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Das gute Leben

(iz). Goldener Herbst. Wir brechen gerade mit den Kindern durchs zugängliche Unterholz, um noch die letzen, guten Brombeeren zu erwischen, die von sächselnden Ausflüglern übersehen wurden. Vorher hatten wir Glück. Das exquisite Café im einzigen Schlosspark der Gegend war – gegen die regionale Gewohnheit – trotz Nachsaison bereits am Morgen geöffnet. Die Kinder schauten mit großen Augen, als die Schwarzwälder Kirschtorte (mit etwas Glück ohne Alkohol) scheinbar nur für uns angeschnitten wird.

Und morgen? Da hoffen wir auf ebenso gutes Wetter, um mit lieb gewonnenen Nachbarn die Steaks und Hähnchenschenkel zu brutzeln, die in einer fernen Großstadt von einem muslimischen Schlachter der Wahl erworben wurden. Dazu Bauernbrot vom Nachbarn, Pfälzischer Kartoffelsalat und selbstgemachte Salsa. Und vielleicht setzt sich auch der Kollege durch, der endlich mal die Trockenmarinade ausprobieren will, von der amerikanische BBQ-Afficionados schwärmen.

Zugegeben, das ist eine beinahe idealtypische Verkettung glücklicher Umstände. Und sollte allein schon aus Liebe zum Cholesterinspiegel, im Falle eines angejahrten Publikums, in Maßen genossen werden. Aber, das wussten schon die Alten – beinahe alles ist eine Frage des richtigen Maßes. Es geht um nichts weniger als das gute Leben.

Vielleicht ist es auch nur ein alltäglicher Versuch, den eher skeptischen Aphorismus eines Denkers zu widerlegen, dass es nichts Richtiges im Falsche gäbe. Über das, was dieses gute Leben sein kann, oder soll, herrscht allerdings alles andere als Einheit. Und es wäre vermessen, hier eine behaupten zu wollen. Und es muss sich auch nicht im Weichzeichnerlicht kitschiger Sonnenuntergänge abspielen. Es ist an vielen Orten zu finden: auf dem Spaziergang im Feld, in gut sortierten Antiquariaten, Plattenläden, in der Familie, beim gemeinsamen Essen in der Moschee oder auch im Tea-Room eines Hotels an der Hamburger Außenalster.

Wir alle sind aufgewachsen mit dem schalen Hedonismus der Werbebranche, die uns die Glück versprechenden Angebote der Warenwelt anpreist. Das ist keine Anklage, sondern logische Konsequenz unserer Elterngeneration. Diese wurde mit dem Wunsch erzogen, sie solle es „einmal besser haben“ als die Vorfahren.

Zugegeben, bei immer mehr Menschen ganz unterschiedlicher Natur zieht das Marketing nicht mehr so wie früher. Sie wollen mehr. Daher entstehen auch immer häufiger Sparten auf dem Markt der Möglichkeiten, mit denen natürlich Ansprüche von Konsumenten marktgerecht bedient werden sollen. Allerdings drückt sich in neuen Angeboten – ob Bio, Slow-Food oder Fairtrade – vielleicht doch der Wunsch aus, tatsächlich anders zu leben.

Einige Sensible, die oft von Profanität und Vulgarität abgestoßen sind, suchen ihr Heil manchmal im Eskapismus der individualisierten Geisteswelten. Andere vollziehen hingegen – nicht selten radikale – Volten, die sie in die (Ab-)gründe diverser Ideologien führen. Ironischerweise bewirkt konsequenzlose Hypermoral, wie es Thomas Edinger in „Der wunde Punkt“ beschreibt, nur selten, dass sich das Verhalten oder gar der Kritiker selbst ändert. Haben wir noch genug „Wahnsinn“ (Nietzsche) in uns, um uns überhaupt von reinen Ideen begeistern zu lassen? Es hat den Anschein, dass wir derzeit nicht in einer Phase leben, in der sich Leute von Büchern und abstrakten Ideen derart transformieren lassen, wie es einst bei „Walden oder Leben in den Wäldern“ (Henry David Thoreau) der Fall war. Bestenfalls reicht es gerade noch für eine säurearme Ernährung oder eine Extrarunde im Fitnesscenter, um sich schlanker – und damit besser – zu fühlen.

