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Was tun bei Islamfeindlichkeit?

Ausgabe 270

Foto: JMacPherson, via flickr

(iz). Jüngst wurde eine Umfrage bei unserem Nachbarn Polen veröffentlicht, wonach die Mehrheit aller über 50-jährigen Einwohner ihr Land durch den Islam bedroht sehe. Vorurteile, entsprechende Diskurse und resultierende Übergriffe gegen die Religion und die sie Praktizierenden sind nicht leicht zu lokalisieren. Vielmehr sind sie in den meisten europäischen Ländern Bestandteil der öffentlichen Landschaft geworden.
Ortsbestimmung
Dabei handelt es sich nicht nur um ein Ergebnis unpersönlicher Kräfte. Im IZ-Interview sagte der österreichische Fachmann Dr. Farid Hafez vor einiger Zeit, man könne von transnationalen Bewegungen ausgehen. Wo Islamfeindlichkeit beginne, müsse nach dem Einzelfall entschieden werden. Dabei sei „die Ver­allgemeinerung ein wesentliches Kriterium“. Dies lasse sich anhand der Beschneidungsdebatte erklären. „Wäre es eine Debatte über diesen Einzelfall gewesen, wäre das nicht schlecht gewesen. Man hätte kühl und gelassen über die Sache diskutieren können. Es artete aber zu einer grundsätzlichen Debatte über Religionsfreiheit und Beschneidung ­derselben aus, in der islamophobe Diskursmuster wüteten“, so Hafez. Generalisierung sei ein wichtiges Merkmal, um hier einen Unterschied zwischen einer legitimen Kritik auf der einen Seite und „eines islamophoben Phänomens auf der anderen“ zu machen.
Das antimuslimische Ressentiment sei „ein gesamtgesellschaftliches Problem“, welches nicht von der betroffenen Minderheit alleine gelöst werden könne. „Trotzdem würde ich meinen, dass die Muslime durchaus die Möglichkeit haben, dem Ressentiment etwas entgegenzusetzen.“ Der Tag der Offenen Moschee und andere Initiativen seien natürlich Möglichkeiten, die muslimische Sicht auf den Islam bekanntzumachen. Trotzdem müssten sie sich im Klaren sein, dass nie alle Menschen erreicht werden könnten. „Hier spielen die Massenmedien eine zentrale Rolle und tragen entsprechend auch Verantwortung.“
Spirituelle Deutungen
Seit Längerem mühen sich muslimische Gemeinschaften im Westen, negative Darstellungen, Fehler und Missverständnisse zu überwinden. Das Problem von Passivität ist, dass die Community es den Islamophoben und religiösen Extremisten ermöglichte, das Narrativ zu bestimmen. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der relevante Beitrag der Osnabrücker Islamwissenschaftlerin und The­ologin Dr.phil. Silvia Horsch-Al Saad „Eine spirituelle Sicht auf antimuslimischen Rassismus“ dar. Weil die Rassismusforschung dank ihrer Ausblendung Gottes Grenzen habe, müssten Muslime über sie hinausgehen. Muslime leben in der Anerkennung der göttlichen Allmacht. Sie wissen, dass nichts geschieht, was Allah nicht will. Somit sei kein ­Ereignis sinnlos.
Der bisherige Umgang mit Diskriminierungen berge Gefahren. In ihrem ­Bemühen um Anerkennung richteten sich Muslime nach Parametern, die andere vorgeben würden. Natürlich solle man nach gesellschaftlichem Einfluss streben, aber hier sei die Absicht entscheidend. Eine zweite Gefahr bestünde in Äußerlichkeiten. Weil auch äußerliche Elemente der muslimischen Lebensweise, allen voran das Kopftuch, im antimuslimischen Rassismus negativ markiert seien, würden Muslime sie positiv aufladen. Dann werde das Kopftuch zu einem Symbol für Reinheit, Frömmigkeit und Identität.
Eine tiefere Differenz zur allgemeinen Rassismusforschung sei deren Fehlen einer metaphysischen Dimension. Diese gehe davon aus, dass die Betroffenen nichts mit Vorurteilen zu tun hätten. Laut der muslimischen Lehre können Phänomene wie antimuslimischer Rassismus auf mindestens zwei Arten verstanden werden: Negativität sei eine ­Prüfung. Das sei keine Aufforderung zur Passivität. „Denn wir haben Dinge zu verantworten, die wir ändern können.“ Es kann aber auch Reinigung beziehungsweise Sühne sein. Es könne sein, dass ­Allah uns durch solche Erfahrungen reinigen wolle.
Was tat der Prophet?
Für Muslime sollte die Problemlösung auch zur Prophetengeschichte führen. Wenn wir seine Biografie studieren, können wir Strategien und Lektionen entwickeln. Und verstehen, wie sich mit ­Islamfeindlichkeit und ihrem Extrem umgehen lässt. Ungeachtet der Umstände hielt der Gesandte Allahs zeit seines Lebens an seiner Mission fest. Was ­bedeutete das praktisch? Wir betonen, was der Islam und die Muslime sind, ­anstatt zu sagen, was wir nicht sind.
