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„Was Merkel getan hat, war gut“

Foto: World Economic Forum, swiss-image.ch/Photo Remy Steinegger | Lizenz: CC BY-SA 2.0

Assisi (KNA) Der Emir von Kano, Muhammad Sanusi II., hat als ein Spitzenvertreter der Muslime am Weltfriedenstreffen der Religionen in Assisi teilgenommen. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich der 55 Jahre alte nigerianische Adlige, Geistliche und Wirtschaftswissenschaftler zur Migrationskrise in Europa und zum Erstarken der AfD in Deutschland.
KNA: Hoheit, wie hat Europa die Flüchtlingskrise bislang gestemmt?
Muhammad Sanusi II.: Zunächst haben die Europäer mit eigenen Problemen zu tun. Einige Länder zeigten dabei im Blick auf die Flüchtlinge unterschiedliche Reaktionen – von der Bereitschaft, Migranten willkommen zu heißen und sich um sie zu kümmern, bis zu Widerstand. Es gibt immer auch eine Spannung zwischen dem, was eine Regierung tun möchte, und dem, was die Bevölkerung will. Mehr Einwanderung bedeutet eben eine höhere Belastung der Ressourcen und wachsenden Wettbewerb um billige Jobs. Das führt natürlich zu Widerstand bei Arbeitern im Niedriglohnsektor. Sie empfinden die Migranten als Konkurrenten. Hinzu kommen die kulturellen Spannungen in Gesellschaften, die noch nicht multikulturell sind – das Gefühl, dass neue und fremde Kulturen hereinkommen.
Aber im Großen und Ganzen hat Europa sich verdienstvoll bemüht, so viele wie möglich aufzunehmen. Die eigentliche Frage ist, wie wir die Probleme an der Wurzel fassen: Frieden schaffen in Syrien, dem Irak und Libyen, für Entwicklung in Afrika sorgen und die treibenden Faktoren für Migration reduzieren.
KNA: Vor einem Jahr hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Flüchtlingskrise mit dem Satz „Wir schaffen das“ kommentiert. Neuerdings klingt sie weniger optimistisch. Können Sie das nachvollziehen?
Muhammad Sanusi II.: Ich glaube, was Merkel getan hat, war gut, und sie sollte weiter einem Pessimismus Widerstand leisten. Es gibt überall ein paar Leute, die unverantwortlich und unvernünftig sind und gute Gesten nicht schätzen. Die Aktionen dieser wenigen dürfen das Prinzip nicht ändern, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die humanitäre Hilfe brauchen. Deutschland hat ein Wertesystem, von dem Merkel glaubt, dass es der ganzen Menschheit zugutekommen soll. Das zeichnet Größe aus: dass sie weiterhin so handelt, wie es ihrer Überzeugung nach den Herausforderungen entspricht.
KNA: Bei den Wahlen in Berlin hat die AfD stark zugelegt – eine Partei, die Euroskepsis und Ängste vor Migration bedient. Verstehen Sie die Sorgen der Wähler?
Muhammad Sanusi II.: Ich kann das verstehen; ich halte es für einen Fehler. Es ist der gleiche Effekt, wie Donald Trump Präsidentschaftskandidat in den USA werden kann, die Briten für den Brexit stimmten oder Marine Le Pen und die Rechten in Frankreich stärker werden. Wenn Europa die rechtsextremen Parteien gewinnen lässt, wird es letztlich zum Gegenstück der aktuellen fundamentalistischen Regierungen im Iran oder Israel, und die Welt wird stärker polarisiert.
Diejenigen, die an die Grundwerte von Frieden, Freiheit und Humanität und an deren langfristigen Erfolg glauben, müssen weiter zusammenarbeiten, um solchen Parteien innerhalb der einzelnen Staaten Einhalt zu gebieten. Und es muss staatenübergreifend Allianzen geben, um diesen globalen Diskurs des Hasses und der Entfremdung anzugehen. Auf lange Sicht kann Europa andere Menschen nicht von seinen Märkten fernhalten. Der wirtschaftliche Wohlstand Europas und der Welt ist umso mehr in Gefahr, je stärker Europa nur nach innen schaut und xenophobisch wird.
KNA: Den Terrorismus von Boko Haram in Nigeria haben Sie immer wieder mit wirtschaftlichen Problemen in Verbindung gebracht – das Wohlstandsgefälle innerhalb des Landes, die Austrocknung des Tschad-Sees. Entsprechend lauteten Ihre Lösungsansätze. Was raten Sie nun europäischen Politikern, wie sie ihrerseits mit islamistischem Terror umgehen sollen?
Muhammad Sanusi II.: Was immer sie tun – sie müssen auch die grundlegende ökonomische Ungleichheit und Armut in der muslimischen Welt in den Blick nehmen. Dazu gehört, dass sie eine passende Wirtschaftspolitik betreiben.