Bleiben wir kurz noch bei den Ideologen, die derzeit ja – brennpunktartig – ein bisschen Morgenluft verspüren. Und unangenehm auffallen. Außer kruder Handwerksarbeit, wie jüngst auf einer Demo vorgeführt, haben sie kaum Praktisches vorzuweisen. Und auch die Frontfiguren – auf allen Seiten des politischen und ideologischen Spektrums – machen nicht den Eindruck, dass sie trotz der Heftigkeit ihrer Rhetorik irgendwie ein beeindruckendes Lebensmodell hätten. Da ist die konservative Politikerin, die eine außereheliche Beziehung bekannt gibt und die Familie auflöst. Oder der gewendete Populist, der sich vor familienbedrohenden Tendenzen eines angeblichen Kartells fürchtet, aber selbst keine Kinder hat.

Das ist, weiß Gott, keine politische Präferenz. Um das gute Leben zu finden, muss man suchen. Und es braucht den Anderen, denn alleine macht das Ganze nur selten Spaß. Aber auch aus prosaischeren Gründen. Von Momenten der Eingebung und Momenten der individuellen Erfahrung abgesehen, ist das eine Kunst, die sich erlernen lässt. Dafür muss man Zeit mit anderen verbringen, die sich beherrschen.

Zugegeben, ich bin kein Fachmann. Endlose Stunden vorm Computer und gelegentliche Ausflüge in die Abgründe des Fast Foods sind der ­Gegenbeweis. Hatte aber zumindest das Glück, als Kind während der diversen Urlaube bei den Großeltern ein Stück guten Lebens erleben zu dürfen. Da waren die magischen Sommerabende, die mit entfernten Cousins (irgendwie war man verwandt) in Fantasieschlachten und – bei Regen – auf unzähligen Heuböden verbracht wurden.

Es gab den niederdeutsch-wortkargen Opa, der uns – ganz unpä­dagogisch – grundlegende Verrich­tungen wie Garten umgraben, die Hühner füttern und Ausmisten lehrte. Und „Omma“ war es, die uns zu Blumen, Kräutern und wunderbarer Hausmannskost führte. Das war weiß Gott kein ausgebauter Lifestyle-Hof, bei dem ein kinderloses Ehepaar der Stadt „entflieht“, um dann in einem sterbendem Dorf zu hocken, wo ihre sozialen Kontakte sich in überschaubaren Maßen halten. Die alten Herrschaften hatten als beinahe Kleinbauern jahrzehntelang herumzukrauten und mussten noch in rüstigen ­Jahren im Haus herumwerkeln. Trotzdem gab es etwas, ein Geheimnis, das ihrem Dasein das gewisse Etwas verlieh. Eine, durch ihre Umstände fast schon erzwungene, Realität, für deren Nachbau viele bereit sind, sehr viel Geld und Zeit aufzuwenden.

Mindestens ebenso wichtige Lehrmeister sind – hier wird sich mancher wundern – Muslime in aller Welt. Gewiss, Mediendebatte, Geopolitik und ein gelegentlicher Hang zur drögen, penetranten Hypermoral lassen diesen Schluss nicht immer auf den ersten Blick zu. Selbst die Ruinen vergangener, muslimischer Hochzivilisationen sowie die tradierte Lebensart vieler, lassen erfahrbaren, dass das gute Leben nicht im Widerspruch zu Spiritualität und Simplizität stehen muss.

