Karlsruhe erkennt Wirklichkeit an

Erfolgreich geklagt haben zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen. Die Verfassungsrichter sahen nun in dem pauschalen Verbot einen schweren Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerinnen. Sie hätten plausibel dargelegt, dass das Kopftuchverbot ihre persönliche Identität berühre und ihnen sogar den Zugang zu ihrem Beruf verstelle.
Karlsruhe (iz/dpa/KNA). Muslimischen Lehrerinnen darf das Tragen von Kopftüchern an öffentlichen Schulen nicht länger pauschal verboten werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag (13. März 2015) veröffentlichten Beschluss entschieden. Die Richter kippten außerdem eine Vorschrift im nordrhein-westfälischen Schulgesetz, nach der christliche Werte und Traditionen bevorzugt werden sollen. Das benachteilige andere Religionen und sei daher nichtig.
Ein Kopftuchverbot an Schulen ist nach Ansicht der Richter nur dann gerechtfertigt, wenn durch das Tragen eine „hinreichend konkrete Gefahr“ für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität ausgeht. Eine abstrakte Gefahr reiche nicht aus. Die Richter korrigierten damit ihr so genanntes Kopftuchurteil von 2003. Damals hatten sie den Ländern vorsorgliche Verbote erlaubt.
Erfolgreich geklagt haben damit zwei Frauen aus Nordrhein-Westfalen. Die Lehrerin und die Sozialpädagogin wandten sich gegen das gesetzliche Verbot, im Schuldienst ein Kopftuch oder ersatzweise eine Wollmütze zu tragen. Sie waren zuvor bei den Arbeitsgerichten gescheitert.
Die Verfassungsrichter sahen nun in dem pauschalen Verbot einen schweren Eingriff in die Glaubensfreiheit der Klägerinnen. Sie hätten plausibel dargelegt, dass das Kopftuchverbot ihre persönliche Identität berühre und ihnen sogar den Zugang zu ihrem Beruf verstelle. Damit sei auch der Gleichheitsgrundsatz berührt.
Der Beschluss war durch eine Computerpanne des Gerichts bereits am Donnerstag bekanntgeworden. Zwei Richter gaben ein Sondervotum ab.
Düsseldorf und Berlin wollen prüfen
Nach dem Urteil prüfen die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Berlin Änderungen ihrer Schulgesetze. „Wir werden nun unverzüglich prüfen, welche Konsequenzen aus den Entscheidungen im Einzelnen zu ziehen sind“, sagte Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) am gleichen Tag in Düsseldorf. „Dann werden wir alle erforderlichen rechtlichen Schritte zügig einleiten.“
Löhrmann (Grüne) hatte das Urteil des Bundesverfassungsgericht zum Kopftuchverbot begrüßt. Das 2006 auf Initiative der schwarz-gelben Vorgängerregierung ins Schulgesetz eingefügte Kopftuchverbot sei mit der in der Verfassung gewährleisteten Religionsfreiheit nicht vereinbar, erklärte Löhrmann am Freitag in Düsseldorf. Damit bestehe nun in einer seit Jahren strittigen Frage Rechtssicherheit.
Eine Sprecherin der Senatsbildungsverwaltung sagte am Freitag, zunächst müssten die Entscheidungsgründe des Gerichts vorliegen.
Kurth rät zu Gelassenheit
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot sieht die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Brunhild Kurth, einen möglichen „Anpassungsbedarf“ für einige Schulgesetze der Länder. Das Urteil „lotet das Verhältnis von öffentlichem Dienst und religiöser Betätigung neu aus“, sagte die CDU-Politikerin am Rande der KMK-Frühjahrssitzung in Leipzig der Deutschen Presse-Agentur.
Die Länder würden sich „ihre Schulgesetze und weitere Regelungen“ mit Blick auf Neutralitätspflicht noch einmal genau anschauen. Sie rate aber zur Gelassenheit. Letztlich müsse „vor Ort entschieden werden, wie mit dem Tragen religiöser Symbole in Unterricht und Schule umgegangen werden muss“. Lehrer, Schulleiter und Schulaufsicht müssten „mehr als bisher auf den Einzelfall schauen“, sagte Kurth.
Die SPD-Kirchenbeauftragte Kerstin Griese sprach von einer Stärkung der religiösen Vielfalt in Deutschland. „Wir leben in einer multireligiösen Gesellschaft. Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“, sagte sie. Auch der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sprach von einem guten Tag für die Religionsfreiheit.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sprach von einer Stärkung der Religionsfreiheit. Leiterin Christine Lüders verwies in Berlin darauf, dass derartige Verbote auch negative Auswirkungen für kopftuchtragende Musliminnen in der Privatwirtschaft haben könnten.
Große Freude und verhaltene Zustimmung
Vor allem junge Musliminnen äußern sich sehr erfreut über das Urteil. Vielen war in den letzten Jahren die Ergreifung einer Karriere als Lehrerinnen versperrt, weil sie später hätten mit Schwierigkeiten bei der Einstellung rechnen müssen. Nun hoffen viele, dass sich hier manches Grundlegendes ändern wird.
Andere, wie der frühere IGMG-Generalsekretär Mustafa Yeneroglu, ordneten die Karlsruher Entscheidung in die bestehende rechtliche und politische Ordnung ein. Generell bedeute das Urteil noch keine sofortige oder gar flächendeckende Aufhebung bestehender Kopftuchverbote. Zumal im konkreten Einzelfall natürlich immer noch verboten werden könne. Grundsätzlich wurde das Urteil innerhalb der muslimischen Community als positiv begrüßt.
„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot ist leider nur eine mangelhafte Reparatur des Schadens aus 2003. Wir hätten uns von den Verfassungsrichtern ein noch klareres Votum für die Religionsfreiheit, für den Gleichheitsgrundsatz gewünscht. Im Detail ist das Urteil aber eine Lehrstunde an den Gesetzgeber“, meinte Bekir Altaş, kommissarischer Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş, anlässlich der Kopftuchentscheidung des Bundesverfassungsgerichts.
Wünschenswert wäre es gewesen, so der kommissarische Yeneroglu-Nachfolger, wenn die Verfassungsrichter das Problem bei den Störern ausgemacht hätten, anstatt die Konsequenzen den betroffenen Lehrerinnen aufzuerlegen. „Schade, dass sich das Gericht von dem zumeist populistisch geführten Mehrheitsdiskurs nicht ganz lösen und von den Angstmachern vollständig emanzipieren konnte.“ Dennoch sei die Entscheidung ein deutlicher Schritt. Das Kopftuch tangiere weder die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler noch das Elternrecht oder den staatlichen Erziehungsauftrag. „Zutreffend stellen die Verfassungsrichter fest, dass das Kopftuchverbot in Nordrhein-Westfalen die ‘Grenze der Zumutbarkeit’ überschritten hat.“
Die Ditib begrüßte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen als „Meilenstein“ für die Gleichberechtigung von Muslimen und die Religionsfreiheit. „Dadurch wird die Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland, mit Leben erfüllt“, sagte der Landesvorsitzende Erdinc Altuntas am Tag der Urteilsverkündung in Stuttgart. Altunas sagte, entsprechend müsse nun das Schulgesetz in Baden-Württemberg geändert werden. Viele Frauen entschlössen sich derzeit gegen ein Lehramtsstudium, weil sie später im Schuldienst kein Kopftuch tragen dürften.
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ebenfalls positiv bewertet. „Auch wenn das Urteil keine generelle Erlaubnis für das Kopftuch bedeutet, ist es sehr erfreulich“, sagte ZMD-Generalsekretärin Nurhan Soykan in Köln. Karlsruhe habe klargestellt, „dass das Kopftuch an sich keine Gefährdung des Schulfriedens bedeutet“. Das sei ein richtiger Schritt, „weil es die Lebenswirklichkeit muslimischer Frauen in Deutschland würdigt und sie als gleichberechtigte Staatsbürger am gesellschaftlichen Leben partizipieren lässt“.
„Das Urteil macht unverkennbar deutlich, dass alle Religionen vor dem Grundgesetz gleich sind und dass keine Religion privilegiert werden darf. Ich gehe davon aus, dass Länder, die ein Kopftuchverbot erlassen haben, der Gleichbehandlung der Religionen Folge leisten und die Kopftuchverbote aufheben werden“, war die optimistische Einschätzung von Seyfi Ögütlü, dem Generalsekretär des Vereins der Islamischen Kulturzentren (VIKZ).
Photo by Thorsten Hansen