Der Prophet ließ seine Entscheidungen nicht durch Emotionen kontrollieren. Er erlebte immens verächtliche, spöttische und persönliche Angriffe. Am Ende aber waren alle Attacken fruchtlos. Das lag an seinem überragenden Charakter und seiner Fähigkeit, an der Botschaft festzuhalten. Das heißt nicht, dass er niemals wütend wurde. Aber sein Ärger ging niemals so weit, dass seine Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt wurde. Miyamoto Musashi, ein legendärer japanischer Schwertkämpfer, sagte: „Ärger. Kontrolliere Deinen Ärger. Wer seine Wut auf andere richtet, wird durch diese kontrolliert. Dein Gegner kann Dich dominieren und besiegen, wenn Du es ihm erlaubst, dass er Dich wütend macht.“
Wenn wir konstant auf jeden Angriff reagieren, setzen wir uns der Gnade anderer aus. Und wir übergeben ihnen das Narrativ und lassen sie für uns sprechen. Das heißt nicht, dass wir teilnahmslos oder stoisch sein dürfen. Es muss uns aber bewusst sein, dass die verbalen Angriffe nur eine Ablenkung von unserer Aufgabe sind, die Botschaft Allahs ­weiterzugeben. Ganz praktisch: Der Prophet kümmerte sich um seine Nachbarn. Das ist ein wichtiger Teil des Islam, aber so viele von uns vernachlässigen ihn. Der Gesandte sorgte sich um sein direktes Umfeld und seine Gemeinschaft. Er kümmerte sich um die Muslime und die Menschen jeden Glaubens in seiner ­Gemeinschaft.
Der heutige Stand
Um das Phänomen der Islamophobie besser zu verstehen und positive Antworten zu finden, trafen sich am 4. November sechs Diskutanten vor einem vollen Auditorium in der Deutschlandzentrale der Moscheevereinigung ATIB. Der Religions-, Politik- und Sozialwissenschaftler Dr. Constantin Wagner hielt fest, dass es jenseits definitorischer Fragen erst einmal darum ginge, Diskriminierung und Rassismus im Alltag sowie Angriffe auf Muslime festzuhalten. Im Fokus stünde für ihn, diese Dinge in der gesellschaftlichen Debatte als Problem zu benennen. Wagner räumte aber ein, dass der Begriff einer „Phobie“ problematisch sei, denn als solche sei sie eine individuelle Angst, die vom Psychologen behandelt werden könne. Hier behandle man aber ein ­soziopolitisches Problem. Er selbst, so Wagner, zieht den Begriff des „antimuslimischen Rassismus“ vor.
Der Sozialwissenschaftler und -psychologe Yusuf Sari arbeitet seit 2014 bei FAIR International. Der Verein widmet sich der Erfassung und Aufklärung von anti-muslimischer Diskriminierung. Zur gegenwärtigen Lage führte Sari als Beispiel die „Mitte“-Studien an, wonach rund 40 Prozent der Befragten sich gegen eine muslimische Zuwanderung ausgesprochen hätten. Das sei ein Indikator dafür, in welchem Maße Muslime aufgrund ihrer Religion abgelehnt würden. Ein weiterer Hinweis seien die Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen der Grünen- oder Linkenfraktion. Erst seit 2017 sei Islamfeindlichkeit zu einem eigenständigen Punkt der Kriminalitätsstatistiken geworden. Während für 2016 91 Übergriffe auf Moscheen und Muslime verzeichnet worden seien, habe es im ersten Quartal 2017 bereit 208 gegeben. Diese Zahlen deuteten einen Anstieg im Lande an. Es sei daher wichtig, dass Muslime und ihre Einrichtungen etwaige Vorfälle zur Anzeige brächten.
Für den Unternehmensberater Oguzhan Aksoy, der auch im ATIB-Bundesvorstand sitzt, sei die erfolgreiche Nutzung des antimuslimischen Ressentiments durch Bewegungen wie die AfD Ausdruck einer tiefen Identitätskrise in Deutschland, die durch die Umwälzungen der Globalisierung entstanden sei. Als solche wirkten die Partei und andere als „Brandbeschleuniger“. Hinzu kämen die gewandelte Berichterstattung, die sich in den letzten 30 Jahren von „harten“ zu „weichen“ Fakten verändert habe. Auch in renommierten Medien sei ein AfD-kompatibler Tenor zu spüren. Es reiche aber nicht, sich nur die „Brandbeschleuniger“ anzuschauen, man müsse auch auf die Brandquellen schauen. Für Wagner sei es nur folgerichtig, dass die AfD nun im Bundestag sitze, denn sie habe die nötigen Stimmen im Land bekommen. Jetzt sei ein „Schulterschluss der Parteien“ wichtig. Es brauche ihr Bekenntnis, dass die Haltungen der AfD nicht ihre Positionen darstellen. Eine andere Frage sei, ob die Parteien und der etablierte Diskurs „eine gute Antwort“ darauf hätten, was diese tue. Sie spitze Dinge zu, „die aber in der Gesellschaft vorhanden sind“.