Im Gegenteil, in aller Welt begreifen gerade die feinen Menschen, dass beides verbunden sein kann. Da können wir von den Katzen lernen, die geduldig, beinahe unbeteiligt, warten, bis ihr Ziel ins Blickfeld gerät. Und das Gesuchte findet sich nicht zwingend dort, wo es angepriesen wird. Vor mehr als 15 Jahren hatte ich das Glück, in einer kleinen Dreizimmerwohnung die Augen öffnende Erfahrung zu machen, dass Kaffee mehr sein kann, als die Vakuumpackung eines handelsüblichen Produzenten aufzureißen und ihn durch eine überhitzte Krupps-Maschine zu ruinieren.

Die verbindende Klammer zur Erfahrung des guten Lebens ist vielleicht, dass es den Anderen braucht, mit dem man es teilen kann.

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„Ausdruck der Freude und des Glücks"

(iz). Es ist eine Gruppe junger, intelligenter, engagierter und im deutschen Alltag fest verwurzelter Frauen, die sich einmal wöchentlich zusammenfindet, um Gott und Seinen Propheten zu preisen: die Firqah al-Muhammadiyya […]

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In Rumis Küche

(iz). Praktisch inspiriert vom Erbe Rumis bietet das Londoner Projekt „Rumi’s Cave“ verschiedene gemeinschaftliche Dienstleistungen an. Unter dem Motto „Herzen, Geister und Gemeinschaften verbinden“ zielt es auf den Bau kultureller, […]

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„Die Menschen im Innersten ansprechen“

(iz). Als kommerzielle Kunden werden Muslime im Videomarkt vernachlässigt. Wer ästhetisch leidensfähig ist, kann sich das überquellende Angebot der Sender bei Arabsat anschauen. Es entstehen – und vergehen – Plattformen, […]

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Sich mit schönen Dingen umgeben

(iz). Eine berühmte Aussage des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, lautet, dass Allah schön ist und Schönheit liebt. Jahrhunderte lang brachten muslimischen Kulturen nicht nur ausgefeilte […]

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„Die künstlerische Tätigkeit vollendet mich als Imam“

