„Trumps Saigon“

Foto: Gage Skidmore, Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0

Mit Sanktionen will US-Präsident Trump den Stopp der türkischen Offensive in Nordsyrien erzwingen. Dabei hat er selber den umstrittenen Einmarsch überhaupt erst ermöglicht. Eine prominente Kritikerin spricht von „Trumps Saigon“.
Washington (dpa). Donald Trump ist stolz auf sein Bauchgefühl, erratische Entscheidungen des US-Präsidenten haben im Ausland schon oft zu Irritationen geführt. Ein solches Chaos hat aber selbst dieser Präsident außenpolitisch noch nicht angerichtet: Mit dem US-Truppenabzug aus Nordsyrien hat Trump der Türkei den Einmarsch dort ermöglicht, er hat die bisher mit den USA verbündeten Kurdenmilizen in die Arme des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad und Russlands getrieben, und womöglich hat er der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) neues Leben eingehaucht. Nun übt sich Trump in Schadensbegrenzung – indem er Sanktionen gegen die Türkei verhängt.
Mit dem Truppenabzug hatte Trump in den USA einen Sturm der Entrüstung über Parteigrenzen hinweg ausgelöst. Enge Verbündete wie der Senator Lindsey Graham gehörten auf einmal zu den schärfsten Kritikern des republikanischen Präsidenten. Der Druck auf Trump wuchs, gegen die Offensive des Nato-Partners vorzugehen.
Graham hatte der Türkei „Sanktionen aus der Hölle“ angedroht. So hart sind die Strafmaßnahmen nicht, die Trump am Montag (Ortszeit) verhängt hat. Er kann die Daumenschrauben aber jederzeit anziehen, auch der Kongress kann noch Sanktionen verhängen. In einem ersten Schritt verdoppelt Trump die Strafzölle auf türkische Stahlimporte wieder auf 50 Prozent, Gespräche über ein Handelsabkommen im Umfang von 100 Milliarden Dollar mit der Türkei werden umgehend gestoppt. Außerdem wird etwaiger Besitz der drei türkischen Minister für Verteidigung, Energie und Inneres in den USA eingefroren.
Trump teilte mit, er habe dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unmissverständlich klar gemacht: „Das Vorgehen der Türkei führt eine humanitäre Krise herbei und schafft die Voraussetzungen für mögliche Kriegsverbrechen.“ Trump fordert nun eine sofortige Waffenruhe in Nordsyrien, schnellstmöglich will er seinen Vize Mike Pence zu Verhandlungen nach Ankara schicken. Pence kündigte an, die Sanktionen würden verschärft, sollte die Türkei nicht auf Trumps Forderung eingehen und die Gewalt umgehend stoppen.
Schon im August vergangenen Jahres hatte Trump der Türkei schweren wirtschaftlichen Schaden zugefügt. Damals forderte er die Freilassung des in der Türkei festgehaltenen US-Pastors Andrew Brunson, er verdoppelte die Zölle auf Stahlimporte aus der Türkei auf 50 Prozent. Erst im vergangenen Mai wurden sie wieder auf 25 Prozent reduziert. Gegen den türkischen Innen- und den Justizminister wurden Sanktionen verhängt. Die Maßnahmen beschleunigten die Talfahrt der Türkischen Lira dramatisch, sie hat sich bis heute nicht vollständig erholt.
Brunson ist längst wieder frei. Den außenpolitischen Schaden, den Trump nun mit seinem Truppenabzug angerichtet hat, können die neuen Sanktionen allerdings nicht rückgängig machen. Trump verstrickt sich seit Tagen in wirren und widersprüchlichen Aussagen, um seinen Schritt zu verteidigen. So sagte er etwa mit Blick auf die Kurden: „Sie haben uns nicht im Zweiten Weltkrieg geholfen, sie haben uns nicht mit der Normandie geholfen.“ Kritiker verwiesen darauf, dass das für Deutschland und Japan allerdings ganz besonders gelte – und dass beide Länder heute zu den engsten US-Verbündeten gehören.
Trump teilte am Montag auf Twitter mit, ihm sei egal, wer Assad bei der Verteidigung der Kurden helfe – „ob es Russland, China oder Napoleon Bonaparte ist“. Er verteidigte den Truppenabzug wiederholt mit seinem Versprechen, die US-Soldaten aus den „endlosen Kriegen“ zurück zu holen. Am Freitag kündigte das Pentagon dann an, zahlreiche Soldaten zur Verstärkung in den Nahen Osten zu schicken – nicht zum Schutz der Kurden, sondern zum Schutz Saudi-Arabiens vor dem Iran.
Auch im Umgang mit der Türkei fährt Trump einen Schlingerkurs, der im besten Fall unbeholfen wirkt. An einem Tag droht Trump, er werde die türkische Wirtschaft „vollständig zerstören“. Am nächsten Tag teilt er mit, er habe Erdogan für den 13. November ins Weiße Haus eingeladen: „Er kommt als mein Gast in die Vereinigten Staaten.“
Der US-Präsident verweist auch darauf, dass die Türkei ein wichtiger Handelspartner der USA sei und den Stahlrahmen für den F-35-Kampfjet liefere. Trump nimmt es mit Details nicht genau, womöglich ist ihm entfallen, dass seine eigene Regierung Ankara aus dem F-35-Programm ausgeschlossen hat – ab kommendem März wollen die USA keine Teile aus der Türkei für den Kampfjet mehr beziehen. Grund für den Ausschluss aus dem F-35-Programm war der türkische Kauf des russischen S-400-Raketenabwehrsystems, gegen den erbitterten Widerstand der USA.
Trump beharrt darauf, dass die USA die Kurden in Nordsyrien nicht im Stich gelassen haben. Nicht nur die Kurdenmilizen dort sehen das anders. Trumps Lieblingssender Fox News zitierte einen namentlich nicht genannten Soldaten der US-Spezialkräfte, die an der Seite der von der Kurdenmiliz YPG geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) waren, mit den Worten: „Ich schäme mich das erste Mal in meiner Laufbahn.“ Zu Trumps Entscheidung sagte der Soldat: „Er versteht das Problem nicht. Er versteht die Konsequenzen daraus nicht.“
Die frühere Nationale Sicherheitsberaterin von Trumps Amtsvorgänger Barack Obama, Susan Rice, bemüht in ihrer Kritik historische Vergleiche: „Es ist Trumps Saigon, und es ist nichts weniger als katastrophal und beschämend“, sagte sie dem Sender NPR am Sonntag. Jeder Amerikaner kennt die Bilder von den letzten Hubschraubern, die 1975 im Vietnam-Krieg vom Dach der US-Botschaft in Saigon abhoben. Etliche vietnamesische Verbündete nahmen sie nicht mit – sie überließen die Amerikaner den vorrückenden Vietcong-Soldaten.