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Gedenken an Brandanschlags-Opfer – „Es waren Solinger Kinder“

Solingen Brandanschlag Feuer

Die Angst nach dem Brandanschlag von Solingen war groß. Am vergangenen Wochenende wurde an die Toten erinnert.

Solingen (KNA/iz). Mit einer bewegenden Gedenkveranstaltung ist an die Opfer des rassistisch motivierten Brandanschlags in Solingen vor 30 Jahren erinnert worden. „Es waren Solinger Kinder“, sagte der Oberbürgermeister der Stadt, Tim Kurzbach (SPD), am Montag mit Blick auf die Todesopfer. Am 29. Mai 1993 habe sich ein „Angriff auf die Menschlichkeit“ ereignet.

Solingen: Bundespräsident prangert Narrativ der „Einzeltäter“ an

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier prangerte an, dass viel zu lange Deutschland der Behauptung aufgesessen sei, „es seien verblendete Einzeltäter, die ihr Unwesen treiben“. Er forderte einen wehrhaften und wachsamen Staat und rief zu Zivilcourage und Mut auf.

Rund 600 Menschen waren in das Theater und Konzerthaus der Stadt eingeladen worden. Die Gäste erhoben sich, als die Namen der fünf Toten verlesen wurden. Anwesend waren Vertreterinnen und Vertreter der Familien. Aus der Politik waren neben Steinmeier unter anderen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) gekommen.

Foto: Tschuber, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Fünf Opfer starben

Vier Männer hatten 1993 aus Fremdenhass nachts Feuer gelegt. Zwei junge Frauen und drei Mädchen starben in den Flammen oder bei dem Versuch, sich davor zu retten. Zum Gesicht der Familie wurde Mevlüde Genc, die zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verlor.

Genc, die sich dennoch jahrelang für Verständigung, Versöhnung und gesellschaftlichen Zusammenhalt einsetzte, war im Oktober im Alter von 79 Jahren gestorben. Auf der Veranstaltung wurde immer wieder Respekt zum Ausdruck gebracht, dass Genc nicht mit Hass, sondern mit Liebe reagiert habe.

Steinmeier sagte: „Heute halten wir miteinander inne und trauern um Gürsün Ince, um Hatice Genc, um Gülüstan Öztürk, um Hülya Genc, um Saime Genc.“ Auch werde um Mevlüde Genc getrauert.

Das Staatsoberhaupt erinnerte an die Angst in der Zeit nach dem Anschlag: So seien in Solingen Strickleitern ausverkauft gewesen. „Die Menschen hatten Angst, sich im Notfall sonst nicht mehr aus dem oberen Stockwerk ihres Hauses retten zu können. In den Wohnungen standen damals Wassereimer bereit, um bei einem Feuer schnell löschen zu können. An den Klingelschildern und Briefkästen wurden alle fremd klingenden Namen abmontiert.“

Foto: president.gov.ua, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 4.0

Steinmeier rückt die Tat in einen weiteren Kontext ein

Steinmeier erinnerte wie andere Redner auch an weitere Taten Rechtsextremer, die sich in das kollektive Gedächtnis eingegraben hätten, oder über die nicht viel gesprochen werde. Rechtsextreme und Rassisten verbreiteten Angst und Schrecken unter potenziellen Opfern, so der Bundespräsident.

„Ich nenne das: Terror. Dieser rechte Terror ist verantwortlich für die Toten hier in Solingen. Diesen rechten Terror gab es vor Solingen, und es gibt ihn nach Solingen. Es gibt eine Kontinuität von rechtsextremer und rassistischer Gewalt in unserem Land.“

Es brauche „einen wehrhaften, einen wachsamen, einen aufrichtigen Staat“. Steinmeier rief jede Bürgerin und jeden Bürger dazu auf, Verantwortung zu übernehmen, bei Übergriffen einzugreifen oder Lügen, Hass und Hetze zu widersprechen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte den Anschlag in Solingen auf Twitter einen dunklen Tag. Und: „Mit Respekt für unsere vielfältige Gesellschaft können wir viel erreichen.“

Von einem „kollektiven Trauma“ sprach die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes, Ferda Ataman, auf Zeit Online. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, nannte Solingen in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ eine „Zeitenwende“ im negativen Sinne.

