Hintergrund: zwischen den Schatten der Vergangenheit und aktuellen Problemen

Es dürfte inzwischen bekannt sein, dass das Zinsverbot eine Art kategorischer Imperativ der islamischen Offenbarung ist. Unzählige Verweise in Quellen und Rechtsbüchern ordnen den Zins als destruktiv ein und erklären in vielen Details das Verbot. Hierbei geht es nicht nur um Wucher (der extremsten Form der Zinsnahme), sondern um den Zins an sich. Darüber hinaus umfasst der islamische Begriff „Riba“ mehr Elemente als nur den klassischen Zins. Auch hier gibt es ­zahlreiche aktuelle Bezüge, wie das im Islam gängige Verbot von Derivaten.

Es gibt auf der anderen Seite einen Trend in der islamischen Welt, das Verbot zu relativieren; sei es, weil es nicht „modern“ erscheint oder weil man das islamische Wirtschaftsrecht insgesamt nicht mehr anwendet. Selbstredend verfügen alle muslimischen Staaten ausnahmslos über Notenbanken und ein gut ausgebautes Bankwesen nach westlichem Vorbild. Allerdings deutet sich in den letzten Jahren – namentlich seit dem Beginn der Finanzkrise – auch im Denken der Muslime eine Trendwende an. ­Viele schlagen unter dem Eindruck des drohenden Kollapses der Zinswirtschaft wieder ihre Rechtsbücher auf und studieren die Alternativen und Möglichkeiten einer islamischen Wirtschaftsordnung. Der Blick schärft sich also wieder, die Umgehung des Zinsverbotes in den Bankgeschäften fällt auf oder zumindest werden die zahlreichen Widersprüche klarer wahrgenommen. Überhaupt verbreitet sich eine Skepsis, ob Banken, die heute das Zinsgeschäft strukturell betreiben, überhaupt „islamisiert“ werden können.

Natürlich stellt sich auch Muslimen die Frage, ob das Zinsverbot heute noch aktuell sein kann oder, ob es nur Teil einer Utopie ist; im Sinne der ­Vorstellung einer heilen Welt, die eben so nicht mehr existieren kann. Dieser Gedanke wird unterstützt durch die Erfahrung, dass auch die anderen Religionen – das Christentum und Judentum – das Zinsverbot nur im Mittelalter ernst nahmen und sich dann langsam davon abwandten. Für Muslime ist das Zinsverbot aber nach wie vor eine zentrale Fragestellung. Schon Maulana Rumi warnte vor einer Einstellung, die behauptet, dass eine „Halal-Wirtschaft“ nicht mehr möglich sei. Der Gläubige wird hier nicht einfach aufgeben, sondern fragen: Wie kann etwas unmöglich sein – also ein Leben ohne Zins – wenn doch die Offenbarung so eindeutig Abstand von dieser Praxis nimmt?

Es ist klar, dass der Zins heute allgegenwärtig ist, nicht nur in der nicht-islamischen Welt, sondern auch in der muslimischen Welt. Das Gebot, dass der Schöpfer die Zinsnahme verbietet und den Handel erlaubt, hat sich heute im globalen Maßstab gedreht. Es beherrschen Monopole den Markt, insbesondere den Geldmarkt. Auch ­Zinsgeschäfte werden heute vor allem von Banken organisiert. Wer Geld leihen möchte, geht heute zur Bank, nicht etwa zu seinem Nachbarn. Er bezahlt dann für die Nutzung des zur Verfügung gestellten Kapi­tals eine Zinsrate, eine Prämie, oder wie es in der Praxis mancher „islamischer“ Bankgeschäfte heißt, eine „Gebühr“. Man vergisst auch, dass schon der Begründer der europäischen Politikwissenschaften, Aristoteles, die Frage nach dem Zins stellte. In seiner „Politea“ heißt es: „Das Geld ist für den Tausch entstan­den, der Zins weist ihm aber die Bestim­mung an, sich selbst zu vermehren. daher widerstreitet diese Erwerbsweise unter allen am meisten dem Naturrecht.“ Bevor sich also das Zinsverbot mit der Religionspraxis vermischt, hat es schon die europäische Vernunft beschäftigt. Eine Denktraditon, die man am Leben halten sollte.

