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Erdoǧan will per Verfassungsänderung das Kopftuchtragen schützen

Istanbul (dpa). Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoǧan will das Recht auf Kopftuchtragen mit Hilfe der Opposition in der Verfassung verankern. „Lasst uns eine Lösung auf der Verfassungsebene finden, nicht auf der gesetzlichen“, sagte Erdoǧan am Mittwoch in Ankara bei einer Versammlung seiner islamisch-konservativen AK-Partei.

Zuvor hatte der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu einen Gesetzesentwurf dem Parlament vorgelegt, der das Recht auf Kopftuchtragen in öffentlichen Behörden und Einrichtungen garantieren soll. Es sollen demnach Frauen bei ihrer Kleiderwahl nicht in ihren Grundrechten eingeschränkt werden.

Der Text, der dem Parlament vorgelegt wurde, sei weit davon entfernt, das Problem in all seinen Dimensionen zu erfassen, kritisierte Erdogan. Das Staatsoberhaupt warf der Opposition „Heuchelei“ vor, weil es in der Vergangenheit das Verdienst seiner Regierungspartei gewesen sei, solche Rechte zu sichern. Die AKP, die seit 2002 an der Macht ist, hatte ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen schrittweise aufgehoben.

Kılıçdaroğlu überraschte mit seiner Initiative, weil seine Partei, die sozialdemokratische CHP, traditionell die Trennung zwischen Staat und religiösen Institutionen (Säkularismus) als eine der Grundfesten der türkischen Republik hochhält. Beobachter gehen davon aus, dass der Oppositionsführer Wähler aus dem traditionellen Milieu Erdogans für seine Partei gewinnen möchte. Die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sind für den kommenden Juni angesetzt. Der Wahlkampf nimmt zunehmend Fahrt auf.

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Die andere Hauptstadt:  Bisher blieben die Reize von Edirne Fremden oft verborgen

(iz). Gerade hatten wir die Grenze passiert und waren 20 Kilometer von unserem Ziel entfernt. Aber während sich der Orientexpress näherte, leuchtete die Selimiye-Moschee von Edirne mit ihrer erleuchteten Kuppel […]

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Türkei verurteilt Scheinreferenden in russisch besetzten Gebieten

Ordnung

Istanbul(dpa). Auch die Türkei hat die von Russland und den russischen Besatzungsbehörden angekündigten Scheinreferenden in den besetzten Gebieten der Ukraine verurteilt. „Wir sind besorgt über Versuche, in einigen Regionen der Ukraine einseitige Referenden durchzuführen“, hieß es aus dem Außenministerium am Mittwochabend.

Solche „illegitim beschlossenen Tatsachen“ würden von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. „Im Gegenteil, sie werden die Bemühungen um eine Wiederbelebung des diplomatischen Prozesses erschweren und die Instabilität vertiefen.“ Die Türkei stehe für die „territoriale Unversehrtheit, Unabhängigkeit und Souveränität“ der Ukraine.

Die Türkei ist NATO-Mitglied und pflegt mit der Ukraine enge Beziehungen, gilt aber auch als enge Partnerin Russlands. Ankara hat dennoch immer wieder die russische Annexion der Halbinsel Krim 2014 kritisiert – auch weil die muslimische Minderheit der Krimtataren historisch eng mit dem südlichen Nachbarn am Schwarzen Meer verbunden ist.

Die Abstimmungen in besetzten Gebieten der Ukraine über einen Beitritt zu Russland sollen vom 23. bis 27. September abgehalten werden. Sie werden weltweit als völkerrechtswidrig angesehen, weil sie ohne Zustimmung der Ukraine, unter Kriegsrecht und nicht nach demokratischen Prinzipien ablaufen. Beobachter sehen in den Scheinreferenden eine Reaktion auf die aktuelle ukrainische Gegenoffensive im Osten des Landes.

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DITIB-Bundesvorsitzender Türkmen tritt ab

Köln (iz). Wie die DITIB-Pressestelle am 30.8. meldete, tritt der Bundesvorsitzende des Moscheeverbands, Kazım Türkmen, nach vierjähriger Amtszeit wieder ab. Er werde solange in seinem Amt verbleiben, bis die Generalversammlung der Vereinigung einen Vorstand gewählt hat. In seiner Abwesenheit soll er durch seinen Stellvertreter Atasoy vertreten werden.

Türkmen wurde am 13.08.2018 vom türkischen Amt für religiöse Angelegenheiten (Diyanet) mit seinem Amt betreut. Nun wolle er sich wie andere auch neuen Tätigkeiten in der Türkei widmen.