Kommentar: Das Thema „Islamgesetz“ wird in vielen Foren heiß diskutiert

„Im Ergebnis besteht bis heute keine offizielle Vertretung der Muslime in Berlin. Im Hintergrund wird hinter vorgehaltener Hand schon die Auflösung des Koordinationsrates besprochen. Erklärt wird dies der staunenden Basis nicht. (…) Hier ist also beim Agenda-Setting eine klare Markierung erforderlich; also das Bekenntnis, nur für sich oder eben für die Muslime zu sprechen.“

Berlin (iz). Wie so oft im muslimischen Leben geht es bei Debatten über die Zukunft des Islam in Deutschland um die Suche nach dem Mittelweg. Dieser, so lehrt es die Tradition, bildet sich aus dem aktiven, gemeinschaftlichen Zusammenleben; immer mit dem Ziel, extreme Einzel- und Mindermeinungen im Interesse des Großen und Ganzen eher auszusondern. Natürlich werden auch Individualisten oder Vertreter kleinerer Gemeinschaften einsehen müssen, dass gegenüber dem Staat eigene Interessen am besten dadurch durchgesetzt werden können, wenn Muslime im Idealfall möglichst geschlossen auftreten.

Nach dieser Logik ist ein Koordinationsrat der Muslime, der unsere Position nach außen hin vertritt, eine gute Sache. Soweit die Theorie. In der Praxis ist er an den Machtambitionen von Verbänden bisher kläglich gescheitert. Man ist sich nicht grün; zum einen, weil sich große Verbände ein Veto ausbedingen; zum anderen, weil kleinere so tun könnten, als seien sie befugt, für die Muslime insgesamt zu sprechen oder zu handeln.

Als Folge besteht bis heute keine offizielle Vertretung der Muslime in Berlin. Im Hintergrund wird hinter vorgehaltener Hand schon die Auflösung des Koordinationsrates besprochen. Erklärt wird dies der staunenden Basis aber bisher nicht.

Die konkrete Debatte über ein mögliches Islamgesetz nach österreichischem Vorbild demonstriert ein anderes Dilemma. Es geht hier zunächst und in erster Linie um die innerislamische Meinungsfindung. Vertreter, die über entsprechenden Zugang zu Medien verfügen, neigen an diesem Punkt dazu, Positionen öffentlich zu definieren, ohne überhaupt die Basis bei der Meinungsfindung einzubeziehen. Hier ist also beim „Agenda-Setting“ eine deutliche Markierung erforderlich; also das Bekenntnis, nur für sich, oder eben für die Muslime, zu sprechen. In Sachen Islamgesetz gibt es wohl noch keinen muslimischen Verband, der hier eine Mehrheit seiner Mitglieder überhaupt befragt hätte.

Fakt ist, dass die Verbände noch immer keine zeitgemäße Organisationsstruktur gefunden haben. Im Moment funktionieren sie weder eindeutig nach demokratischen, noch nach islamischen Kriterien; sind sie doch ein Ergebnis des Vereinsrechts der 1970er Jahre des letzten Jahrhunderts. Sie haben kein effektives Verfahren anzubieten, das Wissen der Mitglieder einzubeziehen. Noch verfügen sie – um ein anderes Beispiel anzuführen – über eine klare Linie zur Erhebung und Verteilung der Zakat.

Viele junge Muslime diskutieren zu Recht über die Quintessenz, die sich aus dieser Lage ergibt. Sie stellen sich dem Fakt, dass sie hier in Deutschland Bürger sind und dem Eingeständnis, dass die romantische Rückbindung an andere Kulturen kaum noch überzeugt. Sie leben hier, wollen mitreden und können mit der „hemdsärmeligen“ Art mancher Führungskader wenig anfangen. Sie suchen nach einem Mittelweg, der weder den Individualismus als die letzte Lösung verherrlicht, aber auch nicht die muslimische Organisationen per se verurteilt.

