Völkermord-Anklage wirft dunkle Schatten über Serbien

Kroatien hat Serbien wegen Völkermordes im Bürgerkrieg verklagt. Der Prozess vor dem Internationalen Gerichtshof dürfte nicht nur erneut einen schweren Imageschaden bedeuten. Kriegsreparationen bei einem Schuldspruch könnten sogar den Staatsbankrott auslösen.

Belgrad (dpa). Serbien hat viel getan, um die Völkermord-Anklage Kroatiens vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) doch noch abzubiegen. Erst wurde beim IGH eine Genozid-Gegenklage gegen den Nachbarn eingereicht, dann über viele Jahre vorgeschlagen, beide Staaten sollten gleichzeitig ihre Klagen zurückziehen. Doch alles ohne Erfolg. «Es gibt nicht mal die theoretische Chance», machte Kroatiens Justizminister Orsat Miljenic erst vor Tagen noch einmal klar. Und: Die Chancen, den Prozess zu gewinnen, ständen gut.

Kroatien sieht im Bürgerkrieg von 1991 bis 1995 die Serben allein als Aggressor, verantwortlich für die Verwüstung weiter Landstriche und den Tod von über 13 500 Kroaten. Zusammen mit der Vertreibung Hunderttausender aus ihrer angestammten Heimat bei sogenannten ethnischen Säuberungen erfüllten diese Kriegsverbrechen alle Merkmale eines geplanten Völkermordes, argumentiert das jüngste EU-Mitglied Kroatien gegen seinen auch heute noch ungeliebten Nachbarn.

Prominente Kroaten wie der Staranwalt Anto Nobilo oder der Philosoph Zarko Puhovski messen der Klage ihres Landes allerdings keinerlei Erfolgsaussichten bei. Auch die große Zeitung «Jutarnji list» rechnet nicht mit der Verurteilung Serbiens. Dennoch sei das Verfahren positiv, weil es Licht in das Schicksal von über 900 noch vermissten Kroaten bringen könnte. Es gebe in Serbien noch geheime Massengräber mit Landsleuten, die es zu entdecken gelte, schreiben die Medien.

Die Serben, deren Gegenklage später in den jetzt beginnenden Prozess einfließen wird, machen folgende Gegenrechnung auf: über 6500 Tote auf der eigenen Seite, noch rund 1600 Vermisste – und vor allem über 200 000 vertriebene Landsleute. Diese gehörten der einst knapp 600 000 Personen zählenden serbischen Minderheit in Kroatien an und waren bei der Rückeroberung der Serbenrepublik Krajina vom kroatischen Militär aus dem Land geworfen worden.

Die kroatische Linksregierung, die eigentlich mit Nationalisten nicht viel zu schaffen hat, steht unter ungeheurem Druck der Öffentlichkeit und will sich patriotisch zeigen. Erst Ende vergangenen Jahres hatten Nationalisten 632 165 Unterschriften gesammelt, um ein Referendum zu erzwingen. Sie wollen erreichen, dass der verbliebenen serbischen Minderheit der öffentliche Gebrauch ihrer Sprache und ihrer kyrillischen Schrift praktisch verboten wird. Die Regierung versucht jetzt mit Verfahrenstricks, diese Volksabstimmung mit allen Mitteln zu verhindern.

Wenn vor dem IGH auch am Ende keine Verurteilung wegen Völkermordes herauskommt, so hofft Zagreb doch zumindest auf einen allgemeinen Schuldspruch. Auf dieser Grundlage könnte Kroatien dann von Serbien Kriegsreparationen verlangen. Die würden das wirtschaftlich ohnehin vor dem Bankrott stehende Balkanland bis ins Mark erschüttern. Demgegenüber dürfte die Rückgabe angeblich im Krieg gestohlener kroatischer Kulturgüter nach einem IGH-Urteil im Sinne Kroatiens noch vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen sein.

Für Serbien stellt der Prozess in jedem Fall ein neues Trauma dar. Denn die kroatische Seite will im Detail auf die schlimmsten serbischen Kriegsverbrechen wie im östlichen Vukovar («kroatisches Stalingrad») zu sprechen kommen. Erst vor Tagen waren aus einem der größten Massengräber in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg im Dorf Tomasica im Nordwesten Bosniens knapp 400 ermordete muslimische Bosniaken und Kroaten geborgen worden. Die Täter: Serben.