegend, genauer gesagt in Prusac, noch andere Moscheen besucht habe, unter anderem die Moschee von Hasan Kafi Pruscak (ein Gelehrter und Qadi aus dem 16. Jahrhundert), habe ich im Mihrab (eine Nische in der Wand, die die Gebetsrichtung anzeigt) eine Holztafel mit einem Abschnitt aus dem Qur’an, der in das Holz geschnitzt war, entdeckt. Als ich sie umdrehte, las ich, dass dies das Werk von Hasan Kafi Pruscak selbst war. In diesem Moment entschied ich, dass ich das auch tun möchte. Also fing ich an, mir Wissen anzueignen. In Konjic gibt es eine 300 Jahre alte Tradition der Holzschnitzerei, von wo große bosnische Meister dieser Kunst herkommen. Dort habe ich mit einem Imam-Kollegen gearbeitet und von ihm gelernt.
Für mein erstes Werkzeug musste ich einen guten Teil meines Gehaltes hergeben. Ich erinnere mich gut an diesen Tag, weil ich es meiner Frau erklären musste. Mit der Holzschnitzerei habe ich lange weitergemacht, auch als Granaten über der Stadt Bosanska Gradiska, in der wir zu der Zeit gelebt hatten, gefallen sind, bin ich hinausgegangen, um zu schnitzen. Nach acht Monaten dort sind wir nach Berlin gekommen. In Bosnien hatte der Krieg noch nicht begonnen, da wir aber an der Grenze zu Kroatien und dem ehemaligen Jugoslawien waren, wurde ich drei Mal in die jugoslawische Armee berufen, also musste ich fliehen, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Unter den wichtigsten Dingen, die ich mitnehmen konnte, war dieses erste Werkzeug und einige Holztafeln, die ich mit Qur’anversen geschmückt hatte. Ich habe noch heute ein paar Originale hier.
Das erste Geld, das ich in Berlin verdient habe, war durch den Verkauf meiner Tafeln an einen türkischen Imam, der sie in den türkischen Moscheen weiterverkaufte. So habe ich meine Arbeit nach Deutschland gebracht. Ich habe immer nach Wegen gesucht, diese Arbeit fortzusetzen. Später in Osnabrück und schließlich in Aachen. Nach dem Krieg habe ich das Gelernte an meinen Bruder in Bosnien übertragen, der im Krieg gekämpft hatte. Ich habe ihn mit den nötigen Werkzeugen, Maschinen und meiner Erfahrung ausgestattet und so wurde in seinem Keller eine kleine Werkstatt für Holzschnitzerei eröffnet, aus der viele Mihrabs, Mimbars, Tische und beschriftete Tafeln hervorgebracht wurden. Er hat dies wiederum an seinen Neffen, seine Frau und einen Freund weitergegeben und so haben auch sie das Handwerk erlernt.
Leider konnte ich mich nicht lange mit der Holzschnitzerei befassen, weil ich in Deutschland nicht das Holz habe und weil die Hände einfach jünger sein müssen, um mit dem Hammer in das Holz zu schlagen. Es ist eine anstrengende Arbeit. Also entschied ich mich vor sechs oder sieben Jahren, die Kalligrafie auf Leinwände und Papier zu übertragen.
Ich habe mir lange nicht das Recht genommen, mich als Kalligrafen zu bezeichnen. Ich verehre diese hohe islamische Kunst und die Lehre und Lehrer, die man dafür benötigt. In der Medresse haben wir Kalligrafie als Unterrichtsfach gehabt, aber das kommt nicht an die wahre Kunst heran.
Ich habe einfach mein künstlerisches Talent und Farbgefühl mit der Kalligrafie vereint und übe seit einigen Jahren. Und nun haben wir die Zusammenarbeit mit Islamic Relief, in der ich drei Stile verwende. Der „Sulus“ Stil ist mir am liebsten. Wenn ich in Bosnien bin, treffe ich mich öfter mit Kalligrafen und lerne dazu. Durch die Malerei konnte ich nach der Holzschnitzerei zur Kalligrafie zurückkehren und bin sehr glücklich darüber.