Seien wir ehrlich: Noch wurde der beste Weg nicht gefunden. Wir wissen im Moment nur, dass im Endergebnis unsere Struktur aus Moscheegemeinden, der NGOs, der Zivilgesellschaft weder eine „Kirche“, noch ein kaltes „Verwaltungsgebäude“ sein darf. Es gibt gute Gründe, die Dezentralisierung der Muslime dem Modell starrer Zentralisierung vorzuziehen. Es gilt, den Kern der muslimischen Infrastruktur aufzubauen, aber auch die Politisierung der Religion zu verhindern.

Wichtig wird nu eine ehrliche innermuslimische Debatte – nicht die Frequenz von Interviews oder das peinliche Kalkül der Medienreichweite. Die Frage nach der Imam-Ausbildung ist ein Test für diese Debattenkultur. Sie sollen künftig Deutsch sprechen, möglichst auch Arabisch. Aber vor allem sollen sie die islamische Lehre glaubwürdig vertreten und in keiner Abhängigkeit zu irgendeinem Staat stehen. Im Ergebnis aber sollte jede Moscheegemeinde natürlich völlig frei und ohne Bevormundung entscheiden können, welchem Imam sie am Ende vertraut.

Die Fragen sind auf dem Tisch: Wie organisieren wir uns – modern aber nicht traditionslos? Wie kommen wir zusammen und stärken die Wahrung unserer Rechte? Was sind innermuslimische Angelegenheiten, die den Staat nichts angehen? An welcher Stelle aber können wir mit Behörden aktiv, besser und effektiver zusammenarbeiten? Und – auch nicht unwichtig: Warum scheuen sich eigentlich so viele Verbandsvertreter, die muslimische Basis zu befragen?

Die IZ wird sich in ihrer kommenden Ausgabe (April 2015) mit mehreren Beiträgen diesem Thema widmen.

Mehr Führung nötig. Gesetzesentwurf der Regierung hat Proteste bei Muslimen und Kritik bei Experten hervorgerufen

(iz). Die geplante Novellierung des aus dem Jahr 1912 stammenden Islamgesetzes stößt auf heftige Kritik. Nicht nur Verbände und die Zivilgesellschaft sprechen sich gegen die Gesetzesänderung aus, sondern auch zusehends […]

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Zur Relevanz des österreichischen Islamgesetzes für Deutschland

(iz). Seit der ersten vom damaligen Innenminister Schäuble initiierten Deutschen Islamkonferenz (DIK) hat sich viel getan. Mittlerweile sind Standorte der „Islamischen Theologie“ an verschiedenen Universitäten entstanden und in der aktuellen DIK laufen die Verhandlungen für einen Wohlfahrtsverband. Zwar beobachten Vertreter muslimischer Verbände die jüngsten Entwicklungen hinsichtlich des Islamgesetzes und der Forderung einer so genannten Einheitsübersetzung des Qur’an im Nachbarland Österreich mit Kopfschütteln, nur sollten wir dies nicht eher als warnendes Beispiel zur Kenntnis nehmen?

Die sich abzeichnende politische Anerkennung auf Landes- und Bundesebene scheint aber bisher eher die Köpfe des politischen Islam zu verdrehen. Mit den Wohlfahrtsverbänden erhofft man sich den Zugang zu den heiß begehrten Geldtöpfen und auf Landesebene findet zwischen den konkurrierenden Mitgliedern des Koordinationsrates der Muslime (KRM) ein Wettlauf statt. Wer passt seine Strukturen schneller den Anforderungen für eine Anerkennung an? Darum geht es den verschiedenen Verbänden in erster Linie.

Die Auswirkungen sehen wir in den letzten Monaten. In wichtigen Fragen koordiniert der KRM kaum etwas, stattdessen konterkarieren bestimmte Verbände eine einheitliche Linie. Besonders deutlich wurde dies in der Causa Khorchide. Das gemeinsame Gutachten des KRM zu dieser Frage hat kaum noch Relevanz, wenn man sieht, dass der Generalsekretär der DITIB einen Lehrauftrag am Münsteraner Lehrstuhl annimmt und der amtierende stellvertretende Zentralratsvorsitzende dort arbeitet.

Auch scheut man sich davor, solidarisch mit Muslimen zu sein, die für ihre kritische Auseinandersetzung zu gewissen Einflussversuchen auf innermuslimische Angelegenheiten angegriffen werden. Jüngstes ­Beispiel ist der Wissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza, der sich mit absurden Vorwürfen von Prof. Khorchide konfrontiert sieht, die gezielt seine berufliche Existenz angreifen. Sowohl von Seiten des KRM, als auch von anderen muslimischen Organisationen fehlt dort bisher die ­Solidarität.

Die bloße Fixierung auf eine Anerkennung seitens des Staates hat zur Folge, dass man jederzeit darauf aufpassen muss, nicht mit Personen oder einem Denken assoziiert zu werden, die die Anerkennungsbemühungen zunichte machen können. Heute kann die Springer-Presse einen als den „perfekten deutschen Muslim“ adeln – aber morgen schon, kann durch Assoziation der Spieß umgedreht werden; und schon ist man der böse, konservative Muslim.

Wer seine Macht über Staat und Öffentlichkeit definiert, wird über kurz oder lang seine Inhalte und auch seine freie Lehre verlieren. Wer sich heute auf die klassische Lehre im Islam beruft, muss bereits mit dem Vorwurf rechnen, nicht mehr politisch korrekt zu sein. Was wir als Muslime in Deutschland brauchen, ist in erster Linie eine gegenseitige Anerkennung, jenseits des gesamten Anerkennungskurses mit dem Staat. Das besteht auch in einer klaren aktiven Absage an jegliche Extreme und ist gleichzeitiger Schutz des Mittelwegs.

P.S.: Um beleidigten Reaktionen vorzubeugen; das ist kein „Verbandsbashing“.

Krankenhausverband: Einstellung von Muslima mit Kopftuch möglich

Berlin (KNA). Nach Auffassung des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbands ist grundsätzlich die Einstellung einer Muslima mit Kopftuch in einem evangelischen Krankenhaus möglich. Zwei Tage nach dem Kopftuch-Urteil sagte dessen Direktor, Norbert Groß, der Berliner «tageszeitung» (Freitag), es gebe kein generelles Verbot. Entscheiden müssten die jeweiligen Einrichtungen.

