Eine Differenzierung über die Rolle der Muslime in Deutschland gefährdet das konservative Weltbild

„Alle Differenzierung, die sich aus anspruchsvollen Debatten quasi automatisch ergeben, gefährdet den Konsens der neuen Rechten, die im Islam und seinen Anhängern ein notwendiges Feindbild sehen, um die eigenen Reihen zu schließen. Der positive Entwurf einer Gesellschaft, die die Rolle der Muslime anerkennt oder sogar vom Islam lernt, wird von der großen Negation gegenüber der Realität verdrängt.“

(iz). Wie begegnen die Eliten der Konservativen den Muslimen? Die Antwort ist einfach: meist gar nicht. Die Präsenz des Islam in Europa ist den Rechten ein Dorn im Auge und die grundsätzlich kritische Haltung gegen diese Religion ein wichtiger Bestandteil des eigenen Selbstverständnisses. Die Bewahrung des christlich-jüdischen Abendlandes, eine, in diesen Kreisen geläufige rhetorische Figur, negiert den geistigen und historischen Beitrag des Islam bis heute.

Die Auseinandersetzung auf Augenhöhe zwischen Muslimen und Konservativen ist eine Ausnahme. Seit Ende 2021 findet sich auf YouTube ein Beispiel, dass diese Begegnung durchaus denkbar und spannend ist. Der kanadische Psychologe Jordan Peterson veröffentlicht auf seinem Kanal ein Gespräch mit dem amerikanischen Gelehrten Scheich Hamza Yusuf. Bis heute wurde das Video mit dem ungewöhnlichen Titel „Was kann man vom Islam lernen?“ über zwei Millionen Mal abgerufen.

Peterson ist souverän genug, sich dem Phänomen zunächst einmal verstehend anzunähern. Er stellt Fragen nach der Sozialisierung des Gesprächspartners, den Gründen für seine Entscheidung die Religion zu akzeptieren und versucht herauszuarbeiten, was der Islam ist. Das Gespräch über Gott und die Welt, Sinn und Tod, bis hin zu den Gefahren einer möglichen Ideologisierung des religiösen Klientel ist ein seltenes Beispiel für eine echte Begegnung zwischen einem Konservativen und einem Muslim. Dem Publikum wird ein Ansatz angeboten, der die Bedeutung der Lebenspraxis nicht von Extremfällen, sondern vom Normalfall eines gebildeten Gläubigen ableitet.

Der letzte große Konservative in Deutschland, der sich dem Phänomen des Islam verstehend annäherte, dürfte Goethe gewesen sein. In der Bibliothek des Universalgelehrten finden sich zahlreiche Qur’anübersetzungen und einschlägige Fachliteratur. Die typische Haltung des Bewahrers zeigt sich in der Skepsis des Meisters hinsichtlich revolutionärer Bestrebungen, der Abscheu gegenüber Ideologie und der Erkenntnis, dass das griechische Narrativ langsam in seiner Wirkungsmacht aus dem europäischen Bildungskanon ausscheidet. Goethe ist Realist und versteht die wachsende Bedeutung der Finanztechnik und die sich abzeichnenden Folgen der Globalisierung. Eine Dialektik gegen den Islam hält er für die eigene Identitätsfindung in stürmischen Zeiten nicht nötig.

Das fundierte Wissen über Islam gehört heute längst nicht mehr zur Grundausbildung eines Konservativen. Wer kennt oder bezieht sich auf Philosophen wie Ibn al-’Arabi und Ibn Ruschd? Wo ist das Interesse am Beitrag der Gelehrten zur abendländischen Entfaltung, Neugier auf die Aktualität des islamischen Wirtschaftsrechts, Sympathie gegenüber den sozialen Dimensionen der Lebenspraxis, gar ein Gespür für die Tugendlehre, die der religiösen Praxis innewohnt? Verbreitet sind dagegen relativ simpel aufgezogene Feindbilder oder das andauernde Vorurteil der Fremdheit der Religion.

