Lesetipps – kurz und bündig zusammengefasst

Ausgabe 221

(iz). Wer im Zusammenhang mit der alljährlichen Frankfurter Buchmesse den Blätterwald der Zeitungen durchsieht, der wird auf ein erstaunliches Phänomen stoßen: Autoren und Denker, die in der muslimischen Welt für wegweisend gehalten werden, kommen nicht vor, was nicht bedeutet, dass muslimische Autoren ­übergangen würden. Es scheinen vor allem jene zu sein, die „den“ Islam mit den vertrauten Begrif­fen europä­ischer Geistesgeschichte kritisie­ren oder sich gesellschaftspolitisch im Sinne der europä­ischen Entwicklung mit muslimischen Gesellschaften auseinandersetzen.

Es wäre unsinnig, Kritiker mit Verdikten zu versehen und an den Rand islamischer Gläubigkeit zu stoßen. Andererseits muss man den eifrigen Verteidigern der Aufklärung sagen, dass sie auch jene muslimischen Denker zur Kenntnis nehmen sollten, die nicht unbedingt den europäischen Vorstel­lungen entsprechen, das heißt, die darauf bestehen, dass islamische Denkansätze nicht allein historisiert betrachtet werden, sondern auch fortgeführt werden, ohne sich des europäischen Begriffsapparates zu bedienen.

So strömten Fachwissenschaftler nach Tehe­ran, um Mullah Sadrs Arbeit zu erläutern, ohne dass jene gehört wurden, die ­seine Ansätze auch heute diskutieren, wie Spino­za an europäischen Universitäten diskutiert wird. Ärgerlich ist geradezu die Verdrängung aller sufischen Denker wie Dr. Schaikh Abdalqadir As-Sufi, Iqbal oder dem, unter turko-deutschen Muslimen geachteten Said Nursi. Letzterer hinterließ als Opus Magnum seine „Risale-i-Nur“, von dem ­etliche Übersetzungen ins Deutsche vorliegen.

Nun hat der der britische Orientalist Colin Turner eine Arbeit vorgelegt, die bei Gerlach in Berlin erschienen ist. Er hat die 6.000 Seiten jenes Opus so aufgearbeitet, dass nicht nur eine Einführung entstand, sondern zugleich eine Art Nachschlagewerk zum Risale-i-Nur. Dazu entwickelte ­Turner die Idee, das Gesamtwerk Nursis einem Bauwerk gleichzusetzen. Man stelle sich also eine Moschee vor, deren Kuppel auf achtzehn Säulen ruht, von denen jede zwar selbstständig steht, aber zugleich die Last der Kuppel trägt.

Colin Turner beginnt mit der Säule der göttlichen Einheit, um dann zur Frage der Existenz überzugehen, der ein Kapitel zur Natur folgt. Schließlich behandelt der letzte Abschnitt den Dschihad. Jeder Abschnitt hat im Anhang nummerierte Anmerkungen, die nicht nur auf die angesprochenen Abschnitte in der Risale verweisen, sondern auch auf andere Werke muslimischer Denker gleich Ibn Al- ‘Arabi und europäischer Literatur. Die damit verbundenen Erläuterungen erklären dem „normalen“ Leser der Risale schwierige Aussagen hinreichend, während sie dem Fachwissenschaftler die Möglichkeit zum Nachschlagen oder raschen Einordnen geben.

Angesichts der zur Zeit laufenden genetischen Diskurse ist Nursis Meinung interes­sant, „dass Dinge ‘als Wissen existieren’, bevor sie in die phänomenologische Welt treten“. Dies gilt auch für seine Auffassung der Naturphänomene als individuelle Verse im kosmischen Narrativ, die entweder auf ihren Schöpfer verweisen oder losgelöst von Ihm nur auf sich selbst beziehen.

Turners Arbeit macht dem soziokritischen Leser deutlich, dass er tatsächlich die geistliche Alternative zu den politisch führenden Kräften seiner Zeit gewesen war. Dies bezieht sich nicht allein auf die strikte Orthopraxie in seinem Glaubensleben, sondern vor allem seine existentielle Position, an der man auch in Europa nicht vorbei kommt. (Von Wolf D. Ahmed Aries)
Colin Turner, The Qur’an Revealed: A Critical Analyses od Said Nursi’s Epistle of Light. Gerlach Books Berlin, September 2013. 631 Seiten. Preis: EUR 95,-. ISBN 978-3-940924-28-5 (Druckversion)

Der im islamischen Diskurs nicht beheimatete akademische Leser wird es bei einzel­nen Begriffen vielleicht schwer haben, den Kontext zu verstehen. In solchen Fällen bietet sich ein gerade erschienenes Lexikon, das die Münchner Eugen Bieser Stiftung bei Herder verlegt hat, und zu dem erstaunlichen Preis von 38,- Euro zu erhalten ist. Dieser niedrige Preis ist nur dadurch zu erklären, dass eben jene Stiftung um des Dialoges Willen das Lexikon subventionierte.

