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Viele muslimische Hochzivilisationen können auf eine Tradition großer Zeltstädte zurückblicken

(iz). Seit dem Mittelalter schrieben eu­ro­päische Reisende – wie der spa­nische Gesandte Ruy Gonzáles de Clavijo – bewundernd über die großen Zeltstädte der muslimischen Welt. Diese fanden sich insbesondere in Zentralasien, aber auch in der Türkei, Ägypten und später in Mogul-Indien. Gelegentlich bestanden sie tausenden oder zehntausenden Zelten.

Diese zeitlich begrenzten Ortschaften bestanden nicht einfach aus den schwarzen Kamelhaarzelten der Araber oder den von einer Kuppel überragten Jurten der Nomaden Zentralasiens. Zu ihnen zählten bewegliche Paläste, einige mit Moscheen versehen, die den reisenden Herrschern und ihrem umfangreichen Gefolge Unterkunft boten. Manchmal wurden sie errichtet, um wichtige Feiertage wie die Heirat oder die Beschneidung eines Mitgliedes des regierenden Haushalts zu begehen. Das Auge westli­cher Reisender wurde nicht nur von ihrer Größe angezogen, sondern auch von ihrem Glanz und ihrer Bequemlichkeit. Sie waren ein Beispiel für wunderbare Stoffe aus Gold, Brokat, Stickereien, Samt und Chintz.

In der ganzen Welt verwandten Noma­den unterschiedliche Arten von Unterkünften und Zelten. Einige der vielfältigsten und ausgeklügeltsten Entwürfe stammten aus der zentralasiatischen Steppe. Einer Region, die im Sommer heiß, im Winter bitterkalt und gelegentlich sehr windig sein kann. Seit dem frühen Mittelalter, als sich die türkisch-mongolischen Völker von der Steppe aus entfalteten, brachten diese ihre kreisförmigen Behausungen (Türkische Jurte) mit. Sogar nachdem sie sich außerhalb Zentralasiens niedergelassen hatten und feste Gebäude errichteten, griffen sie oft auf Zelte als Orte für wichtige Anlässe zurück. Dazu zählten Geburten und Todesfälle, Festlichkeiten und alle Arten feierlicher Rituale. Der feierliche Gebrauch von Zelten breitete sich bis nach China aus, wo es einen erheblichen Einfluss aus der Steppe gab. Die frühesten Berichte über den Gebrauch von Jurten (mongolisch “Ger”) stammten aus chinesischen Beschreibungen und Bildern, die bis in das 9. Jahrhundert zurückreichten. Es sollte aber bis zum späten 12. Jahrhundert in der Regierungszeit von Dschingis Khan dauern, dessen Herrschaft sich von Nordchina bis zur Wolga und Südpersien erstreckte, dass Reisende begannen, über die Annehmlichkeiten der Herrschaftszelte zu berichten. Ein Paar Jahre später beschrieb der persische Historiker Ata Malik Dschuwaini das opulente Zelt seines Vaters, eines Finanzminister in der Provinz Khorasan: „Mein Vater besaß ein weiteres großes Ziel von wunderbarer Kunstfertigkeit und bemerkenswerter Farbgebung. (…) Er stellte sein Zelt auf und feierte darin über Tage.“

Bereits zu dieser Zeit gab es bereits verschiedene Zelttypen unter den türkisch-mongolischen Völkern. Illustrationen des bekannten Manuskripts der „Maqamat“ von Al-Hariri zeigen mehrere Zelttypen eines Lagers für Pilger in der Nähe Mekkas und eines Zeltplatzes für Karawanen außerhalb von Damaskus. Die reichhaltigen Dekorationen der Zelte entsprachen möglicherweise der Fantasie damaliger Zeichner, sind wahrscheinlich aber eine reale Wiedergabe dessen, was sie gesehen haben. Bei einigen finden sich ähnliche Muster wie auf den bestickten Suzanis Zentralasiens. Diese Dekorationen wurden über die Steppe von Ost nach West getragen. Bis vor Kurzem fanden sie sich noch auf Zelten in Tibet. Einige werden immer noch für festliche Zelte in Nordafrika und Ägypten benutzt.

Diese schönen Strukturen standen nicht für sich allein, sondern waren vielmehr Teil einer Siedlung von mehr als 20.000 Zelten. Ruy Gonzáles de Clavijo, der spanische Botschafter am Hofe des mongolischen Herrschers Timur im Samarkand (1404), beschrieb die königlichen Zelte so detailliert, dass der Nachbau leicht wurde. Zu dieser Zeit verwandelte sich die einfache Jurte zu einem Festzelt. Diese konnten sehr umfangreich sein. Ibn Battuta, der große marokkanische Reisende des 14. Jahrhunderts, beschrieb ein solches. Es war groß genug, um zur Gebetszeit Platz für ein Minbar und hunderte Männer zu bieten. Die Menschen aus der Steppe, die in Kontakt mit den sesshaften Muslimen kamen (gelegentlich zu Beginn kriegerisch), nahmen den Islam an. Seit dem 14. Jahrhundert brachten ihre Eroberer die traditionellen Zelte in zwei Richtun­gen in die Türkei und nach Indien.

In der Türkei wurden die Zelte zu einem vitalen Teil des osmanischen Devlets. Sie erhielten einen besonderen Rang für zeremonielle Anlässe; teilweise auch wegen der eigenen nomadischen Vergangenheit der Osmanen. Für eine militärisch bedeutende Zivilisation waren die Zelte darüber hinaus auch ein wichtiger Bestandteil. Die Zelte des Sultans lagerten in einem gesonderten Lager nahe des Ibrahim Pascha Palastes in Istanbul. 1453 hatten 38 Männer die alleinige Aufgabe, die Zelte des Herrschers aufzubauen. Zum Ende des 16. Jahrhunderts stieg ihre Zahl auf 2.000.

Beispiele osmanischer Zelte werden im Topkapi-Palast und im Militärmuseum Istanbul aufbewahrt, aber einige ihrer besten Exemplare finden sich in Museen in ganz Europa. Entweder waren dies Kriegstrophäen oder Geschenke, die von den Osmanen an andere europäische Herrscher gegeben wurden.

Einige dieser mobilen Unterkünfte wurden von Manufakturen im Regierungsbesitz produziert. Andere scheinen in Aleppo und anderen Teilen des osmanischen Devlets in Auftrag gegeben worden zu sein. Von Evliya Çelebi stammt die Beschreibung eines Gilden-Umzugs aus dem späten 17. Jahrhundert. Er erzählte auch etwas über die Zeltmacher: „Ihr Vorbild war Nasir bin Abdullah aus Mekka, der Zeltmacher, der das Zelt des Propheten anfertigte. (…) Sie errichten feine Zelter auf Tragegestellen, während andere damit beschäftigt sind, Vordächer und Moskitonetze anzubringen.“ Çelebi erwähnte auch, dass die Macher von Zeltschnüren wunderschön gefärbte Kordeln produzierten und dass es sogar eine Gilde für die Produzenten von Moskitonetzen gab.