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Deutschland und Malaysia wollen enger kooperieren

Malaysia Steinmeier Staatsbesuch

Bundespräsident Steinmeier wird in Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur mit großem Zeremoniell empfangen. Beide Seiten betonen die Gemeinsamkeiten – die sie noch vertiefen wollen.

Kuala Lumpur (dpa). Deutschland und das südostasiatische Malaysia wollen ihre Beziehungen wirtschaftlich und politisch weiter ausbauen. Das haben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Premierminister Anwar Ibrahim am Freitag nach einem Gespräch in der Hauptstadt Kuala Lumpur bekräftigt. Steinmeier machte deutlich, dass Malaysia der deutschen Wirtschaft dabei helfen könne, einseitige Abhängigkeiten etwa von China zu verringern.

Malaysia als Alternative zu China?

„Ich bin sicher, dass Malaysia einer der Standorte sein wird, von denen aus deutsche Unternehmen ihre Diversifizierungsstrategie weiter voranbringen“, sagte Steinmeier. Ibrahim nannte den Besuch ein wichtiges Signal für den Ausbau der bilateralen Beziehungen.

Steinmeier hält sich seit Donnerstag zusammen mit seiner Frau Elke Büdenbender zu einem Staatsbesuch in dem überwiegend muslimisch geprägten Land mit knapp 34 Millionen Einwohnern auf. 

Am Vormittag wurde er von König Al-Sultan Abdullah mit militärischen Ehren begrüßt. Am Abend gab der Monarch ein Staatsbankett. In seiner Tischrede betonte Steinmeier dabei, er wisse, wie wichtig der Handel mit China für Malaysia sei. Heute müssten sich die Staaten aber vor einseitigen Abhängigkeiten schützen. „Vernetzung ausbauen, Verwundbarkeit abbauen, das ist das Gebot der Stunde – besonders für unsere Länder, die beide Handelsnationen sind“, sagte Steinmeier.

Ein wichtiger Partner unter den ASEAN-Staaten

Malaysia ist bereits jetzt der wichtigste Handelspartner Deutschlands in der Gruppe der Asean-Staaten. Laut Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik (GTAI) wuchs der bilaterale Handel 2022 kräftig und lag mit einem Volumen von 19,6 Milliarden US-Dollar (ca. 18,3 Milliarden Euro) deutlich über dem Niveau vor der Corona-Pandemie.

Steinmeier wies darauf hin, dass mehr als 700 deutsche Unternehmen in Malaysia tätig seien und zusammen rund 65.000 Arbeitsplätze geschaffen hätten. Das Land habe sich zu einem wirtschaftlichen „Schlüsselpartner“ Deutschlands entwickelt, sagte er.

Gefestigte Demokratien

Der Bundespräsident betonte die Gemeinsamkeiten zwischen beiden Ländern. Beide seien gefestigte Demokratien, stünden Seite an Seite beim Klimaschutz, bestünden auf der Einhaltung des Völkerrechts und legten Wert auf freien und fairen Welthandel sowie nachhaltiges Wachstum. „Ich finde, darauf lässt sich aufbauen“, sagte er.

Steinmeier und Büdenbender beenden den Staatsbesuch an diesem Samstag mit einem Abstecher auf den malaysischen Teil der Insel Borneo. Dort wollen sie sich über den Schutz des Regenwaldes informieren und eine Aufzuchtstation für Orang-Utans besuchen.

