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Was ist dran an der Generation M?

Ausgabe 273

Die Idee einer neuen muslimischen Generation, die von vorne führt und die Welt verändert, mag überraschend sein inmitten der gegenwärtig negativen Darstellung der globalen muslimischen Erfahrung. Generation M, der Spitzname dieser Vorreiter, ist jedoch sehr real. Und es ist auch der Titel eines neuen Buches von Shelina Janmohammed.
Mit mehr als fünf Prozent der Bevölkerung und einer Anzahl von drei Millionen insgesamt wurden Muslime in Großbritannien für verschiedene Menschen zu einer nennenswerten Kategorie –  wie etwa Sozialwissenschaftler oder Politiker auf der Suche nach Lösungen für Radikalisierung. Der Fokus des Buches verschiebt die Aufmerksamkeit weg von den negativen Aspekten der britisch-muslimischen Erfahrung; Fragen, die einer drängenden Lösung bedürfen. Während mehr als die Hälfte der britischen Muslime zu den zehn Prozent der Ärmsten des Landes gehören, gibt es eine wachsende Anzahl von Muslimen, die hochgebildet, aufstrebend und fähig sind sowie – und noch wichtiger – sich ökonomischen auf dem Halal-Markt beteiligen. Sie gelten als die neue Frontlinie der Beteiligung und des Engagements, aber auch als ein neuer Markt.
Jedoch, es ist etwas „faul im Staate Dänemark“. Ein Buch, das sich mit Muslimen im Aufschwung beschäftigt und ein detailreiches Narrativ von Engagement, Fortschritt und Aufklärung bietet, entwirft sorgfältig Vorlagen, die das wirtschaftliche Wohlergehen fördern, aber auch das Halal-Kapital im Jenseits. Mit Sicherheit mag jemand einwenden, das sei keine neue Perspektive. Es gab immer Muslime, die sich erfolgreich integrierten, Aufstieg nach oben sowie Partizipation erlangten und den Status des Kleinbürgers oder darüber hinaus erreichten. In dieser Hinsicht gab es immer muslimische Gruppen, die sich voneinander genauso wegbewegten wie von der kollektiven Gesellschaft.
Während dem wirtschaftlich nach vorne blickenden Segment der Muslime in Großbritannien Augenmerk geschenkt wird, bleibt es Tatsache, dass ehrgeizige und erfolge Personen einen begrenzten Anteil der gesamten Gruppe darstellen. Währenddessen leidet die Mehrheit unter den schädlichen Folgen von Deindustrialisierung, Neoliberalisierung und Marginalisierung.
Das unerbittliche Tempo der Modernisierung führt zu neuen Herausforderungen für Individuen, die auch Verbraucher sind. Eine Identität, die durch die Natur der eigenen Konsumgewohnheiten bestimmt wird, ist mehr denn je zu einem kraftvolleren, scharfen und weitblickenden Indikator der sozialen und kulturellen Beziehungen geworden. Der Massenkonsum erschient Seite an Seite mit Atomisierung, Individualismus und Voyeurismus. Markenbildung, Öffentlichkeitsarbeit, Markteinführung, Produktdifferenzierung, strategische Platzierung und Preisoptimierung sind alles Wettbewerbspraktiken, die auf die Verbesserung von Marktanteilen abzielen.
Daher ist Generation M auf einer grundlegenden Ebene ein Marketingkonzept. Es identifiziert eine Kategorie von Menschen, die von Werbefirmen im Dienste von Unternehmen zur Steigerung von Gewinnen identifiziert werden. Da die muslimische Bevölkerung in aller Welt wächst, wird sie als Möglichkeit für Marketing betrachtet. Sie ist ein Raum zur Erzielung enormer Profite und nicht notwendigerweise ein Weg, Menschen zusammenzubringen, die verschiedentlich von der Wechselhaftigkeit des Kapitalismus betroffen sind.
Kapitalismus wird kapitalistische Tendenzen reproduzieren, wenn er das Potenzial in Schwellenländern auszubeuten sucht. Das ist in der Form von mobilen, gebildeten, ehrgeizigen und finanziell relativ gut gestellten jungen Leuten der Fall. Sie wollen höhere Lebensstandards in Verbindung mit kultureller, spiritueller und wirtschaftlicher Integration in den globalen Mainstream.
Während in einer kapitalistischen Gesellschaft Erfolg gleichbedeutend mit Belohnung ist, werden diese Ergebnisse zugunsten derjenigen verzerrt, die mit größerem Kapital an den Start geht. Das ist ein ewiges Problem für politische Entscheidungsträger, für die die Gefahren des Monokapitalismus ständig gegenwärtig sind. Darüber hinaus ist dieser Marktliberalismus, wenn er ungehemmt bleibt, zügellos, unterscheidungslos und gnadenlos.
Heute ist nichts in Ordnung mit der neoliberalen Ordnung, dem Aufstieg des Brexitismus, des Trumpismus, der Verunglimpfung von Muslimen, dem Hass auf Einwanderer sowie der Verachtung von Vielfalt. All das reflektiert einen Zusammenbruch in der westlichen, liberalen Vorstellung.
Was wir beobachten, ist der lang anhaltende, langsame und gefühlt schmerzhafte Niedergang des Westens. Insbesondere, da China und andere östliche Mächte globale Macht zurück in den Osten bringen. Das neoliberale und hyperkapitalistische Scheitern ist unser Alltag geworden; elitärer, selbstsüchtiger und betrügerischer als je zuvor. Daher neigt ein ungezügelter und nicht eingehegter Kapitalismus dazu, überhaupt nicht „halal“ zu sein.