In Deutschland werden Zinsgeschäfte kaum noch grundsätzlich hinterfragt, sondern mehrheitlich im Kontext von übertrieben hohen Zinsen problematisiert. Im Bürgerlichen Gesetzbuch wird im §138 das „Wuchergeschäft“ erwähnt und als Rechtsgeschäft definiert, dass gegen die guten Sitten verstößt. In der Praxis geht es meist um eher seltene Fälle individueller Geldgeschäfte, die auf der betrügerischen Ausbeutung oder Ausnut­zung von Notlagen beruhen. Es gibt aber auch auf einer anderen Ebene Ärger mit den Zinsraten: Sie werden oft manipuliert und sind zudem zwischen den Banken abgesprochen. „Nach allem, was in den letzten Jahren passiert ist”, schreibt der Autor des Buches „Alles Gold der Welt“, Daniel Eckert, in Anspielung auf den Libor-Skandal, „will man nicht mehr glauben, dass der Zins der Marktpreis des Geldes ist“.

In diesen Tagen wurde eine Studie der „Stiftung Warentest” publik, die überhöhte Zinsen, so genannte „Dispozinsen“, die Banken bei einer Überziehung des Kontos kassieren, anprangern. Das Wort Wucher oder gute Sitten fällt in diesem Kontext erstaunlicherweise nicht. Im Schnitt verlangen deutsche Banken in diesem Fall 11,31 Prozent Zinsen, obwohl sie sich, zumeist zu einem Zinssatz von momentan 0,5 Prozent, bei der europäischen Zentralbank Geld leihen können. „Bei einem Kreditvolumen für Überziehungskredite von 390 Milliarden“, zitiert die Stiftung den Bundesbankbericht 2013, „spült jeder Prozentpunkt mehr den Banken 390 Millionen Euro in die Kassen“. Die Folgen sind verheerend, denn viele Kunden geraten so in eine Verschuldungsdynamik, der sie kaum mehr Herr werden können. Das Beispiel zeigt aber auch, dass das Zinsproblem heute eine strukturelle Dimension hat und wenig mit dem mittelalterlichen Bild des unfairen Geldverleihers zu tun hat. In unseren Tagen trägt der Zins vielmehr ganz entscheidend zu einer Umverteilung des Wohlstandes ganzer Bevölkerungsschichten bei – und zwar von unten nach oben.

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Spricht man heute über das Zinsverbot, dann schwingen natürlich die alten Bilder mit. Das ist nicht ganz unverständlich. In der Bibel heißt es beispiels­weise mit dunklem Unterton (Deuteronomium 23,20) „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder für Geld noch für Speise noch für alles, wofür man Zins nehmen kann“. Im Mittel­alter, mit seiner langsam prosperierenden Wirtschaft, wurde die Zinsnahme zu einer großen Sünde. Papst Urban III (1185) definiert im kanonischen Recht einige Grundregeln: „Wucher ist all das, was bei einem Leihgeschäft über die Leihgabe selbst hinaus verlangt wird“ und „Wucherzins zu nehmen ist eine vom Alten wie vom neuen Testament ­verbotene Sünde“. Diese Feststellungen korrespon­dieren durchaus mit der Lehre Ibn Ruschd, der zeitlebens lehrte, „Wucher sei ungerechtfertigter Zuwachs“.

Es ist wohl das Verdienst von Thomas von Acquin (1225-1274), die Frage nach dem Zins nicht nur als individuellen Sündenfall zu sehen, sondern mit der sehr vernünftigen Frage nach der Gerechtigkeit zu verknüpfen. „Zins nehmen für geborgtes Geld ist an sich ungerecht, denn es wird verkauft, was nicht ist, wodurch ganz offenbar eine Ungleichheit gebildet wird, die der Gerechtigkeit entgegen ist“, schrieb der ­Religionsgelehrte.

