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Was tun mit den Geflohenen in Bosnien?

Sarajevo (iz). Anlässlich des Internationalen Tag der Migration verlautbart die Plattform für Fortschritt (Platforma za progres) folgende Stellungnahme zu den aktuellen Geschehnissen bezüglich der Flüchtlingskrise in Bosnien und Herzegowina:
Die Plattform für Fortschritt bewertet das bisherige Handeln der heimischen Entscheidungsträger und der verantwortlichen internationalen Akteure angeführt von der Europäischen Union als nicht durchdacht, ineffektiv und potenziell gefährlich besonders in Sicherheitsfragen, wenn es um die Leitung und Steuerung der zweijährigen Flüchtlingskrise in unserem Land geht. Die Resultate der verwendeten 34 Millionen Euro, die seitens der Europäischen Union in verschiedene Arten der Hilfe bei der Lösung der Flüchtlingskrise von Januar 2018 bis zum heutigen Tag geflossen sind, stehen in keinem proportionalen Verhältnis zu den erreichten Ergebnissen.
Insgesamt lässt sich sagen, dass sie in der Gesamtbetrachtung nicht zufriedenstellend sind. Im besagten Zeitraum haben circa 50.000 Geflüchtete Bosnien und Herzegowina betreten, ungefähr 42.000 Geflüchtete sind über Bosnien und Herzegowina weiter in die EU gezogen, die als Asylanten und Flüchtlinge im Transit sind. Um die 8.000 Geflüchtete befinden sich in acht vorübergehenden Zentren für die Unterbringung von Migranten, wobei diese sich nur in einem der zwei bosnisch-herzegowinischen Entitäten befinden beziehungsweise in vier von zehn Kantonen dieser Entität.
Wenn man mit der Improvisation in der Lösung dieser wichtigen Frage der Steuerung von illegaler Migration fortfährt, wird kontinuierlich auch das Risiko einer Verschärfung der allgemeinen Sicherheitslage und Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung Bosnien und Herzegowinas steigen. Dies gilt auch für die Geflüchteten, die schlecht beraten worden sind, Hilfe bei den Institutionen unseres Landes einzuholen, die es noch immer nicht geschafft haben bestimmte Mechanismen und Kapazitäten zu schaffen, um der eigenen Bevölkerung effektiv zu helfen.
Nach dem grausamen Krieg, wo jeder zweite Einwohner sein Heim verlassen musste, hat Bosnien und Herzegowina es bis heute nicht geschafft, die nachhaltige Rückkehr von zehntausenden Binnenvertriebenen zu gewährleisten, die seit dem Krieg in Kollektivzentren untergebracht sind. Ebenso hat das Land mit hunderttausenden Arbeitslosen zu kämpfen und Rentnern, welche sich nicht mal die Grundlebensmittel und Medikamente von ihren ehrlich verdienten Renten leisten können, die jahrelang miserabel sind. Leider leben in Bosnien und Herzegowina viele Menschen an der Armutsgrenze oder unterhalb von ihr, während die produktivsten und am besten qualifiziertesten Bevölkerungsgteile das Land in Richtung EU verlassen, um dort eine Anstellung und ein sicheres Lebensumfeld zu finden.
Das Betrachten der heimischen Öffentlichkeit und weiterer Teile bezüglich der Folgen der Migrantenkrise und hier ausschließlich auf ihren humanitären Teil, wird nicht zu Lösung des Problems führen. Das Grundproblem, welches Bosnien und Herzegowina alleine nicht lösen kann, ist der nun zwei Jahre andauernde illegale Grenzübertritt unserer Landesgrenzen, welcher in sich weitere Sicherheitsgefahren und weitere Probleme birgt. Das humanitäre Problem ist die Folge und nicht die Ursache der andauernden Flüchtlingskrise. Die Frage der Migration ist per Definition ein globales beziehungsweise multilaterales Phänomen und kann nicht erfolgreich ohne die Koordination mit den Nachbarn und anderen Akteuren, die sich erfolgreich mit diesem Problem auseinandersetzen, gemeistert werden. Die kulturellen und allgemeinen politischen Aspekte der Migrantenkrise sind in ihrer Gänze ausgeblendet.