Sie tat es bereits über zwei Jahre hinweg bei den Arbeitsgruppen in Deutschland und der Türkei. Herausgeber ist Professor Richard Heinzmann, der mit den Professoren Peter Antes, Martin Thurner und Mualla Selcuk, Halis Albayrak zusammenarbeitete. Herausgekommen ist ein zweibändiges Nachschlagewerk, das auf jeden Schreibtisch gehört, weil es nicht nur die Begriffe christlichen beziehungsweise islamischen Denkens klärt, sondern die Autoren lassen auch die Begriffe stehen, wenn im anderen Bereich kein entsprechendes Korrelat vorhanden ist. Diese Ehrlichkeit tut dem Dialog gut, weil in einem laufenden Gespräch die Teilnehmer immer wieder um des Fortganges des Gespräches Korrelate versuchen. So ist der „Laie“ ein kirchlicher Begriff, den es im ­Islam nicht gibt. Hingegen folgt im Band zwei auf Seite 436 auf den christlich erläuterten Begriff des „Laizismus“ der islamische: Laizismus (isl.) – (arab. Almaniyya, türk. Laiklik). Diese Reihenfolge bei den Überschriften der einzelnen Abschnitte ist wohltuend. Gerade jene, die zwar den Dialog wollen aber nicht eine der relevanten Sprachen lernen möchten, wird eine rasche Orientierung ermöglicht. Dazu kommt, dass sich am Ende des zweiten Bandes je ein deutsch-türkisches sowie ein arabisch-deutsches Wörterbuch befindet. Beide sind nach dem lateinischen Alphabet geordnet, wodurch das Suchen erleichtert wird.

Beide Publikationen ergänzen sich auf angenehme Weise. Wer sich im „Lexikon des Dialoges“ orientiert und danach zu einem Beispiel islamischen Denkens greifen möchte, dem zeigt Colin Turner wie ein moderner islamischer Denker arbeitet. (Von Wolf D. Ahmed Aries)
Eugen-Biser-Stiftung. Lexikon des Dialogs. 2 Bände, zusammen 856 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag im Schuber. Verlag Herder, September 2013. Preis: EUR 38,-. ISBN 978-3-451-30684-6

Der „Araber“ ist in den Augen eines zuneh­mend unterscheidungslosen Publikums längst zu einer bloßen Chiffre geworden, die mit der vielfältigen Wirklichkeit seiner Welt, Kultur und Wirklichkeit nicht mehr viel gemein hat. Vom „Ölscheich“ aus der Zeit der Ölkrise, über den „Terroristen“ im Umfeld von Al-Qaida und Hisbollah bis zu den gesichtslosen Massen einer gescheiterten Arabellion sagen die meisten Beschäftigungen über diese Menschen beziehungsweise ihre Welt mehr über den jeweiligen Betrachter aus als über das „Objekt“ der Beschäftigung.

Anstatt bloß in der Vergangenheit oder in Kulturgeschichte zu verharren, hat der Münsteraner Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders als Herausgeber mit „Die Araber im 21. Jahrhundert“ bei Springer eine interessante Aufsatzsammlung über Politik, Gesellschaft und Kultur der arabischen Gegenwart veröffentlicht. Die breite Sammlung der Aufsatzthemen ermöglicht es auch, das Interesse der nicht-akademischen Leser zu fesseln. Der einzige Wermutstropfen des Bandes, der noch mit einer Anthologie zur Arabellion (siehe IZ-Ausgabe 222) ergänzt werden soll, dass der Komplex Ökonomie und die ungerechte Ressourcenverteilung auf der Arabischen Halbinsel leider ausgespart bleibt.
Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.). Die Araber im 21. Jahrhundert. Politik, Gesellschaft, Kultur. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2013. Softcover, 443 Seiten. Preis: EUR 49,99/39,99 (eBook). ISBN 978-3-531-18526-2 (Druck), 978-3-531-19093-8 (eBook)

Heilung und Gesundheit gehören zu den wichtigsten Themen die uns heute beschäftigen. Von daher kann es nicht verwundern, dass mittlerweile auch verschiedene muslimische Medizin- und Heiltraditionen in den Fokus geraten. Und das liegt nicht nur daran, dass es in Westeuropa mittlerweile bleibende muslimische Gemeinschaften gibt.

Das Autorenduo Dr. Abdul Nasser Al-Masri und Dr. Gerhard Franz Walter hat mit seinem enorm informativen und faszinierenden Band tatsächlich einen „Einblick in die traditionelle islamische Medizin“ geliefert. Nicht auf bloße physische Fragen beschränkt haben beide Autoren vier Kapitel herausgearbeitet, in denen sie die islamisch-religiösen Grundlagen zum Thema Medizin, Heilung, Krankheit, Gesundheit & Tod offenlegen. Beiden ist zu danken, dass sie neben fachkundigen Ausführungen regelmäßige relevante Verse und Hadithe anführen. (SW)
Masri & Walter. Einblick in die traditionelle islamische Medizin. LIT Verlag, Berlin 2013. Softcover, 318 Seiten. Preis: EUR 29,90. ISBN 978-3-643-12075-5