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Verbote nur unter Auflagen. EuGH-Urteil stärkt Arbeitgeber

Der Europäische Gerichtshof erlaubt erneut ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz. Allerdings setzt er Arbeitgebern hohe Hürden – und legt Wert auf die Gleichberechtigung des Islam mit anderen Religionen.

(KNA). Einmal mehr hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) über das islamische Kopftuch geurteilt und wieder lässt die Entscheidung Spielraum auf nationaler Ebene. Wie die Luxemburger Richter verkündeten, dürfen Unternehmen das Tragen jeglicher politischer, weltanschaulicher oder religiöser Zeichen untersagen, um vor den Kunden Neutralität zu wahren oder soziale Konflikte zu vermeiden. Allerdings dürften dann überhaupt keine sichtbaren religiösen Zeichen erlaubt sein, weder kleine wie ein Kreuzanhänger noch größere wie die jüdische Kippa. Ein Verbot muss dadurch begründet sein, dass dem Unternehmen ansonsten Nachteile entstehen.

Das Gericht stärkt also einerseits das Recht von Arbeitgebern, bindet es aber an Voraussetzungen, die neues Streitpotenzial bergen können. So müssen Unternehmen nachweisen, welche Schäden ihnen durch kopftuchtragende Mitarbeiterinnen drohen. Zentral stufen die Juristen die Rechte und Erwartungen der Kunden ein. Dazu zähle etwa der Wunsch von Eltern, dass ihr Nachwuchs von Personen beaufsichtigt wird, „die im Kontakt mit den Kindern nicht ihre Religion oder Weltanschauung zum Ausdruck bringen“.

Insgesamt setzt das Urteil auf strikte Gleichberechtigung. Während der Generalanwalt am EuGH in seinen Schlussanträgen im Februar noch empfahl, kleine religiöse Zeichen am Arbeitsplatz zu erlauben, die „nicht auf den ersten Blick bemerkt werden“, also etwa das Kreuz an der Halskette, bestehen die EU-Richter auf einem „alles oder nichts“. Denn wer nur die deutlich sichtbaren Symbole wie das Kopftuch verbiete, diskriminiere Menschen, die sich aus religiösen Gründen zum Tragen verpflichtet fühlen. Damit bestätigte das Gericht weitgehend sein erstes arbeitsrechtliches Kopftuchurteil aus dem Jahr 2017.

Im jetzigen Fall hatten sich das Bundesarbeitsgericht in Erfurt und das Arbeitsgericht Hamburg an den EuGH gewandt. Anlass waren die Klagen zweier muslimischer Frauen, die mit Kopftuch in einer weltanschaulich neutralen Kita beziehungsweise in einem Drogeriemarkt arbeiten wollten. Die Arbeitgeber untersagten das. Die Kita verbietet mit einer Dienstanweisung sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher und religiöser Überzeugung. Der Drogeriemarkt beruft sich auf ein solches Verbot in der Kleiderordnung.

Gerichtsverfahren um das islamische Kopftuch sind inzwischen Routine vor höchsten Instanzen. Meist ging es jedoch um die Frage, ob der Schleier im staatlich-öffentlichen Raum sichtbar sein darf. Das betrifft vor allem Lehrerinnen an staatlichen Schulen. Das Recht auf Religionsfreiheit kollidiert hier mit dem Neutralitätsgebot des Staates. 2015 entschied das Bundesverfassungsgericht zugunsten der religiösen Selbstbestimmung und lehnte ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen ab. Seither trafen die Bundesländer sehr unterschiedliche Regelungen.

Im gleichen Jahr urteilte der Europäische Menschenrechtsgerichtshof, dass französische Staatsbedienstete während der Arbeit kein Kopftuch tragen dürfen. Allerdings ist die Trennung von Staat und Religion im laizistischen Frankreich noch strenger geregelt als in Deutschland.

Für Kontroversen sorgt das Kopftuch in vielen europäischen Ländern, als sichtbarstes Zeichen für die wachsende Präsenz von Muslimen auf dem Kontinent. Während die einen in der Debatte auf die Religionsfreiheit pochen, sehen nicht nur rechtspopulistische Kritiker den Schleier als Symbol der Frauendiskriminierung, wenn nicht als „Flagge des politischen Islam“. Der EuGH lässt gemäß seiner Neutralitätspflicht jede gesellschaftspolitische Bewertung des Kopftuchs außen vor, indem er den Schleier schlicht als religiöses Symbol wie jedes andere auffasst. Außerdem betont das Urteil, dass nationale Gerichte schärfere Vorschriften der Mitgliedsstaaten zum Schutz der Religionsfreiheit berücksichtigen können.

