Zakat – etwas ganz anderes als Mildtätigkeit

zakat Rechtsextremismus ökonomen

„Zakat bietet sich als Heilmittel der radikalen Art an. Die Einkommensteuer scheiterte, den Graben zwischen Reichen und Armen zu verkleinern.“

(iz). Ich möchte über die Möglichkeit sprechen, wie die Zakat im seltsamen Kontext des heutigen Finanzsystems kreativ und erfolgreich funktionieren könnte. Die Frage ist eine bemerkenswert aktuelle. Eine der bekanntesten Eigenschaften des Islam ist seine resolute Stabilität.

Welche andere Weltreligion konnte nicht nur ihre Schlüssellehren bewahren, sondern die Einzelheiten ihrer Praxis? Wie das Gebet, Ramadan und Hadsch scheint die Zakat zeitlos zu sein. Es sind Regeln, die nicht zum Vergehen geschaffen wurden – niemals.

Die Zakat unterscheidet sich von anderen Säulen

Und doch unterscheidet sich die Pflichtabgabe von den anderen Säulen. Wenn das Gebet Anbetung Allahs ist, das Fasten Selbstverleugnung und Hadsch eine Rückbindung zur heiligen Vergangenheit und dem spirituellen Zentrum, dann betrifft die Zakat unsere Bindung zur Gesellschaft – in ihrer unverzichtbaren, finanziellen Dimension.

Religion leitet sich vom lateinischen Wort für „binden“ ab. Sie verbindet uns nicht nur mit dem Himmel, sondern mit dem Mitmenschen. Und ist eine besonders soziale Sache. Weil sich die uns umgebende Welt auf solch extremen und verwirrenden Wegen wandelt, steht diese Säule des Islam vor größeren Herausforderungen als die anderen.

Anders formuliert könnte man sagen, dass sie eine innere und eine äußere Dimension hat. Innerlich hat sie die Wirkung, uns von Elementen unserer Gier, Habsucht und der Teilnahmslosigkeit gegenüber anderen zu reinigen. Sie ist kathartisch.

Die Schari’a regelt und reinigt unsere Transaktionen. Aber das Fundament unseres sozio-finanziellen Austausches ist die Abgabe auf unseren Besitz. So bedeutsam ist wirtschaftliche Gerechtigkeit für die qur’anische Vision von Gesellschaft, dass dieser soziale Pfeiler sich darauf bezieht, wie Geld aufbewahrt, besteuert und ausgetauscht wird.

Selbstverständlich stellt sie keinen Ausschluss anderer sozialer Transaktionen dar. Zakat ist unser dritter Pfeiler und beispielsweise nicht die Aufrechterhaltung der Familienbande (arab. silat al-rahim). Und so ist die ganzheitliche, soziale Vision einer gläubigen und gerechten muslimischen Gesellschaft bezeichnenderweise auf ökonomische Gerechtigkeit fokussiert.

Einige der ersten Verse der Offenbarung waren düstere Warnungen vor Habgier und der Vernachlässigung des finanziellen Wohlergehens von benachteiligten Segmenten der mekkanischen Gesellschaft.

Foto: Christian Jepsen, NRC

Früher half sie zur Linderung von Armut

In früheren Zeiten trug die Institution der Zakat stark zur Linderung von Armut und anderen Bedürfnissen bei. Sie wurde oft von der enormen Infrastruktur der Stiftungen (arab. auqaf) in der weiten muslimischen Welt unterstützt. Obwohl der mittelalterliche Islam einige komplexe Finanzsysteme schuf – vergessen wir nicht, dass Worte wie Scheck oder Tarif arabischen Ursprungs sind –, bezieht sich die Theorie der klassischen Zakat auf eine weniger differenzierte Gesellschaft.

Heute legen Juristen die Stirn in Falten angesichts der Zunahme komplexer und häufig parasitärer Finanzinstrumente: lang- und kurzfristige Fonds, offene Portfolios (Macro Hedging), Terminhandel, Derivate und Immobilien-Investment-Trusts.

Ich möchte über den Weg nachdenken, auf dem das Prinzip der Zakat selbst – in seiner weiten und hoffentlich zeitlosen Architektur – eine bedeutende neue Kraft einführen kann. Wir müssen einen Augenblick über die Eigenartigkeit der heutigen Weltwirtschaft nachdenken. In ihrer Sprunghaftigkeit und Fremdheit scheint sie Spiegel so vieler anderer moderner Quellen von Sorge und Unsicherheit zu sein.

Dazu gehören Klimawandel, Terrorismus, das Verschwimmen sozialer Formen und Beziehungen, religiöse Verwirrung und die Dominanz einer globalen Kultur durch mächtige Medienkonzerne. In einem gewissen Sinne steht sie in Verbindung zu allen anderen Kopfschmerzen. Es ist aber ihre innewohnende Fremdheit, die sie in einer eigenen Kategorie hervorstechen lässt.