In der aktuellen Debatte über den Zins schwingen leider auch immer wieder anti-semitische Ressentiments mit. Ein Mythos – mit verheerenden Folgen – nicht zuletzt wegen abschätziger, ­religiös motivierter Aussagen gegen die Wirtschaftspraktiken von Juden bis hin zu ­einem Text mit dem Titel „Von den ­Juden und ihren Lügen“, den Martin Luther 1543 schrieb. Vorlagen, die der demagogische Volkswirtschaftler Gottfried Feder (1883-1941) in seiner Art der „Wirtschaftspolitik“ gierig aufnimmt und in dumpfen Hassreden gegen die Juden einfließen lässt. Schon aus diesem Grund verbietet sich – jedenfalls bei einer vernünftigen Zinskritik – das üble Wort der „Zinsknechtschaft“, das von der Nazi-Ide­ologie nicht mehr zu trennen ist. Selbstredend waren die Nationalsozialisten an der Zinsfrage selbst weniger interessiert, geschweige denn wurde an eine, die Ermächtigung der Politik einschränkendes Zinsverbot gedacht.

Wer diese geschichtlichen Fakten zur Kenntnis nimmt, wird übrigens mit gemischten Gefühlen auch die aktuelle Debatte verfolgen, die der türkische Ministerpräsidenten Erdogan über die angeblichen Machenschaften einer „Zinslobby“ in der Türkei angestoßen hat. Wer in diesem Tonfall spricht und gleichzeitig in keiner Weise – schon gar nicht aus ökonomischer Überzeugung ein strukturelles Zinsverbot umsetzt – muss sich dem Vorwurf aussetzen, nur an alten, einschlägigen Verschwörungstheorien bauen zu wollen.

Heute hat die Zinsfrage eine ganz andere Dimension. Zinsen werden heute von Muslimen, Juden und Christen genommen, denn sie alle betreiben im Grunde ähnliche Banken und Finanzstrukturen. Die moderne Zinskritik muss sich also mit Geldpolitik beschäftigen, mit Umverteilung, mit Geldmengen und Schuldenbergen, die durch Zins und Zinseszins „exponentiell“ wachsen können.

So beantworten die Ökonomen und Bestsellerautoren Friedrich und Weik in den „Deutschen ­Wirtschaftsnachrichten“ die Frage nach der Modernität der Zinsfrage wie folgt: „Rein mathematisch kommt es bei jedem, auf Zinseszins basie­renden und somit exponentiell wachsenden Finanzsystem nach einer bestimmten Zeit zu einem großen Knall, dessen Folge eine Währungsreform sein kann. Wann dies der Fall sein wird, können wir jedoch nicht sagen. Dies kann in einer Woche, einem Monat, in einem Jahr oder später sein.“ Kurzum: Die ­Frage nach dem Zins zu stellen, ist ­heute nicht nur eine Glaubensfrage, sondern auch ein Gebot der Vernunft. Es gehört diesbezüglich zu den willkommenen Vorzügen des Islam, dass Glauben und Denken – in einem zentra­len Thema – nicht in einem Widerspruch stehen. Das steht im ironischem Gegensatz zur Beobachtung, dass der Kapi­talismus immer religiöser wird. Wir können uns, neben dem Dialog der Religi­onen über die Aktualität des Zinsproblems, durchaus auch an den anderen „Glaubenskämpfen“ der ökonomischen Schulen mit Gewinn beteiligen. Im Moment stehen „Gesellianer“ und „Österreichische Schule“ sich gerade in der Frage des Zinses als Gegner gegenüber. Die einen wollen „Schwundgeld“ oder „fließendes Geld“ mit einem Zinsverbot verknüpfen. Die anderen propagieren die freie Wahl der Zahlungsmittel (bevorzugt Gold und Silber), sehen aber nicht die Notwendigkeit des Zinsverbotes. Wie auch immer dieser Streit ausgeht: Wer als Muslim sein Wissen über die Zinsfra­ge oder die Geldpolitik „modernisieren“ will, sollte die Thesen eines Prof. Senf und Margrit Kennedys oder die Bücher von Guido Hülsmann und Oliver Janich mit einigem Gewinn zur Kenntnis nehmen. Nicht zuletzt deswegen hat ­unsere Zeitung diese Bücher auch immer ­wieder besprochen.

