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Urmia-See: „Es ist eine menschengemachte Katastrophe“

Foto: Alexandros.Papadopoulos, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 2.0

Heidelberg (dpa). Den Iran plagen Dürren. Auch in anderen Staaten der Region wird das Wasser zeitweise knapp. Im Gespräch mit der dpa erläutert der Human-Geograf Professor Hans Gebhardt Ursachen und Risiken der Trockenheit – und die Bedeutung von Wasserkonflikten im Nahen Osten für uns in Europa. Hans Gebhardt (67) ist seit 1996 Lehrstuhlinhaber der Professur für Humangeografie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. In der Vergangenheit forschte er auch zum Konfliktpotenzial von Wasser im Vorderen Orient.
Frage: Schon 1984 rechnete der damalige UN-Generalsekretär Butros Butros-Ghali damit, dass der nächste Krieg im Nahen Osten um Wasser geführt wird. Es kam anders. Hat sich Ghali geirrt – oder steht dieser Krieg noch bevor?
Hans Gebhardt: Einen veritablen Krieg gab es in der Tat noch nicht um Wasser. Aber es gab eine Vielzahl von Konflikten, die an Schärfe zunehmen könnten in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten.
Frage: Wann wird Wasser zum Konfliktfall?
Hans Gebhardt: Ein Hauptproblem sind Quellen oder Wasserressourcen, an denen mehrere Staaten Anteil haben. Das ist beispielsweise beim Euphrat und beim Tigris der Fall, die die Türkei, Syrien und den Irak durchfließen.
Frage: Kommt es bei Wassermangel und Dürren eher zu innenpolitischem Druck – oder ist das Konfliktpotenzial zwischen Staaten stärker?
Hans Gebhardt: Es wirken ja beide Komponenten zusammen. Wenn wir auf den Vorderen Orient schauen, hat sich die ökologische Situation – zum Beispiel im Irak – in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Bis in die 1960er Jahre war das Unterlaufgebiet von Euphrat und Tigris ein Überschwemmungsgebiet. Dort haben Menschen früher vom Wasser gelebt. Diese Überschwemmungsgebiete sind heute ausgetrocknet. Insofern ist da natürlich ein innerstaatliches Konfliktpotenzial entstanden. Aber relativ wichtig ist auch das Zwischenstaatliche, also die Rolle der Oberlieger vom Irak aus gesehen, also Syriens und der Türkei.
Frage: Ein Beispiel?
Hans Gebhardt: Als die Türkei im Zuge des Great Anatolian Project den Atatürk-Stausee geflutet hat, ist im Irak und in Syrien für einige Monate kaum mehr Wasser angekommen. Inzwischen wurden unter Regie der Vereinten Nationen Verträge zur Lösung des Problems ausgehandelt.
Frage: Welche Rolle spielt der Klimawandel für die Wasserproblematik in der Region?
Hans Gebhardt: Es ist schwierig, den Einfluss exakt zu benennen, weil man nicht einfach unterscheiden kann zwischen normalen Dürreperioden – die es natürlich in diesen Grenzregionen der Trockenräume immer gegeben hat – und der Frage, ob sich Trockenheitssituationen häufen. Der Vordere Orient gehört aber im Zuge des globalen Klimawandels zu den eher benachteiligten Regionen.
Frage: Schauen wir auf den Iran, der aktuell unter einer schweren Dürre leidet. Das zeigt sich an Gewässern wie dem Urmia-See, der immer mehr Fläche einbüßt. Ist die verfehlte Wasserpolitik des Regimes schuld an der Entwicklung?
Hans Gebhardt: Ich bin zwei Mal über den Urmia-See geflogen. Aus der Luft sieht man große Salzfelder und Vertrocknungsgebiete. Kurz danach kommt man in der Türkei an den Vansee, und der ist weitgehend intakt. Der Vergleich zeigt, dass der Urmia-See nicht unter einer natürlichen Dürre leidet. Es ist eine menschengemachte Katastrophe. Doch der jetzigen Regierung die Schuld zu geben, wäre zu einfach. Das Wasser des Urmia-Sees – und das vieler anderer Seen und Aquifere (Grundwasserleiter; d. Red.) im Vorderen Orient – wird seit Jahrzehnten übernutzt.
Frage: Es ist heute möglich, in tiefste Tiefen Brunnen zu bohren, Meerwasser zu entsalzen und stark verunreinigte Abwässer wieder aufzubereiten. Kann Technik Konflikte, die wegen Wasserknappheit entstehen, nicht längst entschärfen?
Hans Gebhardt: Die Meerwasseraufbereitung zu Trinkwasser spielt in einigen Ländern eine große Rolle, insbesondere in den Golfstaaten, also Dubai und Abu Dhabi. Aber das ist enorm energieaufwendig. Das können sich nur Staaten leisten, die über eigene Öl-Ressourcen verfügen oder einen billigen Zugang zu entsprechenden Ressourcen haben.
Frage: Kann es Europa egal sein, wenn sich Konflikte um Wasser im Vorderen Orient zuspitzen?
Hans Gebhardt: Man muss sich klarmachen, die Region ist nicht ganz weit weg von uns. Ein Flug von Beirut nach Paris ist eigentlich ein Katzensprung. Insofern sind natürlich Vorgänge in den Staaten des Vorderen Orients – angefangen von der Türkei über den Iran, Irak, Syrien bis hin zum Libanon – von direktem Einfluss auf das, was in Europa passiert. Das hat man im Syrienkonflikt 2015 gesehen, der massive Fluchtbewegungen auch in Richtung Europa ausgelöst hat.
Frage: Wie lassen sich solche Konflikte entschärfen, und könnte auch Europa dazu beitragen?
Hans Gebhardt: Europa gehört zu den größten Wirtschaftsmächten dieser Erde, und mit wirtschaftlicher Macht kann man politischen Einfluss geltend machen. Es sind in der Vergangenheit ja vernünftige Schritte gemacht worden, einer war das Atomabkommen mit Iran, das einseitig von den USA gekündigt worden ist. Solche Abkommen können natürlich zu einer Stabilisierung in den Ländern beitragen, und dann würde auch zivile Hilfe- und Unterstützung durch die Europäische Union helfen.