Foto: wikimedia.org, Classical Numismatic Group | Lizenz: CC BY-SA 2.5

Eine Finanzblase nach der anderen

In wenig mehr als einer Generation wurden finanzielle Gesetze und Prozesse, welche der Welt jahrhundertelang zugrunde lagen, abgeschafft. Dank Tausender neuer Kreditformen wuchsen riesige Blasen an. Warum sind wir – in einem Zeitalter der Massenkommunikation – so unwissend, wenn wir mit mühelosen Klicks auf deregulierte Börsen Zugriff haben und sogar selbst mit Aktien handeln können? Das System erscheint beruhigend durchsichtig. Und doch sehen wir wegen der ganzen jungen Bäume das Feuer im Wald nicht.

Der Grund dafür ist, dass die Informationsrevolution mit dem Aufwuchern dessen zusammenfiel, was Benjamin DeMott „Müllpolitik“ nannte. Das ist die Politik der schmissigen, markigen Zitate. Wie moderne Kunst wird Politik weitaus zugänglicher, wenn sie Wahrheit durch Stil ersetzt.

Müllpolitik wird uns nicht dazu anleiten, auf angemessene Weise über soziale Ungerechtigkeit oder über Klimawandel nachzudenken. DeMott spricht davon, dass es in dieser neuen Welt „null Unterbrechung in den Vorgängen und Praktiken gibt, welche die existenten, verschränkten Systeme der sozioökonomischen Vorteilsnahme stärken“.

Das weltweite Finanzsystem fundiert auf der Täuschung, dass es mit Maßstäben von echtem Wert handle. Das ist sicherlich einer der Schlüsselgründe für die Sprunghaftigkeit der Märkte. Die meisten Schwankungen im Aktienkapital und den Warenmärkten werden von irrationalen Herdenimpulsen verursacht, anstatt von realen Dingen. Aber niemand weiß überhaupt irgendwas. Niemand weiß Bescheid.

Es herrscht beinahe universale Zustimmung, dass die Wirtschaft Blasen erzeugt. Billiges Geld, die Vermehrung der Geldmenge und das Regelwerk, dass trotz der Katastrophe von 2008 freizügig blieb, erlaubte ein Aufblühen der Schulden. Die Neo-Keynesianer behaupten, dass die Wirtschaft weiteren Anreiz in der traditionellen Form zusätzlicher Kreditspitzen brauche. Aber auch hier: Die Religion der Ökonomie hat eine großzügige Kirche.

Andere, darunter auch Köpfe der Österreichischen Schule, haben eine Reihe an Papieren veröffentlicht, um das Offensichtliche zu bekräftigen: Dass ein Anstieg an billigem Geld Finanzkrisen verursacht, anstatt sie zu beheben. Die Achterbahnfahrt von Auf- und Abschwung des neuen imperialen Kapitalismus führt uns zu einem unbekannten Ziel. Wir können nicht sagen, an welchem Punkt wir aussteigen. Niemand kann es uns sagen. Die Theoretiker sind sich uneins; und die Lage ohne bekannte Vorläufer.

Während in der Vormoderne – und sicherlich im politischen Modell des Islam – Funktionen der Zentralregierung im Wesentlichen auf Sicherheitsfragen und Kontrolle der Münzprägung beschränkt blieben, wurde der moderne Staat zu einem Monster. Seine Fangarme erstrecken sich auf jeden Aspekt des Lebens. Bildung, Justiz, Gesundheit und andere Schlüsseldimensionen unserer Existenz unterliegen einer peinlich genauen Regelung und Kontrolle des Staates.

Und das Geld selbst, der Schlüsselindikator für Wert, wird durch die staatliche Zentralbank bewertet und geschaffen. Es kommt nicht aus den Minen von Allahs fester Erde. Vielmehr besteht es aus Papierschnippseln, deren Wert durch zentrale Politik festgelegt wird.

Foto: Dubai Shopping Festival

Islamische Werte und persönliche Freiheit

Auch hier bestehen unsere Werte auf persönlicher Freiheit: Eine Privatwährung, deren Wert außerhalb der Macht der Zentralbanken liegt, ist der wesentliche Maßstab des Austausches. Anders als Bitcoins, deren behaupteter libertärer Vorteil das Problem ihrer Sprunghaftigkeit nicht überzeugend überwiegt, erlauben Gold und Silber (die Naqdain) Privatpersonen beträchtliche Freiheit von Manipulation durch Staaten und Konzerninteressen.

Sie bieten Schutz vor unerwarteten Schuldenschnitten, Steuern und anderen, staatlich erzwungenen Eingriffen in den persönlichen Besitz. Und wenn die Geldautomaten einmal kein Geld mehr ausgeben, wird der Wert der beiden klar.

Wie zuvor angemerkt dreht sich die dritte Säule des Islam überhaupt nicht ums Banking, sondern um Gerechtigkeit. Zakat ist eine verpflichtende Reinigung unseres finanziellen Blutkreislaufes.

London ist die Heimat vieler Ultrareicher; mehr als jede andere Stadt in der Welt. Eine erhebliche Menge von ihnen sind Muslime, darunter einige russische Oligarchen. Die Folgen ihres goldenen Lebensstils sind allgegenwärtig. Luxusgeschäfte bieten kultursensible Termine für Damen aus dem Golf. Die schicksten Hotels wie das Dorchester und das Savoy haben weibliche Butler, Gebetsräume und Halal-Köche.