Im Ergebnis setzt der Islam das Zinsverbot und die freie Wahl der Zahlungs­mittel zu einer im Großen und Ganzen freiheitlichen Marktwirtschaft zusammen. Andersherum könnten so die ökonomischen Schulen im Islam, in seinem Wirtschaftsrecht und in seiner jahrhundertelangen Praxis Inspiration finden; so zum Beispiel in Form der islamischen Verträge, die sicherstellen, dass eine Gold-Ökonomie die das Zinsverbot achtet, nicht unter deflationären Verhältnissen leiden muss. Über alle diese ­Fragen lässt sich, wenn man vernünftig bleibt, also gut streiten.

Es gehört zweifellos zu den Herausforderungen der heutigen Muslime – da unser Alltag stark von Machenschaften der Politik, Banken und Parteien geprägt ist –, eine neue Dynamik und neue Antworten zu suchen und den in erster Linie ökonomischen Problemen dieser Zeit auf den Grund zu gehen.

"Muslime & Globalisierung" – Inflation, Währungsspekulation und Finanzkrise ändern Einstellungen gegenüber dem Papiergeld. Von Abu Bakr Rieger

(iz). In der Ausgabe des deutschen Magazins „GEO-Epoche“ über die Wikinger steht es Schwarz auf Weiß: „Bis zu 100 Millionen arabische ­Münzen schafften die Wikinger einst nach Norden, mehr als 80.000 sind allein in Schweden gefunden worden“. Die als raue Antichristen verschrieenen Heiden hatten auf ihren Marktplätzen offensichtlich kein Problem mit dem Symbol des Glaubens aus dem fernen Osten. Auf abenteu­erlichen Wegen hatten die kleinen Boote der Wikinger die fernen islamischen Städte bis nach Bagdad erreicht. Über Jahrhunderte hatten diese Münzen aus der islamischen Welt eine völkerverbindende Funktion.

In diesen „goldenen“ Zeiten war der islamische Dinar ein sicheres Mittel ­gegen Inflation. Die Kaufkraft von Gold blieb im Orient für beinahe 2.500 ­Jahre ohne größere Veränderungen und dient als Bezugspunkt für alle Silberwährungen, die in ihrem Wert immer wieder Schwankungen unterworfen waren. „Unter Darius dem Großen (522-486)“, berichtet der Münzkundler Walther Hinz in seinen Untersuchungen zu islamischen Währungen, „kostete ein Hammel im Durchschnitt 5,40 Goldmark; der selbe Preis ist – um nur ein einziges Beispiel herauszukriegen – in Anatolien im Jahr 1340 bezeugt“.

Sucht man heute mit Google nach dem Islamischen Dinar, finden sich über zwei Millionen Einträge. Tausende Internetseiten diskutieren Nutzung, Vertrieb und Einsatz der traditionellen islamischen Währung.

Die berühmte 4,25 Gramm schwere Münze aus Gold schien mit dem globalen Siegeszug der Fiat-Währungen aus dem islamischen Bewusstsein gedrängt. Der Niedergang der islamischen Welt zeigte sich auch im Bedeutungsverlust ihrer Währungen. In seiner „Osmanischen Geschichte“ beschreibt Halil Inalcik nicht nur den Fall der osmanischen Dynastie, sondern auch die ­gleichzeitige Aufgabe der Gold- und ­Silberwährungen zu Gunsten der zunehmenden Einführung von Papiergeld ab dem Jahre 1840.

Gold- und silbergedeckte Währungen hatten in Europa zunehmend, den Ruf altmodisch zu sein und die Zeichen der Zeit zu verkennen. Der weltweite Sieges­zug der europäischen Banken war ohne die gleichzeitige Einführung von strategi­scher Verschuldung und Papiergeld nicht denkbar. In Zeiten absehbarer Inflation und verbreiteter Ungerechtigkeit durch Währungsspekulationen ändert sich heute wieder die Einstellung zum Papier.

Seit der Schulden- und Bankenkrise erinnern sich auch Muslime vermehrt an den Sinn ihrer alten Maßeinheiten. Die Erinnerung tut not, denn der Dinar hat als Einheit nicht nur mit profanen ökonomischen Interessen zu tun, sondern ist auch mit der korrekten Zahlung der Zakat verknüpft. Die Standardisierung des Gewichts und die Feinheiten der Wechselkurse der Einheiten waren, im muslimischen Alltag, praktisch immer mit der Notwendigkeit einer korrekten Zahlung der Zakat verknüpft. Bereits zur Zeit des Kalifen ‘Umar ibn Al-Khattabs wurde ein festes Standardgewicht der zu dieser Zeit benutzten Münzen ermittelt, ­gerade eben auch um die Zakat besser berechnen zu können.