Islamische Zeitung: Glauben Sie, dass der Glaube an Allah, oder die Verbindung des Gläubigen zu Allah, durch die Kunst gestärkt beziehungsweise vergrößert werden kann?
Mehmed Jakubovic: Ich denke, dass Allah, unser Schöpfer, jedem eine Begabung gegeben hat. Die Frage ist nur, ob der Mensch diese erkennt. Das Wichtigste ist, wie unser Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sinngemäß gesagt hat: „Der Glücklichste ist derjenige, der die Arbeit verrichtet, für die er geschaffen wurde.” Wer sein Talent mit der Arbeit verbinden kann, ist glücklich. Wenn jemand also in sich selbst etwas entdeckt, womit Allah ihn gesegnet hat, sollte er dieses Geschenk durch seinen Glauben und seine Liebe zu Allah, in seiner Arbeit, erwidern. So ist das Eine mit dem Anderen verbunden.
Islamische Zeitung: Hat die Kunst eine direkte Auswirkung auf Ihre Arbeit? Inspiriert die Kunst Ihre Tätigkeit als Imam, oder umgekehrt, gibt Ihnen die Arbeit als Imam Ideen für Bilder und Motive?
Mehmed Jakubovic: Allem voran ist mir die Abwechslung sehr wichtig, sodass ich mich nach der gewohnten Arbeit in der Moschee, insbesondere nach dem Wochenende, durch die Kunst mit etwas anderem beschäftige. Ich verliere dabei jegliches Zeitgefühl, bis die Beine anfangen zu schmerzen. Dann merke ich erst, dass viel Zeit vergangen ist. Die beiden Tätigkeiten sind selbstverständlich mit einander verbunden. Wenn ich eine Moschee betrete, komme ich nicht umhin, mir die Details anzuschauen – die schönen wie auch die hässlichen oder unpassenden. In etwa so, wie vielen Frauen unpassende Vorhänge gleich ins Auge fallen. Wenn ich es als Ganzes betrachte, kann ich sagen, dass die künstlerische Tätigkeit mich als Imam vollendet. Einige Gemeindemitglieder sagten mir bereits, dass ich dadurch gewisse Türen, also Wege, eröffne, wozu ich durch die alleinige Arbeit als Imam vielleicht nicht die Möglichkeit gehabt hätte.
Islamische Zeitung: Welchen Stellenwert hat dabei die bosnische Kultur für Sie? Verbinden Sie eine Art Nostalgie zur alten Heimat mit der Kunst?
Mehmed Jakubovic: Die ersten Aquarell Bilder, die ich in Berlin im Heizungskeller des Wohngebäudes, in dem ich bei meinem Schwager untergekommen war, gemalt habe, waren Motive bosnischer Städte. Einmal, als der Krieg dort schon angefangen hatte, sagte ich zu meiner Frau: „Stell Dir vor, wie es wäre, wenn wir diese Städte irgendwann nur noch auf Bildern betrachten können …” Die Verbundenheit mit Bosnien ist auf jeden Fall da. Viele meiner Motive stammen aus der bosnischen Kultur, beispielsweise aus der Teppichweberei oder den inneren Ornamenturen.
Islamische Zeitung: Sie versuchen sicherlich, diese Kultur ein Stück weit in Deutschland aufrechtzuerhalten…
Mehmed Jakubovic: Das tue ich sicherlich. Ich versuche aber auch, die bosnische und die spanisch-muslimische Kultur mit einander zu verbinden. Ich bin sehr von dieser Kultur beeindruckt. Leider war ich noch nicht dort, aber ich plane es, inschaAllah. Seit ungefähr fünf Jahren beschäftige ich mich intensiv damit. Vor ungefähr zehn Jahren wollte ich hier weiter studieren, und zwar Islamische Kunst, jedoch habe ich das Studium schließlich nicht aufgenommen. Mich hat die Verbindung islamischer und europäischer Kunst, mit dem Schwerpunkt des muslimischen Lebens in Spanien und den Ähnlichkeiten zwischen Bosnien und Spanien, sehr interessiert. Die Muslime in beiden Ländern haben eine ähnliche Geschichte.