Unglücklicherweise scheinen sich viele nahöstliche Auswanderer gegen die Idee zu wehren, dass sie, wenn sie im Ramadan fasten oder in der Moschee des Dorchester beten, gleichfalls zakatpflichtig werden. Das Gebet (arab. salat) reimt sich auf Zakat. Ein solcher Islam ist unausgeglichen. Es ist ein Islam, der sich nicht reimt. Und die Wirkung für die Seele ist oft an ihren Gesichtern abzulesen.

Reichtum verhärtet oft das Herz

Reichtum verhärtet oft das Herz. Eine Studie der Princeton Universität legt den Schluss nahe, dass das Gehirn von wohlhabenden Studenten anders auf Bilder von Armut und Leiden reagiert als jenes von Studenten, die arbeiten oder Darlehen aufnehmen mussten. Es scheint so, dass Wohlstand und Privilegien nicht nur das Herz verhärten, sondern auch das Gehirn neu verkabeln.

Daher bietet sich Zakat als Heilmittel der radikalen Art an. Die Einkommensteuer scheiterte, den Graben zwischen Reichen und Armen zu verkleinern. Sozialleistungen und Gesundheitsvorsorge werden weiter beschnitten. Hier bietet die Offenbarung eine andere Lösung. Im Wesentlichen ist Zakat eine Netto-Vermögenssteuer. Es gibt Ausnahmen: das eigene Haus beispielsweise. Aber die ein-Euro-für-jeweils-40-Euro-Abgabe bleibt vielversprechend.

Wir müssen uns nur ausmalen, welche Summen hier von muslimischen Millionären in Großbritannien anfielen. Nach Angaben des Muslim Council of Britain gibt es mehr als 10.000. Zusammen besitzen sie beinahe vier Milliarden Pfund. Das wären auf einmal hundert Millionen Pfund jährlich als Zakat.

Und was ist mit den rund 14.000 Londoner Firmen in muslimischem Besitz? Über ein Drittel der kleinen bis mittleren Unternehmen in London gehört heute ihnen. Wie sieht es dort mit Zakatpflicht aus? Bereits jetzt sind sie nach Angaben der Spendenkommissionen pro Kopf die großzügigsten Spender des Vereinigten Königreichs.

Aber bei der Zakat geht es nicht um Spenden. Dafür gibt es Sadaqa, die etwas anderes ist. Zakat hat nicht nur ein wohltätiges Ziel, sondern eine höhere Funktion der Umverteilung. Sie ist Teil einer breiteren Philosophie, die untrennbar zur sozialen Vision gehört. Während wirtschaftliches Handeln ermutigt wird, wird die langfristige Kapitalanhäufung durch verschiedene Prinzipien der Schari’a eingeschränkt.

Eines davon ist ein System der Erbschaftssteuerung. Bei Muslimen wird der Nachlass mehrfach aufgeteilt: Alle Kinder erben sowie weitere Verwandte. Und ein Drittel muss außerhalb des Familienkreises abgegeben werden. Oft wird es sich dabei um eine Stiftung handeln. Noch bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts gehörte ein Drittel der Fläche Istanbuls solchen Auqaf. Deren Einkünfte konnten nur für wohltätige Ziele benutzt werden.

Im Qur’an ist von einer Art von Wohltätigkeit die Rede, deren Empfänger „Verwandte, Waisen, Arme und Reisende“ sein sollen. „Damit dieser Besitz nicht nur unter den Wohlhabenden von euch zirkuliert.“ Reichtum muss wieder untergepflügt werden; in die niedrigeren und benachteiligten Segmente der Gesellschaft. Das sind Obdachlose, Alleinstehende, der Flüchtling und der Asylsuchende. Dies sind alles zeitlose Kategorien des menschlichen Bedürfnisses. Sie haben ein Recht auf die Mittel der Glücklichen.

Die Vorteile einer Steuer auf das Vermögen, anstatt auf das bloße Einkommen, werden nicht nur im Qur’an erklärt. 2014 kam es zu einer Sensation, als der französische Ökonom Thomas Piketty sein Buch „Capital in the Twenty-First Century“ veröffentlichte.

Er behandelt hier Einkommensunterschiede. Wenn Kapitalerträge die Wachstumsraten überstiegen, würden die Reichen noch reicher. Das gefährde schlussendlich das gesamte globale System. Die Lösung sei keine Einkommens- oder Verkaufssteuer, sondern eine Vermögensabgabe. Piketty gibt beinahe das klassische islamische Denken wieder.

Dieses Modell würde auch die Wirtschaft beleben. Hier sei lagerndes Geld einem jährlichen Schnitt unterworfen. Das würde Anteilseigner zwingen, in profitable Geschäfte zu investieren. Diese wiederum würden höhere Einkünfte erzielen, da die Einkommenssteuer anteilig geringer ausfiele.

Parasitische Investitionen würden durch aktivere Strategien ersetzt. Piketty sagt voraus, dass dies unsere Ära der Stagnation beenden und die Rückkehr zu einem gesünderen Wirtschaftsmodell darstellen würde, das auf Steuern als negativer Bestärkung basiere. Passive Einlagen würden leiden, während wirtschaftliche Aktivität belohnt werde.