Der Herrscher ‘Abdulmalik hatte später in einer – für die Muslimen ­wichtigen Währungsreform – die Münzprägung in muslimische Hände genommen und eine eigene Münzprägeanstalt etabliert. ­Philip Grierson beschreibt in seiner Abhandlung „die Geldreform Abdulmalik’s“ die Bemühungen um einheitliches Aussehen und Standards der Münzen. Die Münzhoheit wurde nun auch im Islam ein wichtiges Zeichen der politischen Souve­ränität. Ibn Khaldun widmet in seiner berühmten „Muqqadima“ der Prägung von Münzen ein eigenes Kapitel. Dort erinnert er an die verbindliche Verpflich­tung politischer Führung: „Er muss sich um die Münzprägung kümmern, um die Währung zu vor Betrug schützen, die von den Leuten in ihren gegenseitigen Transaktionen benutzt wird.“ Heute wird die neue Dinarwelt von hunderten, voneinander unabhängigen Akteuren mit neuem Leben erfüllt. Grundsätzlich kann jede islamische Autorität an jedem Ort der Welt – mit ­völlig unterschiedlichem Design – einen ­neuen Dinar in Umlauf bringen. Die ­führenden Hersteller haben sich allerdings neben dem Gewicht und der Größe auch auf bestimmte Standards bei der Herstellung geeignet. Die technischen ­ ­Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts erlauben die Herstellung von Münzen von höchster Qualität und besonderer Reinheit.

In einer Welt mit globalen Handelsströmen ist die Qualität und Authentizi­tät der Münzen wichtig. Der Umlauf von Falschmünzen ist ein altes Problem. Heute sind allerdings neue Sicherheitsmerkmale auf den Münzen möglich, die man früher nicht kannte. Auf die Goldmünzen können in einem aufwändigen ­Verfahren beispielsweise Hologramme gespritzt werden, die die im Umlauf befindlichen Münzen fälschungssicher machen sollen. Andere Anbieter experimen­tieren bereits mit unsichtbaren Sicherheitsmerkmalen, die aber mit einfachen Geräten von den Nutzern erkannt werden können.

Moderne Zahlungssysteme im ­Internet machen deutlich, dass das Bekenntnis zum Dinar keine rückwärtsgewandte Romantik ist. Dinare sollen nicht etwa für das Museum geschaffen werden, sondern können heute wieder in Wadias gesammelt, über Wakalas vertrieben und mit modernen Zahlungssystemen in alle Welt gesendet werden. Dinare – so gesehen die Basis eines ausgeklügelten Wirtschaftssystemes und eine potenzielle „Weltwäh­rung“ – können auch die wertbeständige Grundlage von Investmentvereinbarungen im Rahmen islamischer ­Verträge sein. Wichtig ist die zu jedem Zeitpunkt zu gewährleistende physische Existenz der Währung. Der Handel mit auf Papier gedruckten Zahlungsversprechen ist im islamischen Recht ausdrücklich nicht erlaubt. Das Zusammenspiel der diversen ökonomischen Einrichtungen machen im Islam auch ein Wirtschaftsmodell ohne klassische Banken denkbar. Auch im Westen wird diese wirklich alter­native Seite des Islam zunehmend ­entdeckt.

Ob und wie man den Dinar nutzt, ist kein Politikum, es ist kein Indiz, ob man eine liberale oder konservative Weltanschauung hat, sondern der Dinar ist nur die einfache Grundlage und Recheneinheit des islamischen Wirtschaftsrechts. Auf dem Markplatz kann der Dinar – wie seit jeher – das Zahlungsmittel von Kaufleuten, Konsumenten und Händlern – natürlich auch von muslimischen ­Frauen, Juden und Christen – sein. Der islamische Markt erlaubt die freie Wahl der Zahlungsmittel. Die Nutzer vertrauen dem Dinar allein wegen seinem Gewicht und dem jeder Münze inne wohnenden Wert.

