Thema Ramadan: Aus der feierlichen Fastenzeit von Sultan Abdulhamid II. Von Malik Özkan

Ausgabe 206

(iz). Sultan Abdulhamid II., der seit seiner Jugend von Gelehrten und Sufi-Schaikhs erzogen wurde, lebte ein beispielhaftes Leben. Jeden Freitag, wenn der Gebetsruf zu hören war, ritt er auf einem weißen Hengst, umgeben von den führenden Gestalten seines Landes, zum Freitagsgebet mit seinen Leuten.

Sein Istanbul war legendär und wurde damals als schönste Stadt der Welt betrachtet. Er lebte im Yildiz (Sternen) Palast, mit seiner spektakulären Aussicht auf den Bosporus, während sein eigener Lebensstil bescheiden war. Er aß wenig, fastete oft an Montagen und Donnerstagen. Seine Zeit verbrachte er mit Regierungsgeschäften oder in Anbetung versunken. Nur gelegentlich pflegte er seine Liebe zur Kalligrafie oder zum Rudern im See des angeschlossenen Parks.

Ramadan war eine Zeit besonderer Anbetung für Sultan Abdalhamid II. Die elektrischen Lichter von Yildiz brannten in der Nacht, als das Tarawwih-Gebet und das Tahadschud-Gebet des Sultan abgehalten wurde. Jeden Nachmittag nach dem Nachmittagsgebet saßen seine Berater und muslimische Botschafter in der geschmückten ­Empfangshalle, um einem Vortrag der größten Gelehrten des Reiches zu lauschen. Oft nahm der Mufti von Istanbul teil oder sogar der Schaikh Al-Islam, die damals höchste religiöse Autorität der muslimischen Welt. Alte türkische, islamische Lieder wurden gesungen und die ­tägliche Sitzung endete einer Qur’anrezitation.

Aber der Höhepunkt des khalifalen ­Ramadans war der 15. des Monats. Nach altem türkischen Brauch wurde vom Sultan-Khalif erwartet, die Khirqa-I-Scherif, den Mantel des Propheten, zu besuchen, der über Jahrhunderte von Khalif zu Khalif weiter ­gegeben wurde. Er symbolisierte die einsame Last der Verantwortung, die der Herrscher auf seinen Schultern trug. Der Mantel, alt und verletzlich nach 13 Jahrhunderten, wurde im alten Palast der osmanischen Sultane – Topkapi zwischen dem Marmarameer und dem Goldenen Horn – aufbewahrt.

Nach der Überquerung der Galata-Brücke bewegte sich der Zug auf den alten Palast zu, den sie durch das Bab-I-Humajun (Kaiser­liches Tor) betrat. Man versammelte sich vor dem Bab-I-Saadet (Tor der Freude), die Besucher stiegen ab, und schritten durch einen Garten zu einem Pavillon mit Gewölbe, in dem sich die Relikte befanden. Innerhalb verbreiteten ein Dutzend Gefäße einen Wohlgeruch. Der Khalif hob mit eigener Hand die reich geschmückten Stoffe, die den Mantel bedeckten. Als er dies tat, begann ein junger Mann mit der Rezitation des Qur’an. Dann trat der Khalif beiseite und die anderen Würdenträger – der Ministerpräsident, der Schaikh Al-Islam, die Minister der Auqaf, der Führer der Nachkommen der Propheten und andere – defilierten vor ihm. Jeder erhielt einen Schal, auf dem Verse des Qur’an gestickt waren, der am Mantel des Propheten gerieben wurde. Nach den Ministern des Staates kamen die Prinzen an die Reihe, die Sultansmutter und die Frauen aus dem Harem. Die Stimmung der Zeremonie war angefüllt mit ­tiefer Ehrfurcht und einem Sinn für Heiligkeit.

Nach dem Ende der Zeremonie zog sich der Khalif in den Bagdad-Kiosk zurück, der von seinem Vorfahren, Suleyman dem Gesetzgeber, errichtet wurde. Dort, inmitten von türkisenen Kacheln und goldenen Kalligrafien aus dem Qur’an und aus Al-Busiris bekanntem Gedicht „Al-Burda“, wehte eine frische Brise vom Bosporus durch die offenen Fenster und der Sultan gab seinen Wachen Geldgeschenke. Bei Sonnenuntergang kündigten 21 Salutschüsse das Ende des Fastens an. Nach dem Gebet hinter dem Schaikh Al-Islam, nahm der Khalif sein Iftar zu sich und kehrte ­später in den Yildiz-Palast auf der gleichen Strecke zurück.