Foto: Secl, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 3.0

Wir müssen uns außerdem an einen weiteren interessanten, aber bedauerlicherweise vergessenen Fakt erinnern. Wir denken beim Zakatniveau an eine Flatrate von 2,5 Prozent. Jedoch erhöht das Recht diese bei bestimmten Kapitalgruppen. Namentlich wäre hier jene Kategorie zu nennen, die als Rikaz bekannt ist. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Bodenschätze ohne vorherige Eigentümer.

Obwohl die Rechtsschulen hier differieren, stellen wir fest, dass mineralischer Reichtum – nach seiner Förderung – eine 10- oder 20-prozentige Zakat bedeutet. 2008 veröffentlichte das Institut für Islamische Forschung der Al-Azhar darüber eine Fatwa. Erdölvorkommen hätten demnach – wie andere mineralische Bergbauprodukte – als Rikaz zu gelten.

Daher rief der Mufti die erdölreichen Golfstaaten auf, eine 20-prozentige Rate auf alle Energieträger zu bezahlen, sobald sie aus dem Boden kämen. Die Einkünfte sollten benutzt werden, um die Wirtschaft der ärmeren muslimischen Länder zu verbessern und um die Leiden der Armen und Flüchtlinge zu lindern.

Es wäre ein Irrtum zu glauben, dass dieser Gedanke ekstatische Aufnahme am Golf fand. Jedoch finden sich die höheren Prozentraten der Zakat in den juristischen Handbüchern. Die zeitlose Relevanz dieser Texte wird ganz deutlich, betrachten wir, wie enorm groß die Wirkung einer solchen jährlichen Abgabe wäre; wenn sie korrekt angewandt würde. Sie könnte in Ländern wie Bangladesch oder Mali, wo ein Dirham vieles kaufen kann, Erleichterung bringen.

Das Horden von Kapital in Londoner Immobilien, der spekulative Aufkauf von moderner Kunst, Fußballvereinen sowie Anteilen von Apple oder Fox News wäre so eingeschränkt. Und es würde die Anlagenpreise auf eine mehr erkennbare Normalität zurückstutzen. Die Weltwirtschaft zöge Nutzen daraus. Denn es käme zu neuer Importnachfrage in den Ländern, welche durch die Rikaz-Zakat entwickelt würde. Es könnte eine grundlegende Industrie finanzieren und Handel anregen – insbesondere in den OIC-Staaten.

Betrachten wir eine weitere vernachlässigte Konsequenz: Sie zielt spezifisch auf Bodenschätze inklusive fossiler Brennstoffe ab. Ein realer Anstieg von 20 Prozent bei der Öl-, Kohle- und Gasförderung stellt eine reale und gleichwertige Subvention von erneuerbaren Energieträgern dar. Es gibt keine Zakat Ar-Rikaz auf Wasserkraft, Windkraftanlagen und Solarzellen. Wenn es sich bei ihnen um Privatinvestitionen handelt, unterliegen sie der üblichen 2,5-prozentigen Zakatpflicht.

* Dieser Text ist die gekürzte Version eines Vortrages, der am 19. Mai 2016 auf einer Veranstaltung zum Thema in London gehalten wurde.

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Zakat reinigt uns und unseren Besitz von Gier und Makeln

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Die Zakat ist der dritte Pfeiler des Islam. Es ist ein schwer zu übersetzendes Wort und ebenso hart, eine Entsprechung in einer anderen Sprache zu finden. (iz). Jeder Muslim weiß, […]

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Lebenspraxis: Lokale Zakat-Verteilung als soziale Annäherung

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Jahrhundertelang wurzelte die finanzielle Überlebensfähigkeit von Muslimen in zwei simplen Prinzipien: das Wucherverbot sowie die lokale Praxis der Zakat. (iz). Obwohl Großbritannien selbst ein relativ wohlhabendes Land ist, lebt hier […]

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Wie sollen wir die Zakat wiederbeleben?

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Wie jeder weiß, beruht unser Din auf fünf Säulen. Dazu gehört die oft übersehen Zakat. (iz). Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Islam ist […]

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Paradigmenwechsel in der Community: „Bewusstsein für die Zakat fördern“

Paradigmenwechsel Zakat

Es sieht nach einem Paradigmenwechsel aus, was Zakat Deutschland e.V. am 18. März öffentlich vorgestellt hat: Die Sammlung und Verteilung der islamischen Vermögensabgabe in Deutschland. (iz). In den Augen vieler, […]

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Für eine Zakat aus und in Deutschland

Zakat

Zakat Deutschland e.V. geht beim dritten Pfeiler des Islam neue Wege. Am 18. Märzöffnete der unabhängige und gemeinnützige Verein seine Tore für Deutschland in Frankfurt am Main.

(iz). Obwohl Zakat, die verpflichtende Vermögensabgabe, die „dritte Säule“ des Islam ist und von den klassischen Qur’ankommentatoren (arab. mufassirun) wegen der mehr als dreißig-maligen gemeinsamen Nennung mit dem Gebet als ebenbürtig angesehen wird, fristet sie bei uns (und anderen Ländern mit Minderheitensituationen) bisher ein vergleichsweise unbeachtetes Dasein.

Die Zakat wird häufig falsch eingeschätzt

In reichen Industrieländern wie Deutschland, Großbritannien und vielen EU-Staaten wird sie häufig als eine Art Pflichtspende behandelt. Insbesondere viele humanitäre (unabhängige oder verbandsgebundene) Organisationen, die von Muslimen betrieben werden, werden um die Zakat der Muslime für Not- und Aufbauhilfe in vielen armen Ländern.