Der Aachener Mehmed Jakubovic arbeitet nicht nur seit über 20 Jahren als Imam für die bosniakische Gemeinde der Stadt, er ist auch Kalligraf und hat in Zusammenarbeit mit Islamic Relief den diesjährigen Kalligrafie-Kalender der Hilfsorganisation mit seinen Bildern geschmückt. Wir haben uns mit ihm über seine Kunst unterhalten.
Islamische Zeitung: Sehr geehrter Herr Jakubovic, Sie befassen sich mit Kalligrafie, Malerei und Holzschnitzerei. Wann haben Sie damit angefangen und wie sind Sie dazu gekommen?
Mehmed Jakubovic: Vielleicht sollte ich einige Jahre in die Vergangenheit gehen, in meine jüngeren Jahre, zur Zeit meines Wehrdienstes. Aus Langeweile habe ich angefangen, Soldatenstiefel zu zeichnen. Als ich die Bilder in der Kaserne den anderen zeigte, haben sie mir nicht geglaubt, dass ich sie gezeichnet habe. Also habe ich ein Bild Titos genommen und nachgezeichnet. Sie wissen ja, wer Tito war. Also habe ich ihn gezeichnet und sie haben den Feldwebel gerufen, damit er das Bild sieht. Er hat es mir auch nicht geglaubt, also wurde ich sauer und habe ein berühmtes Bild Titos genommen und auch dieses nachgezeichnet. Als er dieses dann gesehen hat, musste er erstaunt feststellen, dass ich tatsächlich zeichnen kann. Daraufhin wurden meine Tage in der Armee um einiges leichter. Sie wussten, dass ich ein Imam bin, dass ich die Medresse abgeschlossen hatte; was mit Vernehmungen, Ausfragen, Misstrauen und dergleichen einherging. Als ich jedoch angefangen hatte zu zeichnen, hat sich alles verändert. Ich habe Soldaten porträtiert, habe die Informationstafel beschriftet und durch diese Tätigkeiten wurden meine restlichen Tage in der Armee sehr erleichtert. So haben mir die Kollegen ab und zu einen Kaffee spendiert, mir saubere Hemden gegeben oder haben an meiner Stelle Wache gehalten.
Danach habe ich mit dem Porträtieren weitergemacht, bis ich mein Studium begann. Dort habe ich zwei meiner Professoren gezeichnet, Professor Husein ef. Djozo und Professor Ibrahim ef. Trebinjac. Professor Djozo habe ich sein Porträt gezeigt und er sagte zu mir: „Mehmed, ich denke, die Muslime sind nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, Bilder zu vergöttern. Früher waren sie verboten, aber das ist heute eine veraltete Regelung. Dennoch würde ich dir raten, dich mit etwas anderem zu beschäftigen und etwas anderes zu zeichnen.“ Also habe ich nie wieder ein Porträt gezeichnet.
Die nächste Phase begann, als ich anfing als Imam zu arbeiten. In Bihac habe ich Landschaften gezeichnet, und als ich in Donji Vakuf arbeitete, hatte ich in der Moschee einen Qur’anhalter, der so schön geschnitzt war, mit so schönen Motiven versehen war, dass ich diesen beim Qur’anlesen ständig begutachtet habe und es hat mich sehr fasziniert, wie diese Motive zustande kommen. Als ich in dieser Gegend, genauer gesagt in Prusac, noch andere Moscheen besucht habe, unter anderem die Moschee von Hasan Kafi Pruscak (ein Gelehrter und Qadi aus dem 16. Jahrhundert), habe ich im Mihrab (eine Nische in der Wand, die die Gebetsrichtung anzeigt) eine Holztafel mit einem Abschnitt aus dem Qur’an, der in das Holz geschnitzt war, entdeckt. Als ich sie umdrehte, las ich, dass dies das Werk von Hasan Kafi Pruscak selbst war. In diesem Moment entschied ich, dass ich das auch tun möchte. Also fing ich an, mir Wissen anzueignen. In Konjic gibt es eine 300 Jahre alte Tradition der Holzschnitzerei, von wo große bosnische Meister dieser Kunst herkommen. Dort habe ich mit einem Imam-Kollegen gearbeitet und von ihm gelernt.