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hatte am Mittwoch entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber ihren Angestellten das Tragen eines Kopftuches verbieten können. Anlass war die Berufungsklage einer muslimischen Krankenschwester, die in einem evangelischen Krankenhaus tätig ist. Die Klägerin hatte sich durch diese Vorgaben in ihrer Religionsfreiheit verletzt gesehen.

//1//Groß betonte, die Entscheidung sei von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Generell sei es so, dass sich ein Bewerber der Corporate Identity eines christlichen Krankenhauses anpassen müsse, wenn er dort arbeiten wolle. Das sei in der Privatwirtschaft genauso. Was nicht zum Image des Unternehmens passe, könne zu Konflikten führen.

Debatte: Ramadan erinnert auch an unsere Gemeinsamkeiten

(iz). Kurz vor Ramadanbeginn hören wir Muslime immer wieder präsidial klingende Aufrufe nach mehr Geschwisterlichkeit; wir sollen das Konkurrenzdenken überwinden und unseren Idealen folgen. Natürlich sind diese Deklarationen gut gemeinte Denkanstöße, vor allem wenn, wir uns dabei an das berühmte Bild der Offenbarung erinnern: Die Welt ist ein Spiegel.

Unsere eigenen Organisationsformen sind es, die wir zunächst prüfen müssen. „Geht es uns nur egozentrisch um Machtsteigerung oder um den Dienst an der Gemeinschaft, die Förderung echter Geschwisterlichkeit?“, heißt zunächst die allgemeine Prüfformel an uns selbst.

Neben der allgemeinen Rhetorik ergeben sich in erster Linie aus dem Islam wichtige Kriterien. Sie sind übrigens durchaus nachprüfbar. So überwindet der Islam die dauerhafte Ausrichtung an bestimmten Ethnien und propagiert dagegen eine offene, geschwisterliche Gemeinschaft, die für jeden, der Dienst an der Gemeinschaft leisten will, gleich zugänglich ist. Der Islam bevorzugt eindeutig das Modell von Stiftungen; auch weil sie der politischen Kontrolle und ­Dominanz einer Elite entzogen sind und sich so selbstlos wie zuverlässig über Generationen hinweg anerkannten Zwecken und Zielen ­widmet.

Nicht zuletzt ist es die Zakat, die uns auf besondere Weise geschwisterliche Solidarität auferlegt. Sie wird lokal erhoben, verteilt und schafft so sozialen Zusammenhalt. Echte Transparenz ergibt sich dabei aus den dezentralen Verteilungsmechanismen, die vor unseren Augen ablaufen.

Brüderlichkeit heißt also auch, dass wir bei berechtigter Kritik nicht weinerlich sind, sondern uns den nachvollziehbaren Argumenten der Anderen stellen. Zur Koordination der unterschiedlichen Beiträge sind heute Initiativen einer muslimischen Zivilgesellschaft willkommen, die – gewissermaßen zum Ausgleich der „von oben nach unten“-Hierarchie – wirklich basisdemokratisch „von unten nach oben“ agieren und von keinem bestimmten Verband dominiert werden.

Dass wir Muslime „parteiübergreifend“ zu gemeinsamen Handeln durchaus fähig sind, zeigen unsere Hilfsaktionen – wie unlängst bei der Flutkatastrophe in Bosnien. Im Ramadan sollten wir uns also Zeit nehmen – neben dem konstruktiven Streit um die Sache –, die eigenen Grundlagen, aber auch Gemeinsamkeiten unserer Rechtsschulen, wieder stärker ins Bewusstsein zu rücken. (Von Abu Bakr Rieger)

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Debatte und muslimische Hintergründe zur Doppelten Staatsbürgerschaft

„Es ist für die Gemeinschaft der in Deutschland lebenden Muslime wichtig, das die islamischen Grundlagen nicht von kultureller Romantik verdrängt werden.“ (iz). Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat ein feines Gespür für […]

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IZ-Gespräch mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime Aiman Mazyek über den Stand des organisierten Islam

(iz). Zustand und Organisationsgrad des organisierten Islam in Deutschland ist seit geraumer Zeit – auch in der IZ – ein Thema der innermuslimischen Debatte. Insbesondere Angehö­rige der jungen Generationen fühlen sich zusehends nicht durch die oft politisch, ethnisch und sprachlich eingrenzende Sicht muslimischer Verbände angesprochen. Ein Hinweis dafür sind die verstärkt entstehenden Initiativen jenseits der bisher bekann­ten Organisationsformen Verein und Dachverband.

Hierzu sprachen wir mit Aiman Mazyek, dem derzeitigen Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime (ZMD). Seine Organisation schied jüngst – gemeinsam mit anderen Verbänden – aus „Sicherheitspartnerschaft“ mit dem Bundesinnenministerium aus. Der ZMD ist Mitglied im Koordinationsrat der Muslime.

Islamische Zeitung: Es gibt seit einiger Zeit in muslimischen Zirkeln eine Debatte über die Zukunft der Community. Wie würden Sie den augenblicklichen Zustand des Koordinationsrates als Beratungsgremium bewerten?

Aiman Mazyek: Ausbaufähig würde ich sagen. Wir haben sicherlich vor eini­gen Jahren einen wichtigen Schritt gemacht, als wir sagten, dass sich die spitzen Verbände austauschen und sich koordinieren sollten. Das gilt insbesondere für repräsentative Fragen einer Leitlinie, anhand derer man hier den ­Islam als gleichgestellte Religionsgemeinschaft neben anderen zu etablieren versucht. Dies war sicherlich ein wichtiger Schritt im Jahre 2007.

Ich hätte mir persönlich gewünscht, dass es weitere Schritte gibt und auch Konkretisierungen – wie in Richtung zum Beispiel Länderstrukturen – erfol­gen. Aber man muss auf der anderen Seite konstatieren, dass die vier ­großen Verbände zwar im religiös-theologischen Sinne im Wesentlichen mit der gleichen Stimme sprechen. Was aber die ihre politische Kultur betrifft, so bestehen weiterhin Unterschiede. Das fängt damit an, dass die ­ethnische Herkunft unterschiedlich gewichtet wird. Zum Beispiel, was unseren Verband [den Zentralrat der Muslime] angeht, so ist er sehr multiethnisch und multikulturell ausgerichtet. Deswegen haben bei uns schon früh Türken mit Deutschen, Bosniern, Albanern, Arabern aber auch mit kleineren Gruppie­rungen – von Afrikanern, über Gehörlo­se bis zu Schiiten – kooperiert. Das ist relativ bunt, dezentral organisiert und deswegen war uns früh klar, dass die Hinwendung auf dieses Land im ­Sinne eines Islam in Deutschland für uns der einzig gangbare Weg war. Deutsche Mitglieder, die Persönlichkeiten des Öffentlichen Lebens sind und waren, machten diesen Schritt zudem dann sprachfähig.