Der Dinar als Maßeinheit beschäftigt auch wieder eine Philosophie, die in der Einführung des Papiergeldes – wie das zum Beispiel Goethe voraussah – einen Schlüssel für den entfesselten Kapitalismus und damit die Gefährdung der Schöpfung sah. Die Begrenzung der Macht der Technik und insbesondere der Finanztechnik ist tatsächlich eine wichtige Dimension des islamischen Wirtschaftsrechts. Dabei gerecht und im Konsens mit Jedermann zu handeln, ist eines der wichtigsten qur’anischen ­Gebote.

Es gibt inzwischen aber auch andere Motivationen, gold- und silbergedeckte Währungen einzuführen. Mittlerweile existiert so etwas wie eine weltweite Bewegung der Gold-Befürworter. Alleine in den USA wollen 13 Bundesstaaten echte Münzen wieder als „Legal Tender (legales Zahlungsmittel)“ einführen. In Europa sind dem Vertrieb von Dinaren oder anderen goldgedeckten, privaten Zahlungsmitteln praktische Grenzen gesetzt. Zwar kann man auch in Deutschland, wie ein Blick in das Münzgesetz und die Medaillenverordnung zeigt, so genannte Medaillen produzieren. Sie sind aber mit Mehrwertsteuer zu verkaufen und damit gegenüber staatlichen Münzen (Legal Tender) nicht wettbewerbsfähig.

Inzwischen gibt es auch in Deutschland gewichtige Stimmen, sogar im deutschen Bundestag, die die freie Wahl von Zahlungsmitteln ohne Benachteiligung gegenüber staatlichem Geld befürworten. Nach der liberalen Überzeugung des FDP-MdB Schäffler kann nur durch einen fairen Wettbewerb der Zahlungsmittel verhindert werden, dass Staaten Unmengen schlechten Geldes in Umlauf setzen. Diese Position die auch die Marktgesetze für Geld gelten lassen will findet immer mehr Anhänger.

Die Sure Al-Baqara ist nicht nur die längste, sie behandelt auch viele Bereiche der Offenbarung. Von Selma Öztürk

Die Sure Al-Baqara ist die erste medinensische Sure in der Offenbarungsreihe. In der Reihenfolge im Mushaf [arab. Kopie] ist sie hingegen die zweite Sure nach der Al-Fatiha. Als medinensisch werden alle die Kapitel und Verse bezeichnet, die nach der Auswanderung des Propheten nach Medina 622 n. Chr. offenbart wurden. Alle Suren und Verse, die vorher offenbart wurden, werden mekkanische Suren und Verse genannt.

Folglich ist die Unterscheidung zwischen mekkanischen und medinen­sischen Suren und Versen nicht örtlich, sondern temporal zeitlich. Demzufolge wird ein Kapitel (oder ein Vers), die nicht in Medina, aber nach der Hidschra offenbart wurden, als medinensische ­bezeichnet.

Al-Baqara gehört zu den insgesamt 29 Suren des Qur’ans, die mit den Hurufu Muqadda beginnen, also Buchstaben, deren Bedeutung unbekannt ist. „Alif“, „Lam“, „Mim“ sind die Hurufu Muqadda der Sure Al-Baqara. Über diese Buchstaben haben Gelehrte und Qur’ankommentatoren viel nachgedacht.

Ihre endgültige Bedeutung blieb unklar. Ebenso wurde überlegt, ob diese Buchstaben auch Verse des Qur’ans darstellen oder man sie aus dem Verskomplex des Qur’ans rausnehmen sollte. Sie haben den Stellenwert eines Verses ­(einer Aja); sind also Offenbarungen Allahs, wenn auch ohne direkt erkennbare ­Bedeutung.

