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Türkei-Flüchtlingsdeal funktioniert – dank Prinzip Abschreckung

Foto: BMEIA, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 2.0

Ankara (KNA). Klein-Damaskus nennen die Istanbuler die Gegend um Aksaray im europäischen Stadtteil. Vor drei Jahren waren hier noch Schwimmwesten der Verkaufsschlager. Die Shops boten sie in jeder Größe an. Kleine Pensionen hatten sich auf die Gäste aus Syrien, Afghanistan und dem Irak spezialisiert: Sie vermieteten billige Zimmer für ganze Familien. Abends vor der U-Bahn-Station verkauften Schlepper Tickets für die Überfahrt nach Griechenland. Davon ist heute nicht mehr viel übrig. Geblieben sind die syrischen Restaurants und Geschäfte. Rund 3,5 Millionen Syrer leben im Land, etwa 600.000 allein in Istanbul.
Von der Flüchtlingsindustrie aber ist nicht mehr viel übrig. Dass heute kaum mehr jemand die beschwerliche – und oft tödliche – Reise übers Meer in die Europäische Union antritt, ist zum Großteil dem Flüchtlingsdeal mit der EU zu verdanken, der im März 2016 in Kraft trat. Darin verpflichtete sich die Türkei, Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen, und bekam dafür Hilfe in Höhe von sechs Milliarden Euro in Aussicht gestellt. Zudem will die EU für jeden zurückgewiesenen einen schutzbedürftigen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen.
Auf den griechischen Inseln dagegen sind die Flüchtlingslager überfüllt – und das obwohl die Zahl der Geflüchteten, die auf dem Seeweg die griechischen Inseln erreichen, stark gefallen ist. Bis Dezember überquerten rund 30.000 Menschen die Ägäis – auf dem Höhepunkt der Krise 2015 waren es 830.000.
Menschenrechtsorganisationen beklagen regelmäßig die katastrophalen hygienischen Zustände in den sogenannten Hot Spots. Zurück in die Türkei schicken kann Griechenland die Migranten von dort nur, wenn sie registriert sind und über ihre Asylanträge entschieden ist. Die Verfahren aber ziehen sich über Monate und sogar Jahre hin.
„Das größte Problem liegt momentan auf griechischer Seite“, sagt Gerald Knaus, Vorsitzender der Europäischen Stabilitätsinitiative. Er gilt als Architekt des Flüchtlingsdeals mit der Türkei. „Die Verfahren dauern zu lange, weshalb derzeit auch nur etwa 25 Menschen im Monat in die Türkei zurückgeschickt werden.“ Da die Hotspots auf den griechischen Inseln in schlechterem Zustand als die Flüchtlingslager in der Türkei sind, hätten sie in erster Linie eine abschreckende Wirkung – was schwer mit ethischen Standards der EU zu vereinbaren wäre.
Noch immer aber versuchen Tausende Menschen, die EU zu erreichen – und nicht überall funktioniert der Flüchtlingsdeal. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu sagte vergangene Woche auf der Konferenz zum UN-Migrationspakt in Marokko, in den ersten elf Monaten des Jahres 2018 habe das Land 250.000 illegale Geflohene sowie 5.500 Schlepper festgenommen und abgeschoben – 56 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die meisten von ihnen kämen aus Pakistan, gefolgt von Afghanistan und Syrien. Viele hätten versucht, die Landgrenze zu Griechenland bei Edirne zu überqueren.
Allein in der vergangenen Woche wurden an der türkisch-griechischen Landgrenze vier Leichen – wahrscheinlich Afghanen und Pakistani – gefunden. Immer wieder versuchen Migranten, den Grenzfluss mit Booten zu überqueren oder sogar zu schwimmen. Ankara beschuldigt Athen, Geflüchtete illegal zurückzudrängen. Die Grenzpolizei hätte die Schutzsuchenden gezwungen, bei Minusgraden zurückzulaufen. Gemäß dem Flüchtlingsdeal sollte Griechenland die Migranten zunächst registrieren und dann den türkischen Behörden übergeben.
Probleme gibt es auch im geteilten Zypern. Dort stiegen die Zahlen zuletzt stark an: Im griechischen Südteil der Insel beantragten 6.000 Flüchtlinge Asyl in den ersten acht Monaten dieses Jahres – ein Anstieg von über 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auf der geteilten Insel greift der Flüchtlingsdeal nicht.
Im Frühjahr hatte die EU mit der Auszahlung der zweiten Tranche der sechs Milliarden Euro begonnen. Zwischen der EU-Kommission und den zuständigen türkischen Behörden herrschte Uneinigkeit, wie das Geld verwendet werden soll. Während die EU mit einem „Steuerungskomitee“ über die Verwendung der Mittel entscheiden will, will Ankara mehr Einfluss darauf haben. Erst im November kritisierte auch der europäische Rechnungshof, die Gelder würden ineffizient eingesetzt. Schuld daran seien Verwaltungsstrukturen und hohe Nebenkosten.