Diese Unterschiede in der politischen Kultur, die gilt es noch als Herausforderung anzunehmen und zu überwinden. Da haben wir, so denke ich, noch eine Menge vor uns. Deswegen darf man sich damit nicht zufrieden geben; im Sinne von „das ist der Status quo und deshalb können wir nichts ändern“. Doch! Ich glaube, man kann noch ­vieles besser machen. Aber dazu müssten auch alle mit anpacken.

Islamische Zeitung: Es gibt unter jungen Muslimen und Aktivisten – vielleicht auch dank so genannter sozia­ler Medien – häufiger Kritik an dem, was der KRM erreicht hat? Können Sie diese Kritik nachvollziehen oder vor allem Geschimpfe auf „die da oben“?

Aiman Mazyek: Kein Geschimpfe, das sind durchaus berechtigte Sorgen. Und die müssen auch weiterhin adressiert werden – an die Verbände und an die Religionsgemeinschaften. Das ist aber nur ein Teil der Lösung. Ein ander­er ist – was wir auch erleben –, dass die guten Köpfe der muslimischen Commu­nity zwar zum Beispiel am Freitagsgebet teilnehmen, aber die Bereitschaft zur aktiven Teilnahme gering ausgeprägt ist.

Das gute Personal wandert ohnehin in die Wirtschaft oder in andere Bereiche ab. Unter anderem auch, weil die Religionsgemeinschaften mit ihren Strukturen und ihren begrenzten ­Möglichkeiten kaum Aussichten auf Jobs geben ­können. Das ist die andere Seite der Medaille. Dies betrifft vor allem junge, gut ausgebildete und intellektuell fähige Muslime, von denen es Gott sei dank heute mehr gibt als noch in den 1970er oder 1980er Jahren. Sie werden sich auch fragen: Was man selbst dazu beitragen kann, damit sich die Lage verbessert. Ich erlebe selbst in meinem Umfeld gerade – sowohl familiär wie in der Gemeinde – eine starke Abwanderung von top ausgebildeten Leuten – Juristen, BWLer und anderen – in die Türkei, die Emirate oder nach Saudi-Arabien. Meistens arbeiten sie übrigens für deutsche Firmen, die sie dort mit Kusshand nehmen; wohlwissend, dass ihre Qualifikation und ihre kulturellen Fähigkeiten sie weiterbringen. Diese junge Generation parkt jetzt erstmal 10-20 Jahre ihres produktiven Lebens, kommt dann möglicherweise wieder zurück, vielleicht. Natürlich liegt das auch daran, dass die­ jungen Leute erkennen müssen, dass sie trotz einer besseren Qualifikation bei gleichen Noten und Abschlüssen in Deutschland das Nachsehen haben. Und woanders werden sie mit diesen Qualifikationen gerne genommen.

Islamische Zeitung: Unter Muslimen entstehen neue Organisationsformen. Oft sind diese mit dem Inter­net und dessen kommunikativen Beschränktheiten verbunden. Haben Sie das Gefühl, dass sich da ein Wandel vollzieht, der trotz Positivität der ­Community als ganzer Substanz entzieht und mittelfristig schädlich sein ­könnte?

Aiman Mazyek: Ich habe ja auch einige dieser Foren kennengelernt und dort deutlich gemacht – ob diese jetzt Zahnräder sind, Thinktanks oder andere Events –, dass wir dies als wichtige Ergänzung und als Kraftquelle brauchen, auch weil sich dort die jungen Köpfe ausprobieren und ergänzen können. Entscheidend ist, dass das islamische Leben, in dem ich meine fünf Säulen praktiziere, nicht im luftleeren Raum, sondern mit einer Gemeinschaft stattfindet. Wenn ich mein Freitagsgebet mache, dann nicht zuhause, sondern in der Moschee. Wenn ich meinen Kindern ein Stück muslimi­sches Leben geben will, dann tue ich das nicht in einem Teehaus, sondern in ­einer Moschee. Wenn ich gut gekleidet und parfümiert zum Festgebet gehe, dann freue ich mich auf das Fest – mit einer Gemeinschaft in der Moschee.

Oft kritisieren wir zu Recht, wenn die Vorstände nicht in die Puschen kommen, wenn sie sprachlich oder mentalitätsmäßig noch in den 1960er stecken geblieben sind. Aber bei aller Kritik müssen wir festhalten, dass das eigentliche muslimische Leben nun mal in den Gemeinden stattfindet, und dies sind ­unser anvertrautes Gut, unsere Amana. Und da sind wir alle verantwortlich, ob nun Imam oder Jugendgruppenchefin. Sobald wir das existentiell in Frage stellen, sägen wir an dem Ast, auf dem wir ­sitzen. Wenn wir erlauben, dass wir unsere isla­mischen Insignien vernachlässigen, wird am Ende kaum was übrig bleiben.

Geht die Wertschätzung der Gemeinschaft zurück, dann werden wir vielleicht irgendwann einmal Hülsen ohne Frucht sein, Einrichtungen von Thinktanks haben, aber ohne Spiritualität und Seele, vernunftbegabte Reden schwingen, aber mit wenig Iman. Das will ich eigentlich nicht.

Islamische Zeitung: Es gab vor Kurzem eine allgemein kritisierte Plakatkampange des Innenministeriums, die mittlerweile wieder ausgesetzt wurde. Die an der so genannten Sicherheitspartnerschaft beteiligten Verbände sind ja im Verlauf der Debatte aus der Sicherheitspartnerschaft ausgeschieden. Was ist ihre Sicht auf diesen ­Vorgang?