Beunruhigende Rhetorik

Die Waffen schweigen in Syrien noch längst nicht: Der Münchner Hoffnungsschimmer vom Freitag auf ein Ende des blutigen Bürgerkriegs wird immer kleiner. Die Kontrahenten Russland und die USA reden zwar miteinander – doch die Rhetorik lässt nichts Gutes erahnen.
München/Moskau (dpa). Die Hoffnungen auf Frieden in Syrien und ein Ende der Massenflucht in Richtung Europa haben am Wochenende einen schweren Dämpfer erhalten. Die am Freitag in München vereinbarte Waffenruhe in dem blutigen Bürgerkrieg und der Beginn der humanitären Hilfen in belagerten Orten waren nicht in Sicht. Stattdessen verstärkte Russland, das Machthaber Baschar al-Assad unterstützt, die Bombenangriffe auf Regimegegner in Syrien.
Nachdem der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew bei der Sicherheitskonferenz in München einen „neuen Kalten Krieg“ beklagt hatte, telefonierten Kremlchef Wladimir Putin und US-Präsident Barack Obama am Sonntag miteinander. Sie hätten ausdrücklich die Einigung auf eine Feuerpause gelobt und weitere Verhandlungen vereinbart, hieß es aus Moskau.
Die Sicherheitskonferenz stand im Zeichen der Ost-West-Konfrontation und gegenseitigen Misstrauens. Medwedew schockte die Teilnehmer mit drastischen Worten: „Wir sind in die Zeiten eines neuen Kalten Krieges abgerutscht.“ Russland und die EU hätten ein „verdorbenes Verhältnis“.
Dann schlug er einen anderen Ton an: Angesichts der Konflikte in der Ukraine und in Syrien müsse jetzt wieder Vertrauen aufgebaut werden. Dies sei zwar ein schwieriger Weg. „Aber wir müssen diesen Prozess anfangen. Und da darf es keine Vorbedingungen geben“, sagte Medwedew.
Die USA warnten die Russen davor, zu glauben, sie könnten an der Seite Assads den Bürgerkrieg gewinnen. „Wir sind an einem Scheidepunkt“, sagte US-Außenminister John Kerry.
Moskau müsse auf die Feuerpause hinarbeiten und den Beschuss von Zivilisten einstellen. Bei einem Scheitern der Waffenruhe stünden die USA vor „schwierigen Optionen“. Ob das den Einsatz von Bodentruppen umfasst, sagte Kerry nicht.
Russland, die USA und wichtige Regionalmächte wie der Iran, die Türkei und Saudi-Arabien hatten sich in der Nacht zu Freitag in München auf das Ziel einer Feuerpause in Syrien geeinigt, die innerhalb von einer Woche in Kraft treten soll.
Ausgenommen sind Angriffe auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und die Al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida. Zudem soll es schnelle Hilfslieferungen geben.
Dem fünfjährigen Bürgerkrieg sind Hunderttausende Menschen zum Opfer gefallen, Millionen sind auf der Flucht. Die syrische Opposition warf Assad und Moskau eine „Politik der zwangsweisen Vertreibung“ vor. Er glaube nicht, dass sie eine Waffenruhe wollten, sagte Riad Hidschab vom Hohen Verhandlungskomitees der Regimegegner. „Heute gibt es für die meisten Syrer keinen Hoffnungsschimmer.“
Russland verstärkte seine Luftangriffe im Norden Syriens nach Angaben von Aktivisten weiter. Die Intensität der Angriffe habe am Samstag zugenommen und sei am Sonntag auf hohem Niveau geblieben, berichtete der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman, der Deutschen Presse-Agentur.
Er gehe davon aus, dass dies der Vorbereitung eines weiteren Vormarsches der Regime-Anhänger nördlich der umkämpften Metropole Aleppo diene. Nach Angaben der Menschrechtler starben am Sonntag sieben Zivilisten in der Großstadt Aleppo bei Luftangriffen.
Die Armee und ihre Verbündeten hatten Anfang des Monates mit russischer Luftunterstützung im Norden Syriens große Geländegewinne erzielt. So konnten sie etwa die wichtigste Nachschubroute der Rebellen aus der umkämpften Stadt Aleppo in Richtung Türkei kappen.
US-Senator John McCain zweifelt an einer Feuerpause in Syrien. „Herr Putin ist nicht daran interessiert, unser Partner zu sein“, sagte der republikanische Hardliner am Sonntag in München.
Dagegen stellte der russische Außenminister Sergej Lawrow infrage, ob die Amerikaner zu weiteren Schritten bereit seien. Die Chance auf eine Feuerpause schätzte er auf 49 Prozent.
Die Vereinten Nationen warteten auf Sicherheitsgarantien für die Transporte. „Da muss sich jetzt schnell etwas tun“, forderte der Vize-UN-Generalsekretär Jan Eliasson. UN-Schätzungen zufolge sind in 50 belagerten Orten in Syrien etwa 400 000 Menschen eingeschlossen.
Nahe der Grenze zur Türkei beschoss die türkische Armee derweil von syrischen Kurden neu eroberte Gebiete mit ihrer Artillerie – mindestens zwei Kämpfer starben. Die Türkei befürchtet, dass die Kurden, die mit der verbotenen Arbeiterpartei PKK verbunden sind, und ihre Verbündeten die gesamte Grenze zur Türkei unter ihre Kontrolle bringen könnten.
Saudi-Arabien bestätigte zudem, dass es Kampfjets zum türkischen Nato-Stützpunkt Incirlik geschickt habe. Die Maßnahme sei Teil des saudischen Plans, den Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien zu intensivieren. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu schloss auch einen möglichen Bodeneinsatz der Türkei und Saudi-Arabiens gegen den IS nicht aus.