Für mein erstes Werkzeug musste ich einen guten Teil meines Gehaltes hergeben. Ich erinnere mich gut an diesen Tag, weil ich es meiner Frau erklären musste. Mit der Holzschnitzerei habe ich lange weitergemacht, auch als Granaten über der Stadt Bosanska Gradiska, in der wir zu der Zeit gelebt hatten, gefallen sind, bin ich hinausgegangen, um zu schnitzen. Nach acht Monaten dort sind wir nach Berlin gekommen. In Bosnien hatte der Krieg noch nicht begonnen, da wir aber an der Grenze zu Kroatien und dem ehemaligen Jugoslawien waren, wurde ich drei Mal in die jugoslawische Armee berufen, also musste ich fliehen, um nicht in den Krieg ziehen zu müssen. Unter den wichtigsten Dingen, die ich mitnehmen konnte, war dieses erste Werkzeug und einige Holztafeln, die ich mit Qur’anversen geschmückt hatte. Ich habe noch heute ein paar Originale hier.
Das erste Geld, das ich in Berlin verdient habe, war durch den Verkauf meiner Tafeln an einen türkischen Imam, der sie in den türkischen Moscheen weiterverkaufte. So habe ich meine Arbeit nach Deutschland gebracht. Ich habe immer nach Wegen gesucht, diese Arbeit fortzusetzen. Später in Osnabrück und schließlich in Aachen. Nach dem Krieg habe ich das Gelernte an meinen Bruder in Bosnien übertragen, der im Krieg gekämpft hatte. Ich habe ihn mit den nötigen Werkzeugen, Maschinen und meiner Erfahrung ausgestattet und so wurde in seinem Keller eine kleine Werkstatt für Holzschnitzerei eröffnet, aus der viele Mihrabs, Mimbars, Tische und beschriftete Tafeln hervorgebracht wurden. Er hat dies wiederum an seinen Neffen, seine Frau und einen Freund weitergegeben und so haben auch sie das Handwerk erlernt.
Leider konnte ich mich nicht lange mit der Holzschnitzerei befassen, weil ich in Deutschland nicht das Holz habe und weil die Hände einfach jünger sein müssen, um mit dem Hammer in das Holz zu schlagen. Es ist eine anstrengende Arbeit. Also entschied ich mich vor sechs oder sieben Jahren, die Kalligrafie auf Leinwände und Papier zu übertragen.
Ich habe mir lange nicht das Recht genommen, mich als Kalligrafen zu bezeichnen. Ich verehre diese hohe islamische Kunst und die Lehre und Lehrer, die man dafür benötigt. In der Medresse haben wir Kalligrafie als Unterrichtsfach gehabt, aber das kommt nicht an die wahre Kunst heran.
Ich habe einfach mein künstlerisches Talent und Farbgefühl mit der Kalligrafie vereint und übe seit einigen Jahren. Und nun haben wir die Zusammenarbeit mit Islamic Relief, in der ich drei Stile verwende. Der „Sulus“ Stil ist mir am liebsten. Wenn ich in Bosnien bin, treffe ich mich öfter mit Kalligrafen und lerne dazu. Durch die Malerei konnte ich nach der Holzschnitzerei zur Kalligrafie zurückkehren und bin sehr glücklich darüber.
Islamische Zeitung: Glauben Sie, dass der Glaube an Allah, oder die Verbindung des Gläubigen zu Allah, durch die Kunst gestärkt beziehungsweise vergrößert werden kann?
Mehmed Jakubovic: Ich denke, dass Allah, unser Schöpfer, jedem eine Begabung gegeben hat. Die Frage ist nur, ob der Mensch diese erkennt. Das Wichtigste ist, wie unser Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sinngemäß gesagt hat: „Der Glücklichste ist derjenige, der die Arbeit verrichtet, für die er geschaffen wurde.” Wer sein Talent mit der Arbeit verbinden kann, ist glücklich. Wenn jemand also in sich selbst etwas entdeckt, womit Allah ihn gesegnet hat, sollte er dieses Geschenk durch seinen Glauben und seine Liebe zu Allah, in seiner Arbeit, erwidern. So ist das Eine mit dem Anderen verbunden.
Islamische Zeitung: Hat die Kunst eine direkte Auswirkung auf Ihre Arbeit? Inspiriert die Kunst Ihre Tätigkeit als Imam, oder umgekehrt, gibt Ihnen die Arbeit als Imam Ideen für Bilder und Motive?
