Themenschwerpunkt „Islamic Finance“: Die Korrektheit unseres Verbrauches leitet auch davon ab, mit welchen Mitteln sie erworben wurden

Ausgabe 222

(iz). Die Sunna [die prophetische Lebensweise] deckt alle unsere Lebensaspekte ab – soziale, finanzielle und politische – und nicht nur, wie wir uns rituell reinigen oder beten. Der Din besteht aus Mu’amalat [die sozio-ökonomischen Transaktionen] und aus den ‘Ibadat [den rituellen Handlungen der Anbetung].

Die Mu’amalat betreffen wesentlich mehr Raum in unserem Alltag als die ‘Ibadat. Daher wird ihnen in den Rechtsbüchern wesentlich mehr Platz eingeräumt. Vier Fünftel der „Mudawanna“ – dem großen Buch von Imam Malik, das von [seinem Schüler] Sahnun zusammengestellt wurde – ist den Regeln der Transaktionen gewidmet. Insbesondere gilt dies für all jene Bestimmungen, die den Handel in all seinen unterschied­lichen Formen betreffen.

Die große Mehrheit dieser Transaktionen werden jedoch längst nicht mehr umgesetzt. Sie wurden gegen die moder­nen Geschäftspraktiken der heutigen Zeit ausgetauscht. Ihnen fehlt es beinahe vollkommen an Fairness und Gerechtigkeit. Stattdessen beruhen sie auf Riba [Wucher, ungerechtfertigte Kapitalvermehrung] und auf Gharar [unklares, spekulatives und riskantes Geschäft]. Die Wiedererrichtung des Halal und der gerechten Geschäftspraktiken ist eine der wichtigsten Aufgaben der Muslime in diesem Zeitalter. Wie kann irgend jemand von uns auf Erfolg hoffen, wenn unsere Transaktionen in den Augen Allahs nicht korrekt sind? In einem bekannten Hadith, das von Imam Muslim überliefert wurde, erwähnte der Prophet: „Ein Mann reiste so weit, dass er komplett zerzaust und staubbedeckt war. Dieser erhob seine Hände zum Himmel im Bittgebet und rief aus: ‘Mein Herr, mein Herr!’ Aber seine Nahrung war haram, sein Trank war haram, seine Kleidung war haram und er wurde vom Haram ernährt. Wie könnte sein Bittgebet also angenommen werden!?“

Die Rechtmäßigkeit unserer Nahrung, unserer Getränke, unserer Kleidung und unserer Unterkunft beziehen sich nicht nur auf die eigentlichen Substanzen, sondern auch darauf, wie sie erworben wurden. Werden sie nicht auf eine Art und Weise angeeignet, die korrekt und gut ist, dann gibt es keine Chance, dass ­ihnen Anerkennung begegnet. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Allah ist gut und nimmt nur das Gute an.“ Zu einer finanziellen Transaktion gehören mindestens zwei Parteien. Von einer kommt die Bezahlung (arab. Thaman) und von der anderen die Ware(n) (Mutmaß). Manchmal besteht die Bezahlung selbst aus Waren, nimmt aber üblicherweise die Form von Geld an. Dieses Geld ist ein wesent­licher Bestandteil für die Existenz von Transaktionen. Es ermöglicht Gütern und Ressourcen an die Orte zu gelangen, wo sie am meisten benötigt werden. Geld ist das Lebensblut einer jeden gesunden, funktionieren Gesellschaft. Es ist etwas, mit dem jeder von uns – egal, wie reich oder wie arm – auf beinahe täglicher Basis in Kontakt kommt und es benutzt. Wenn dieses Geld nicht rechtmäßig ist, dass wird alles andere auf der Ebene dieser Transaktion ebenfalls unrechtmäßig.

Vielen Muslimen ist dies bewusst und sie bemühen sich sicherzustellen, dass die Quellen ihres Einkommens nicht unrechtmäßig sind. Sie vermeiden zinsbasierte Darlehen und Konten, Glücksspiel, alkoholverkaufende Unternehmen, kriminelle Firmen usw. Aber die größte Mehrheit vernachlässigt es, auf das Geld selbst zu schauen. Das gilt für die Gelehrten wie für die einfachen Leute.

Sie haben es akzeptiert, ohne über dessen Natur nachzudenken. Würden sie sich damit in seiner jetzigen Form beschäftigen, würden sie es nicht so unreflektiert benutzen. Denn selbst die oberflächlichste Studie der heutigen Währung – des Papiergeldes – offenbart ­ihren Charakter als haram. Aber selbst in dieser originalen Form kann eine Papiergeld­währung nicht als halal betrachtet werden. Denn dies würde bedeuten, dass unser Wohlstand Nichtmuslimen anvertraut werden würde. Das ist etwas, das im Din unannehmbar ist. In seinem Tafsir der Worte Allahs, dem „Ahkam al-Quran“, schreibt Qadi Abu Bakr Ibn ‘Arabi über den Vers: „Unter den Leuten der Schrift gibt es manche, die, wenn du ihnen einen Dinar anvertraust, ihn dir aushändigen. Es gibt unter ihnen aber auch manche, die, wenn du ihnen (nur) einen Dinar anvertraust, ihn dir nicht (wieder) aushändigen, es sei denn, du bist ständig hinter ihnen her. Dies, weil sie sagen: ‘Gegen uns kann man der Schriftunkundigen wegen nicht vorgehen.’ Und sie sprechen (damit) wissentlich eine Lüge gegen Allah aus.“ (Al-i-’Imran, 75)