Das aus der Vergangenheit der türkischen Migration nach Deutschland stammende System der Entsendung und befristeten Tätigkeit türkischer Religionsvertreter ist seit einigen Jahren von Muslimen in Deutschland in Frage gestellt worden. Es müsse diskutiert werden, so nachdenkliche Stimmen, ob diese Praxis einer Diaspora noch funktioniere angesichts der Beheimatung von MuslimInnen und Islam in Deutschland. (ak)

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Hintergrund: Finanz- und Wirtschaftskrise am Bosporus

Die Wirtschafts- und Währungskrise in der Türkei löst Spekulationen über gravierende Folgen für Deutschland aus: Beide Länder sind ökonomisch eng verflochten. ANKARA/BERLIN (GFP.com/iz). Mit einiger Sorge reagieren Beobachter auf die […]

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Hintergrund: Kräfteverschiebungen am Hindukusch

BERLIN/KABUL (GFP.com). Mit Blick auf den Vormarsch der Taliban in Afghanistan werden in Berlin Forderungen nach der erneuten Entsendung der Bundeswehr an den Hindukusch laut. Die Taliban müssten „durch Luftschläge“ daran gehindert werden, bedeutende afghanische Städte zu erobern, fordert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen (CDU). Dies habe US-Präsident Joe Biden in der Hand; sollten allerdings „militärische Fähigkeiten der Europäer, auch der Deutschen“, gebraucht werden, „dann sollten wir sie zur Verfügung stellen“. Unterdessen schwindet der Einfluss des Westens in Afghanistan rasant.

Während die US-Streitkräfte noch Luftangriffe auf Taliban-Stellungen durchführen, bietet die Türkei ihre Soldaten für die Sicherung des Flughafens in Kabul an; die Aufgabe gilt als nötig, um im Notfall schnellstmöglich das westliche Botschaftspersonal aus der afghanischen Hauptstadt evakuieren zu können. Russland stärkt seine militärische Position in Zentralasien unweit der afghanischen Grenze; China sucht seine Kontakte zu den Taliban zu stabilisieren.

Der Vormarsch der Taliban

Die Taliban haben am gestrigen Montag ihren Vormarsch auf Afghanistans Städte fortgesetzt. Sie konnten gestern mit Aybak (Samangan) die sechste Provinzhauptstadt einnehmen. Bereits zuvor war es ihnen seit Ende vergangener Woche gelungen, die Provinzhauptstädte Zaranj (Nimruz), Sheberghan (Jowzjan), Kunduz und Sar-e Pol (in der jeweils gleichnamigen Provinz) sowie Taloqan (Takhar) zu erobern. Heftige Angriffe führen sie zudem auf die zweit- und die drittgrößte Stadt des Landes, Kandahar und Herat; gestern haben sie angekündigt, auch die viertgrößte Stadt, Mazar-e Sharif, attackieren zu wollen.

Weite Teile des ländlichen Afghanistans beherrschen sie ohnehin. Schwer wiegt zudem, dass die Taliban Stück für Stück die wichtigsten Geldquellen unter ihre Kontrolle bringen. So haben sie mindestens acht bedeutende Grenzübergänge zu Iran, Turkmenistan und Tadschikistan sowie zu Pakistan übernommen und kassieren dort einen signifikanten Teil der afghanischen Zolleinnahmen, die ungefähr die Hälfte der Inlandseinnahmen der afghanischen Regierung ausmachen. Mit Kunduz kontrollieren sie zudem eine Stadt, die als eines der zentralen Drehkreuze für den höchst lukrativen Opium- und Heroinhandel gilt. Ihr weiteres militärisches Vorrücken scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

„Militärische Fähigkeiten der Deutschen“

Der schnelle Vormarsch der Taliban belegt erneut, dass es den westlichen Mächten in den fast zwei Jahrzehnten ihrer Besatzungspräsenz am Hindukusch nicht gelungen ist, einigermaßen tragfähige politische sowie soziale Strukturen aufzubauen. Die Vereinigten Staaten intervenieren noch mit Luftangriffen, wollen ihre Truppen jedoch bis Ende August vollständig aus Afghanistan abgezogen haben. Ob und, wenn ja, wie sie weiter in die Kämpfe eingreifen wollen, ist bisher nicht bekannt.

Ansonsten entzieht sich die Entwicklung am Hindukusch zunehmend westlicher Einflussnahme. In Berlin werden jetzt mit Blick darauf erste Forderungen laut, die Abzugsentscheidung umgehend zu revidieren. Am Sonntag erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), US-Präsident Joe Biden habe es noch „in der Hand“, das „große außenpolitische Desaster“ in Afghanistan zu stoppen; die Taliban müssten nun „durch Luftschläge“ daran gehindert werden, weitere große Städte zu erobern. Röttgen schließt dabei auch einen erneuten Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch nicht aus. Er fordert: „Wenn es … militärische Fähigkeiten der Europäer, auch der Deutschen, gibt, die jetzt benötigt würden, dann sollten wir sie zur Verfügung stellen.“

Die Türkei in Afghanistan

Während der Einfluss des Westens in Afghanistan in rasantem Tempo schwindet, bemühen sich andere Staaten – aus völlig unterschiedlichen Gründen und in höchst unterschiedlichem Kontext -, am Hindukusch Fuß zu fassen. So hat sich die Türkei bereit erklärt, in Zukunft den Hamid Karzai International Airport in Kabul militärisch zu sichern. Einerseits gilt der Schutz des Flughafens als notwendig, um im Notfall eine schnelle Evakuierung westlicher Diplomaten und des Personals westlicher Botschaften durchführen zu können; dies wiederum ist eine Voraussetzung dafür, diplomatische Vertretungen in der afghanischen Hauptstadt geöffnet zu lassen. Andererseits treibt die Türkei seit Jahren, anknüpfend an die gemeinsame Zugehörigkeit zum Islam, eigenständige Einflussmaßnahmen in Afghanistan voran, die sie jetzt zu nutzen sucht, um sich nach dem Abzug des Westens eine eigene Präsenz am Hindukusch zu sichern.

