,

Wege aus der Depression: Was tun mit der Islamophobie?

Ausgabe 276

Foto: IGMG Presseabteilung 2017

(iz). In der Forschung und Diskussion über das Thema haben sich mittlerweile mehrere Begriffe entwickelt: Islamophobie, Islamfeindlichkeit, Muslimfeindlichkeit, antimuslimischer Rassismus oder – sehr allgemein – gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Da es im folgenden Text nicht um die Behandlung des antimuslimischen Vorurteils selbst geht, werden sie hier synonym verwendet. Obwohl sie stellenweise andere Facetten der Sache beschreiben, setzt der Autor sie der Einfachheit halber gleich.
Längst hat sich die Existenz von antimuslimischen Diskursen, von Parteiungen und Bewegungen, die sie instrumentalisieren, und – als eine extreme Ausprägung – von resultierenden Hassverbrechen bei vielen durchgesetzt. Sie wird über die muslimischen Gemeinschaften hinaus an Universitäten sowie in vielen Medien mehr oder weniger intensiv behandelt. Erwähnenswert ist für den deutschsprachigen Raum die langjährige Arbeit von Prof. Dr. Farid Hafez. Vor Kurzem stellte er in Ankara den dritten Jahresband des von ihm mit herausgegebenem „European Islamophobia Report“ vor.
In seiner quantitativen Verwendung ist Islamophobie im innermuslimischen Gespräch sowie in den muslimischen Selbstäußerungen in die Mehrheitsgesellschaft in relativer Hinsicht zum am häufigsten genannten Thema geworden. Durchaus mit gutem Grund: Die seit Anfang 2017 neu eingeführte Kategorie von antimuslimischen Hassverbrechen in der Kriminalitätsstatistik, die Alltagserfahrung vieler Muslime sowie die Eskalation des öffentlichen Diskurses über die Muslime in Deutschland lassen die Häufigkeit der Behandlung dieses Themas als vernünftig erscheinen.
Daran ist nichts auszusetzen. Die hier zur Debatte stehende Frage ist hingegen die Art und Weise, wie Muslime sich mit dem Thema beschäftigen und welche Auswirkungen das jetzige Denken darüber für die muslimische Community und den Einzelnen hat. Es scheint mir mitnichten der Fall zu sein, dass die bisherige Form der Auseinandersetzung mit Muslimfeindlichkeit folgenlos für uns blieb.
Einer der ersten Gründe, mich auf das Thema einzulassen, ist die Frage, ob die relative Dominanz dieses Phänomens zu handfesten und nennenswerten Konsequenzen führt. Von Ausnahmen einzelner Projekte und NGOs wie FAIR International gab es bisher kaum Anstrengungen, materielle und geistige Ressourcen für einen aktiven Umgang aufzubringen. Einerseits diskutieren wir häufig und immer professioneller über Muslimfeindlichkeit. Andererseits bleibt es in der Sphäre des Handelns seltsam still. Das mag auch an den Theoriegebäuden liegen, mit denen Muslime dieses Vorurteil deuten. Nicht selten folgen sie jenen Stimmen, die skeptisch sind, ob Muslime hier selbst aktiv werden können oder sollten.
Die nächste Frage ist, ob die Erfahrung mit Islamophobie – die eine direkte oder indirekte sein kann – Einfluss auf unser Denken oder gar unseren Glauben genommen hat. Äußere Entwicklungen sind leichter zu beschreiben. Dazu gehören beispielsweise Dinge wie zugenommene Selbstabgrenzung oder eine dialektische Identitätsbildung. Es gibt aber Hinweise auf einen Einfluss auf die innere Glaubenslandschaft der Muslime, die Zunahme von Selbstzuschreibungen als Opfer auf existenzieller Ebene und die Verinnerlichung von Ressentiments.