„Generation M“ ist ein ziemlich direkter Versuch, die Aufmerksamkeit von diesen alles andere als schmeichelhaften Ergebnissen abzulenken. Daher richtet die Autorin ihren Fokus darauf, wie Muslime kreative, opportunistische und entwicklungsfähige Möglichkeiten nutzen können, um zu ihrer Existenz in der Gesellschaft beizutragen. In sich ist dies eine kalkulierte Entscheidung, einen positiven Beitrag zu einer Gruppe in der Gesellschaft zu leisten, die selbst positive Beiträge leistet.
Das überzeugende Narrativ in dem Buch von Shelina Janmohammed ist die Vorstellung, dass dies nicht nur einfach ein Fall von verbesserter Integration unter heutigen jungen Muslimen ist. Hier besteht ein besonderer Fokus auf der Wiederaneignung von Identität, Spiritualität und menschlicher Verbindung durch Konsumdenken. Es handelt sich um das Vorhaben einer Neudefinition, was heißt, als muslimischer Verbraucher Mitglied einer Gesellschaft zu sein.
Die Essenz von „Generation M“ besteht darin, die Sicht zu präsentieren, dass Muslime per se keine problematische Kategorie seien. Vielmehr gebe es im gegenwärtigen Klima mit all seinen Negativenergien eine beträchtliche Menge junger Muslime, die wertvolle Beiträge dazu leisten, indem sie beispielsweise britisch, muslimisch und – interessanterweise – weltlich sind. Die Geschichte dieser Muslime wird ohne Kompromisse, Konfrontationen oder Zusammenschlüsse erzählt.
Die Nettowirkung von „Generation M“ besteht darin, dass sie Muslime ins Spiel bringt. Es ermöglicht bestimmten ökonomischen Innovationen, die Möglichkeiten zur Integration, dem sozialen Wohlergehen und der Normalisierung von Unterschieden in der Gesellschaft zu verbessern. Bei dem Buch handelt es sich um einen genuinen Ansatz, dieses Konzept als eine organische, aufstrebende und ideelle Vorstellung zu entwickeln, die geerdet, von unten nach oben und entwicklungsfähig ist.
„Generation M“ ist jedoch kein bloßes Handbuch zur Wirtschaft. Es hat die ernsthafte Absicht, auf die islamischen Aspekte von Integration zu schauen. Die Seiten dieses Buches sind gefüllt mit Anpassungen an wirtschaftliche Kriterien, um Maßstäbe des Islam zu erfüllen. Muslime werden hier ermutigt, eine größere Bedeutung ihres Handelns durch den Islam zu suchen. Aber das Ganze wird durch ein System betrachtet, in welchem Kapitalismus und Konsumententum als Triebkräfte dienen.
Obwohl all dies ein würdiges Unterfangen ist und das Ausmaß der Möglichkeit, einen Beitrag zu leisten, in der Realität existiert, besteht eine Gefahr. Nämlich das Risiko der Zeichnung einer strahlenden und allzu glänzenden Perspektive der wirtschaftlichen und kulturellen Integration von Muslimen. Selbst für hochqualifizierte, sehr gut gebildete und artikulierte Muslime gibt es externe Risiken. Diese betreffen Diskriminierung und Marginalisierung. Sie beeinträchtigen dieses gesonderte Bevölkerungssegment, berühren aber auch Minderheiten im Allgemeinen.
An diesem Punkt hat die Autorin gute Arbeit geleistet. Sie trennt die Probleme einer ungezügelten kapitalistischen Gesellschaft und die Chancen, die sich aus dem Kapitalismus ergeben. Dieser führe nicht notwendigerweise zu einer Verringerung des Muslimseins. Im Gegenteil, in vielen Fällen führen solche Ansätze Gelegenheiten ein, die zur ökonomischen Integration beitragen, während der Halal-Aspekt bei Engagement und Partizipation erhalten bleibt. Architekten, Designer, Technikgurus, Autoren und Visionäre aller Art befinden sich an einem einzigartigen Ort, um eine besondere Rolle in der Gesellschaft zu spielen.
„Generation M“ konzentriert sich auf die Bemühung in Beziehung zum Muslimsein – als ein separater Ort für Erfindung, Innovation und Beschwörung inmitten einer mobilen, aufstrebenden Bevölkerungsgruppe. Währenddessen verbleibt mindestens die andere Hälfte der Muslime in den Tiefen eines marginalisierten Abgrunds.
Jedoch sollte das Buch nicht abgetan werden, weil es verzerrt ist. Tatsächlich ist sein Ziel, sich auf die Möglichkeiten, anstatt auf die Begrenzungen des Lebens zu konzentrieren. Aktive Teilnahme ist ein Weg vorwärts für alle, die gehört und verstanden werden wollen. Und aktive Partizipation ist für jene, die an der Spitze einer evolutionären wirtschaftlichen und kulturellen Praxis stehen. Die Folgen sind nicht bloß eine Verbesserung der gelebten Realität dieser Erneuerer. Sie schaffen auch externe Effekte, die eine positivere und vorwärtsweisende Vision eines engagierten Muslims präsentieren. Diese wiederum führen zu erweiterten positiven Effekten im Hinblick auf die Akzeptanz der Gruppe als Ganzer.
Shelina Janmohammed, Generation M: Young Muslims Changing the World, IB Tauris, ­London 2017, Taschenbuch, 340 Seiten, ISBN 978-1780769097, als Taschenbuch und Kindle verfügbar.