Als Gegenleistung für das Offenhalten des Flughafens fordert Ankara Berichten zufolge die Übernahme der Betriebskosten durch die USA sowie logistische Unterstützung. Unklar ist, ob die Türkei einen modus vivendi mit den Taliban aushandeln kann. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wird mit der Aussage zitiert: „Die Taliban sollten mit der Türkei viel leichter sprechen können, denn die Türkei hat keine Probleme mit ihren religiösen Standpunkten“.

Russland in Zentralasien

Nicht in Afghanistan selbst, aber unmittelbar an dessen Grenzen baut Russland seine militärische Präsenz aus. Es unterhält ohnehin bereits Militärbasen in Kirgisistan und in Tadschikistan und hat nun begonnen, seinen Stützpunkt in Tadschikistan zu verstärken. Darüber hinaus hat es zugesagt, die tadschikischen Streitkräfte mit Ausrüstung und mit Trainingsprogrammen zu unterstützen. Anlass ist die Befürchtung, mit der Übernahme der Kontrolle über die Grenzübergänge sowie das Grenzgebiet durch die Taliban könne der Krieg sich über die Grenze bis nach Tadschikistan hinein ausweiten.

In der vergangenen Woche starteten rund 2.500 Soldaten aus Tadschikistan, dem angrenzenden Usbekistan und Russland gemeinsame Manöver in rund 20 Kilometern Entfernung zur afghanischen Grenze. Schon zuvor hatten gut 1.500 Soldaten aus Russland und Usbekistan bei der usbekisch-afghanischen Grenzstadt Termez militärische Übungen durchgeführt.

In Termez war jahrelang die Bundeswehr mit einem Stützpunkt präsent, über den sie Militärtransporte nach Afghanistan abwickelte. Dies ist nun ebenso Vergangenheit wie die US-Militärstützpunkte in Usbekistan und Kirgisistan, die 2005 bzw. 2014 abgewickelt wurden. Mit dem westlichen Abzug geht nun ein Ausbau der militärischen Position Russlands in Zentralasien einher.

Auf Stabilität bedacht

Noch unklar ist die Rolle, die China in Zukunft in Afghanistan spielen wird. Am 28. Juli hatte der chinesische Außenminister Wang Yi in der Hafenstadt Tianjin eine Delegation der Taliban zu Gesprächen empfangen. Die Volksrepublik ist vor allem auf Stabilität am Hindukusch bedacht; sie fürchtet zum einen, Jihadisten – auch uigurische – könnten Afghanistan als Basis für Attacken im angrenzenden Xinjiang nutzen, zum anderen, Unruhen in Afghanistan könnten sich auf andere Nachbarstaaten wie Pakistan auswirken, mit denen Beijing im Rahmen der Neuen Seidenstraße immer enger kooperiert.

Den Anspruch, sich seinerseits in die afghanische Politik einzumischen, habe Beijing nicht, urteilt Andrew Small, ein Experte vom European Council on Foreign Relations (ECFR): In der chinesischen Debatte werde immer wieder darauf verwiesen, dass in Afghanistan noch keine äußere Macht sich habe festsetzen können; nicht umsonst werde das Land zuweilen als „Friedhof der Mächte“ bezeichnet.

China werde sich deshalb wohl darauf konzentrieren, seine unmittelbaren Stabilitätsinteressen in Afghanistan zu fördern. Dazu nutze es seine bestehenden Beziehungen zu den Taliban – und zwar vollkommen unabhängig vom Westen.

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Libanon – Am Jahrestag der Katastrophe

Libanon

BEIRUT/BERLIN/PARIS (GFP.com). Zum Jahrestag der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut droht Außenminister Heiko Maas dem Libanon mit Sanktionen. Es gelte „den Druck auf die politischen Entscheidungsträger aufrechtzuerhalten“, erklärt Maas mit Blick auf von der EU geplante Maßnahmen, die unter anderem Strafen für Politiker vorsehen, die sich „der Durchführung ausschlaggebender Wirtschaftsreformen“ verweigern.

Berlin und Paris hatten unmittelbar nach der Explosion am 4. August 2020 in Beirut einen „Systemwandel“ verlangt bzw. im Kommandoton erklärt, es müssten „Worten jetzt auch Taten folgen“. Erreicht haben sie seither nichts. Die Lage im Libanon ist desaströs; die Wirtschaftskrise eskaliert, mittlerweile leben mehr als 60 Prozent der Bevölkerung in Armut.

Die Regierung – nur noch geschäftsführend im Amt – ist handlungsunfähig; zugleich rivalisieren äußere Mächte, darunter Deutschland, Frankreich und die Türkei, um Einfluss. Um den Wiederaufbau des Hafens in Beirut bewerben sich auch deutsche Unternehmen – dies mit einem Projekt, das schon jetzt scharfer Kritik ausgesetzt ist.