Sozialforschung, Kriminalitätsstatistiken und andere empirische Grundlagen sind sicherlich unumstritten und unproblematisch. Offen ist allerdings, ob der Diskussionsstand des Themas sowie seine methodologischen Grundlagen eine Rückwirkung auf die innermuslimische Diskussion nehmen. Im deutschsprachigen Raum folgt die übergroße Mehrheit muslimischer Beiträgen bei der Theoriebildung und Interpretation des antimuslimischen Vorurteils einem linken, post-marxistischen Verständnis. Es wird beinahe ausnahmslos in politischer, medialer, soziologischer und rechtlicher Hinsicht unter säkularen Vorzeichen abgehandelt. Bisher kam es mit einigen Ausnahmen nicht zu einer Konvergenz mit islamischen Wissenschaften beziehungsweise einer spirituellen Deutung des Phänomens.
Konsequenzen
Es stellt sich nicht zu Unrecht die Frage, inwiefern – auch in Hinblick auf die Rückbindung zur Lehre – ein unreflektierter und stellenweise unbewusster Umgang mit Muslimfeindlichkeit nicht zu unerwünschten Konsequenzen führt. Verarbeiten wir persönliche Erfahrungen oder abstrakte Diskurse nicht oder unzureichend, können die Folgen negative Auswirkungen haben. Schon jetzt zeichnen sich, wie bereits oben beschrieben, einige Effekte des bisherigen Umgangs mit Islamophobie ab:
1. Der unreflektierte Import säkularer Diskurse und Theoriegebäude in das muslimische Denken, ohne dass diese in Bezug zur Lehre gesetzt beziehungsweise einer kritischen Revision unterzogen werden. Lässt sich denn, möchte man fragen, das antimuslimische Vorurteil von genuin muslimischer Warte verstehen, wenn philosophische und spirituelle Fragen ungestellt bleiben?
2. Wie bereits erwähnt nimmt das Thema Islamfeindlichkeit seit Jahren erheblichen Einfluss auf die Kommunikation von Muslimen untereinander sowie mit der Mehrheitsgesellschaft. Selbst ein oberflächlicher Blick auf die Pressemitteilungen von Dachverbänden und Meta-Dachverbänden legt diesen Schluss nahe. Das ist wie gesagt verständlich und wohl auch angezeigt, wenn wir die seit Anfang 2017 geführte Kriminalitätsstatistik für antimuslimische Hassverbrechen anschauen.
Setzen wir die Quantität dieser Frage aber in Bezug zu den aufgewandten Ressourcen, offenbaren sich Diskrepanzen. Abgesehen von namhaften Ausnahmen wie dem bereits erwähnten FAIR International und anderen wurde hier bisher kein Geld in die Hand genommen. Noch stärker wird der Kontrast, wenn man diesen Sachverhalt mit getätigten oder geplanten Immobilien- und Bauvorhaben der Verbandsspitzen in Zusammenhang setzt. Um es aber nicht nur bei einer wohlfeilen, aber unproduktiven „Verbandsschelte“ zu belassen, richtet sich die Frage nach der Aufwendung von Ressourcen für einen produktiven Umgang mit diesen Phänomenen an die muslimische Gemeinschaft als Ganze. Wenn es stimmt, dass freie Hilfsorganisationen, die entsprechenden Abteilungen von Dachverbänden sowie Privatpersonen jährlich Dutzende Millionen Euro an Spenden, Nothilfe und Aufbauhilfe ins Ausland schicken, lässt sich fragen, warum die Bekämpfung des hiesigen Problems bisher nicht die Mobilisierung nötiger Ressourcen bewirkt.
3. Ungeachtet, ob es sich um selbst erlebte Diskriminierung handelt oder Fremderfahrungen, brauchen wir eine reflektierte Aufarbeitung. Ansonsten besteht – wie bei jedem Trauma – die Gefahr, dass Einzelne oder Teilsegmente in der muslimischen Gemeinschaft (sicherlich aus nachvollziehbaren Gründen) Ressentiments entwickeln.
4. Analog zur Erklärungsweise vieler, wonach Islamophobie ausschließlich ein Problem der Mehrheitsgesellschaft sei, und die betroffene Minderheit wenig zu ihrem Ende beitragen könne, richtet sich der Blick nach außen. Es herrscht stellenweise ein erstaunliches Vertrauen, dass Staat und Politik es richten könnten. Und das, obwohl Letztere ja auch für die Entwicklung des heutigen antimuslimischen Rassismus mitverantwortlich gemacht wird.
