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Von Demonstrationen und Onkel Toms

Ausgabe 265

Foto: DITIB KÖLN 2017

(iz). Gefühlt war der öffentliche Druck auf Muslime, sich „gegen Terror“ zu positionieren, in den letzten Wochen so groß wie noch nie. Als in Berlin ein Wahnsinniger in den Weihnachtsmarkt am Kurfürstendamm fuhr, fand die Stadt recht schnell zurück in ihren dynamischen Alltag.
Vielleicht liegt das primär daran, dass Berlin eben Berlin ist. Diesmal war nichts passiert. Die Polizei leistete sich einen eklatanten Fehler, brach das sehr beliebte  Rock am Ring-Festival auf einem falschen Verdacht basierend ab und der Konzertveranstalter Marek Lieberberg rastete aus. Seine Wutrede, Muslime müssten zu Zehntausenden auf die Straße gehen, ging quer durch alle Medien. Es war ein Momentum von „Endlich sagt’s mal einer“.
Prompt sprangen die „Onkel-Tom-Türken“ auf, wie Jakob Augstein sie in einem Spiegel-Kommentar bezeichnete, und organisierten einen Flop – angekündigt als großen Friedensmarsch. Aber weil es derzeit so einfach ist, DITIB und andere große muslimische Verbände anzugreifen, wurde diesen die Schuld gegeben.
Untätigkeit lautete der Vorwurf. Da hatten die Muslime, Verzeihung, Moslems endlich die Gelegenheit allen zu zeigen, dass sie friedfertige und liberale Muslime, Verzeihung, Moslems sind und tun stattdessen nichts.
Naja, nicht ganz. In hunderten Moscheen fanden am exakt gleichen Abend, an dem die Demonstration in Köln trostlos ausklang, Demonstrationen statt. Demonstrationen, die man nicht erst herbeipöbeln musste. Abu Bakr Rieger nannte die Moschee-Aktionen eine „Demonstration von Gastfreundschaft, Offenheit und Zuversicht der Muslime“.
Die Rede ist von unzähligen öffentlichen Fastenbrechen, wie sie im Ramadan stattfanden. Massenveranstaltungen, für die es keine großen Sponsoren gab. Abende, die nicht Teil einer politischen Agenda waren. Soziale Ereignisse, die ihresgleichen suchen.
Während so mancher, ob muslimisch oder nicht, wetteifert, „den Verbänden“ Fehlverhalten vorzuwerfen, stellen ihre Mitgliedsgemeinden beispiellose Veranstaltungen auf die Beine. Die Kosten werden meist von der einzelnen Gemeinde getragen und nicht selten werden diese auch von einzelnen Gemeindemitgliedern übernommen.
Eingeladen sind alle. In vielen Moscheen ist das gemeinsame Essen nicht nur im Ramadan Teil des Programms. Seit Ankunft der Flüchtlinge haben sich viele Gemeinden zu öffentlichen Tafeln entwickelt.
Zu großen Anlässen wird es meistens prominent. Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Wirtschaft werden eingeladen, um die Aktivität ihrer lokalen muslimischen Gemeinde zu erleben. Die Einladungen gelten aber immer auch der Nachbarschaft, weshalb viele Nichtmuslime teilnehmen. Oft laufen die Veranstaltungen unter einem Motto, das Begegnung stiften soll.
Das öffentliche Iftar, dieses gemeinschaftliche Fastenbrechen ist eine neue deutsche Institution. Eine kulturelle Errungenschaft, die ganz allein von denjenigen aufgebaut wurde, denen man vorwirft, untätig zu sein. Und ja, ja, und nochmal ja, man kann ach so viel an „den Verbänden“ kritisieren. Ja. Am besten kann man das aber eben mit dem Luxus, solche Leistungen nicht mitzutragen.
Im Allgemeinen täte es den Muslimen Deutschlands sicherlich gut, eine gelungene öffentliche Positionierung mit korrekter Öffentlichkeitsarbeit umzusetzen. Abu Bakr Rieger stellte hierzu fest, dass es den inhaltlichen Konsens ohnehin gebe. Selbstverständlich lehnt jeder Muslim Terrorismus ab, verachtet Extremismus und weist die Nähe zu beidem konsequent von sich.
Diese Selbstverständlichkeit basiert dabei auf der Gemeindearbeit all dieser Moscheen in unserem Land, die für eine Grundlage solcher Herzlichkeit sorgt, wie sie sich in den öffentlichen Fastenbrechen spiegelt. Sieht man ihre Arbeit, erkennt man, wofür sie stehen und welche Position sie in unserer Gesellschaft annehmen wollen.
Wenn Kritiker und die Politik die schlechte Außenwirkung von Verbänden und ihrer Gemeinden bemängeln, sollten sie sich auch die Frage stellen, warum dann nicht zu Genüge dafür ­gesorgt wird, dass diese eindeutigen, positiven Botschaften die Masse erreichen. Wer diese Verantwortung von sich wegschiebt, sollte sich dann auch nicht wundern, wenn viele Muslime, die angemahnte Verantwortung von sich wegschieben, ihre Verachtung für Terror wieder und wieder bekunden zu müssen.