Innere Krise

Ein Jahr nach der Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut befindet sich der Libanon in einer desaströsen Lage. Die Zerstörungen im Hafen haben die bereits zuvor ernste Wirtschaftskrise noch weiter verschärft. Die libanesische Lira hat inzwischen mehr als 90 Prozent ihres früheren Werts verloren; die Inflation wird auf 100 Prozent, bei Lebensmitteln gar auf 200 Prozent beziffert. Es herrscht Mangel an Medikamenten und an Treibstoff; wegen des Treibstoffmangels können – inmitten der Covid-19-Pandemie – manche Krankenhäuser keine Patienten mehr aufnehmen.

Viele verlassen das Land; unter anderem sind bisher 1.200 Ärzte ausgewandert. UNICEF warnt, der Treibstoffmangel könne – in Verbindung mit zunehmenden Stromausfällen – nun auch noch die Wasserversorgung unterbrechen. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsschwelle. Gleichzeitig ist die Regierung, die kurz nach der Explosion zurückgetreten ist, immer noch geschäftsführend im Amt – und mehr oder weniger handlungsunfähig. Mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt worden ist kürzlich der Multimilliardär Najib Mikati. Er hat in vielen Ländern umfangreiche Geschäftsinteressen, nicht zuletzt in den Staaten Europas.

Äußere Rivalitäten

Zur eskalierenden Wirtschaftskrise und zur politischen Lähmung kommen wachsende äußere Rivalitäten um den Libanon hinzu. So ist nicht nur die ehemalige Kolonialmacht Frankreich stark bemüht, ihren Einfluss in dem Land auszudehnen. Auch die Türkei strebt in Beirut nach einer stärkeren Stellung – im Rahmen ihrer Versuche, sich in der arabisch-islamischen Welt, von Syrien über den Irak bis Libyen, tiefer zu verankern. Für Ankara sei der Libanon „ein bedeutendes Schlachtfeld“ in seinem Machtkampf nicht zuletzt gegen Frankreich, stellte kürzlich Mohamed Noureddine, Professor für türkische Geschichte an der Lebanese University in Beirut, fest.

Die Machtkämpfe äußern sich nicht zuletzt in interessierten Angeboten zum Wiederaufbau des bedeutenden Hafens von Beirut. So hat etwa der französische Schifffahrtskonzern CMA CGM erklärt, den Hafen binnen drei Jahren komplett instandsetzen zu können, für maximal 400 bis 600 Millionen US-Dollar. Auch die türkische Regierung hat Interesse bekundet und verweist auf umfangreiche Erfahrungen der türkischen Bauindustrie. Laut Berichten ist auch China als Auftragnehmer beim Wiederaufbau des Hafens im Gespräch.

Mit Unterstützung der Bundesregierung

Auch Deutschland beteiligt sich an der Konkurrenz um den lukrativen Wiederaufbau des Hafens von Beirut. Pläne für ein entsprechendes Projekt haben im April die Hamburg Port Consulting, die deutsche Zweigstelle des Immobilienberaters Colliers und das Beratungsunternehmen Roland Berger vorgelegt. Demnach soll der Wiederaufbau des Hafens unmittelbar mit dem Wiederaufbau der angrenzenden, bei der Explosion ebenfalls heftig beschädigten Straßenzüge verknüpft werden; von einer Fläche von mehr als 100 Hektar ist die Rede.

Die Kosten werden auf bis zu 15 Milliarden US-Dollar beziffert; mit bis zu drei Milliarden Euro will sich Berichten zufolge die Europäische Investitionsbank (EIB) beteiligen. Berlin unterstützt das Projekt politisch und schließt einen Finanzierungsbeitrag nicht aus. Der deutsche Botschafter im Libanon, Andreas Kindl, wurde gestern mit der Äußerung zitiert, die Bundesregierung habe das Vorhaben „begrüßt“; sie prüfe auf eine Forderung aus dem Bundestag „die Finanzierung der zweiten Phase“ der Pläne.

Freilich wurden bereits im April strikte politische Bedingungen für eine Realisierung des Projekts genannt, darunter die Schaffung einer „soliden Basis“ für die Staatsfinanzen. Was das präzise sein soll, unterliegt der Interpretation der potentiellen Auftragnehmer und ihrer Regierung.

„Eine Insel der Kaufkräftigen“

Dabei wird in Beirut schon längst scharfe Kritik an dem deutschen Milliardenprojekt laut. Bereits im April hieß es beispielsweise in einer Stellungnahme der Beiruter Initiative „Public Works“, in den Projektdarstellungen werde „die lokale Bevölkerung“, obwohl das Vorhaben „erhebliche Auswirkungen auf die betroffenen Stadtteile und die Stadt insgesamt“ habe, nicht einmal erwähnt.

Die Pläne zielten darauf ab, „einen modernen und extravaganten Hafen zu entwerfen“, und umfassten nicht zuletzt „den Bau von Hochhäusern für touristische Zwecke sowie eine Reihe von Hochhäusern mit Meerblick“. Dabei würden die Fehler „erneut begangen“, die bereits beim Wiederaufbau nach dem libanesischen Bürgerkrieg gemacht worden seien. Über die damaligen Bauprojekte heißt es, man habe „eine Insel der Kaufkräftigen“ geschaffen, die schon lange „kaum mehr Menschen“ anziehe, aber gewachsene soziale Strukturen zerstört habe.