Ibrahim Yazici, studierter Ethnologe und Literaturwissenschaftler, Bertini-Preisträger und derzeit in der Kölner IGMG-Zentrale tätig, sieht die Notwendigkeit für Muslime, das Phänomen anders zu behandeln. Hier sei ein „politischer Islam“ entstanden. „Wir leben Spiritualität nicht aus“ und behandelten Dinge wie antimuslimische Vorurteile aus weltanschaulicher Sicht. Allah wollte, dass es hier Muslime mit ihren Einrichtungen gibt. Diese stünden nun in der Pflicht, sich zu fragen: „Welche Verantwortung kommt auf uns zu?“
Dabei ist die Ablehnung von Allahs Din sowie anderen Menschen kein neues Phänomen. Dem stimmt Samir Schabel zu. Der studierte Erziehungswissenschaftler und Assistent an der Hamburger Akademie der Weltreligionen sieht hierin eine menschliche Urerscheinung. Diese gebe es „schon seit Adam und Iblis. Das war der erste Rassismus“.
Es gäbe aber auch Unterschiede. Im Gegensatz zur Frühzeit des Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sowie seiner ersten Gemeinschaft in Mekka herrsche hier Demokratie und Muslime würden hier auch nicht gequält. Momentan gebe es „eine verminderte Art der Feindlichkeit“, die aber nicht zu unterschätzen sei. Muslime würden darüber klagen, wieso es Islamophobie gäbe. „Wieso sind wir nicht dankbar, hier in einem Land zu sein, in dem wir frei leben können. Wenn wir nicht bitten, dass Allah uns ändert, wird Er unsere Lage auch nicht ändern.“
Nese Bicacki ist Lehrerin, seit 2016 Vorsitzende der Bundesvereinigung für Frauen beim Moscheeverband DITIB und Vorsitzende eines Moscheevereins in Südwestdeutschland. Sie berichtete davon, dass – inmitten einer bereits schon schwierigen Lage für Musliminnen in den Gemeinden – Frauen häufiger in der Öffentlichkeit angefeindet würden. Es werde nicht ausreichend thematisiert, was Musliminnen erleben würden.
Was können wir tun?
Alle Diskutanten in Köln waren sich einig, dass es mit einer kritischen Zustandsbeschreibung alleine nicht getan ist. Oguzhan Aksoy sieht eine Mischung aus äußerem Druck sowie inneren Beschränkungen, die dazu geführt habe, dass es von Seiten bestehender muslimischer Organisationen bisher keine weiterreichenden Maßnahmen gegen Islamophobie gegeben habe. Gegenwärtige Prozesse liefen noch langsam ab. Das Künftige brauche Zeit.
Bisher würden Muslime, und insbesondere Frauen, mit Negativerlebnissen alleine gelassen. Für Nese Bicakci seien Mechanismen wichtig, die einen konstruktiven Umgang mit ihnen ermöglichten. So gebe es diese bei der DITIB, beispielsweise die Webseite ditib-antidiskriminierungsstelle.de. „Aber dort werden nur Angriffe auf Moscheen fest­gehalten, nicht die persönlichen Erlebnisse.“ Gerade in den einzelnen Vereinen müsse Islamfeindlichkeit mit den Jugendlichen thematisiert werden. Auch deshalb, weil sie oft in der Schule, wo eigentlich eine positive Identitätsbildung stattfinden müsste, damit konfrontiert würden.
Für Constantin Wagner sind gesellschaftliche Koalitionen wichtig. Sie könnten alleine „sehr schwer dagegenhalten“. Die wichtigste politische Arbeit bestünde darin, stereotype Verallgemeinerungen aufzulösen. Auch trete die differenzierende Markierung „Muslim“ in den Hintergrund, wo es eine gemeinsame Lebenspraxis gebe. Wenn die Menschen zusammenkämen und „sich selbst im Anderen sehen können“. Sind Muslime im Umweltschutz aktiv oder arbeiten als Lehrer oder Polizisten, werde die Aufrechterhaltung von Vorurteilen viel schwieriger.
Auf praktischer Ebene sieht Yusuf Sari noch einiges an „Luft nach oben“. Muslimische Verbände in Deutschland hätten den Aufbau eines Gegenstücks zur Lobbyorganisation CAIR in den USA „etwas verschlafen“. Sie könnten hier eine Einrichtung gründen, die eigenen Leute dorthin schicken, Gelder investieren, sodass die nötige praktische Arbeit erfolge. Das vorliegende Phänomen sei nicht zu unterschätzen. „Wir alle haben eine große Verantwortung. (…) Wenn wir uns selbst vernetzen, und uns Ressourcen zur Verfügung stellen, können wir mehr erreichen.“
Samir Schabel sieht auch Deutschlands Muslime selbst in der Pflicht. In den isla­mischen Quellen fänden sich Hinweise auf den Umgang mit Islamfeindlichkeit. Wir müssten der Negativität mit Posi­tivität begegnen. „Und natürlich aktiv sein, nicht passiv.“