Das Fazit dieses Verses sei, so der Gelehrte, „dass es verboten ist, ihnen euren Wohlstand anzuvertrauen“. Wie die Geschichte zeigt, halten sie ihr Wort nicht. Als die Menschen sich an die USA wandten, um ihr Gold [gegen Dollars] einzufordern, verweigerten sie die Zahlung. Aber was ist, wenn es Muslime sind, welche die Währung herausgeben? Manche könnten fragen, ob dies besser sei? Die kurze Antwort ist „Nein“, denn eine Banknote ist eine Schuld und Schulden dürfen aus mehreren Gründen nicht übertragen werden.

Der erste ist Gharar, denn der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Verbietet jeden Austausch, bei dem Gefahr oder Unsicherheit beteiligt sind.“ Wird eine Schuld von einer Person auf eine andere übertragen, dann muss ein neuer Vertrag zwischen dem Schuldner und dem neuen Gläubiger erstellt werden, sodass derjenige, der die Schuld kauft, Garantien darüber erhält, dass der Schuldner in der Lage ist, zu bezahlen, und dass er nicht vollkommen überschuldet ist. Aber dies ist niemals der Fall beim Papiergeld.

In Wirklichkeit bricht der Schuldner in diesem Fall – die Banken und Heraus­geber der Währungen – dauerhaft sein Zahlungsversprechen und ist permanent wegen der Tatsache überschuldet, dass jedes Mal, wenn er dieses Geld druckt, viel mehr Papiergeld im Umlauf ist als Gold in ihren Panzerschränken. Daher sind sie niemals – und werden niemals – in einer Position sein, alle ihre Schulden zu bezahlen und sind auch unfähig, diese zu gewährleisten. Kommen zu ­viele Menschen gleichzeitig zu einer Bank und wollen ihre Schulden einfordern, dann nennt man das einen Run auf die Bank. Dann ist sie gezwungen, ihre Tore zu schließen und dichtzumachen.

Der zweite Grund ist, dass dies Riba An-Nasi’a fördert. Diese Form von Riba [Wucher, ungerechtfertigte Kapitalvermehrung] beinhaltet eine ungerechtfertigte Zeitverzögerung. Denn hier negiert bei einer Transaktion über Gold und Silber oder haltbare Güter eine Schuld die Bedingung der Sofortigkeit, die wesentlich für all diese Transaktionen ist.

Der dritte Grund ist, dass der Verkauf von einer Schuld gegen eine andere, ausdrücklich vom Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, mit den Worten verboten wurde: „Verbietet den Verkauf von etwas, das verzögert ist, gegen etwas, das verzögert ist.“ Das heißt, einer Schuld gegen eine Schuld. Dieser Verkauf von Schuld gegen Schuld geschieht bei den meisten Transaktionen, an denen Papiergeld beteiligt ist, denn oft wird ein Zahlungsversprechen ­gegen eine Ware und Wechselgeld getauscht. Dieses Wechselgeld kann auch die Form von Banknoten annehmen.

Das Papiergeld jedoch hat heute eine neue Stufe erreicht. Es ist längst kein Versprechen mehr, irgendetwas auszuzahlen. Der Goldstandard wurde abgeschafft und der Wert der Papierwährung besteht ausschließlich durch Zwang – alle Bürger eines bestimmten Landes sind durch die Regelungen zu den gesetzlichen Zahlungsmitteln verpflichtet, die Währung zu achten und zu akzeptieren, die von der Regierung eines bestimmten Landes herausgegeben wird. Diese Art Währung wird Fiat-Geld genannt. Das Wort leitet sich aus dem lateinischen für „es sei“ ab. Unter den Definitionen, die für Fiat-Geld bestehen, findet sich unter anderem diese: „Geld, dass durch einen Regierungsbeschluss geschaffen wird, und durch nichts anderes als das Vertrauen in die Regierung gedeckt ist. Fiat-Geld hat keinen innewohnenden Wert.“ Geld mit einer solchen Beschaffenheit ist aus zwei Gründen nicht hinnehmbar:

Erstens, weil Imam Malik sagt, dass Geld eine „Ware, die allgemein anerkannt wird“ sein muss. Zweitens muss sie einen eigenen, innewohnenden Wert haben, der durch Menge/Gewicht bestimmt wird und nicht durch die aufgedruckte Symbolik. Eine Unze Gold bleibt das gleiche, egal ob 10, 20 oder 100 auf ihrer Oberfläche graviert ist. Hier zählt das Gewicht und nicht die Zahl. Dies gilt soweit, als dass eine ungeprägte Unze Gold den gleichen Wert hat wie eine, die in eine Münze verwandelt wurde. Der Prophet sagte: „Gold für Gold – geprägt oder ungeprägt – und Silber für Silber – geprägt oder ungeprägt.“

Zweitens, muss jedes Austauschmittel von den Leuten allgemein akzeptiert werden – es kann nicht aufgezwungen werden. Eine Regierung kann ihre Bevölke­rung zum Gebrauch einer bestimmten Währung zwingen, selbst wenn es sich dabei um Golddinare handeln sollte.