Gott sei Dank ist es den Muslimen Bosniens noch nicht so ergangen wie jenen aus Spanien. Die Muslime haben dort länger gelebt und haben eine außerordentlich wichtige Kultur hinterlassen. Womöglich ist es der Höhepunkt der islamischen Architektur und Kunst, der dort zu finden ist. In Bosnien gibt es einige Unterschiede, aber auch dort ist authentische islamische Kultur zu finden, die sich mit der spanischen vergleichen lässt. Aber die muslimische Gemeinschaft ist in Bosnien erhalten geblieben und die Kultur wird so weiterhin erhalten und erweitert. Wir sind noch da.
Islamische Zeitung: In den westlichen Ländern betrachtet man islamische Kunst eher als etwas Fremdes. Denken Sie, dass es wichtig ist, zu zeigen oder zu beweisen, dass diese eben doch Teil der europäischen Geschichte und Kultur ist?
Mehmed Jakubovic: Es sollte jedem gebildeten Menschen bekannt sein, dass die Renaissance nicht möglich gewesen wäre ohne den islamischen Input. Ein Kunstlehrer kam einmal in meine Moschee, weil er meinen Mihrab sehen wollte, der aus Marmor und mit den 99 Namen Allahs versehen ist, die ich selbst eingemeißelt habe. Er wollte ihn übertragen, damit er ihn seinen Schülern zeigen konnte. Er erklärte mir, dass er schon in vielen Moscheen gewesen sei, worauf ich erwiderte, dass meine Moschee darunter nur ein Zwerg ist und nicht zu vergleichen ist mit den großen, schönen Moscheen der Welt. Beim nächsten Mal brachte er mir vier Tafeln mit Arabesken, die schon über vierzig Jahre alt waren, welche er selbst gefertigt hatte und noch heute hütet. Ich war überwältigt von dem schönen Anblick, ich konnte nicht glauben, was ich sah. Er sagte: „Herr Jakubovic, derjenige, der nicht in Cordoba war, weiß nichts über Kunst, und insbesondere über islamische Kunst. Wer das nicht gesehen hat, hat nichts zu sagen.” Das hat mich sehr bewegt. Die europäische Kunst hat jedoch eine andere Richtung eingeschlagen als die islamische.
Islamische Zeitung: Viele Nichtmuslime verbinden die Muslime nicht unbedingt mit Kunst. Könnte die islamische Kunst einen positiven Einfluss auf Nichtmuslime haben, wenn sie diese kennenlernen?
Mehmed Jakubovic: Künstler werden allgemein hin als „Schöpfer” gesehen. Im Islam verneinen wir dieses Prinzip, da Allah der alleinige Schöpfer aller Dinge ist. Die Definition von Kunst im Bosnischen ist, dass man „etwas kann” und dies kommt der islamischen Definition schon näher. Jemand kann etwas, hat die Begabung für etwas. Aus dieser Perspektive kann man die islamische Kunst so betrachten, dass sie nicht für den Künstler und nicht für sich selbst steht. Sie trägt eine abstrakte Bedeutung oder Nachricht.
Die europäische Kunst hat eine andere Ausdrucksform. Ich war einmal im Louvre, um mir die Mona Lisa anzuschauen. Ich sagte immer, sie ist die einzige Dame, die ich dort sehenswert finde und ich habe großen Respekt vor ihr. Die anderen Figuren, die mächtigen Figuren, waren für mich anstrengend. Ich dachte mir, alhamdulillah, dass Allah uns Muslime von dieser Art der Kunst befreit hat. Wenn Sie sich die islamische Kalligrafie, die Arabesken, die Geometrie anschauen, treten Sie in eine abstrakte Welt, einen Kosmos, eine Unendlichkeit ein, die erholend wirkt. So sehe ich sie zumindest.