Das paradoxe Ergebnis dieser eingeschränkten Sicht ist es, dass junge Gläubige sich von einem politisch-ideologischen Islam abwenden, aber gleichzeitig in den bürgerlichen Parteien keine Willkommenskultur vorfinden. Die Strategen der CDU erkennen nicht das langfristige Potential der neuen Generationen von Muslimen in Deutschland. Argumente für eine Annäherung wären durchaus vorhanden, so sind Menschen, die an ihrer Religion festhalten, von Natur aus konservativ und auf der anderen Seite liberal, da sie mit einem Realitätssinn für eine sich wandelnde Zeit ausgestattet sind. Junge Muslime halten an ihrem Narrativ fest, bekennen sich zur Familie, zu einer universalen Moral und – Überraschung – in ihrer großen Mehrheit zur Verfassung.

Im Jahr 2006 versuchte der Gründer der deutschen Islamkonferenz, Wolfgang Schäuble, mit einigen klug formulierten Sätzen eine Brücke zu einer der großen Minderheiten im Lande zu bauen: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und Teil unserer Zukunft.“ Der konservative Vordenker spaltete mit seinem Vorschlag seine Gefolgschaft. Es sind dicke Bretter zu bohren. Die These, die den Islam aus der europäischen Geschichte ausschließt, gehört zu den wichtigsten Denkfiguren rechter Kreise in der Bundesrepublik. In diesem Diskurs sind direkte Begegnungen nicht vorgesehen und wenn doch, dann grundsätzlich nur mit ausgewählten VertreterInnen des Spektrums ausdrücklicher Religionskritik. Aufsehen erregte 2011 eine Streitschrift des FAZ-Redakteurs Patrick Bahners („Die Panikmacher“), der den einseitigen Umgang mit dem Islam hinterfragte. Nicht nur für den politischen Raum rechts von der CDU hat seine Analyse nichts an Aktualität verloren: „Die Islamkritik ist ein System von Sätzen, aber nicht bloß ein logisches Gebilde, sondern zugleich eine Ballung von Stimmungen, ein Syndrom des Ressentiments.“

Seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 sind die Fronten endgültig verhärtet. Auch wenn nur ein Teil der Flüchtlinge praktizierende Muslime waren, dreht sich die rechtskonservative Verschwörungstheorie mit Vorliebe um die angebliche Islamisierung des Abendlandes. Im Jahr 2018 verfassten Akademiker und Intellektuelle von Vera Lengsfeld über Uwe Tellkamp bis zu Tilo Sarrazin eine gemeinsame Erklärung gegen die, wie sie sagen, illegale Masseneinwanderung. Peter Sloterdijk kommentierte die Reaktion der Entfremdeten wie folgt: „Freud hat das Unbehagen in der Kultur durch den Triebverzicht erklärt. Mir scheint, heute sei das Unbehagen eher damit verbunden, dass man das Zuschauerprivileg verliert.“ Mit anderen Worten: Die Kritiker lieferten nicht etwa einen Entwurf zur humanen Bewältigung von Fluchtbewegungen, sondern fordern vielmehr das vermeintliche Recht ein, von geopolitischen Realitäten nicht belästigt zu werden.

Es gehört zur Ironie der Geschichte, dass heute organisierte, „konservative“ Muslime und Konservative, die von den Volksparteien enttäuscht sind, gegen ähnlich klingende Markierungen wie „Nazi, Islamist oder Faschist“ ankämpfen. Besucht man zum Beispiel den Kanal der Berliner Bibliothek des Konservatismus, eine Denkfabrik der neuen Rechten und für viele Liberale ein Verdachtsfall, begegnet man zahlreichen prominenten Rednern, die sich von der CDU und den rechtsextremen Rändern abgrenzen. Die Grundidee dahinter ist eine Rückbindung an das Narrativ eines Gedankengutes, an das Land der Dichter und Denker, ohne in die Ideologie des Nationalismus und Rassismus der Nazis zurückzufallen. In den Veranstaltungen, in denen gefragt wird, unter welchen Voraussetzungen es eine konservative Moderne oder Zukunft gibt, ist der Islam meist der Elefant im Raum.

Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt sieht in der Präsenz der Muslime in Europa ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Er argumentiert gegen eine mögliche Verwandtschaft von religiös motivierten Konservativen mit unterschiedlichem konfessionellen Hintergrund: „Religion und Konservatismus haben nichts miteinander zu tun.“ Gegenargumente werden kaum zugelassen. In diesen Sphären ist das Gespräch auf Augenhöhe mit Muslimen nicht vorgesehen.