Foto: Ibrahim Poran

Der als gemeinnützig anerkannte Verein mit Sitz in Frankfurt am Main schlägt hier einen Paradigmenwechsel vor. Zakat Deutschland e.V. ist im Netzwerk der NZF Worldwide (National Zakat Foundation). In den letzten 10+ Jahren haben sich ähnliche Organisationen in Großbritannien, Kanada, Australien, Neuseeland, den Niederlanden und der Schweiz gegründet und sich dem Netzwerk angeschlossen.

Insbesondere der enge Kontakt mit den niederländischen und Schweizer Netzwerkpartnern habe zur Einsicht geführt, dass es auch in Deutschland viele Muslime gebe, die der Zakat bedürftig seien.

Auf Grund der Erfahrung aus der Schweiz und den Niederlanden erwartet auch Zakat Deutschland e.V. eine hohe Zahl von Anträgen. „Da der Prüfungsprozess viel Zeit in Anspruch nimmt, werden wir mittelfristig auch einige Stellen voll besetzen.“ Ziel davon sei es, die Wartezeit für AntragstellerInnen soweit wie möglich zu reduzieren.

Fokus auf Deutschland

Zakat Deutschland e.V. verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel „die Zakat in Deutschland zu sammeln und in Deutschland zu verteilen“. Diese Praxis sei auf die Lebenspraxis (arab. sunna) des geliebten Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben zurückzuführen.

Z

Foto: Drazen, Adobe Stock

Als Vorbild dafür führt der Verein das Beispiel des Prophetengefährten Mu’adh ibn Dschabal an, der im prophetischen Auftrag in den Jemen gereist sei, um den dortigen Menschen Islam zu lehren. Der Gesandte Allahs, Heil und Segen auf ihm, wies ihn bezüglich der Zakat an: „(…) dass Allah ihnen auf ihr Vermögen eine Sadaqa (hier: Zakat) auferlegt hat, die von ihren Vermögenden genommen und an ihre Bedürftigen gezahlt werden soll (…).“

(überliefert von Ibn Madscha)

Gegen Not in Deutschland

Zakat Deutschland e.V. verfolge das Ziel, „in Notsituation geratene Muslime zu unterstützen“. Darüber hinaus werde eine positive und nachhaltige Wirkung auf Einzelpersonen, die Community und die Gesellschaft insgesamt angestrebt.

Foto: Diya, Adobe Stock

„Der islamkonforme Einsatz der Zakat kann die Gemeinschaft verbinden. Der Stärkere unterstützt dabei den Schwächeren und der Vermögende den Bedürftigen. Zakat Deutschland setzt sich für eine Gesellschaft ein, um die Schere zwischen Reichen und Armen zunehmend zu verringern und so eine miteinander harmonierende Gesellschaft zu schaffen.“, heißt es in einer Pressemitteilung, die anlässlich der öffentlichen Vorstellung herausgegeben wurde.

Fokus auf Kernbereiche

Dabei arbeite man „nach genau definierten Prozessen“. Ein unabhängiger Vergabeausschuss soll für Transparenz sorgen „und eine gerechte Bearbeitung von Zakatanträgen“ gewährleisten. Mit der Arbeit möchte sich der Verein auf drei Kernbereite konzentrieren:

1. Armutsbekämpfung. Unterstützung in finanziellen Notsituationen und die langfristige Bekämpfung von Armut innerhalb der Community in Deutschland.

2. Empowerment. Durch ein „hervorragendes Netzwerk mit Personen aus verschiedenen Bereichen“, könne Zakat Deutschland e.V. Bedürftige an die richtigen Experten und Fachstellen vermitteln. Oftmals erfülle eine fundierte Beratung seinen Zweck. Es sei „auch nicht immer Geld“, was benötigt werde.

3. Gemeinschaftsentwicklung. Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Situation der Community in Deutschland und Stärkung des Zusammenhaltes.

Kontakt: kontakt@zakat-deutschland.de

Aus gegebenem Anlass – Hintergrund: Antworten auf den zeitgenössischen Nihilismus aus dem muslimischen Denken. Von Abu Bakr Rieger

(iz). Wenn man sich die Frage nach Europa, dem Islam und dem Nihilismus neu stellt, dann ist dies für europäische Muslime nichts anderes als die eigene Frage als Gestalt. Dies gilt natürlich besonders für Europäer, die zum Islam konvertiert sind und heute als europäische Muslime über ihre eigenen Erfahrungen an der denkwürdigen Linie, die den Nihilismus und den Islam trennt, reflektieren.

Ich erinnere mich natürlich auch noch an meine persönliche Situation, die dazu führte, den Nihilismus als meine eigene geistige Haltung zu Gunsten des Islam aufzugeben. Diese „gefährliche Begegnung“ mit europäischen Muslimen geschah zu meiner Studentenzeit in Freiburg.

Ich hatte zu dieser Zeit das Christentum innerlich verlassen. Ich bewunderte Albert Camus; den französischen Schriftsteller mit der Zigarette, und las seinen „Mythos von Sysyphos“. Ich bewunderte damals den Versuch des Existenzialisten, in einer trostlosen und sinnlosen Zeit zumindest „Haltung“ zu bewahren.