Ähnliches sagt „Public Works“ für den Fall einer Realisierung des deutschen Vorhabens voraus. So würden beispielsweise in den Planungen „die Merkmale der umliegenden Gebiete“ oder „die bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen … nicht berücksichtigt“. Man wisse nicht einmal, welche Bevölkerungsgruppen „in der Wohnanlage wohnen“ und „die vorgesehenen Schulen besuchen“ sollten.

EU-Sanktionen

Berlin und Paris erhöhen nun mit Sanktionsdrohungen den Druck. Unmittelbar nach der Explosion im vergangenen August hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei einem Besuch in Beirut einen „Systemwechsel“ verlangt: Er sei gekommen, um einen „neuen Pakt“ mit dem Libanon zu schließen, erklärte Macron.

Wenige Tage später befand Außenminister Heiko Maas – ebenfalls in der libanesischen Hauptstadt eingetroffen -, jetzt müssten „Worten auch Taten folgen“: Es gebe „nicht viel in diesem Land, was bleiben kann, wie es ist“.

Ein Jahr später haben Frankreich und Deutschland trotz der großspurigen Kommandos vom August 2020 faktisch nichts erreicht. Dafür hat die EU am 30. Juli einen „Rahmen für gezielte Sanktionen“ verabschiedet, der im Grundsatz jederzeit in Kraft gesetzt werden kann. Betroffen sind nicht nur Personen, denen die EU vorwirft, „die Bildung einer Regierung“ sowie „die Abhaltung von Wahlen ernstlich“ zu behindern, sich der Korruption schuldig gemacht zu haben oder „unerlaubte Kapitalausfuhr“ zu betreiben. Mit EU-Sanktionen belegt werden soll nicht zuletzt, wer sich „der Durchführung ausschlaggebender Wirtschaftsreformen, einschließlich im Banken- und Finanzsektor“, widersetzt.

Auf Linie zwingen

Die Sanktionen, die Außenminister Maas ausdrücklich unterstützt, bestehen in einem Einreiseverbot, zudem im Einfrieren etwaigen Vermögens in der EU sowie im Verbot, finanzielle Mittel von Personen oder Unternehmen aus der EU zu erhalten. Faktisch geben sie Berlin und Paris ein Instrument an die Hand, all denjenigen ernste wirtschaftliche Schäden zuzufügen, die sich ihren Forderungen für „ausschlaggebende Wirtschaftsreformen“ verweigern: eine Methode, sie auf die politische Linie Deutschlands und Frankreichs zu zwingen.

Denkpause nach dem Putschversuch

(iz). Wenn es einen Putschversuch im Lande gibt, wissen die Menschen nie, worum es wirklich geht und was gerade wirklich passiert und ob das nicht alles nur ein Albtraum ist. […]

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„Die Kurden leiden am meisten“