Türkei will Bericht über deutsche Spionage prüfen

Istanbul/Berlin (dpa). Die Türkei hat verhalten auf einen Medienbericht reagiert, wonach der deutsche Auslandsgeheimdienst BND seit Jahren den Nato-Verbündeten überwachen soll. Man nehme die Angaben des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» ernst und prüfe sie, sagte ein Sprecher der regierenden AKP-Partei am Sonntag. Der Bundesnachrichtendienst überwacht nach «Spiegel»-Informationen die Türkei schon seit Jahren. Demnach wurde der deutsche Nato-Partner im derzeit noch aktuellen «Auftragsprofil» der Bundesregierung aus dem Jahr 2009 als offizielles Aufklärungsziel geführt. In Deutschland sprachen sich Politiker von Koalition und Opposition als Reaktion auf den Bericht gegen eine deutsche Überwachung des Nato-Partners aus. Zudem wurde vor weiterer Entfremdung zwischen Berlin und Ankara gewarnt.

Nach Medienberichten überwacht der deutsche Auslandsgeheimdienst BND die Türkei schon seit Jahren. Laut «Spiegel» wird das Land im «Auftragsprofil» der Bundesregierung aus dem Jahr 2009, das bis heute gültig sei, als offizielles Aufklärungsziel geführt. Der BND soll zudem mindestens ein Gespräch von US-Außenminister John Kerry abgehört haben, das 2013 als «Beifang» im Überwachungsnetz des Dienstes gelandet sein soll – ähnlich wie 2012 ein Telefonat von Kerrys Vorgängerin Hillary Clinton.

In der Türkei sagte ein Sprecher der regierenden AKP-Partei, man nehme die «Spiegel»-Informationen ernst und prüfe sie. Der BND wollte sich nicht zu den Berichten äußern. Auch von der Bundesregierung war am Wochenende keine offizielle Stellungnahme zu erhalten. Nach Informationen der «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» rechtfertigt sie die Ausspähung der Türkei mit der Bedeutung der dortigen Entwicklungen für die innere Sicherheit.

Politiker von SPD und Grünen warnten, deutsche Spionage könne das Verhältnis zur Türkei weiter trüben. «Angesichts gemeinsamer sicherheitspolitischer Herausforderungen sind das schlechte Aussichten», sagte SPD-Fraktionsvize Mützenich dem «Kölner Stadt-Anzeiger» (Montag). Der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele forderte rasche Aufklärung über die BND-Aktivitäten. «Uns wurde immer gesagt: Wir machen so etwas nicht», sagte er der «Saarbrücker Zeitung» (Montag). Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stehe mit ihrer Aussage, dass man Freunde nicht ausspioniere, jetzt blamiert da.