Aiman Mazyek: Die Sicherheitspartnerschaft stand von Anfang an unter keinem guten Stern, weil stets unserer Bedenken und Sorgen nicht ernst genommen worden sind. Die muslimischen Verbände versuchten von Beginn an, das Thema rechtsradikale Übergriffe auch zum Thema der Sicherheitspartnerschaft zu mache. Dem Bundesinnenministerium ging es um den so genannten Islamis­mus und folglich gab keine Zusammen­arbeit oder Partnerschaft auf ­Augenhöhe. Hier hätte spätestens von uns aus eine Evaluierung stattfinden müssen, ob und wie eine solche Partnerschaft weiter Bestand haben soll.

Die Plakataktion war nicht das erste Projekt dieser Art; exemplarisch zu nennen ist eine vergangene Flyer-Aktion (bei der die muslimische Gemeinde ermahnt wurde, nicht radikalen Gruppen Geld zu geben), welche erfolglos war und zeitnah eingestampft wurde. Die Plakataktion war stets ein Projekt in der Hand des Bundesinnenministeriums – die ­Muslime konnten lediglich im Rahmen von anderen, arbeitsintensiven Projekten zu Entwürfen ihre Meinung abgeben. Selbst­­kritisch sage ich heute, dass diese Kritik hätte deutlichere ausfallen müssen und auch ich habe die Tragweite des Gesche­hens und des Projekts dabei unterschätzt, weil wir durch andere Themen, die wesentlich mehr Zeit und Aufwand bereite­ten, auch abgelenkt waren.

Dennoch blieb der ganze Vorgang vorbehaltlich und eine offizielle Mitträgerschaft stand nicht zur Debatte. ­Spätestens nach der deutlichen Kritik der ­Muslime an der Kampagne, hätte die Aktion im Sinne einer auf gleicher Augenhöhe stattfindenden Partnerschaft geändert­ ­werden müssen. Leider blieb sie aus. Zukünftig müssen wir noch genauer bei hingucken, was das Agenda-Setting angeht und drauf pochen, das dieses wirklich partnerschaft­lich austariert wird.

Islamische Zeitung: Neben der Kritik als solcher: Sind Sie zufrieden mit der Art und Weise, wie innerhalb der Community solche Themen halböffentlich diskutiert werden?

Aiman Mazyek: Ich will es einmal psychologisch erklären. Über die Situation der Muslime sind wir allesamt nicht zufrieden und doch: alhamdulillah. Hier hat sich dann für einige ein Ventil ­ergeben, einen Sündenbock zu suchen. Die zu Recht angesprochenen Kritikpunkte an den islamischen Religionsgemeinschaften wird zum Anlass für eine Brachialkritik.

Man hat sich natürlich bei dieser ganzen Kritik nicht gefragt: Was ist die Alter­native? Oder: Was kann ich selbst zur Ver­besserung beitragen? Was ist meine Aufgabe bei dem Ganzen? Viele Kritiken waren hart aber fair. Manche ­davon rechthaberisch; bisweilen verächtlich und oft ging es auch um Machtansprüche und alte offene Rechnungen, die hier eigentlich nichts zu suchen haben.

Wir sollten hier nicht vergessen, dass wir hier nicht irgendwelche, Parteien oder Unternehmen vertreten. Sondern wir sind meist Ehrenamtliche und versu­chen unseren Job, so weit es geht, und so gut wie möglich zu tun innerhalb der beschriebenen Strukturen.

Islamische Zeitung: Fehlt es, um diesen Mangel zu beheben, an den richti­gen Werkzeugen?

Aiman Mazyek: Es fehlen natürlich auch die Mittel. Es fehlt auch der Rückzugsraum, in dem man solche strukturel­len und strategisch wichtigen Weichen stellen kann. Das ist nichts Neues, und es war vor acht oder neun Jahren noch schlimmer. 50 Prozent unserer Aktivität besteht aus Öffentlichkeitsarbeit, was einfach in keinem Verhältnis steht. Weil alle paar Monate eine neue Sau durchs Dorf getrieben wird und weil die Welt, wie sie ist, einfach politisch instabil ist und Muslime ihren Kopf hinhalten und man sich diesem nicht einfach entziehen kann.

Aber wir können gleichzeitig selbigen nicht einfach nur in den Sand stecken – Das ist ein Dilemma. Die strukturelle Arbeit und das Reisen kosten viel Kraft. Diese Kraft und diese Energie müssten eigentlich beispielsweise darauf verwandt werden, die klügsten gläubigen Köpfe zusammenzubringen.

Ich glaube nicht, dass es in anderen Institutionen anders ist. Das ist kein gesondert islamisches Phänomen. Da muss man sich eben ­an­ders einbringen. Wenn aber jeder etwas anderes macht, dann haben wir genau die Situation, wie wir sie heute haben.

Islamische Zeitung: Lieber Aiman Mazyek, wir danken Ihnen für das ­Gespräch.

Die Grünen wollen die „Gleichstellung und rechtliche Integration des Islam“. Einige Muslime reagierten kritisch. Ein Überblick von Sulaiman Wilms

„Die Voraussetzung für die Etablierung islamischer Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes (…) sind: Bekenntnisförmigkeit der Gemeinschaft, umfassende Erfüllung religiöser Aufgaben, Nachweis theologischen Sachverstands, mitgliedschaftliche Organisation und Verfassungstreue.“ (Grüne Roadmap, 26.6.2012)

„Alle Parteien – einschließlich die Grünen – stecken daher in einem Argumentationsdilemma. Und genau diese Indifferenz und rhetorische Verunsicherung ist diesem Papier abzulesen.” (Kamuran Sezer, auf Facebook)

(iz/KNA). Kontrazyklisch zur diesjährigen Sommerpause erneuerte die grüne Bundestagsfraktion mit ihrem Fraktionsbeschluss bezüglich einer „Grünen Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam in Deutschland“ (vom 26.6.) die politische Debatte. Auf einer Pressekonferenz erklärten führende Politiker der Partei, sie wollten damit „Druck machen“ – sowohl auf Bund und Länder als auch auf die muslimischen Verbände. Notwendig sei unter anderem ein Neustart der 2006 vom damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) begonnenen Deutschen Islamkonferenz (DIK). Unter seinem Nachfolger Hans-Peter Friedrich sei sie „in eine Sackgasse gefahren“. Generell begrüßten die Grünen den Grundansatz dieses Gremiums.