Das Symptom
Die muslimische Gemeinschaft, ihre Teilelemente und Individuen entwickeln beziehungsweise manifestieren als Reaktion auf die evidente Islamfeindlichkeit im gewissen Sinne auch eine Symptomatik. Mit der Beschreibung dieses Phänomens ist mitnichten eine Kritik oder ein Vorwurf verbunden. Gemeint ist, dass die Dauerpräsenz islamophober Diskurse diese jenseits konkreter Anlässe zu einer wirksamen Größe werden lässt. Zeitgleich rufen sie Denk- und Reaktionsmuster hervor, die stellenweise unbewusst und unreflektiert bleiben. Das sich dabei entwickelnde Symptom wird dabei auch als Ritual ausagiert. Dabei haben sich bestimmte Aspekte herausgebildet:
1. Die Antwort aus der muslimischen Gemeinschaft auf und ihr Nachdenken über die Existenz antimuslimischer Angriffe erfolgt mitunter in der Form eines automatisierten Reiz-Reaktions-Schemas. Es besteht mindestens aus diesen Elementen: Angriff, Empörung, Protest und Rückzug. Angesichts des Vorhandenseins antimuslimischer Vorurteile sowie einer gestiegenen Frequenz diskursiver Attacken aus dem öffentlichen Raum hat sich daraus ein wiederkehrendes Verhalten entwickelt.
2. Gelegentlich nutzen marginale Gruppierungen und Netzwerke gesellschaftliche Diskussionen oder Angriffe zur eigenen Stärkung. Sie haben gelernt, mit islamophoben und antimuslimischen Phänomenen – im Rahmen einer universalen Rhetorik – für sich zu mobilisieren. Eines der aktuellsten Beispiele dafür ist der nordrhein-westfälische Vorschlag, das Kopftuch für Mädchen unter 14 Jahren zu verbieten. Durch Lautstärke und eine erheblichen Reichweite im virtuellen Raum suggerieren sie ihrem Zielpublikum Aktion. Und behaupten implizit einen Führungsanspruch. Das liegt auch an Lücken, die von ihnen anstatt den Mehrheitsmuslimen besetzt werden. In diesen Diskursen werden marginalere Themen ins Zentrum der innermuslimischen Aufmerksamkeit gerückt und dienen – jenseits ihrer eigentlichen Relevanz für die Muslime und der Prioritätenlehre des Dins – als Aufhänger für den eigenen Anspruch.
3. Es kommt auch vor, dass sich einige Muslime oder Teilsegmente der muslimischen Gemeinschaft(en) – auch wegen der Filterblasigkeit unseres virtuelllastigen Gespräches – aus und dank der Islamfeindlichkeit eine dialektische Wirklichkeit konstruieren. In dieser Betrachtungsweise erscheinen „die Deutschen“ (immer häufiger auch ein Synonym für Nichtmuslime) als Gegensatz zu „den Muslimen“. Es hat den Anschein, als wäre der Freund-Feind-Gegensatz muslimfeindlicher Diskurse im neuen Gewand auf muslimischer Seite aufgetaucht – nur mit vertauschten Rollen. Eine dringend benötigte Differenzierung tritt dabei in den Hintergrund.
Anstatt einer gesunden Mischung aus positivem Aktivismus, dem es um die konkrete Lösung realexistierender Probleme geht, der Miteinbeziehung unserer essenziellen Glaubenslehre, wonach Schwierigkeiten beispielsweise die Funktion einer Reinigung oder Prüfung haben können, sowie einer insgesamt dynamischen Realität, in der diese Komponenten eingebettet sind, entsteht stellenweise ein Rückzug in identitäre Echokammern. Das mag von der Warte des Individuums aus sinnvoll erscheinen, kann sich aber im Sinne der Gesamtgemeinschaft negativ auswirken. Ein Beispiel für diese Symptomatik ist die Rückkehr mancher zum Ethnozentrismus alter Tage. Und das betrifft gerade auch jene, für die „die alte Heimat“ Teil eines nie selbst erlebten Narrativs ist.
4. Nicht nur, aber auch hier werden die islamischen Kenntnisse von Relevanz und Priorität sowie eines dem Kontext angepassten Denkens auf den Kopf gestellt. Auch dank einer fehlenden PR-Lobby sowie äußeren Umständen führt dieser Aspekt der Symptomatik dazu, dass Themen und Diskurse ins Zentrum der muslimischen Identität vordringen, deren Relevanz und Priorität weder hinterfragt noch ausgehandelt wurden.