Begehrt von EU und Russland gleichermaßen: Ein Land zwischen Staatsbankrott und Revolution

(iz). Ich ziehe Revolution dem Krieg vor, zumindest nehmen an der Revolution nur die teil, die wollen“, hat einmal Marcel Proust angemerkt. Bis zu 20.000 Menschen haben auf dem Kiewer Maidan Platz Geschichte geschrieben und unter Einsatz des eigenen Lebens die Verhältnisse in der Ukraine nachhaltig verändert. Dutzende Demonstranten mussten ihren Einsatz für den Sturz des Regimes Janukowitsch mit ihrem Leben bezahlen. Vor den Fernsehern Europas herrschte Empörung über die brutale Hatz auf die Demonstranten. Allerdings fällt die abschließende Bewertung der „Revolution“ noch immer nicht ganz einfach. War das Geschehen in Kiew nun wirklich eine Revolution, oder doch eher eine feindliche Übernahme, ein Coup d’état, ein Coup de banque oder eben nur Teil eines profanen Staatsbankrottes?

Fakt, ist, dass nur ein kleiner sichtbarer Teil der Bevölkerung am Geschehen beteiligt war, wenn man auch das Schweigen der Mehrheit wohl als Zustimmung zum Umsturz interpretieren kann. Es fällt auch auf, dass im Gegensatz zum klassischen Bild einer Revolution, die Eigentumsverhältnisse im Lande unberührt blieben. Ohne sich auf das Glatteis der Verschwörungstheorien begeben zu wollen, muss man schon fragen: „Gab es ein Drehbuch für die Revolution und wenn ja, wer hat es geschrieben?“

Argwohn herrscht schon länger, nicht nur auf Seiten Russlands, wer die aktuellen „Techniker des Staatsstreiches“ in Kiew in den letzten Jahren in Position gebracht hat. Curzio Malaparte hat die Voraussetzungen dieser Art der Revolution, die keine Mehrheiten benötigt, in seinem berühmten Buch über den Staatsstreich so zusammengefasst: „Der Aufstand wird nicht mit Massen gemacht, sondern mit einer Handvoll Männer, die, zu allem bereit, in der Aufstandstaktik ausgebildet sind und trainiert, gegen die Lebenszentren der technischen Organisation des Staates schnell und hart zuschlagen.“

Die chaotischen Entwicklungen in Kiew machen uns jedenfalls – nach den verheerenden Balkankriegen der 1990er Jahre – wieder einmal schmerzlich bewusst, dass es auch in Europa weiterhin Optionen für Kriege und Bürgerkriege gibt. Wieder ist dabei mit der Ukraine ein überaus kompliziertes Staatsgebilde betroffen, ein Vielvölkerstaat mit einer so komplizierten Geschichte und einer grundsätzlichen“Minderheitenproblematik“. Jederzeit kann dabei ein neuer „Nationalismus“ sich auch gegen Muslime und Juden richten.

Nach der offiziellen Volkszählung 2001 leben im riesigen Staatsgebiet der Ukraine 77,8 Prozent Ukrainer, 17,3 Prozent Russen und über 100 weitere Nationalitäten. Die Unterschiede zwischen Ethnien und Religionen wurden unter den schlimmen Verhältnissen der kommunistischen Diktatur nicht ausgelebt.

Seit Jahrhunderten befindet sich aber die Region immer wieder im Konflikt mit Polen, Russen oder Deutschen. Bis in das 21. Jahrhundert lässt sich natürlich auch der geschichtliche Grundkonflikt zwischen dem Machtanspruch der orthodoxen Kirche und dem aufstrebenden Islam in der ukrainischen Geschichte nachzeichnen.

Es ist naheliegend, dass ohne das genaue Studium der Nachwirkungen dieser Geschichten, das kollektive Bewusstsein der Ukrainer unverstanden bleiben muss. Gerade aus deutscher Sicht ist das Verhältnis zu dem Land in Osteuropa schwer belastet. Im Zweiten Weltkrieg war die Ukraine nicht nur im Zentrum der expansiven „Lebensraum“-Philosophie der Nationalsozialisten, sondern auch der Schauplatz rigoroser Judenverfolgungen. Die Schlachten um Sebastopol auf der Krim, deren unglaublicher Blutzoll der deutsche General Manstein in seinen Tagebüchern ungerührt schildert, gelten bis heute als Mahnmal einer menschenverachtenden Kriegsführung im Rausch des „Willens zur Macht“. Es gehört zur bitteren Ironie der Geschichte, dass Teile der militanten Kiewer Protestbewegung ausgerechnet auch Nähe zu den Ideen des Nationalsozialismus vorgeworfen wird.