(iz). Seit einigen Monaten ist der Konflikt im Südosten der Türkei wieder entflammt. Die türkische Armee und die PKK liefern sich in Städten wie Cizre und Sur Straßenkämpfe. Der Friedensprozess ist ins Stocken geraten. Mit dem Abgeordneten der AK Partei, Mustafa Yeneroglu, sprachen wir über das Aufflammen der Kämpfe, die Kritik an der türkischen Regierung und die Zukunft des Friedensprozesses. Yeneroglu ist Vorsitzender der Menschenrechtskommission des türkischen Parlaments.
Islamische Zeitung: Herr Yeneroglu, Sie sind seit Kurzem Vorsitzender der Menschenrechtskommission im türkischen Parlament. In den letzten Wochen sah man viele verstörende Bilder aus dem Südosten des Landes, die an einen Bürgerkrieg erinnern. Was passiert momentan in der Region dort?
Mustafa Yeneroglu: Die aktuelle Situation im Südosten der Türkei als einen Bürgerkrieg zu bezeichnen, ist falsch. Es ist ja nicht so, dass Kurden gegen Türken kämpfen, so wie es manche Medien oder Politiker gerne darstellen. Nicht einmal die Bewohner in den besetzten Stadtteilen unterstützen die PKK. Sie werden als Schutzschilde benutzt und bestraft, wenn sie sich nicht fügen.
Die jeweiligen Stadtteile werden von 100 bis 200 Terroristen gehalten, oft Jugendliche, die ihrer Zukunft beraubt sind. Die PKK richtet sich mit ihrem Vorgehen insbesondere gegen die kurdische Bevölkerung der Türkei und raubt ihr die Lebensgrundlagen. Sie vernichtet ganze Existenzen in verschiedenen Städten, setzt Häuser und Moscheen in Brand, zerstört kulturelles Erbgut und vertreibt die Einwohner aus den Stadtteilen. Andersdenkende werden so oder so zum Schweigen gebracht.
Seit dem praktisch längst vollzogenen und im Juli auch ausgesprochenen Abbruch der Feuerpause durch die PKK sollten die Absichten der terroristischen Organisation jedem klar geworden sein.
Islamische Zeitung: Die HDP sieht das aber anders, und beschuldigt die Regierung, bewusst den Friedensprozess torpediert zu haben…
Mustafa Yeneroglu: Wenn man, wie die HDP mehr denn je, als politischer Arm der PKK handelt, wundert das nicht. Die Tatsache, dass die PKK bis zum ausgesprochenen Abbruch der Feuerpause seit Beginn des Jahres 2015 in 7 Monaten 1.083 registrierte Gewaltakte begangen hat, lässt sich nicht unterdrücken. Ignorieren kann man sie, so wie die HDP es tut, die inzwischen von der PKK klar dominiert wird, übrigens zum Leid vieler Abgeordneter der Partei, wie sie mir immer wieder anvertrauen.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass die PKK offensichtlich zu keiner Zeit eine friedliche Lösung und Eingliederung in das demokratische System zum Ziel ­gehabt hat. Während der zweijährigen Feuerpause hat sie tonnenweise Sprengstoff an verschiedenen Orten im Osten und Südosten der Türkei verlegt. Nur, um das Ausmaß zu veranschaulichen: Den Polizeistatistiken zufolge wurden im Zeitraum von Oktober 2015 bis Dezember 2015 unter anderem große Mengen an Ammoniumnitrat, Plastiksprengstoff, 34.892 Geschosse und 217 Bomben beschlagnahmt.
Insofern sind die Absichten eindeutig: Die Feuerpause wurde als Vorbereitungszeit für ihr späteres terroristisches Vorgehen genutzt, das Bestreben war nie die Friedensstiftung. Die langjährigen Bestrebungen der Regierung, einen dauerhaften Frieden zu erreichen, wurden so torpediert, ja sogar die scheinbare Mühe der HDP, eine Partei für die ganze Türkei zu sein, vereitelt.
Der PKK geht es darum, ihre mit Waffengewalt erzwungene Hegemonie unter der kurdischen Bevölkerung nicht aus der Hand zu geben. Kein Staat kann akzeptieren, dass mit Waffengewalt Stadtteile besetzt, Gräben ausgehoben, die Bevölkerung terrorisiert und die staatliche Ordnung bekämpft wird. Die Sicherheit und Ordnung in den jeweiligen Gebieten muss unverzüglich wiederhergestellt werden, damit die dortige Gesellschaft in Würde leben und Grundrechte in Anspruch nehmen kann. Dies ist das Ziel der militärischen Operationen.
Islamische Zeitung: Linke kurdische Organisationen in Deutschland und auch manche deutsche Politiker sprechen von Menschenrechtsverletzungen durch den türkischen Staat.
Mustafa Yeneroglu: Es wäre unglaubwürdig zu behaupten, dass während des Kampfs gegen den Terrorismus durch militärische Einheiten sämtliche Menschenrechtsideale gewahrt werden können. Ich erinnere nur an den Deutschen Herbst, die staatlichen Maßnahmen im Kampf gegen die RAF oder die Antiterrormaßnahmen nach dem 11. September nicht nur in Deutschland.
Mir fehlt in der öffentlichen Diskussion in Deutschland über die Türkei ­oftmals das Maß. Wie reagiert Deutschland auf den drohenden Terror durch den IS oder ähnliche Strukturen? Was würde in Deutschland passieren, wenn eine Terrororganisation Stadtteile besetzen würde? Warum läuft ein Verbotsverfahren gegen die NPD? Nicht nur für Deutschland gilt, dass das Maß an Freiheitsgewährung durch den Staat den Schutz der Sicherheit bedingt. Auf dieser Grundlage wurden seit der Regierungsübernahme der AK Partei große Fortschritte gemacht.
Während noch in den neunziger Jahren viele Grundrechte mit Füßen getreten wurden und zum Beispiel Kurden, die kurdisch singen wollten, aus dem Land gejagt wurden, kennt der öffentliche Diskurs heute keine Tabus mehr. In der Türkei kann heute über alles diskutiert werden. In dieser Hinsicht ist die Türkei viel weiter als viele europäische Staaten.
Ohne Zweifel ist der Prozess zur nationalen Einheit und Brüderlichkeit auch mit dem Ziel, den Terror der PKK zu beenden und sämtliche Grundrechte allen ethnischen, kulturellen und religiösen Minderheiten praktisch und umfassend zu gewähren, die bedeutendste Etappe der demokratischen Öffnung. Noch nie zuvor konnten in der Türkei derart wichtige Reformen zur Erreichung von demokratischen Idealen vorgenommen werden.
Dabei stellen Terrororganisationen wie die PKK oder YPG, DHKP-C, Daesh beziehungsweise ISIS, und wie sie sonst noch heißen, mit ihren unmenschlichen Aktivitäten das größte Hindernis für den freiheitlichen Rechtsstaat dar. Bei all dem ist die Regierung bestrebt, das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit zu wahren und den Kampf gegen Terrorismus fortzusetzen.