Aufgabe der Muslime sei die Gründung einer Religionsgemeinschaft, die die vom Grundgesetz geforderten Kriterien erfülle, meinte die Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck erklärte, eine von den Verbänden gewünschte Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts sei schon deshalb kein praktikables Modell, weil sie sich nicht nach Bekenntnissen, sondern nach Sprache, Kultur oder Herkunftsland organisierten. Zudem sei es etwa problematisch, dass der türkisch-muslimische Dachverband Ditib faktisch eine Unterorganisation der türkischen Religionsbehörde sei. Es sei nicht Sache des Staates, sich in die Gründung muslimischer Organisationen einzumischen. Diese könnten sowohl die Form einer Einheitsgemeinde – wie die Juden – wählen oder sich nach unterschiedlichen Bekenntnissen zusammenschließen.

Anerkennung der Realitäten
Zu Beginn ihres, eher skizzenhaften Papiers erkennen die Grünen (was keine große Überraschung ist) die Realität des Islam in Deutschland an. Der historische Wandel der religiösen Landschaft in der Bundesrepublik habe auch zu einem „Bedeutungswandel vom Staatskirchenrecht hin zum grundrechtszentrierten Religionsverfassungsrecht vollzogen“. Die rechtliche Gleichstellung von Muslimen ist für die Grünen die logische Folge „einer erfolgreichen Integration ihrer Religion in das deutsche Religionsverfassungsrecht“. Für die Partei habe dieser Vorgang einen offenen Ausgang. Die grüne Bundestagsfraktion ist sich (so eine Fußnote) bewusst, dass mit „den Muslimen“ in Deutschland lediglich die religiösen gemeint seien – unabhängig davon, ob organisiert oder nicht.

Während sich das Papier stellenweise als Verlangen nach ergebnisorientierten Konzepten liest, finden sich an anderen Stellen altbekannte Vorstellungen. Dazu gehört auf der allgemeinen Ebene nicht nur der, mehrfach wiederholte Verweis auf mutmaßliche verfassungsfeindliche Bestrebungen; nicht nur bei Salafisten, sondern auch bei einzelnen, ungenannten Mitgliedsverbänden des KRM, die in Verfassungsberichten auftauchen sollen. Eine kritische Reflexion, die dieser – durch den NSU-Skandal in Mitleidenschaft gezogene – Inlandsgeheimdienst in Sachen Begriffsbestimmung und Politikberatung – im Umgang mit Deutschlands Muslimen – spielte, wird hier schmerzlich vermisst. Die grünen AutorInnen kamen auch leider nicht ohne den unwissenschaftlichen Begriff des „Islamisten“ (S. 3 der Roadmap) aus.

Organisatorische Fragen
Das Fraktionsdokument dominieren weniger inhaltliche Fragen, sondern vor allem organisatorische. Zwar sei der 2007 gegründete Koordinationsrat der Muslime „ein richtiger und bedeutender“ Schritt, aber er fungiere selbst nach eigenem Verständnis nicht als alleiniger Ansprechpartner des Staates (S. 3). Mit Verweis auf die Alevitische Gemeinde Deutschlands sind die Grünen der Ansicht, dass das Recht für „weitere Religionsgemeinschaften“ offen sei. Hier unterscheidet sich das Papier von früheren Vorstellungen, wonach die muslimischen Gemeinschaften eine alleinige Vertretung in Deutschland bräuchten. Dieser Wunsch der Politik führte in der Vergangenheit zur Verzögerungen und Blockaden bei Verhandlungen.

Die zwei Klein-Vereine (des „Liberal-Islamischen Bundes“ und des „Verbandes demokratisch-europäischer Muslime“) will die grüne Roadmap gemeinsam mit „verbandsunabhängigen Moscheegemeinden“ in die Herausbildung islamischer Religionsgemeinschaften einbeziehen, sofern diese in der Lage seien, „eine dem deutschen Religionsverfassungsrecht entsprechende Organisationsform zu finden“. Im Rahmen „differenzierender islamischer Religionsgemeinschaft“ (S. 8 des Papiers) könnte durch etwaige liberale Strukturen „daneben oder parallel Neugründungen eines reformierten Islam erfolgen“. Dieser Punkt dürfte gewiss Anlass für Kritik an der Roadmap bieten. Man kann sich die Frage stellen, ob die Grünen ausschließlich die rechtliche Integration des organisierten Islam anstreben, oder ob sie auch die politische Förderung, genehmer Religionsgemeinschaft herbeiführen wollen.

Zweifel an bestehenden Strukturen
Grundsätzlich verweist die Roadmap auf zwei „rechtliche Erscheinungsformen für religiöse Gemeinschaften“: einerseits die im Grundgesetz vorgesehene Religionsgemeinschaft und andererseits die Körperschaft des öffentlichen Rechts. Konkret erfüllten die „vier großen muslimischen Verbände“ nicht die an eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes geknüpften Voraussetzungen. Deren unterschiedliche Existenz ergäbe sich nicht aus theologischen Differenzen, sondern aus ihren „nationalen, sprachlichen und/oder politischen“ Zusammenhängen der jeweiligen Herkunftsländer. Hier seien noch wichtige Fragen offen. „Ein zentrales Problem ist, dass die bestehenden muslimischen Verbände bislang anders als die Kirchen nicht klar darlegen können, wer zu ihren Mitgliedern zählt.“ Zudem sei fraglich, ob die muslimischen Verbände die Vorgaben für eine „allseitigen Religionspflege“ erfüllten.

Die Grünen gehen davon aus, dass es Jahren brauche werde, bis es zur Herausbildung einer oder mehrerer muslimischer Religionsgemeinschaften in Deutschland kommt. Allerdings könnten weder die Muslime, noch die Gesellschaft so lange warten. „Auf dem Weg zu dauerhaften Regelungen brauchen wir Zwischenlösungen.“ Man stünde vor einer Vielfalt von Aufgaben.

Religionsunterricht und Imam-Ausbildung
Allerdings ist auch den Grünen bewusst, dass sich diese „Zwischenlösungen“ als „fragil“ erweisen können. In Nordrhein-Westfalen – im Rahmen der Einführung eines bekenntnisorientierten Islamischen Religionsunterricht – beispielsweise bestehen diese in der Einsetzung so genannter Beiräte, an denen unter anderem Vertreter muslimischer Dachverbände beteiligt sind. Insbesondere, wenn Verbände oder Einzelpersonen juristisch gegen sie vorgehen würden, könne es zu Schwierigkeiten kommen.

