Thema Beschneidung: Ein weiterer direkter Eingriff des Staates in die religiöse Praxis von Muslimen. Von Ali Bas

Ausgabe 206

(Migazin). Wer in das Wohnzimmer von Familie Osmani schaut, der wird wie in Deutschlands Wohnzimmern üblich, viele ­Bilder der Familie vorfinden: Hochzeitsfotos, Aufnahmen von Familienfeiern, Urlaubs­bilder. Eigentlich ganz unauffällig, wenn da nicht die Fotos von Sohn Hassan wären, in glitzernden Uniform, etwas gequält lächelnd und mit einer silbernen Schärpe versehen mit der Aufschrift „Maşallah“, dem klassischen Ausruf für höchstes Lob bei Muslimen. Hassan ist mit seiner ganzen Familie auf dem Bild zu sehen, die sichtlich stolz in die Kamera schaut. Er hatte gerade zuvor die Beschneidung hinter sich gebracht. Stolz ist Familie Osmani vor allem darauf, dass Hassan jetzt nicht nur ein „richtiger Mann“ geworden ist, sondern auch, weil man damit dem Beispiel des Prophe­ten Mohammed gefolgt ist, so wie es Tausende andere Jungen aus muslimischen Familien in Deutschland auch erlebt haben.

Wenn es nach dem jüngsten Urteil des Kölner Landgerichtes geht, soll mit dieser Praxis bald Schluss sein. Denn nach Auffassung der Richter hat die „körperliche Unversehrtheit“ des Kindes Vorrang vor Elternwillen und Religionsfreiheit und daher gehören Ärzte, die diese kleine OP durchführen, bestraft. Vielmehr soll sich der Junge nach den Vorstellungen des Gerichtes mit 18 Jahren selber entscheiden, ob er die Beschneidung will oder nicht. Ein aus der Sicht der Richter nobler Gedanke, der aber an der Lebenswirklichkeit der Betroffenen komplett vorbei geht, über deren Konse­quenzen sich große Teile der Gesellschaftsmehrheit natürlich keine weitere Gedanken machen müssen.

Nach dem Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst und den Forderungen nach einem Stopp des rituellen Schächtens von Tieren kommt mit dem Beschneidungs­verbot ein weiterer direkter Eingriff des Staates in die religiöse Praxis von Muslimen, die übrigens in noch gravierenderer Weise auch die jüdische Gemeinschaft trifft, bei der die Beschneidung sogar zwingende Voraussetzung für die Aufnahme in die Gemeinschaft ist. Dass die Religionsgemeinschaften Sturm laufen, ist daher kein Wunder.

Auch die Berichterstattung über das Kölner Urteil zeigt, dass die religiös distanzierten bis ablehnenden Teile der deutschen Mehrheitsgesellschaft wenig Verständnis für derartige Rituale haben und daher die Beschneidung ablehnen, so wie es auch spontane Umfragen hierzu zeigen. Befragt wurde allerdings mal wieder nur die „Mehrheit“.

Plötzlich sind Tausende Familien, die die Beschneidung ihrer Söhne durchfüh­ren lassen, an den Pranger gestellt, um sich den „Shitstorm“ einer Necla Kelek und diverser Boulevardmedien reinziehen zu müssen. Allerdings muss man sich die Frage stellen, ob das in den betroffenen muslimischen und jüdischen Communities mit der Kontroverse um die Beschneidung tatsächlich auch so gesehen wird. Fakt ist, dass die Beschneidung quer durch alle Schichten, religiösen Zugehörigkeiten und politischen Weltanschauungen in den Communities hoch akzeptiert ist und kaum ein Mann bisher auf die Idee gekommen ist, seine Eltern auf ungefragtes Entfernen der Vorhaut zu verklagen beziehungsweise ­unter psychischen Störungen leiden muss.

Kurz gesagt: Die aktuelle Diskussion zeigt, dass vor allem große Teile der Mehrheitsgesellschaft ein Problem mit etwas haben, was in der betroffenen Minderheit nicht als solches betrachtet wird. Wer glaubt, dann die Minderheit mit seiner Interpretation des Freiheitsbegriffes beglücken zu müssen, begibt sich auf gesellschaftspolitisches Glatteis, was das Vertrauen der Minderheiten in diesen Staat weiter beschädigen könnte, wenn man die jüngsten Debatten um Integration oder die Aufklärung der NSU-Mordserie betrachtet. Die Religionsfreiheit zählt zu den großen Errungenschaften unserer Gesellschaft, welche durch das Grundgesetz garantiert wird. Auch genießen Eltern in unserem Land nicht umsonst viele Rechte, welche die Erziehung ihrer Kinder in ihrem Sinne regeln.

Das bedeutet auch, dass eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft mit Handlungen von Minderheiten klarkommen muss, die nicht unbedingt dem Mainstream entsprechen müssen, sofern sie keine Gefahr für Leib und Leben ­darstellen. Vielmehr muss rechtlich sichergestellt sein, dass eine Beschneidung nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen darf und nicht illegal geschehen darf.

Es gilt auch hier: nach dem Beschneidungsurteil ist vor dem Beschneidungsurteil

Ali Bas geb. 1976 in Ahlen/Westfalen, arbeitet als Lehrer für Englisch und Politik in Dortmund. Bas promoviert in Münster in Erziehungswis- senschaft und engagiert sich seit 2002 bei Bündnis 90/Die Grünen, wo er Sprecher des Kreisverbandes Warendorf und als Kreistagsmitglied für Schul- und Integrationspolitik zuständig ist. Bas ist Mitgründer und Sprecher des „Arbeitskreises Grüne MuslimInnen NRW“, der sich auf politischer Ebene mit Themen rund um Muslime in der deutschen Gesellschaft ­auseinandersetzt.