Der Osten Deutschlands ist heute eine Hochburg der neuen Rechten, die von der Mobilisierung der Straße mit rechtsextremen Bürgerbewegungen, bis hin zu möglichen parlamentarischen Mehrheiten der AfD reicht. Gemeinsam ist diesen Parteiungen, jede von Immigranten begangene Straftat der Glaubensordnung anzuhängen und damit der Wille, den Islam in Europa auf Dauer auf die Ebene eines potentiellen Gefahrenherds zu reduzieren. Das Phänomen deutsche Muslime endlich anzuerkennen, ist im Rahmen dieser Logik unmöglich. Hinzukommt die altbekannte „konservative“ Forderung, die ostdeutsche Provinzen aus dem Veränderungsdruck einer Einwanderungsgesellschaft herauszuhalten.

Auf der kulturellen Ebene scheint die Rechte im Osten mit dem Schriftsteller Uwe Tellkamp einen wortgewandten Fürsprecher auf ihre Seite gezogen zu haben. Sein Bestseller „der Turm“ und die anschließende Verfilmung garantierte dem Dresdner eine breite Öffentlichkeit. Ein neuer Dokumentarfilm von Andreas Gräfenstein beschreibt den Einsatz Tellkamps für die Meinungsfreiheit, die Verbreiterung des Meinungskorridors und gegen die Idee der Kontaktschuld. 2018 hatte er mit der These, „dass 95 Prozent der Asylbewerber, Flüchtlinge und Zuwanderer in Deutschland von 2015 und danach bloß in unsere Sozialsysteme einwandern möchten“ einen Empörungssturm ausgelöst.

Der Autor rückte zwar von seiner unhaltbaren These ab, baute aber gleichzeitig seine Kontakte in das rechte Milieu aus und zeigte sich sonst wenig beeindruckt von der Kritik. Die Allianz der Dresdner Pegida mit offen islamophoben Kreisen beschäftigen ihn nicht, eher sorgt er sich mit beleidigtem Unterton um die Verunglimpfung des sogenannten bürgerlichen Widerstandes an der Elbe. Das Thema der Immigration lässt Tellkamp nicht los und spielt eine bedeutende Rolle in seinem neuen Roman „Der Schlaf in den Uhren“. Das Werk über die Tiefen der DDR-Vergangenheit ist ergänzt mit Anspielungen auf die Flüchtlingspolitik der ehemaligen Bundeskanzlerin. Er beschreibt im Rahmen einer komplexen, auf hunderten Seiten ausgebreiteten Fiktion das Phänomen der Macht in einem von Medien beherrschten Staatswesen. In den schlafenden Uhren, so der Autor, verbergen sich die Dämonen und ungelösten Fragen der Republik. Der begnadete Schriftsteller zeigt sich vor allem in langen Passagen, die sich mit der Insel Hiddensee, der Zoologie, dem Rasieren oder sonstigen phänomenologischen Absonderlichkeiten befassen.

An Genauigkeit, zu der Tellkamp sprachlich fähig ist, fehlt es bei seinen Äußerungen, die das Thema Islam berühren. Hier bleibt der Künstler eher vage und belässt es bei nebulösen Vorurteilen über eine vermeintlich andere Weise zu leben. Der Verdacht, dass die meisten konservativen Denker sich niemals einem niveauvollen Gespräch auf Augenhöhe aussetzen, trifft ebenso auf Tellkamp zu. Ist das ein Zufall? Wohl kaum. Alle Differenzierung, die sich aus anspruchsvollen Debatten quasi automatisch ergeben, gefährdet den Konsens der neuen Rechten, die im Islam und seinen Anhängern ein notwendiges Feindbild sehen, um die eigenen Reihen zu schließen. Der positive Entwurf einer Gesellschaft, die die Rolle der Muslime anerkennt oder sogar vom Islam lernt, wird von der großen Negation gegenüber der Realität verdrängt. Sprachlosigkeit ist die Grundbedingung jeder Ideologie.

Die IZ als Reiseführer. Auf dem Weg durch Ostdeutschland

(iz). „Reisen bildet“ – diese Maxime gilt auch etwas in der islamischen Lebenspraxis. Zu einem umfassenden Bild deutscher Landschaften gehört natürlich der Besuch des Ostens. Nur, viele Muslime scheu­en sich […]

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