Thema Beschneidung: Beschneidung osmanischer Prinzen war ein Volksfest. Von Rasim Marz

Ausgabe 206

(iz). Die Beschneidung eines muslimischen Jungen wurde damals wie heute groß gefeiert. Wenn wir heute Kinder im Prinzenkostüm sehen, die zur Feier des Tages eine Menge an Geschenken bekommen und mit gleichaltrigen Kindern die Kunstfer­tigkeiten der Clowns bestaunen, so erbli­cken wir ein Relikt aus längst ­vergessenen Tagen – einem Brauch aus der Zeit des Osmanischen Reichs.

Die größten Beschneidungsfeierlichkeiten fanden für die Söhne des osmani­schen Sultans statt. Ein bestimmtes ­Alter war hier nicht vorgegeben, sodass viele Prinzen zwischen zwei und zwölf ­Jahren beschnitten wurden. Doch nicht im Palast wurden die Feierlichkeiten abgehalten, sondern traditionsgemäß in einem großen Zelt, außerhalb der Stadt. Alle Untertanen des Sultans in Konstantino­pel und Umgebung waren eingeladen, dem großen mehrtägigen Fest beizuwoh­nen. Aus diesem Anlass wurden die Gärten und Residenzen der städtischen Obrigkeit entlang des Bosporus mit Fahnen geschmückt, woraufhin bald ein ganzer Wald von flatternden Halbmondfahnen das Stadtbild zierte. Die Minarette und Kuppeln der Moscheen wurden ebenso wie die vor Anker liegenden Schiffe am Goldenen Horn beleuchtet.

Der Padischah, wie der offizielle Anre­detitel des osmanischen Sultans lautete, schlug sein großherrliches Zelt auf einem Hügel auf, von wo er die ganze Stadt in seinem Blickfeld hatte. Das Zelt des „Schatten Gottes auf ­Erden“ war umgeben von den Zelten der Kinder der Ärmsten seiner Hauptstadt, die mit ­seinen Söhnen beschnitten werden sollten, denn das Fest galt ihnen nicht allein. Jeden Tag sollten hier tausende von Kindern beschnitten werden.

Die Prinzen, die neben ihrem Vater vor dem großen Zelt saßen, bekamen anlässlich des ­besonderen Tages ein besonderes und reich ­verziertes Ehrengewand, sowie Geschenke aus Gold und Edelsteinen. Zur Unterhaltung waren neben Seiltänzern, arabische Gaukler, armenische Sänger, griechische Tänzer und walachische Musiker zu sehen. Zu bestimmten Zeiten traten die religiö­sen Würdenträger hervor und rezitierten aus dem heiligen Qur’an. Lieder die den Propheten und seine Gefährten lobpreis­ten, wurden von Schülern der Qur’anschulen vorgetragen.

Für die Palastküchen waren die Beschneidungsfeierlichkeiten eine ständige Herausforderung, da sie nicht nur den Hofstaat, sondern alle eingeladenen Untertanen jeglicher Schichten zu bewirten hatten. Frauen, Kinder, Alte, Muslime, Christen oder Juden nahmen an diesem religiösen Volksfest teil. Die Palastküche stellte Tonnen an Reis, Honig, Trauben, Feigen, Datteln u.v.m. zur Verfügung. Die Tafel des Padischahs befand sich auf einer Anhöhe, sodass jeder Gast ihn und die versammelten Würdenträger des Staates und der Religion sehen konnte.

Nach Sonnenuntergang krönte ein großes Feuerwerk das sultanische Fest und der Padischah suchte daraufhin die Eltern der beschnittenen Kinder in den Zelten auf. Er überbrachte ihnen seine Glückwünsche und schenkte jedem Kind ein Hundert-Piaster-Goldstück. Das Beschneidungsfest der Prinzen gehörte zu den wichtigsten staatlichen Veranstaltun­gen des Osmanischen Reichs und dauer­te bis zu 15 Tage.

Bis ins 20. Jahrhundert blieb dieser Brauch erhalten, der die Dynastie Osman und das Volk auf eine große grüne Wiese zusammen­führte, um ihren Kindern einen unvergesslichen Tag zu bieten.­­