Bei der Beurteilung der politischen Lage in der Ukraine von heute darf man natürlich nicht die unterschiedlichen Interessen und Motive der Beteiligten aus dem Auge verlieren. Wir erleben das junge Nationalbewusstsein der Ukrainer, die verständliche Sehnsucht einer Generation nach würdigen Lebensumständen, die Hoffnung auf die Werte der Demokratie, das verständliche Bedürfnis der Minderheiten nach einer verlässlichen Rechtsordnung, aber auch die Machenschaften der Oligarchen, die strategischen Interessen der global vernetzten Finanzinstitute und die Profitgier der neuen und alten Gläubiger der Ukraine.

Auch heißblütige Nationalisten müssen einsehen, dass die Geschichte der Ukraine ein weiteres Mal nicht nur in Kiew entschieden wird. Es sind nicht zuletzt die internationalen Geldströme, welche die Loyalitäten von Politik und Gesellschaft beeinflussen.

Nicht nur in der Ukraine stellt sich in diesen Tagen die Frage, ob der Griff der Oligarchen nach Medien und die Einflussnahme ausländischer Stiftungen mit ihren Millionenbudgets auf den politischen Prozess überhaupt noch einen fairen Wettbewerb der Meinungen ermöglicht. Der Sturz des alten Regimes wurde nicht zuletzt dadurch ausgelöst, dass ukrainische Oligarchen wie Rinat Ahme­tow, dutzenden Abgeordneten, die in ihrem Einflussbereich standen, neue Anweisungen gab. Die aus dem Gefängnis entlassene Julia Timoschenko, eine Hoffnungsträgerin der Opposition, hat als ehemalige „Gasprinzessin“ immer wieder auch gegen den Geruch eigener Korruption anzukämpfen. Es geht schnell unter, dass sie vom IMF, dem „National Endowment for Democracy“ (quasi dem „zivilen“, privatisierten CIA) und etlichen anderen US-Think Tanks über Jahre finanziell gefördert wurde.

Man könnte die politische Lage in der Ukraine nüchtern durchaus so zusammenfassen: „Politiker kommen und gehen, Oligarchen bleiben“. Gerade in der Ukraine muss man sich fragen, ob unsere Kameras, die das politische Geschehen greifbar machen wollen, immer auf die richtige „Bühne“ gerichtet sind. Unser gebannter Blick auf die Tagespolitik in dieser europäischen Schicksalsregion, ist durch eine gewisse Einseitigkeit geprägt, die sich aus unserer alltäglichen Abhängigkeit von der „offiziellen“ Berichterstattung ergibt und letztlich immer wieder nur durch eigene Recherchen vor Ort geprüft werden kann.

Interessant war hier zum Beispiel ein Interview mit der Politikerin Marina Weisband auf SPIEGEL-Online, die das uns präsentierte „Heldenepos“ um den Oppositionsführer Klitschko mit ruhiger Stimme und mit der Souveränität einer Augenzeugin – die wirklich in Kiew vor Ort war – relativierte. „Klitschko wird als Figur kaum ernst genommen. Ich selbst habe niemanden getroffen, der von ihm begeistert war. Er spricht kaum Ukrainisch, sagt bei seinen Auftritten nur wenige Sätze“, liest man im Gespräch mit der „Piratin“ und fügt diesen wichtigen Beitrag sogleich in das eigene Mosaik der gewonnenen Informationen ein. Allerdings relativierte Weisband nach dem Fall der alten Regierung ihre Ableh­nung und sah in Klitschko, wahrscheinlich mangels Alternativen, sogar auch einen möglichen Präsidenten. Wer immer Präsident in der Ukraine wird, es wird fragwürdig bleiben, ob er tatsächlich die Macht im Lande hat.