Die Sure Al-Baqara ist das längste ­Kapitel des Qur’ans und beinhaltet auch gleichzeitig den längsten Vers (282). Der größte Teil der Sure Al-Baqara wurde in der ersten Zeit in Medina offenbart. Das Kapitel trägt wie einige andere Kapitel des Qur’ans auch einen Tiernamen, nämlich „die Kuh“. Der Grund liegt ­darin, dass in diesem Kapitel (in den Versen 67ff.) die Parabel von der Kuh (dem goldenen Kalb) erwähnt wird. Die berühmte Geschichte der Bani Israeli und den vierzig Wüstentagen werden nur in diesem Kapitel erzählt, nirgendwo anders im Qur’an. Ein anderer Name ist Al-Kursi, weil der Thronvers (Ajat Al-Kursi) in ihr vorkommt, (255). Die letzten Verse der längsten Qur’ansure bringen ihre Botschaft noch einmal abschlie­ßend auf den Punkt. Sie sind Verse mit einer großen Bedeutung für die Muslime und auch Verse, die häufig gelesen werden. Das Kapitel endet mit einem Bittgebet (Du’a).

Am Anfang spricht Allah in ihr über drei Menschengruppen: die Gläubigen (Muminun), diejenigen, die die Wahrheit bedecken (Kafirun) und die Heuchler (Munafiqun). Danach wird Bezug genommen auf die Schöpfungsgeschichte, auf die Erschaffung des Menschen, auf das Gespräch zwischen Allah und den Engeln, auf den Urvater Adam und seiner Gattin sowie auf Iblis.

Danach werden die Schriftbesitzer erwähnt und angesprochen, die die ihnen offenbarten Schriften verfälscht haben und somit Muhammed als den angekündeten letzten Propheten nicht anerkannt haben. Diese Sure erwähnt auch den Propheten Ibrahim und seinen Sohn Ismail, die gemeinsam die Ka’aba wieder erbauen.

Die Gebetsrichtung der Muslime zur Ka’aba wird auch in diesem Kapitel festgelegt. (Verse 142ff.). Der Prophet Ja’qub und seine letzte Ermahnung beziehungs­weise seine letzten, weisen Worte an ­seine Söhne auf seinem Sterbebett finden in dieser Sure Erwähnung.

Darüber hinaus werden zahlreiche Grundsätze der islamischen Glaubenslehre in diesem Kapitel festgelegt. Es sind überwiegend Gebote und Verbote, die die Gemeinde und das Zusammenleben in einer Gemeinschaft betreffen. Hierzu zählen unter anderem das heute besonders relevante Wucherverbot, Behandlung von Waisen und Frauen (während ihrer Menstruation, ihre Scheidung, die Entwöhnung etc.), das Gebet, die Vermögensabgabe (Zakat), sowie das Verbot von Wein, Glücksspielen, Unzucht und dem Verzehr vom Schwein. Es sind also die schwerwiegende falschen Handlungen (Kabair), die man in ­dieser Sure findet. Das Gebot des Fastens im Monat Ramadan wird ebenfalls in der Al-Baqara behandelt sowie die Zeugenaussage. Viele weitere Themen – wie auch die Geschichten von Saul, David und Goliath – kommen in Al-Baqara vor.

Ein Blick auf diesen Qur’anabschnitt zeigt, dass sie entscheidende und grundlegende Themen behandelt. Die längste Sure des Qur’ans offenbart uns nicht nur essenzielle Elemente über die Einheit Allahs, der Glaubenslehre und Prophetengeschichten, ­sondern auch Handlungsanweisungen aus den Bereichen der Anbetung (‘Ibada) und der sozio-ökonomischen Transaktionen (Mu’amalat). Deshalb wurde sie vom Propheten auch als der Rumpf, also der Hauptbestandteil des Qur’ans bezeichnet.

Die Finanzkrise und der Perspektivwandel der Muslime. Einige tiefergehende Überlegungen von Abu Bakr Rieger, Berlin

(iz). Es ist ein grotesk anmutendes Schauspiel. Jahrzehntelang bildet sich vor unseren Augen ein aberwitziges Finanzsystem, vor dem uns viele Experten und wenige Politiker gewarnt haben. Erst jetzt gibt Finanzminister […]

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Die Islamische Zeitung war bereits vor 10 Jahren ein Vorreiter in der Kritik der zerbröckelnden Finanztechnik. Von Abu Bakr Rieger

„50 Prozent der Wirtschaft sind Psychologie. Wirtschaft ist eine Veranstaltung von Menschen, nicht von Computern.“ Alfred Herrhausen (1930-89), dt. Bankier, Vorstandsspr. Dt. Bank „Die jüngsten Maßnahmen der ­No­ten­bank verschieben offenbar […]

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