„Umwidmungen wie Hagia Sophia historisch kein Einzelfall“

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Münster (exc) Die Umwidmung religiös und politisch aufgeladener Gebäude wie die der Hagia Sophia in Istanbul ist aus historischer Sicht seit der Antike kein neues Phänomen. „Vorgeschichte und Kontext solcher Umwandlungen sind dabei stets Veränderungen der Machtverhältnisse und der Wunsch, diese deutlich sichtbar zu machen“, schreiben die Judaistinnen Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel und Franziska Kleybolte vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU.

Über Epochen, Religionen und Regionen hinweg lasse sich eine Vielzahl solcher Fälle finden. „Architektur und Bildsprache ritueller Räume haben ein großes Potential, Identität auszudrücken und sich damit von anderen Gruppen abzusetzen“, erläutern die Wissenschaftlerinnen in ihrem Dossier-Beitrag Die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee.

Ein Ereignis mit historischen Parallelen, der im Cluster-Web Beispiele aus Antike, Mittelalter und Gegenwart aufzeigt. Sie erforschen das Phänomen am Beispiel mittelalterlicher Gebäude im heutigen Spanien im Vergleich der Religionen und Regionen. „Auf der Iberischen Halbinsel ereigneten sich Appropriationen in Folge von Eroberungen, massenhaften Zwangstaufen und Vertreibungen jüdischer und muslimischer Minderheiten.“

Diese mittelalterlichen Umwandlungen von Synagogen in Kirchen seien „Akte der Machtübernahme“ gewesen, die „den Triumph der Kirche über das Judentum“ ausdrücken sollten, so Kogman-Appel und Kleybolte. Die Bildsprache der Gebäude wurde religiös umgedeutet, neue Kunstwerke etwa antijüdischen Inhalts aufgestellt und Baumaterial der Synagogen wiederverwendet. „Den Eroberten, so sie noch am Ort lebten, führte dies ihre Niederlage nur zu deutlich vor Augen.“ Aber auch wirtschaftliche Motive spielten eine Rolle, denn meist verlor die jüdische Gemeinde mit der Synagoge auch den gesamten öffentlichen und privaten Besitz.

Sterbliche Überreste entfernen, Wände übertünchen

Man weiß wenig über Umweihungsrituale, wie die Judaistinnen ausführen, doch seien die Umwidmungen als „Reinigung“ verstanden worden. Viele Kirchen wurden Maria, der Reinen, geweiht. „In Rothenburg o.d.T. etwa wurde bei der Umwandlung 1519 darauf geachtet, dass sich keine sterblichen Überreste eines Juden mehr am Ort finden und die Tünche von der Wand abgeschlagen und neu gestrichen wurde, um alles ‘Jüdische’ aus den Mauern zu vertreiben.“ Ein ähnlicher Schritt erfolgte bei der Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee nach der Osmanischen Eroberung Konstantinopels im Jahre 1453. „Auch sie wurde ‚gereinigt‘, die byzantinischen Mosaiken übertünchte man weiß, um der koranischen Zurückhaltung Bildern gegenüber zu folgen.“

Mit Blick auf die Gegenwart schreiben die Forscherinnen: „Bei der Übernahme, Weiterverwendung und Umwandlung von religiös und politisch aufgeladenem Raum, handelt es sich keineswegs um einen Einzelfall – weder innerhalb der Türkei noch in der longue durée betrachtet: So wurde 2011 im türkischen Iznik ein Museum – ehemals eine Moschee ­– wieder in eine solche umgewandelt; gleiches wurde 2013 für das türkische Trabzon überlegt; und auch in der Geschichte ist es seit der Antike ein Phänomen, welches sich über Epochen, Religionen, und Regionen hinweg immer wieder finden lässt.“ Das Forschungsprojekt aus dem Fach Jüdische Studien am Exzellenzcluster trägt den Titel „Gebäude wechseln ihre Identität.

Iberien 709–1611“. Vorangegangen war in der ersten Förderphase das Projekt Spätantike Heiligtumszerstörungen des Althistorikers Prof. Dr. Johannes Hahn.