Einer der Effekte von Angriffen aus dem geistigen Raum (der trotz seines zivilen Charakters immer militanter wird) ist, dass der Angegriffene wegen der Dauer und der Heftigkeit der Attacke das Objekt des Angriffs mit seinem Ziel verwechselt. Und so verteidigt er es, ja hält es gar für die Sache selbst oder womöglich seine Identität, und stellt es in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Schon bei Sun Tzu können wir lernen, das die beste Schlacht diejenige ist, die nicht geführt wird. Das gilt vor allem dann, wenn einem sämtliche Parameter eines Angriffes von außen aufgezwungen werden. Der geistige Angriff aus den dominanten Diskursen bewirkt, dass das Objekt des Angriffes zur Priorität gemacht wird. Das heißt, Muslime übernehmen unbewusst die Idee, es handle sich bei den Themen der Kritik um „Islam“.
Das Denken ändern?
Im Folgenden geht es mir nicht darum, einen abgeschlossenen Handlungsplan oder ein vollumfassendes Konzept abzuliefern. Das wäre vermessen. Ich möchte aber dazu anregen, bestehende denkerische Probleme bezüglich unseres Umgangs mit Islamophobie zu erkennen und in Folge anzugehen.
1. Europa, ja die ganze Moderne sind in der Krise. Zur Einordnung der Erfahrung sowie zur eigenen Selbstverortung ist es von entscheidender Bedeutung, dass Deutschlands Muslime das islamophobe Phänomen im Kontext einer größeren Krise begreifen. Nicht nur Deutschland, ganz Europa befindet sich inmitten einer Vielzahl von systematischen Krisen. Dazu gehören Kriege und Spannungen an seinen Außengrenzen, die größte Finanzkrise der Menschheitsgeschichte sowie eine durch Globalisierung ausgelöste Identitätskrise. Insofern ist es wichtig, dass Muslime ihre Erfahrungen in den größeren Kontext dieser Krisenhaftigkeit dieser Zeit einordnen.
2. Wir brauchen mehr Differenzierung. Die Erfahrung mit Islamfeindlichkeit als gesellschaftliches Phänomen sowie ein stetig wahrgenommener Druck verengen den Blick der muslimischen Gemeinschaft auf diese Dinge. Die gesamte Erfahrung von Welt, Zeit und Ort wird in ihrem Sinnzusammenhang gedeutet. Das heißt, dass wir nicht mehr antimuslimischen Rassismus als eine Teilfacette unserer Erfahrung von Welt und ihrer Zusammenhänge begreifen, sondern unsere konkrete Welt im Lichte dieser Phänomene und ihrer konkreten Erscheinungen deuten.
Dabei wird übersehen, dass Muslime – kollektiv wie gemeinschaftlich – mindestens genauso häufig erfolgreich und harmonisch in einem Land leben, dessen Teil sie offenkundig sind. Auf jede angegriffene Moschee kommen beispielsweise Hunderte, die Gott sei Dank unbehelligt bleiben.
Kurzum gilt: So wie ein delinquenter Jugendlicher aus einer libanesischstämmigen Familie in Essen-Nord noch keinen kriminellen Familienclan ausmacht, so wenig steht der einzelne AfD-Wähler für den imaginierten Islamhass aller Deutschen.
Außerdem müssen wir lernen, unsere gemeinschaftlichen Realitäten mit dem Auge des Anderen zu sehen. Und dann werden wir feststellen müssen, dass es natürlich auch in unseren Reihen Dinge gibt, die – wenn sie so gesehen werden – auf jeden Fall erklärungsbedürftig sind.
3. Gemeinschaftlich gut aufgestellt. Gerade im Gespräch mit betroffenen Individuen oder Gemeinschaften wird schnell deutlich, dass die direkte Erfahrung (im Gegensatz zur vermittelten) mit islamophoben Phänomen diese oft in der Verarbeitung überfordert. Hier braucht es die Dschama’at der Muslime als Ganze.