Ich war allerdings auch ein wenig irritiert, dass Camus selbst, man könnte sagen „absurderweise“, seinen Tod bei einem merkwürdigen Autounfall fand. Er starb auf einer ewig geraden Landstraße. Sein Reifen war „zufällig“ geplatzt und sein Auto zerschellte an dem einzigen kleinen Bäumchen weit und breit.

Ich erinnere mich an eine Andere, vielsagende „absurde“ Episode in meinen Freiburg Studententagen. Genauer gesagt ging es um einen Vorfall, der die Freiburger Öffentlichkeit empörte und mich doch ein wenig amüsierte. Der prachtvolle Sitz des Freiburger Bischofs wurde mit großem Aufwand frisch gestrichen und erschien in weißem Glanz. Ein unbekannter Anarch schrieb nun an diese weiße Wand „Gott ist tot“. Der Sprayer unterschrieb diesen bösen Satz schlicht mit „Nietzsche“. Die Wand und der grelle Satz wurde natürlich über Nacht eilig weiß überstrichen. In der nächsten Nacht schrieb aber ein anderer Sprayer an gleicher Stelle „Nietzsche ist tot“ und unterschrieb in geschwungener Handschrift mit „Gott“.

Auf die dringliche Frage meines damaligen Gesprächspartners, der mich in langen Gesprächen geduldig in den Islam einführte, woran ich denn selbst glaube, antwortete ich daher wahrheitsgemäß: „An nichts. Ich denke Camus hat Recht. Das Leben ist absurd. Es gibt keinen Gott“.

Die Antwort der europäischen Muslime, mit denen ich zusammensaß, auf diese schienbar provokante Feststellung war souverän! Sie zeigten sich nicht etwa provoziert, lächelten sogar, und klärten mich auf, ich bestätigte ja immerhin bereits den ersten Teil der Schahada. Ich fand so heraus, dass die Feststellung Nietzsches, wonach Gott – im christlichen Sinne – tot sei, philosophisch aus der Sicht dieser Muslime in bestimmter Weise seine Berechtigung habe. Ich staunte! Im Übrigen – so die Muslime weiter – sei die Welt nichts Anderes als eine Art Spiegel, in den man hineinschaue. Was blieb mir übrig, als genauer nachzudenken, wie ich in diesen Spiegel künftig hineinschauen wollte?

Aber kommen wir noch einmal auf Friedrich Nietzsche zurück. Nietzsche, der berühmte Deutsche, der bekanntlich mit dem Hammer philosophierte und der einen gewichtigen Teil des europäischen Denkgebäudes zum Einsturz brachte. Natürlich wollte Nietzsche dabei weder ein gefährliches, neues gottloses Menschenwesen schaffen, noch plump alle Glaubensriten an sich abschaffen.

Nietzsche bewegte vielmehr die Not, den Menschen auf eine neue Welt, auf ein neues Denkgebäude – ohne den bisher gewohnten „christlichen Gott“ – vorzubereiten. Mit anderen Worten: Nietzsche dachte über den Nihilismus nach, ohne selbst einfach nihilistisch zu sein.

Dass es zu kurz fasst, Nietzsche als „Ungläubigen“ abzustempeln, zeigt eine andere Episode seines Denkens. Vor seinem Tode erklärte Nietzsche, er verstehe nicht, warum die Deutschen nicht den Islam statt dem Christentum angenommen hätten. Europa, so Nietzsche polternd, habe zwei Probleme: „Alkohol und Christentum.“ Nietzsches Pessimismus über die geistige Lage Europas gipfelte bekannterweise in dem Satz: „Die Wüste wächst, weh dem, der Wüsten birgt.“ Die Frage nach dem Nichts beschäftigte jedenfalls zunehmend die großen Geister. In einem Brief des Dichters von Kleist an seine Verlobte aus dem Jahre 1801 findet sich eine treffende Beschreibung der persönlichen Erfahrung des Nihilismus dieser Tage.

Kleist beschreibt in diesem Brief die radikale Konsequenz des neuen Denkens, die Relativierung der Möglichkeit jeder Wahrheit: „Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrscheinlich Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr – und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch in das Grab folgt, ist vergeblich-. Mein einziges, mein höchstes Ziel ist gesunken, und ich hab nun keines mehr-.“

Keine Ziele, Keine Wahrheit – was folgt aus den Worten des jungen begabten Dichters? Geradezu Unglaubliches sollte nun gelten. Statt einer allgemein verbindlichen Wahrheit bleibt dem Menschen nur noch eine Art Subjektivität! Politisch blieb einer ganzen Generation von „jungen Dichtern, ohne objektiven Wahrheiten“ nur der aufkommende Nationalismus, eine aufbrausende Gefühlsregung und gefährliche Selbstüberhöhung zugleich, die Millionen Europäern als künftiger Religionsersatz dienen sollte. Aber nicht nur Gott befand sich in Auflösung, auch das eigene „Ich“ – und damit eigentlich alle überkommenen Vorstellungen von der Ordnung dieser Welt.