Es war wohl auch dem Verhandlungsgeschick unseres Außenministers, Frank Steinmeier zu verdanken, dass immerhin das fatale Szenario eines Bürgerkrieges zumindest aufgeschoben und – wie wir noch hoffen müssen – auch dauerhaft verbannt wurde. Die Dynamik der Geschich­te hatte die Intervention der EU-Delegation flugs überholt. Schnell wurde klar, dass das Ergebnis der „Revolution“ keine souveräne, sondern eine bankrotte Ukraine war. Wer 35 Milliarden benötigt, um zu überleben, kann eben nur begrenzt souveräne Entscheidungen treffen.

Geopolitische Fragen lassen sich genauso wenig verschieben wie fällige Forderungen der Gläubiger. Kann die Ukraine überhaupt ein einheitlicher Staat bleiben?

Diese Frage zu bejahen liegt natürlich auch im Interesse der zwei Millionen Muslime des Landes. Schon im Herbst 2013 hatten in einer gemeinsamen Erklä­rung alle religiösen Gruppierungen der Ukraine – also Juden, Christen und Muslime – die Unabhängigkeit der Ukraine gefordert und, unter Vorbehalt der Berücksichtigung eigener traditioneller Werte, auch eine Annäherung an die EU befürwortet.

Besonders heikel ist die Lage der Muslime auf der Krim. Siebzig Jahre sind vergangen, seit zehntausende Krimtataren während des Zweiten Weltkrieges durch Stalin verfolgt und deportiert wurden. Heute leben noch etwa 250.000 Muslime in der Region. Verschiedene EU-Organisationen sorgen sich schon seit Jahren um den fragilen Status dieser Minderheit. Auf der Krim herrscht schon länger die Befürchtung, dass die russische Mehrheit – insbesondere bei einer Spaltung der Ukraine oder einer endgültigen „Westbindung“ Kiews – die Ablösung der Halbinsel und später eine Anbindung an Russland durchsetzen könnte. Es ist tatsächlich kaum vorstellbar, dass Russland ihre über Jahrhunderte hart erkämpfte, strategische Position auf der Halbinsel aufgibt.

Die Führung der Krimtataren, eine Minderheit, die 12,1 Prozent der Bevölkerung ausmachen, hat bereits die aktuel­le Ankündigung des lokalen Parlaments, wonach ein Regierungswechsel in Kiew die Loslösung der Krim von der Ukraine bedeuten könnte, scharf zurückgewiesen.

Hier besteht zweifellos ungeheures Konfliktpotential, das schon länger mit Sorge beobachtet wird. Es geht letztendlich auch um die grundsätzliche Positionierung Moskaus in seinem Einflussbereich gegenüber dem Islam und den euro­päischen Muslimen. Natürlich ist das Interesse Russlands an der Verfolgung von Terrorismus und Extremismus legitim, aber durch eine zu beobachtende maßlose Haltung und ausgrenzenden Rigorismus gegenüber den Muslimen könnten sich immer mehr junge Muslime in einen antiquierten Nationalismus oder aber in radikale, fremdbestimmte Ideologien flüchten. Die Auflösung von Traditionen, der Verlust des Wissens durch die Lehre der anerkannten Rechtsschulen – kurzum eine fortschreitende Verrohung der Muslime zu Gunsten einer globalen Ideologie – wäre nicht nur für Moskau, sondern für ganz Europa eine fatale Entwicklung. Darum geht es auch im Umgang mit der muslimischen Minderheit im Süden der Ukraine.

Viel wichtiger wäre es natürlich mit Moskau und dem Land der Dichter und Denker den geistigen Dialog fortzuführen. Der Nationaldichter Tolstoi hat in seinem berühmten Werk über „Krieg und Frieden“ eine der schönsten und tiefsten Abhandlungen in einer europäischen Sprache über das Schicksal verfasst. Ein gutes Schicksal zu erhoffen, gehört zu den wichtigsten Bittgebeten der Muslime. Das furchtbare Beispiel des zerfallenden Jugoslawiens sollte Anlass genug sein, alles zu tun, um eine „Balkanisierung“ der Ukraine zu verhindern.

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