Mehmed Jakubovic: Allem voran ist mir die Abwechslung sehr wichtig, sodass ich mich nach der gewohnten Arbeit in der Moschee, insbesondere nach dem Wochenende, durch die Kunst mit etwas anderem beschäftige. Ich verliere dabei jegliches Zeitgefühl, bis die Beine anfangen zu schmerzen. Dann merke ich erst, dass viel Zeit vergangen ist. Die beiden Tätigkeiten sind selbstverständlich mit einander verbunden. Wenn ich eine Moschee betrete, komme ich nicht umhin, mir die Details anzuschauen – die schönen wie auch die hässlichen oder unpassenden. In etwa so, wie vielen Frauen unpassende Vorhänge gleich ins Auge fallen. Wenn ich es als Ganzes betrachte, kann ich sagen, dass die künstlerische Tätigkeit mich als Imam vollendet. Einige Gemeindemitglieder sagten mir bereits, dass ich dadurch gewisse Türen, also Wege, eröffne, wozu ich durch die alleinige Arbeit als Imam vielleicht nicht die Möglichkeit gehabt hätte.
Islamische Zeitung: Welchen Stellenwert hat dabei die bosnische Kultur für Sie? Verbinden Sie eine Art Nostalgie zur alten Heimat mit der Kunst?
Mehmed Jakubovic: Die ersten Aquarell Bilder, die ich in Berlin im Heizungskeller des Wohngebäudes, in dem ich bei meinem Schwager untergekommen war, gemalt habe, waren Motive bosnischer Städte. Einmal, als der Krieg dort schon angefangen hatte, sagte ich zu meiner Frau: „Stell Dir vor, wie es wäre, wenn wir diese Städte irgendwann nur noch auf Bildern betrachten können …” Die Verbundenheit mit Bosnien ist auf jeden Fall da. Viele meiner Motive stammen aus der bosnischen Kultur, beispielsweise aus der Teppichweberei oder den inneren Ornamenturen.
Islamische Zeitung: Sie versuchen sicherlich, diese Kultur ein Stück weit in Deutschland aufrechtzuerhalten…
Mehmed Jakubovic: Das tue ich sicherlich. Ich versuche aber auch, die bosnische und die spanisch-muslimische Kultur mit einander zu verbinden. Ich bin sehr von dieser Kultur beeindruckt. Leider war ich noch nicht dort, aber ich plane es, inschaAllah. Seit ungefähr fünf Jahren beschäftige ich mich intensiv damit. Vor ungefähr zehn Jahren wollte ich hier weiter studieren, und zwar Islamische Kunst, jedoch habe ich das Studium schließlich nicht aufgenommen. Mich hat die Verbindung islamischer und europäischer Kunst, mit dem Schwerpunkt des muslimischen Lebens in Spanien und den Ähnlichkeiten zwischen Bosnien und Spanien, sehr interessiert. Die Muslime in beiden Ländern haben eine ähnliche Geschichte.
Gott sei Dank ist es den Muslimen Bosniens noch nicht so ergangen wie jenen aus Spanien. Die Muslime haben dort länger gelebt und haben eine außerordentlich wichtige Kultur hinterlassen. Womöglich ist es der Höhepunkt der islamischen Architektur und Kunst, der dort zu finden ist. In Bosnien gibt es einige Unterschiede, aber auch dort ist authentische islamische Kultur zu finden, die sich mit der spanischen vergleichen lässt. Aber die muslimische Gemeinschaft ist in Bosnien erhalten geblieben und die Kultur wird so weiterhin erhalten und erweitert. Wir sind noch da.
Islamische Zeitung: In den westlichen Ländern betrachtet man islamische Kunst eher als etwas Fremdes. Denken Sie, dass es wichtig ist, zu zeigen oder zu beweisen, dass diese eben doch Teil der europäischen Geschichte und Kultur ist?
Mehmed Jakubovic: Es sollte jedem gebildeten Menschen bekannt sein, dass die Renaissance nicht möglich gewesen wäre ohne den islamischen Input. Ein Kunstlehrer kam einmal in meine Moschee, weil er meinen Mihrab sehen wollte, der aus Marmor und mit den 99 Namen Allahs versehen ist, die ich selbst eingemeißelt habe. Er wollte ihn übertragen, damit er ihn seinen Schülern zeigen konnte. Er erklärte mir, dass er schon in vielen Moscheen gewesen sei, worauf ich erwiderte, dass meine Moschee darunter nur ein Zwerg ist und nicht zu vergleichen ist mit den großen, schönen Moscheen der Welt. Beim nächsten Mal brachte er mir vier Tafeln mit Arabesken, die schon über vierzig Jahre alt waren, welche er selbst gefertigt hatte und noch heute hütet. Ich war überwältigt von dem schönen Anblick, ich konnte nicht glauben, was ich sah. Er sagte: „Herr Jakubovic, derjenige, der nicht in Cordoba war, weiß nichts über Kunst, und insbesondere über islamische Kunst. Wer das nicht gesehen hat, hat nichts zu sagen.” Das hat mich sehr bewegt. Die europäische Kunst hat jedoch eine andere Richtung eingeschlagen als die islamische.