Dostojewski stellte nun eine weitere radikale Frage, nämlich die, ob in einer Welt ohne Gott nicht auch alles erlaubt sei? Eine Jahrhundertfrage, die einige Brisanz haben sollte. In der neuen gottlosen Welt standen sich ja plötzlich hochgerüstete, vom Nationalismus beseelte, subjektiv denkende Völker gegenüber. Ohne die gewohnte christliche Moral eine gefährliche und brisante Lage. Einige Jahrzehnte später, im Angesicht des anrollenden 1. Weltkrieges, rief der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke erschrocken aus: „Die Erde ist endgültig dem Menschen in die Hände gefallen.“

Die verheerenden Weltkriege und ihre furchtbaren Bilder sind es ja auch, die bis heute der verbreiteten nihilistischen Grundhaltung einiges an Argumenten liefern. Man denke nur an die industrielle Vernichtung von Menschen, den Holocaust und die Atombomben. Hannah Arendt kommentierte angesichts Ausschwitz und dessen andauernden Folgen für den Humanismus nur: „Dies hätte nicht passieren dürfen“.

Die Gründe für eine mögliche nihilistische Haltung sind wahrlich nicht ausgegangen, stehen wir doch alle in der Not, nicht zu wissen, was der Mensch angesichts von Leid und Umweltzerstörung überhaupt noch ausrichten kann. Die moderne Technik ist nach Heidegger aber nichts anderes als ein gewaltiges „Herausfordern“ der Schöpfung. Wir erleben dieses „Herausfordern“ – man erinnere sich nur an das Öl-Debakel im Golf von Mexiko – beinahe alltäglich. Alle Katastrophen lehren uns, dass, obwohl wir wissen, wir nicht handeln können! Uns scheinen sprichwörtlich die Hände gebunden!

Gerade die aktuelle Finanzkrise zeigt dabei die fragwürdige Rolle der politischen Souveränität. Weder Nationen noch Parteien scheinen noch die Macht zu haben, wie wir heute sehen, die globale Kraft der Finanzökonomie substanziell zurückzuweisen. Schlimmer noch: Jedem Widerstand – wie der Anti-Globalisierungsbewegung – droht der „Spirit“ auszugehen. Jeder, ob allein oder in Gruppen, der versucht, mit einigem Idealismus sich der „Wüste“ entegenzustellen, droht der „Spirit“, die nötige Geisteskraft auszugehen. Ist das etwa die geheimnisvolle, lähmende Kraft des Nihilismus, die uns jederzeit ergreifen kann? Schon im postmodernen Deutschland stritten sich der Philosoph Martin Heidegger und der Schriftsteller Ernst Jünger über die Folgen des Nihilismus. Sie diskutierten die alten, neuen Fragen unserer Zeit: Kann man noch gegen den Nihilismus handeln; und wenn ja, wo, wer und wie?

Was Jünger als Aktion gegen den Nihilismus vorschlug, war eine Art heldenhafter individueller Widerstand, eine Art extreme Auseinandersetzung mit dem Nichts, das dann, so Jünger, „nach seiner Überwindung jene Schätze freisetzen wird, die es ehemals verborgen hielt“. Jünger sah also durchaus Grund für Optimismus. In seiner berühmten Schrift „Über die Linie“ schrieb Jünger: „Die metaphysische Beunruhigung der Massen, das Auftauchen der Einzelwissenschaften aus dem kopernikanischen Raum und das Auftreten von theologischen Themen in der Weltliteratur, sind Positiva hohen Ranges, die man einer rein pessimistischen oder auf Untergang gerichteten Lagebeurteilung mit Recht entgegenhalten kann“.

Aber natürlich wusste auch Jünger, dass der Nihilismus nicht einfach mit ein wenig „gutem Willen“ überwunden werden kann. Auch Jünger sah, dass es dazu mehr brauchte als „nur“ eine menschliche Entscheidung oder eine schlichte Ideologie. Den Menschen kann überhaupt nur noch – wie es Heidegger später mysteriös im „Spiegel“-Interview formulierte – ein „Gott“ retten. Ein Gott? Was meint aber das Wort „Gott“ für den Nietzsche-Verehrer Heidegger? Nur so viel ist gewiss: Heidegger, insofern radikaler denkend als Jünger, setzte den vollendeten Nihilismus, die vollkommene Seinsvergessenheit mit der vollständigen Entmachtung der Subjektivität gleich!

Heidegger fasste dieses Dilemma in einem Briefwechsel mit Kästner so: „Kein menschliches Rechnen und Machen kann von sich aus und durch sich allein eine Wende des gegenwärtigen Weltzustandes bringen; schon deshalb nicht, weil die menschliche Machenschaft von diesem Weltzustand geprägt und ihm verfallen ist. Wie soll sie dann je noch seiner Herr werden?“

Die Werke Jüngers und Heideggers fassten aber immerhin einige wesentlichen Voraussetzungen für einen neuen Anfang und ein neues Denken. Man könnte diese so zusammenfassen: Ein neues Denken kann nicht im alten Subjekt-Objekt-Verhältnis denken. Nötig ist kein blinder Aktionismus, sondern das Überdenken der europäischen Geistesgeschichte – und, als eine Komponente jenseits des menschlichen Willens: Es braucht hierzu natürlich ein gutes Schicksal.