Wir rufen sie Verantwortlichen der Generaldirektion der Europäischen Kommission für Migration und Inneres, internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, Zivilschutz und Operationen humanitärer Hilfe, Nachbarschaftspolitik und EU-Erweiterungsgespräche, für Wirtschafts- und Finanzfragen und für Arbeit, soziale Fragen und Inklusion, ebenso das Amt für Außenpolitik der Europäischen Union auf, in Partnerschaft mit dem Präsidium Bosnien und Herzegowinas, welches verantwortlich ist für Außenpolitik, gemeinsam mit anderen zuständigen Institutionen in Bosnien und Herzegowina ein gemeinsames Treffen mit den Vertretern der Institutionen des West-Balkans auf höchstem Rang zu organisieren, um einen verständnisvollen Umgang bei der Steuerung der Migrantenkrise in dieser Region zu schaffen.
Hierbei sollte dieser auf Tatsachen, realen Projektionen und gleichen Standards im Bereich der Migration basieren, welche die EU selber immer wieder einfordert. Die Länder des West-Balkans verfolgen dabei nicht das Motto: „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaub.t“ Wir möchten nicht, dass für Bosnien und Herzegowina, welches der EU beitreten will, irgendwelche “besonderen” Standards gelten, wenn es um Migrationspolitik oder eine andere EU-Politik geht. Bosnien und Herzegowina will eine volle Anwendung der EU-Standards, wenn es um Migration und andere Bereiche der EU geht, besonders im Bereich Rechtsstaatlichkeit. Dies ist die rote Linie, die besonders die bosnisch-herzegowinischen politischen Akteure nicht unterstreiten dürfen. Besonders in Anbetracht der Dinge, die dieses Land durchlebt hat, als „Sonderfall“ behandelt zu werden, wenn es um heimisches und internationales Recht geht,
Die Position der Plattform für Fortschritt ist, dass die EU auf der vollen Freiheit der Bewegung von Menschen und Waren, von Dienstleistungen und Kapital in Bosnien und Herzegowina pochen muss, wenn sie diese Freiheiten auch selbst in den Mitgliedsstaaten ermöglicht. Es ist nicht hinnehmbar, dass die Europäische Union gleichzeitig auf die Freiheiten pocht, welche sie selber bei den Ländern einfordert, die der EU beitreten wollen, wenn diese Freiheiten offensichtlich in den EU-Mitgliedsstaaten bestehen oder in signifikanter Weise begrenzt sind.
Es ist bekannt, dass einige EU-Mitgliedsstaaten offen die Bewegung von Migranten verbieten indem sie Zäune und Wände an den Grenzen hochziehen, während andere unter Androhung von Waffengewalt und Nötigung Migranten mit dunklerer Hautfarbe nach Bosnien und Herzegowina zurückbringen. Es ist ebenso bekannt, dass die EU auf der Suche nach qualifizierten Fachkräften aufgrund der ständigen Bevölkerungsalterung ist. Solche Arbeitskräfte braucht Bosnien und Herzegowina ebenso.
Unserem Land passt es längerfristig nicht die Position eines Kollektivzentrums für Geflüchtete inne zu haben, während die EU aus der Ferne diese steuert, während die heimischen qualifizierten Fachkräfte das Weite suchen und in die EU ziehen. Der demographische Verlust für Bosnien und Herzegowina ist enorm und wir erwarten von der EU, dass sie uns dabei helfen dies abzufedern, indem sie, zum Beispiel, Projekte der ethischen Rekrutierung von Arbeitskräften einführt, welche die Europäische Kommission vorschlägt und nicht mit der unverantwortlichen Förderung von Programmen fortfahren, die die Emigration von defizitären Strukturen von Menschen aus Bosnien und Herzegowina in die EU zur Folge haben.
Wir rufen die Institutionen Bosnien und Herzegowinas dazu auf, dass sie niemandem in der Gänze ihr Mandat für die Implementierung von Aktivitäten und die detaillierte Berichterstattung über die Migrantenkrise, den Stand und die Anzahl der verletzlichen Kategorien von Migranten einschließlich der Binnenvertriebene in BiH überlassen. Die Zeiten sind vorbei, wo der UNHCR den Asylantragsstellern in Bosnien und Herzegowina einen Flüchtlingsstatus zuteilte, ebenso die Kriegszeiten, als die UN den Frieden im Krieg durchgeführt hat, der in unserem Land gewütet hat und offiziell die Bevölkerung in sogenannten Schutzzonen, siehe Srebrenica 1995, „geschützt“ hat. Wir hoffen, dass solche Zeiten nie zurückkehren.