Kommentar: Das Spektakel gegen den „Salafismus“ hinterlässt gemischte Gefühle. Von Khalil Breuer

(iz). Nach den eher diesseitig orientierten „Hells Angels“ bekommen nun Gruppen, die dem Salafismus zugerechnet werden, Besuch von Staatsorganen und geladenen Medien. Spektakel hin oder her, zunächst kommt hier nur eine rechtliche Binsenweisheit zum Tragen: Wer in Deutschland zu Straftaten aufruft, sie ausübt oder an solchen beteiligt ist, wird einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Bis zum Ermittlungsergebnis gilt die Unschuldsvermutung, egal ob man Helm oder Gebetskappe trägt.

Radikale Salafisten, die zu Gewalt aufrufen oder etwa Selbstmordkommandos verherrlichen und keine Staatsbürger sind, müssen zu Recht mit Strafen und Ausweisung rechnen. Ihre ­obskuren Positio­nen werden nicht nur von einer überwäl­tigenden Mehrheit der islamischen Gelehrten, sondern auch von nahezu 100 Pro­­zent der Muslime im Lande abgelehnt. Und das ist auch gut so. Noch immer steht eine überwältigende Mehrheit der Muslime in der Mitte und meidet die Extreme des Glaubens oder Unglaubens.

Wer auf der anderen Seiten in Übersetzungen des Qur’ans verteilt, mag damit der islamischen Sache schaden oder auch nicht; sicher begeht er damit aber keine Straftat. Wer mit schlichter Rhetor­ik ins Paradies einlädt oder sonstige Glaubensüberzeugungen vertritt, bewegt sich inhaltlich voll im Rahmen unserer Rechts­ordnung. Weder Sozialrecht, Gesundheitsrecht oder Baurecht stehen – mit guten Gründen – unter dem Vorbehalt ­einer politischen Gesinnungsprüfung. Kon­sequent weiter gedacht heißt das auch: Auch die Gruppe Pro-NRW muss ihren Stuss öffentlich vertreten dürfen, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen.

Diese Fakten sind klar und sie müssen verteidigt werden, auch dann, wenn man – wie diese Zeitung – den Salafismus seit ihrem ersten Erscheinen kritisch ­begleitet. Es geht schlussendlich genau um diese inhaltliche Auseinandersetzung, den Nachweis zu führen, dass der Salafismus keine besonders konsequente Glaubensausübung ist, sondern in weiten Teilen eine moderne Irrlehre. Nur so ­verhindert man die Schaffung eines Opfermythos und nur so kann man öffentlich trennen zwischen dem, was Muslime tun oder vertreten mögen und, was der ­Islam selbst ist. Einfache Logik: Es mag Muslime ­geben, die Banken ausrauben oder Geld stehlen, aber es gibt keinen islamischen Bankraub oder Diebstahl.

Beunruhigend ist gleichzeitig die anhaltende Vermischung der Begriffe ­unter dem unbestimmten Begriff des „Islamismus“, die Kriminalisierung einfacher Orthodoxie, die gleichzeitige Nennung von Gläubigen und Orthodoxen mit Verbrechern und Mördern. Kurzum: die Verwässerung der Debatte. Uns Muslimen muss an Differenzierung gelegen sein; auch dann, wenn wir nur über ­bescheidene Mittel verfügen. Unsere Vertretungen sind ja leider verstörend passiv und wenig kreativ, sichtbare Zeichen zu setzen.

Neben der Differenzierung geht es auch um die Rationalisierung der Debatte. Hundertschaften von Stadtindianern aller Couleur mögen ein schlimmes Ärgernis für die Demokratie darstellen, sie sind aber keine Bedrohung der demo­kratischen Ordnung. Sie sind die politi­schen Dinosaurier einer anderen Zeit. Ganz real ist die Ordnung von über 80 Millionen hier lebenden Menschen durch eine entfesselte Ökonomie bedroht.

Viele Muslime haben Angst, dass sie ohne Differenzierung und eine Rationalisierung der Debatte um den Islam in anstehenden Krisenzeiten endgültig zu Sündenböcken werden könnten.