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Terror: Mehr als nur Rituale?

Foto: Landtag Hessen

Berlin (iz/dpa/KNA). Am Donnerstag haben sich die im Koordinationsrat der Muslime (KRM) befindlichen muslimischen Dachverbände mit einer gemeinsamen Stellungnahme bezüglich des rechten Terrors in Hanau an die Öffentlichkeit gewandt. Für sie wird der Mittwoch „als ein schwarzer Tag in die Geschichte Deutschlands“ eingehen. „Unsere Gedanken und Gebete sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Möge Allah sich der Getöteten in seiner Gnade annehmen und den Angehörigen Geduld und Kraft spenden in dieser für sie schwierigen Zeit.“

Die Unterzeichner verfielen nicht nur in die üblichen offiziösen Floskeln, sondern verwiesen ebenso darauf, dass der Täter nicht einfach nur verwirrt war, sondern sich seine Opfer gezielt ausgesucht hatte. Orte und Bekennerschreiben machen in den Augen des KRM deutlich, dass der Terror „eine bestimmte Zielgruppe hatte“: MigrantInnen, insbesondere MuslimInnen.

Vor diesem rechten Terror warnen muslimische Organisationen und Stimmen seit Monaten. Man habe gemahnt und gefordert, „gegen die rechte Hetze und gegen Islamfeindlichkeit deutlich Stellung zu beziehen“. Der Hanauer Anschlag zeige, dass durch die rechte Hetze „nicht nur Terrorgruppen wie ‘Gruppe S’“, sondern auch Einzelne sich ermutigt fühlten, „Gewalt und Terror zu verbreiten“.

„Unsere Mahnungen wurden überhört. Der Terror hat zugeschlagen. Es ist jetzt die Zeit, zusammen zu rücken und zusammen zu stehen. Gegen Hass und gegen Gewalt, von wo sie auch kommt. Die Politik hat zu lange das Problem der rechten Gewalt unterschätzt. Die Zeit für Worte ist vorbei. Wir fordern Politik, Behörden auf zu handeln. Wir rufen alle Akteure der Gesellschaft auf, ein Zeichen setzen. Ein Zeichen der Solidarität mit den Opfern rechter Hetze und rechten Terrors“, sagte Dr. Zekeriya Altug, der Sprecher des KRM.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TDG) forderte Sicherheitsbehörden auf, sich „voll und dauerhaft“ auf den Rechtsterrorismus zu konzentrieren. „Dieser Terror ist kein ‘Angriff auf uns alle’, er tritt gezielt bestimmte Menschen aus rassistischen Motiven.“ Sie wandte sich auch an jene Teile der Politik, die durch ihre Rhetorik Motive für Gewalt lieferten und Rassismus den Boden bereiten würden. „Zuerst verschieben sich die Grenzen des Sagbaren, dann kommt die Gewalt.“

Auschwitz-Komitee sieht „alltäglichen Hass“
Das Internationale Auschwitz Komitee hat sein Entsetzen ausgedrückt. Auschwitz-Überlebende in aller Welt würden in den mutmaßlichen Morden eine neue Demonstration der Macht rechtsextremen Hasses sehen, „der immer alltäglicher wird und überall auftreten kann“, sagte Christoph Heubner, Exekutiv-Vizepräsident des Komitees, in Berlin.

Terroristische Einzeltäter seien in der „virtuellen Welt des rechten Hasses bestens vernetzt“ und sähen sich von Parteien wie der AfD „getragen“. Sie würden zeigen, „wie einfach es mittlerweile geworden ist, Andersdenke und Anderslebende hinzurichten“. Der Staat scheine hierfür nicht gewappnet zu sein. Heubner plädierte für einen „Gipfel der demokratischen Parteien“, bei dem über die veränderte Gefahrenlage gesprochen werde.

Der Zentralrat der Juden erklärte, die „offenbar rechtsterroristische Bluttat“ in Hanau habe die jüdische Gemeinschaft tief erschüttert. Zentralratspräsident Josef Schuster sagte: „Es ist davon auszugehen, dass der Täter bewusst Menschen mit Migrationshintergrund treffen wollte. Nach der Mordserie des NSU zieht sich wieder eine rechtsextreme Blutspur durch Deutschland.“ Er verwies auf die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni vergangenen Jahres und den Anschlag auf die Synagoge von Halle vom 9. Oktober 2019. Zu lange sei die Gefahr durch den wachsenden Rechtsextremismus verharmlost worden.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, forderte eine entschiedene Reaktion. „Sollten sich die Medienberichte bestätigen, wäre dies der dritte rechtsextreme Mordschlag in unserem Land innerhalb von weniger als einem Jahr“, schrieb Knobloch auf Facebook. „Dieser massiven Zunahme von Hass und Gewalt müssen Politik und Justiz jetzt energisch entgegentreten, bevor es zu spät ist.“

Politik: Der Bundespräsident zeigt sich entsetzt und Vizekanzler will nicht zur Tagesordnung übergehen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sein Entsetzen über die „terroristische Gewalttat in Hanau“ zum Ausdruck gebracht. Der Bundespräsident erklärte heute: „Meine tiefe Trauer und Anteilnahme gelten den Opfern und ihren Angehörigen. Den Verletzten wünsche ich baldige Genesung. Ich stehe an der Seite aller Menschen, die durch rassistischen Hass bedroht werden. Sie sind nicht allein.“

Steinmeier zeigte sich aber „überzeugt: Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland verurteilt diese Tat und jede Form von Rassismus, Hass und Gewalt. Wir werden nicht nachlassen, für das friedliche Miteinander in unserem Land einzustehen.“

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat nach der Gewalttat von Hanau Konsequenzen in Politik und Gesellschaft gefordert. „Unsere politischen Debatten dürfen sich nicht davor herumdrücken, dass es 75 Jahre nach Ende der NS-Diktatur wieder rechten Terror in Deutschland gibt“, sagte der Finanzminister am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Sicherheitsbehörden müssten mit aller Konsequenz den Kampf gegen rechten Terror führen. Doch auch die Gesellschaft müsse „unsere liberale, weltoffene Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen“.

Währenddessen verlangten die Bundestagsgrünen eine schnelle Klärung des Hanauer Terroris. „Wenn sich bestätigt, dass diese grausame Tat aus rechtsextremen Motiven heraus erfolgte, muss neben vielen anderen Fragen sehr schnell geklärt werden, ob auch hier die Strategie eines Bürgerkriegsszenarios verfolgt wurde“, sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag, Irene Mihalic der dpa.

Im Zusammenhang mit dieser letzten Manifestation politischer Gewalt von Rechts bezeichnete der SPD-Politiker Michael Roth die AfD als den „politischen Arm des Rechtsterrorismus“. Das Millieu solcher Verbrechen werde ideologisch genährt durch „Faschisten wie Höcke“. In einem anknüpfenden Tweet schrieb Roth über „die größte Bewährungsprobe seit Nationalsozialismus & RAF-Terrorismus“. Er forderte umgehend ein gemeinsames Vorgehen aller demokratischen Kräfte, um den freiheitlichen Rechtsstaat wehrhafter zu machen „gegen seine rechtsterroristischen Feinde“.