Vom Sicherheitsministerium Bosnien und Herzegowinas fordern wir detaillierte Wochen- und Monatsberichte über die Anzahl, den Status und die Bedürfnisse der Geflüchteten in allen Landesteilen ein. Vom Ministerium für Menschenrechte und Flüchtlinge Bosnien und Herzegowinas und den verantwortlichen Ministerien auf Entitätsebene fordern wir die Bestätigung über die Schließung der Kollektivzentren der Binnenvertriebenen Bosnien und Herzegowinas ein, was im Jahr 2015 angekündigt wurde. Ebenso fordern wir Monatsberichte über die nachhaltige Rückkehr und die humanitären Bedürfnisse aller verletzlichen Kategorien in Bosnien und Herzegowina einschließlich der Flüchtlinge und Personen unter dem internationalen Schutz Bosnien und Herzegowinas ein.
Wir fordern vom UNHCR, der IOM und anderen Institutionen, dass sie den Institutionen Bosnien und Herzegowinas dabei als Partner helfen und wollen nicht, dass sie deren Arbeit übernehmen, für welche sie nicht bevollmächtigt sind. Von den internationalen Organisationen und Institutionen, die mit der Migrantenkrise in unserem Land beschäftigt sind, fordern wir, dass die Löhne und Gehälter ihrer ausländischen Experten in ihren Finanzberichten gesondert hervorgehoben werden und dies nicht als direkte finanzielle Hilfe für Bosnien und Herzegowina abzurechnen, wobei die lokale Bevölkerung für die Ausübung solcher und ähnlicher Arbeiten nur temporär angestellt werden und dabei häufig heimische Arbeitsgesetze missachtet werden. Man kann nicht einerseits Rechtsstaatlichkeit einfordern und andererseits Sozialbeiträge für lokale Arbeitskräfte nicht einrichten.
Man kann nicht für dieselbe oder ähnliche Arbeiten ausländische Experten bis zu zehnfach mehr bezahlen als einheimische Experten, da dies diskriminierend ist und nicht mit den geltenden Gesetzen Bosnien und Herzegowinas zu vereinbaren ist. Dies ist weder im Einklang mit der Europäischen Konvention über den Schutz der Menschenrechte, der UN-Deklaration über die Menschenrechte noch mit der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation, welche Bosnien und Herzegowina ratifiziert hat.
Seitens der Koordinierungsstelle für Migrationsfragen in Bosnien und Herzegowina, welche der Ministerrat Bosnien und Herzegowinas im Einklang mit der gültigen Strategie für Migration und Asyl in Bosnien und Herzegowina initiiert hat, ersuchen wir, dass sie professionell und gewissenhaft ihre Arbeit erfüllen und die Öffentlichkeit regelmäßig über ihre Webseite informieren, die dafür dringend eingerichtet werden muss, welche Maßnahmen in Angriff genommen werden, um dieses Problem im Bereich der Migration in Bosnien und Herzegowina zu lösen. Das Mandat dieser Stelle schreibt klar vor, dass die Steuerung und Lenkung der Migrationskrise in Koordination mit allen verantwortlichen Institutionen in Bosnien und Herzegowina vollzogen werden muss.
Über die Plattform für Fortschritt
Die Plattform für Fortschritt (bosnisch: Platforma za progres) ist eine neue politische Organisation in Bosnien und Herzegowina. Die Gründungsversammlung wurde am 25.11.2018 in Sarajevo abgehalten, während die 2. Mitgliederversammlung am 24.11.2019 in Banja Luka abgehalten wurde. Der Präsident der Plattform für Fortschritt ist Prof. Dr. Mirsad Hadžikadić, der als unabhängiger Kandidat bei den letzten Präsidiumswahlen kandidierte und aus dem Stehgreif 10 Prozent der Stimmen (ca. 60.000 Stimmen) erhielt. Die Plattform für Fortschritt ist in sechs Regionen entitätsübergreifend organisiert, benannt nach den sechs wichtigsten Flüssen des Landes (Una, Vrbas, Bosna, Drina, Neretva, Sava). Die siebte Region ist die Diaspora, wo sie in elf Ländern durch Repräsentanten vertreten ist. Die circa 6.500 Mitglieder (siebengrößte Partei bezüglich Mitgliederanzahl) leben in über 71 Ländern der Welt.