Es ist nicht ganz ohne Ironie, dass das grüne Konzept der Einführung und Realisierung dieses Religionsunterrichts und der – damit in Zusammenhang stehenden – Gründung islamisch-theologischer Lehrstühle zur Ausbildung muslimischer „Theologen“, Religionslehrer und Imame einen ähnlich hohen Stellenwert beimisst wie es die Mitgliedsverbände des „organisierten Islam“ tun. Auch hier begrüßen die Grünen die Einbindung „der verbandsunabhängigen Muslimas und Muslime“.

Wohin soll die Reise gehen?
Für die Grünen ist ein „Neustart der Deutschen Islamkonferenz (DIK)“ notwendig. Dessen Aufgabe müsse „eine Wegbeschreibung zur rechtlichen Integration der religiös orientierten Muslimas und Muslime durch die Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaft(en)“ sein.

So bestimmt die Roadmap sowohl Aufgaben des Staates als auch die der Muslime. Auf Seiten des Staates sieht das Papier Folgendes vor:
1. Erleichterung und Unterstützung der Etablierung von Religionsgemeinschaft(en),
2. Einbindung verbandsunabhängiger Moscheegemeinden sowie „liberaler Muslimas und Muslime“,
3. Zügige und breite Einführung vom Islamunterricht,
4. „Verfassungsfeste Übergangslösungen“ und
5. Maßnahmekonzept gegen Islamfeindlichkeit.

Obwohl das Papier an mehreren Stellen betont, dass „Gründung, Struktur und theologische Ausrichtung“ der Religionsgemeinschaften „alleinige Angelegenheit der Gläubigen“ seien, haben die Grünen klare Vorstellungen davon, was Deutschlands Muslime zu leisten hätten:

1. Neugründung einer gemeinsamen und alle Strömungen umfassenden muslimischen Gemeinde. „Sie sollte eine klare mitgliedschaftliche Struktur nach innen und theologische Vertretung nach außen benennen können, um über Fragen der Lehre der Gemeinschaft verbindlich Auskunft zu geben.“
2. Etablierung mehrerer, sich nach Glaubensvorstellungen differenzierender islamischer Religionsgemeinschaften.
3. Die (bereits oben erwähnte) Neugründung eines „reformierten Islam“.

Erste Kritik – „das untaugliche Starkreden von nicht repräsentativen Randgruppen“
Während die grünen Forderungen ein gewisses Medienecho hervorriefen, gab es bisher nur begrenzte Reaktionen von Seiten muslimischer Repräsentanten. Einzig die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) setzte sich – wenn auch kritisch – mit dem Inhalt dieses Konzepts auseinander. Mustafa Yeneroglu, stellvertretender Vorsitzender der IGMG, bezeichnete das Fraktionskonzept als „äußerst enttäuschend“. Bei näherer Betrachtung erkenne man, dass es sich hierbei „im Wesentlichen um CDU-Positionen“ handle.

Kernelemente dieser Politik, so der IGMG-Vize Yeneroglu, seien „die Relativierung der großen islamischen Religionsgemeinschaften (…), das untaugliche Starkreden von nicht repräsentativen Randgruppen, die unkritische Übernahme der Positionen des Verfassungsschutzes und nicht zuletzt der Versuch der Negierung des verfassungsrechtlichen Anspruches der Muslime auf Gleichbehandlung“.

Anstatt auf die eigenen Erfahrungen aus dem langjährigen Dialog mit den islamischen Religionsgemeinschaften zu vertrauen, „wird die den eigenen Erfahrungen entgegengesetzte Sprache des Verfassungsschutzes sogar noch gesteigert“. An einer kritischen Hinterfragung „der tendenziösen und die Politik bevormundenden Arbeit des Verfassungsschutzes“ fehle es in dem Papier leider völlig.

„So bleibt das Papier weit hinter den Erwartungen, die man den Grünen stellen kann, aber auch der gesellschaftlichen Wirklichkeit und dem verfassungsrechtlichen Anspruch zurück.“ Mit den sicherheitspolitischen „Weisheiten“ der letzten zehn Jahre, denen sich seit Langem sogar die Grünen untergeordnet hätten, erscheine ein Fortschritt in weiter Ferne.

„Ob auf der Grundlage einer solchen Roadmap tatsächlich ‘Gleichstellung und rechtliche Integration des Islam’ erfolgen kann, ist stark anzuzweifeln“, ist die Einschätzung des Juristen.

Individuelle Reaktionen – „gibt es Roadmaps auch in der deutschen Innenpolitik?”
Auch auf Blogs und von Seiten muslimischer Foristen waren die ersten Reaktionen alles anderes als durchgehend begeistert. Einige muslimische Stimmen reagierten kritisch. „Die Grünen (…) sammeln die immer wichtiger werdenden Stimmen der muslimischen Minderheit und halten ihre Versprechen am Ende nicht. So auch geschehen mit dem Versprechen der doppelten Staatsbürgerschaft“, meinte ein Forist auf Facebook. Ein weiterer sieht eine Bringschuld der Partei: „Es gibt Bundesländer in denen die Grünen Regierungsverantwortung tragen. Da haben sie Gelegenheit, ihre Aufrichtigkeit zu beweisen.“

Der Journalist und Blogger Kamuran Sezer reagierte differenziert auf das Papier: „Alle Parteien – einschließlich die Grünen – stecken daher in einer Argumentationsdilemmata. Und genau diese Indifferenz und rhetorische Verunsicherung ist diesem Papier abzulesen. Die Wordings ‘großen Verbände’ und ‘verbände-unabhängigen Moscheegemeinden bzw. der liberalen Muslimas und Muslime’ klingen wie der verzweifelte Versuch, die Heterogenität der muslimischen Gemeinde korporatistisch zu akkumulieren.”

Andere begrüßten die so genannte Roadmap. „Seid doch froh, dass sich eine Partei mal ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt, ohne gleich die üblichen Phrasen zu dreschen. Weder CDU und schon gar nicht die SPD sind da wirklich interessiert – von FDP und Linke rede ich gar nicht erst. Kritik ist immer OK, solange sie weiter führt”, schrieb ein anderer Muslim auf Facebook.”

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Interview: Mustafa Yeneroglu (IGMG) über die Rechtslage beim Schwimmunterricht

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