Das Kunstverständnis entsteht hier also aus einem anderen Blickwinkel heraus. In der islamischen Kunst wird nicht der Künstler oder das Kunstwerk verehrt. Der Künstler steht nicht im Mittelpunkt, er existiert nicht. Er hat etwas hinterlassen, aber es geht dabei nicht um ihn, sondern er hat Allahs Schönheit und die Seiner Schöpfung in seinem Werk manifestiert. Und das hat einen direkten Nutzen für den Menschen. Die Kunst ist im Islam nicht zwecklos. So kann man sagen, dass die Muslime lediglich ein anderes Kunstverständnis haben als Nichtmuslime. Die ästhetische Erfahrung und die andersartige Bedeutung hinter der islamischen Kunst kann durchaus das Interesse bei Nichtmuslimen wecken und zu einem tieferen Verständnis führen.
Islamische Zeitung: Sehen Sie die künstlerische Tätigkeit manchmal auch als Erholung vom Job an, selbst vom Job eines Imams?
Mehmed Jakubovic: Vor allem vom Job als Imam. Nur die Beine strengen sich an, ich kann nicht im Sitzen arbeiten. Körperlich strengt sie mich an, aber erholt mich seelisch ungemein.
Islamische Zeitung: Herr Jakubovic, wir bedanken uns für das Gespräch.
Internet: jakubovic.de

, ,

Flüchtlingshilfe gegründet

Frankfurt (VMF/KNA). In einem Gründungsakt haben sich die muslimischen Dachverbände, der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD), der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, sowie die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden (IGS) am Mittwoch, den 09. März 2016 in Frankfurt zusammengeschlossen. Vorrangiges Ziel des Vereins ist die Koordinierung der bereits bestehenden Flüchtlingsarbeit der Mitgliedsorganisationen sowie seinen Ausbau, auch im Hinblick einer verbesserten Wohlfahrtsarbeit.
„Angesichts der Flüchtlingssituation stehen vor allem wir Muslime vor großen Herausforderungen. Es ist wichtig und notwendig, die Kräfte zu bündeln, um die neu ankommenden Menschen bestmöglich zu unterstützen, sie aufzunehmen und ihnen eine Perspektive zu bieten“, sagte die neugewählte Vorsitzende des Verbandes, Nurhan Soykan, die auch Generalsekretärin des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD)ist.
Ihre in den geschäftsführenden Vorstand gewählten Stellvertreter sind: Murat Gümüs, Generalsekretär des Islamrates für die BRD und Dawood Nazirizadeh, Vorstandsmitglied der Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands.
Der Verband Muslimische Flüchtlingshilfe (VMF) erklärt sich ausdrücklich offen für die Aufnahme weitere Mitgliedsorganisationen und Einzelpersonen und bekundete in einem heutigen Schreiben an die zuständigen Ministerien seine Hilfe und Unterstützung für die Bewältigung der Flüchtlingsarbeit in der Bundesrepublik.
„Denn“, so der das Vorstandsmitglied Murat Gümüs, „die Mitglieder der Dachorganisationen seien zwar vielfältig aktiv in der Flüchtlingshilfe, doch bestehe Abstimmungs- und Koordinierungsbedarf, um die Dienstleistungen effektiver und effizienter zu machen“. Der neu gegründete Verband soll diese Aufgabe übernehmen und darüber hinaus neue Projekte konzipieren.
Um diesen Kraftakt zu stemmen seien sowohl ehrenamtliche als auch hauptamtliche Helfer nötig. „Sie zu koordinieren erfordere ein strukturelles Vorgehen und einen institutionellen Unterbau. Auch dies soll mit dem neu gegründeten Verein etabliert werden“, ergänzte VMF-Vorstandsmitglied Dawood Nazirizadeh.
Nicht vertreten im Zusammenschluss sind unter anderen die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). Sie gehören mit dem Islamrat und dem Zentralrat dem Koordinationsrat der Muslime an.