Islamische Zeitung: Ein Vorwurf, der immer wieder erhoben wird, ist, dass durch das Vorgehen des tür­kischen Militärs die Kurden in ihrem Kampf gegen den Islamischen Staat geschwächt würden. Wie stehen Sie zu diesen Vorwürfen?
Mustafa Yeneroglu: Die Türkei ist das erste Land, dass den sogenannten IS als Terrororganisation eingestuft hat. Klar ist: Der IS-Terror ist eine große Gefahr nicht nur für die Türkei. So wie der IS müssen alle terroristischen Organisationen bekämpft werden. Es gibt keine guten und schlechten Terroristen. Der IS ist genauso bösartig wie die PKK.
Diese klare Haltung vermisse ich leider zu oft in Deutschland. Dies bedeutet, dass die PKK und der IS für die Türkei das gleiche Ausmaß an Gefahr darstellen. Aufgrund dessen ist es meiner Meinung nach unverständlich, dass von einer Schwächung die Rede ist, abgesehen davon, dass dahinter sich auch oft PKK-Propaganda verbirgt.
Sie mit Kurden gleichzusetzen ist schlichtweg falsch. Die Kurden leiden am meisten unter dem Terror.
Islamische Zeitung: Die AKP hatte in ihren ersten Regierungsjahren große Schritte in Richtung Versöhnung getan. Ist die kurdische Bevölkerung enttäuscht von der Regierung?
Mustafa Yeneroglu: Die meisten Kurden wählen immer noch die AK Partei. Zudem zeigen aktuelle Umfragen, dass bei Neuwahlen die hier als prokurdisch dargestellte HPD unter die 10-Prozent-Hürde fallen würde. Viele Kurden waren eher enttäuscht darüber, dass die Vehemenz der Bekämpfung des PKK-Terrors in den letzten Jahren gedämpft war. Vor allem die Kurden wissen, was vor der Regierungsübernahme der AK Partei los war und welche Errungenschaften die AK Partei vor allem für sie gebracht hat.
Die vollzogenen Reformen räumten alle gesetzlichen und praktischen Verbote gegenüber dem Kurdischen aus dem Weg. Die kurdische Sprache wird überall gesprochen und gefördert. Ein staatlicher Fernsehsender wird in kurdischer Sprache ausgestrahlt. Privatschulen können errichtet werden, Institute wurden gegründet. Die Politik der demokratischen Öffnung hat große Hoffnungen und Erwartungen in der Bevölkerung geweckt. Der Rückzug der türkischen Sicherheitskräfte aus dem Südosten war ein wichtiges Signal der  Friedensbestrebungen. Aber auch die Investitionsinitiative der Regierung hat für eine große wirtschaftliche Belebung im Südosten der Türkei gesorgt.
Daher ist es offensichtlich, dass nicht die kurdische Bevölkerung enttäuscht von der Regierung ist, sondern die PKK. Denn durch den demokratischen Öffnungsprozess wurde die PKK in ihren Argumenten bloßgestellt und daher in ihrem Dasein extrem geschwächt. Im Übrigen ist das hemmungslose und tabulose Wirken der HDP der beste Beweis, dass der bewaffnete Kampf jeglicher Legitimation entbehrt.
Islamische Zeitung: Die Auseinandersetzungen in der Türkei beeinflussen auch die Stimmung unter den türkischstämmigen Menschen hier in Deutschland. Neben Demonstrationen kommt es leider auch zu Anschlägen auf Moscheen, zu denen sich PKK-Ableger bekannt haben. Sie sind in Deutschland aufgewachsen. Wie schätzen Sie die Lage hier ein?
Mustafa Yeneroglu: Deshalb appellieren wir regelmäßig an Politik und Sicherheitsbehörden in Deutschland, die Gefahr der PKK genauso ernst zu nehmen wie solche Gefahren aus anderen Bereichen. Da vermisse ich vieles. Ersatzorganisationen der PKK, wie man sie allen Verfassungsschutzberichten seitenweise entnehmen kann, gehören eigentlich de jure verboten, jedoch werden viele de facto wie gemeinnützige Organisationen behandelt. Terroristische Angriffe auf Moscheen, ob sie aus dem rechtsextremistischen Spektrum oder der PKK kommen, dürfen nicht geduldet werden.
Die Aufklärungsrate stellt den Sicherheitsbehörden kein gutes Zeugnis aus. Vor allem die letzten Angriffe in Bielefeld, Berlin-Kreuzberg und Stuttgart müssen aufgeklärt und die Täter bestraft werden. Der Umgang Deutschlands in Bezug auf die terroristischen Angriffe der PKK spielt eine ausschlaggebende Rolle. Innerhalb der Diskussion des Konflikts muss eine klare Trennung zwischen der Terrororganisation PKK und den Interessen der kurdischen Bevölkerung vorgenommen werden.
Islamische Zeitung: Wie kann man diesen Konflikt lösen? Oder anders gefragt: Ist dieser Konflikt nur militärisch zu lösen?
Mustafa Yeneroglu: Selbstverständlich ist der Konflikt nicht ausschließlich militärisch lösbar. Der begonnene Prozess wird fortgeführt werden sobald die besetzten Stadtteile wieder befreit und die öffentliche Ordnung und Sicherheit wiederhergestellt sind. Aber genauso sicher ist, dass Terrororganisationen und deren Unterstützer so lange nicht Ansprechpartner sein können, solange sie nicht der Gewalt abschwören.
Will die HDP eine Rolle einnehmen, so muss sie den Terror der PKK unmissverständlich verurteilen, anstatt sie durch viele ihrer Glieder zu unterstützen. Demokratische Partizipation setzt voraus, dass sich alle an die gemeinsamen Spielregeln halten, so auch die Erwartung an HDP-Abgeordnete, sich klar und deutlich für die Sicherheit der Bürger einzusetzen und sich von jeglichen terroristischen Gewaltaktionen zu distanzieren.
Gegenwärtig stärkt der Großteil der HDP die PKK bei der Zerstörung der besetzten Stadtteile. Die HDP hat die sogenannte Grabenpolitik in ihrem Agenda Setting zum Top-Thema gekürt. Die Einsätze der Sicherheitskräfte werden nach Möglichkeit erschwert. Sobald Maßnahmen gegen das Ausheben von Gräben ergriffen werden, ist ein HDP-Abgeordneter präsent und nutzt seine Immunität, um die Einsatzkräfte von ihrer Arbeit abzuhalten. Manche Stadtverwaltungen stellen zum Ausheben von Gräben Maschinen und Einsatzkräfte zur Verfügung, sie dienen oft auch zum Verlegen von Bomben.
Manche HDP-Abgeordnete stehen dem PKK-Terror direkt bei, indem sie sich als Waffenkuriere andienen, HDP-Parteibüros als Waffendepots genutzt werden und nicht zuletzt kommunales Eigentum für den Transport von Waffen für Terroristen zur Verfügung gestellt wird. Bemerkenswert ist, dass diese Tatsachen in den deutschsprachigen Medien meist unterdrückt und so die Öffentlichkeit desinformiert wird.
Islamische Zeitung: Lieber Herr ­Yeneroglu, wir danken Ihnen für das Interview.