Islamische Zeitung: Viele Nichtmuslime verbinden die Muslime nicht unbedingt mit Kunst. Könnte die islamische Kunst einen positiven Einfluss auf Nichtmuslime haben, wenn sie diese kennenlernen?
Mehmed Jakubovic: Künstler werden allgemein hin als „Schöpfer” gesehen. Im Islam verneinen wir dieses Prinzip, da Allah der alleinige Schöpfer aller Dinge ist. Die Definition von Kunst im Bosnischen ist, dass man „etwas kann” und dies kommt der islamischen Definition schon näher. Jemand kann etwas, hat die Begabung für etwas. Aus dieser Perspektive kann man die islamische Kunst so betrachten, dass sie nicht für den Künstler und nicht für sich selbst steht. Sie trägt eine abstrakte Bedeutung oder Nachricht.
Die europäische Kunst hat eine andere Ausdrucksform. Ich war einmal im Louvre, um mir die Mona Lisa anzuschauen. Ich sagte immer, sie ist die einzige Dame, die ich dort sehenswert finde und ich habe großen Respekt vor ihr. Die anderen Figuren, die mächtigen Figuren, waren für mich anstrengend. Ich dachte mir, alhamdulillah, dass Allah uns Muslime von dieser Art der Kunst befreit hat. Wenn Sie sich die islamische Kalligrafie, die Arabesken, die Geometrie anschauen, treten Sie in eine abstrakte Welt, einen Kosmos, eine Unendlichkeit ein, die erholend wirkt. So sehe ich sie zumindest.
Das Kunstverständnis entsteht hier also aus einem anderen Blickwinkel heraus. In der islamischen Kunst wird nicht der Künstler oder das Kunstwerk verehrt. Der Künstler steht nicht im Mittelpunkt, er existiert nicht. Er hat etwas hinterlassen, aber es geht dabei nicht um ihn, sondern er hat Allahs Schönheit und die Seiner Schöpfung in seinem Werk manifestiert. Und das hat einen direkten Nutzen für den Menschen. Die Kunst ist im Islam nicht zwecklos. So kann man sagen, dass die Muslime lediglich ein anderes Kunstverständnis haben als Nichtmuslime. Die ästhetische Erfahrung und die andersartige Bedeutung hinter der islamischen Kunst kann durchaus das Interesse bei Nichtmuslimen wecken und zu einem tieferen Verständnis führen.
Islamische Zeitung: Sehen Sie die künstlerische Tätigkeit manchmal auch als Erholung vom Job an, selbst vom Job eines Imams?
Mehmed Jakubovic: Vor allem vom Job als Imam. Nur die Beine strengen sich an, ich kann nicht im Sitzen arbeiten. Körperlich strengt sie mich an, aber erholt mich seelisch ungemein.
Islamische Zeitung: Herr Jakubovic, wir bedanken uns für das Gespräch.
Internet: jakubovic.de

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Nur eine ­Aufgabe des Staates?

(iz). Offene Diskussionen sind in der muslimischen Community trotz moderner Medien bisher noch nicht die Norm. Umso genauer sollten wir hinhören, wenn Fragen wie die vorliegende behandelt werden und wenn […]

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Widersprüche interessieren nicht

(iz). Nach den Ereignissen in der ­Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof und den sich anschließenden öffentlichen Diskussionen müssen wir festhalten, dass unser Land, unsere Gesellschaft, ein gravierendes und in seiner unheilvollen […]

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Das deutsche Missverständnis

„Ist Kultur eben in erster Linie eine Aktivität? Schreiben, Bauen, Malen, Dichten oder eben ‘Backen’. Geträumt: Wäre ein Syrer, der in der Provinz das berühmte deutsche Brot macht, ein Beitragender […]

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Schnellschüsse aus der Hüfte

(iz). Längst sind das Internet und seine Kommunikationsformen zu einer Arena des Politischen geworden. Hier finden die Politik sowie ihre Themen ihren Widerhall. Alles, was früher den Wählern beziehungsweise jeweils […]

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