„Verschwindet nach Hause!“

Ausgabe 304

Foto: Britta, Adobe Stock

(iz/Agenturen). Nach fast 30 Jahren an der Macht hat der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic eine herbe Niederlage einstecken müssen. Bei der Parlamentswahl am 30. August verfehlte die Regierungspartei DPS zusammen mit ihren potenziellen Partnern die absolute Mehrheit. Drei verschiedene Oppositionsbündnisse errangen zusammen 41 von 81 Mandaten. Ihre Spitzenvertreter kündigten in der Nacht zum Folgetag an, eine gemeinsame Expertenregierung bilden zu wollen, um damit das Ende der Ära Djukanovic einzuläuten.

Die prowestliche Regierungspartei DPS ­(Demokratische Partei der Sozialisten) kam auf nur 35 Prozent der Stimmen, wie die Staatliche Wahlkommission nach der Wahl mitteilte. Das bedeutet 30 Mandate (minus 6).

Für die Präsidentenpartei reicht es selbst mit ihren potenziellen Bündnispartnern nicht für eine Mehrheit. Die zwei kleineren sozial­demokratischen Parteien und die Listen der ­albanischen und bosniakischen Minderheiten bringen ihr lediglich zehn weitere verbündete Abgeordnete im neuen Parlament. Alle gemeinsam haben dann nur 40 der insgesamt 81 Mandate.

Die Verluste des prowestlichen Lagers bedeuten eine Stärkung traditionell antimuslimischer Kräfte. Proserbische Chauvinisten zogen durch die Straßen und sangen dabei Lieder aus dem Krieg. Die Folgen waren direkt nach der Wahl zu sehen: Extremisten bedrohten Muslime, griffen sie an, beschädigten Läden und brüllten Slogans, diese hätten keinen Platz in Montenegro.

So verurteilte der Leiter der Islamischen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina, Hussein Kavazovic, die jüngsten Angriffe auf Bosniaken der Stadt Pljevlja, die nahe der serbischen Grenze liegt. Ein muslimischer Einwohner berichtete von Slogans, welche die „Türken“ zum Verlassen der Stadt aufriefen. Beobachter aus der Hauptstadt Podgorica berichteten von ähnlichen Vorgängen.

Er befürchte eine „Rückkehr zu den Ideo­logien, die bereits in den 1990er Jahren zu Verbrechen und Völkermord führten“. ­Muslime in Bosnien würden mit Unruhe auf diese Entwicklungen reagieren. Anti-muslimische und -bosniakische Rhetorik bilde, wenn sie geduldet werde, das Fundament für gewaltsame Angriffe durch organisierte Gruppen. Diese würden ihre kriminellen Absichten nicht länger verbergen.

„Wir erwarten, dass sich die serbisch-orthodoxe Kirche von den islamfeindlichen Reden derer distanziert, die offiziell in ihrem Namen handeln und behaupten, die Position des ­Klerus zu vertreten. Sie haben eine besondere Verantwortung für alles, was heute in Montenegro geschieht, weil sie sich entschieden haben, Akteure in diesen Vorgängen zu sein“, erklärte Kavazovic abschließend.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bezeichnete die Gewaltausbrüche als „besorgniserregend“. Die Ausschreitungen drohten die gesamte Region des Westbalkans zu destabilisieren, berichtete Belma Zulcic, Direktorin der GfbV-Sektion Bosnien und Her­zegowina. „Es gibt schon länger Anzeichen dafür, dass russische und serbische Sicherheitskräfte versuchen, Montenegro zu destabilisieren, vor allem seit dem NATO-Beitritt des Landes im Jahre 2017.“ Die EU und die NATO stünden in der Pflicht, eine Eskalation zu verhindert und „die Sicherheit der Minderheiten“ zu gewährleisten.

In Montenegro leben nach der letzten ­Volkszählung im Jahre 2011 etwa 620.000 ­Menschen. Mit 44,98 Prozent der Bevölkerung gehören die meisten zur montenegrinischen Volksgruppe, 28,73 Prozent zur serbischen, 8,65 zur bosniakischen und 4,91 zur albanischen. Dazu kommen diverse kleinere Minderheiten.