Bei sich selber aufräumen

„Wir Moslems müssen in unserem eigenen Saustall aufräumen.“ Der Kieler Schriftsteller und Moslem Feridun Zaimoglu wählt drastische Worte, wenn es um die Aufarbeitung des Geschehens in der Silvesternacht in Köln geht.
Kiel (dpa). Für den Schriftsteller Feridun Zaimoglu muss die Aufarbeitung der sexuellen Übergriffe in der Silvesternacht in Köln schonungslos offen auch innerhalb der islamischen Gemeinschaft geführt werden. „Frauenverachtung ist geradezu ein Gebot im Judentum, im Christentum und im real existierenden Islam – das nur an die Adresse der Heuchler, die vom Abendland schwätzen und nicht ein einziges Mal die Bibel aufgeschlagen haben“, sagte der Kieler Schriftsteller türkischer Herkunft der Deutschen Presse-Agentur. „Gleichzeitig ist es aber auch genauso falsch zu sagen im relativierenden Ton: Weil es so ist, müssen wir uns nicht damit auseinandersetzen, wir Moslems.“
Der 51-jährige Schriftsteller, der sich selber als Moslem mit einem Kinderglauben bezeichnet, forderte: „Wir Moslems müssen in unserem eigenen Saustall aufräumen. Denn wir haben einen Saustall. Der gelebte Dorf-Islam ist unter aller Sau.“ Er als Schriftsteller könne sich dabei nicht aus der Verantwortung ziehen: „Das wäre ein bisschen feige.“
Die Übergriffe in Köln seien keine Ausreißer gewesen. Es handle sich nicht um eine Krise des Islam, „sondern wir haben eine Krise des moslemischen Mannes. Wir haben eine Krise moslemischer Männer mit Minderwertigkeitskomplexen.“ „Wenn ein Mann unfähig ist, die starke mündige Frau als gesellschaftliche Realität zu sehen, und sich in seiner Herrlichkeit beeinträchtigt fühlt, dann lege ich ihm professionelle Hilfe nahe.“
Insgesamt bewertete Zaimoglu die Debatte über die Kölner Silvesternacht als sehr positiv: „Entgegen irgendwelcher seltsamen Vermutungen ist die freie Rede bei uns in Deutschland vorherrschend – und das ist wunderbar.“ Die sexuellen Übergriffe müsse man geißeln, „so wie man sonst von ostdeutschen Nazis spricht oder westdeutschen Hooligans. Ich verstehe nicht, warum man sich plötzlich an dieser Stelle zurückhalten muss oder wieso die Beschwichtiger dann darauf hinweisen wollen, dass man jetzt vorsichtig sein soll“, sagte Zaimoglu. Er zollte den beteiligten Journalisten Anerkennung: „Ein sehr anständiger Umgang mit dem Thema.“ Das einzige was falsch laufe sei, dass Männer schon wieder über Frauen sprächen.
Die Gefahr einer wachsenden Kluft in der Gesellschaft sieht Zaimoglu durchaus: Es fehle an Solidarität untereinander. Die Stimmung sei gekippt wegen bestimmter seltsamer Entscheidungen von oben. „Und unten zünden jetzt irgendwelche Vollidioten Flüchtlingsheime an oder träumen von einem reinen Abendland. Die armen Schweine gehen aufeinander los. So war es immer, so wird es immer weitergehen.“ Dabei führten die christlichen Kirchen und die islamischen Verbände schon seit einiger Zeit einen Dialog und kämen friedlich miteinander aus. „Es geht nicht um Religionen, es geht darum, dass Menschen mit religiösem oder nationalem Anstrich – seltsame Borderline-Menschen da draußen – den sozialen Frieden zu Klump schlagen wollen. Und darüber müsste man sich unterhalten“, sagte Zaimoglu.
Opfer von Stereotypen oder Vorurteilen sei er selber noch nie geworden. „Deutschland ist mein herrliches Land.“ Ja, er habe einen sauschweren Nachnamen, sagte er lachend. Aber wenn er bei einer Taxi-Zentrale anrufe, seinen Name nenne und zugleich zu buchstabieren beginne „Zeppelin, Anton, Martha…“, herrsche schnell Heiterkeit.