24 Jahre nach Srebrenica

(iz). „Die Verleumdung des Srebrenica-Genozids muss aufhören. Nicht strafrechtlich verfolgte Täter müssen vor Gericht gebracht werden und SchülerInnen müssen über die Wahrheit der Massaker im Juli 1995 unterrichtet werden.“ Dunja Mijatovic, OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien und Menschenrechtskommissarin des Europarates, in einem Beitrag für Balkan Insight.
Die Anerkennung des Völkermordes an den Bosniaken im Jugoslawienkrieg zwischen 1992 und 1995 ist anerkannt. Die Kriegsverbrecher, unter ihnen Ratko Mladic und Radovan Karadzic, wurden schuldig gesprochen und ihre Verbrechen wurden weitestgehend als Genozid eingestuft. Dieser Beschluss ist wichtig, jedoch hat er in der Realität der bosnischen Bevölkerung kaum Bedeutung. Auf serbischer Seite, in Bosnien sowie im benachbarten Serbien, findet immer noch eine Leugnung der begangenen, bewiesenen und bereits bestraften Taten statt.
Die Opfer und Hinterbliebenen kämpfen noch heute mit den Geschehnissen aus der Vergangenheit, denn sie gehören zu ihrem Alltag. Fast unvorstellbar, in Bosnien jedoch möglich: Opfer und Täter können in derselben Nachbarschaft leben und sich im Supermarkt über den Weg laufen. Jeder weiß, wer was getan hat, jedoch wurde nur ein Bruchteil der Kriegsverbrecher auch tatsächlich verurteilt. Eine Vielzahl an Mittätern, die aus der Zivilbevölkerung wie auch aus dem Militär stammen, wurde nie wirklich strafrechtlich verfolgt. Der bosnische Bürgerkrieg fing mit Gewalt unter Nachbarn an, und dieser Konflikt hält auch heute, insbesondere psychisch, 24 Jahre nach dem Daytoner Friedensabkommen an.
Jedes Jahr am 11. Juli kommen sie zusammen. Die Hinterbliebenen und Überlebenden des Srebrenica-Genozids. Weit über 8000 Jungen und Männer jeden Alters wurden von bosnisch-serbischen Militärs unter Führung Ratko Mladics, der die „Rache an den Türken“ (bosnische Muslime werden von serbischen Nationalisten verächtlich als Türken und ehemals serbische Volksverräter bezeichnet) heraufbeschwor, ermordet. Frauen und Kinder wurden in Konvois verfrachtet und in muslimisch dominierte Gebiete gebracht. Eine Wahl hatten sie nicht, denn Srebrenica sollte serbisch werden.
Was an diesem und den darauffolgenden Tagen in Srebrenica geschah, ist das größte Massaker auf europäischem Boden seit dem Zweiten Weltkrieg. Im gesamten Krieg verloren Tausende ihr Leben, unzählige Frauen und Mädchen wurden systematisch vergewaltigt und Männer in Konzentrationslagern gehalten.
Jährlich finden sich die mutigen Frauen aus Srebrenica, deren männliche Angehörige ermordet und zu einem großen Teil nie gefunden wurden, zusammen, um der Toten zu gedenken und Gerechtigkeit einzufordern. Sie verlangen, dass Serbien und die bosnischen Serben endlich ihre Schuld anerkennen und Verantwortung für die Vergangenheit übernehmen. Denn ein Zusammenleben der verschiedenen Ethnien, der bosnischen Serben und der Bosniaken, ist nur auf diese Weise langfristig möglich.
Einige Familien sind an Orte wie Srebrenica zurückgekehrt. Dies bedeutet jedoch keinesfalls, dass die Erlebnisse des Krieges aufgearbeitet wurden. Im Gegenteil. An Schulen findet sich die Kontroverse darum, ob Bosnisch oder Serbisch unterrichtet werden soll. Derweil gibt es eine Zwei-Sprachen-Lösung für jeweils beide Ethnien. Konkret heißt dies, dass die Kinder von einander getrennt gehalten werden, schulisch wie auch gesellschaftlich.
Eine Versöhnung scheint, wenn sie nicht einmal in der jüngsten Generation stattfindet, fast unmöglich. Die serbische Politik sowie weite Teile der serbischen Zivilbevölkerung weigern sich, die Bemühungen der Bosniaken für die Aufklärung der Morde und das Auffinden der sterblichen Überreste ihrer Familienmitglieder auch nur ernst zu nehmen, geschweige denn zu unterstützen.
Im letzten Jahr wurden am 11. Juli noch 35 Opfer in Potocari bei Srebrenica beigesetzt. In Massengräbern konnten sie identifiziert und überführt werden. Auch wenn es nur einige Knochen sind, die gefunden wurden und identifiziert werden konnten, denn die Opfer wurden von serbischer Seite auf verschiedene Gräber verteilt, um ihr Auffinden zu erschweren. Für die Hinterbliebenen war es dennoch ein Trost. Sie konnten endlich die Suche abschließen und haben einen Ort, an dem sie ihre Verstorbenen besuchen können.
Wir gehören Allah und zu Ihm kehren wir zurück.