Hier nun taucht auch der Islam am Denkhorizont auf. Weist der Islam den Europäern etwa einen Weg aus dem Nihilismus und wenn ja, mit welcher denkerischen Berechtigung?

Zweifellos ist es die islamische Lebenspraxis selbst, die das Dasein zu ganz neuen, fundamentalen Wahrnehmungen führt. Im Kern dieser Wahrnehmung, jenseits von Subjekt und Objekt, jenseits von Ich und Gott, steht ein denkwürdiger Satz Ibn Al-Arabis: „Allah regiert die Schöpfung aus sich selbst heraus.“

Wie kommen wir an diesen Ort, der jenseits von „Innen“ und „Außen“ liegt und sich nicht finden lässt, wenn man sich als ein Gegenüber eines Gottes versteht? Imam Al-Dschunaid sagte über diesen denkwürdigen geistigen Vorgang, der so schwer in Sprache zu fassen ist: „Tasawwuf ist, dass du mit Allah bist ohne Verbindung, und dass Seine Wahrheit dein Ich verschwinden lässt und dann dich mit Ihm zurück zum Leben bringt“.

Bedenken wir aus dieser neuen Sicht heraus nochmals die Lebenspraxis des Islam. Die aufregende Frage ist dabei: Steht diese Praxis tatsächlich im Widerspruch zu den Einsichten der europäischen Philosophie? Hier muss man sich nochmals die Fünf Säulen des Islam vergegenwärtigen.

Da ist zunächst die Schahada, die, wie ich bereits erwähnt hatte, in ihrem ersten Teil die Verneinung der christlichen Metaphysik umschließt. Das Glaubensbekenntnis bestätigt die absolute Einheit und verneint – im Gegensatz zum Christentum – die Möglichkeit der Trinität.

Aus ihr folgt, das Gebet, das eine völlig neue Wahrnehmungsebene eröffnet. Das Gebet beginnt mit Feststellung, dass Allah nicht nur groß, sondern größer ist! Uns eröffnet sich eine dynamische, nie ganz zu fassende Wirklichkeit.

Wir erfahren auf der Hadsch die Subs­tanz der menschlichen Existenz, herausgelöst aus den Gegensätzen von Raum und Zeit, Vergangenheit und Zukunft, ein Kreisen, die Auflösung der Gegensätze, das Ende der Dialektik von Raum und Zeit. Die Zahlung der Zakat, zu der wir verpflichtet sind, nötigt uns auf, „Dinare“ beziehungsweise echtes Geld zu drucken, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Das Verbot der Zinsnahme, das uns Allah befiehlt, eröffnet uns die Möglichkeit einer neuen gerechten Wirtschaft! Und schlussendlich: Das offenbarte Konzept einer funktionierenden ökonomischen Ordnung eröffnet die Möglichkeit eines neuen Nomos.

Im Monat des Ramadan, dem wir mit Freude entgegensehen, erleben wir die Möglichkeit der Freiheit und das Zutrauen in die versprochene Versorgung.

Ist es also diese Lebenspraxis des Islam, die den Nihilismus überwindet? Das wird natürlich nicht heißen können, dass die alltägliche Auseinandersetzung mit dem Nihilismus für uns Muslime nicht mehr zu spüren wäre und dass man vor nihilistischen Zuständen als Muslim immer sicher wäre. Der Nihilismus ist tatsächlich ein so mächtiger Gegner, dass man ihm nicht alleine und ohne Hilfsmittel gegenübertreten kann. Im Islam und der Sunna des Propheten finden sich die Grundlagen für ein Miteinandersein, für die Erfahrung der Einheit und eine Sammlung von Handlungsanweisungen, die im Zusammenspiel an den Ort jenseits des Nihilismus führt.

In der Offenbarung des Qur’ans ist diese Botschaft einstimmig und eindeutig zusammengefasst. Sie steht der Offenbarungsform der Technologie, also der Vieldeutigkeit und Vielstimmigkeit des Internet gegenüber. In der Rezitation des Qur’ans, in der Feier der Sprache, wurzelt auch das Gegengift gegen die Stimmung der Langeweile und Lähmung, die sich im Nihilismus notwendigerweise breit macht.

Rainer Maria Rilke – der bis sehr nahe an das Tor des Islam rückte, dichtete unter dem Eindruck des europäischen Nihilismus: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“.

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Die Überwindung der alten Gegensätze hat begonnen

(iz). Wie organisieren sich Muslime eigentlich? In der jüngeren Geschichte ist die Antwort klar. Die meisten Moscheegemeinden sind heute eingetragene Vereine, oft eingebunden in große, zentral agierende Dachverbände. Die Organisationen […]

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Beim Umgang mit strittigen Themen braucht es nicht nur Höflichkeit, sondern auch guten Charakter

(iz). In der letzten Zeit erhitzte kaum ein Thema die Diskussion unter Muslimen so sehr wie Aspekte der „isla­mischen Theologie“ – insbesondere medi­al verstärkte Thesen und Meinungen Einzelner. In Stellungnahmen, […]

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Islam in Europa – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Dieser – im Auszug vorliegende – Text wurde am 21. September vom Autor als Einführungs­vortrag auf der Jahres­tagung der European Muslim Union (EMU) in Girne (Türkische Republik Nordzypern) gehalten. Die […]

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