Wird der Wert des Geldes in unseren Händen von einer dritten Partei bestimmt, die nicht direkt an dem Austausch beteiligt ist, dann beinhaltet jede, mit diesem Geld getätigte Transaktion notwendigerweise Gharar. Denn niemand kennt mehr den genauen Wert des Geldes, welches er empfängt. Die dritte Partei – die Regierung, Spekulanten auf den weltweiten Währungsmärkten oder Banken – kann diesen Wert jederzeit ­beeinflussen. Regierungen tun dies, indem sie eine Menge neuen Geldes drucken. Das wird auch beschönigend als „mengenmäßige Lockerung ­(quantitative easing)“ bezeichnet. Dabei verliert das Geld in den Händen aller Leute an Wert. Man kann dies aber auch ­bewerkstelligen, indem man den Wert der eigenen Währung in Relation zu anderen willkürlich neu bestimmt. In Allahs Din ist die Beteiligung von Gharar nicht erlaubt.

Als ob dies nicht genug wäre: Die verbotene Natur von Papiergeld wird ­sogar noch deutlicher gemacht durch die Tatsache, dass wir bei seinem Gebrauch ­viele Rechtsfragen in Bezug auf Kauf, Verkauf und Tausch ignorieren müssen.

Die Folge dessen ist ein „Reformdruck“ auf das Recht, damit diese Transaktionen weiterhin als „gerecht“ gelten können. Daher waren modernistische Reformer – wegen ihrer blinden Akzeptanz des modernen Finanzsystems – gezwungen, Zinsen anzuerkennen, um beispielsweise Inflation zu stoppen.

Allah sagt in Seinem Noblen Buch: „Ausgeschmückt ist den Menschen die Liebe zu den Begierden, nach Frauen, Söhnen, aufgehäuften Mengen von Gold und Silber, Rassepferden, Vieh und Saatfeldern. Das ist der Genuss im diesseitigen Leben. Doch bei Allah ist die schöne Heimstatt.“ (Al-i-’Imran, 14)

Auch wenn es in der Scharia möglich ist, jede Ware als Zahlungsmittel zu verwenden – solange es von allen ­Beteiligten der Transaktion akzeptiert wird –, so gab es doch immer zwei Metalle, die sich historisch gesehen am besten dafür eigneten. Diese beiden Metalle sind Gold und Silber. Es gibt eine Reihe an Faktoren, die sie besonders geeignet für die Standards und Maße von Wert machen. Sie dienen, wenn in Form von Münzen, den Zwecken eines Umlaufmediums.

Allah erwähnt sie in dem obigen Vers. Sie wurden so gemacht, dass sie für uns gut erscheinen. Es ist Teil der menschlichen Natur, nach ihnen zu verlangen und sie hochzuschürzen. Die Menschen waren immer glücklich, sie im Austausch für ihre Waren anzunehmen.

Wegen ihrer chemischen Zusammensetzung sind sie außerordentlich haltbar und langlebig. Man muss sich nicht darüber sorgen, dass sie brechen oder zerfal­len könnten. Goldsucher graben immer noch Münzen aus der Zeit der Römer aus oder holen sie vom Meeresgrund hoch. Die Härte und Haltbarkeit bedeutet auch, dass sie nur wenig Gewicht verlieren, wenn sie in Zirkulation bleiben.

Sie sind darüber hinaus auch noch selten, sodass das Verhältnis von Wert zu Gewicht hoch bleibt. Gleichzeitig sind sie aber nicht so selten, dass es unpraktisch wäre, sie als Währung einzusetzen. Es gibt ausreichend Gold und Silber, um die echten Transaktionen abzudecken, die auf täglicher Basis auf dem Erdball geschehen. Ihre enorme Teilbarkeit eignet sie dafür, dem Wert der meisten, verkauften Waren beigeordnet zu werden.

Gold und Silber halten ihren Wert für lange Zeit – selbst in Zeiten von Krisen und Problemen. Ein Schaf in der Zeit des Propheten Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, kostete einen Dinar, und ein Huhn einen Dirham. Wie viel kosten sie heute? Beinahe genauso viel.

Am wichtigsten aber ist, dass diese beiden Metalle die Währung waren, die vom Gesandten Allahs, möge Allah ihn ­segnen und ihm Frieden geben, und der ersten Gemeinschaft benutzt wurden. Würde es in den Augen Allahs irgend etwas geben, dass passender oder zufrieden stellender wäre, dann hätten sie es benutzt. Mit ihnen – und nichts anderem – wird die Zakat bezahlt. Sie sind ein ­essenzieller Teil unseres Din und ein essenzielles Element der Sunna des Propheten.