Diese Gemeinschaft muss sich vor betroffene Einzelne und muslimische Einrichtungen stellen und ihnen helfen. Es gehört eigentlich zum spirituellen Grundwissen, dass der Dienst am Nächsten in sich eine positive Rückwirkung hat. Wenn wir anderen helfen, wird Allah uns helfen.
Insbesondere Frauen dürfen nicht länger zur individuellen Zielschreibe für islamophoben Hass gemacht werden. Hier sind insbesondere die Männer sowie bestehende – oder zukünftige – muslimische Strukturen gefragt. Dafür braucht es aber auch einen aktiven Willen, dominante Diskurse zu ändern, sodass nicht immer nur über die Themen Kopftuch und Frauen gesprochen wird. Es drängte sich in der Vergangenheit nicht ganz zu Unrecht der Verdacht auf, dass muslimische Frauen auch, anstatt einer aktiven Rolle von Männern und Gemeinschaften, als symbolische Darstellung des Islam in Deutschland genutzt wurden.
4. Änderungen der Wahrnehmung. Wir müssen uns fragen: Warum fokussieren sich die eigene und die fremde Wahrnehmung von dem, was Islam oder muslimisches Leben sei oder sein soll, so sehr auf negativ besetzte Symbole? Warum nimmt uns die Außenwelt nicht im zivilgesellschaftlichen Zusammenhang wahr? Historisch gesehen waren Muslime und muslimische Kulturen bis zur Kolonialzeit für ihre Verfeinerung, ihren Reichtum und ihre zivilgesellschaftlichen Errungenschaften bekannt. Vielleicht ist die einflussreiche Wahrnehmung von Muslimen über negativ besetzte Symbole auch der nötige Ansporn dazu, dass wir uns durch positive Dinge wie Dienstleistungen, Verbesserungen unseres Umfelds etc. bei den Menschen ins Gedächtnis bringen.
5. ‘Aqida. Wenn wir unseren ganzheitlichen Din ernstnehmen, müssen wir uns mit unseren theologischen Grundfragen beschäftigen. Sie berühren Aspekte der Glaubenslehre (‘Aqida) und der spirituellen Praxis (‘Tasawwuf). Gibt es eine weiterführende Bedeutung von Islamophobie? Was will Allah uns damit sagen? Sind die äußeren Verhältnisse eine Reflexion auf innere Zustände der Gemeinschaft? Was müssen wir tun, damit sich unsere Lage ändert? Nur unter Berücksichtigung solcher Aspekte scheinen mir Alternativen überhaupt denkbar.
Alternativen
Es gibt meiner Meinung nach einige wichtige Aspekte, aus denen sich Gegenangebote zum jetzigen Umgang mit Islamophobie formulieren lassen.
1. Gemeinschaft. Für einen produktiven Umgang mit Islamfeindlichkeit brauchen wir eine funktionierende Gemeinschaft. Hier können – im Gegensatz zur individualisierten Isolation – konstruktive Maßnahmen und Alternativen zum bisherigen Umgang mit dem Phänomen erarbeitet und umgesetzt werden.
Sie ist auch deshalb notwendig, um einen den nötigen Konsens darüber formulieren, was zu tun sei. Ein echtes Zusammenkommen vervielfacht nicht nur unsere Möglichkeiten, es beugt ebenso der Gefahr eines eskalierenden Subjektivismus in der Wahrnehmung und Verarbeitung von antimuslimischen Vorurteilen vor.
2. Ressourcen. Für einen ernsthaften Umgang mit antimuslimischem Rassismus werden ernstzunehmende materielle und geistige Mittel benötigt. Dafür braucht es ein Mindestmaß an gemeinschaftlicher Autorität, die über die Verteilung ihrer Ressourcen entscheiden kann. Wir brauchen ein ständiges Büro, idealerweise in der Hauptstadt, wo unter anderem professionelle Juristen, Medien- und PR-Fachleute arbeiten. US-amerikanische Muslime machen uns seit Jahren mit dem Rat für Amerikanisch-Islamische Beziehungen (CAIR) vor, wie sich das bewerkstelligen lässt. Ungeachtet, ob eine solche Einrichtung in jedem konkreten Vorfall Erfolg haben wird oder nicht, sie ist nicht nur ein Signal, dass Muslime hier überzeugt vorgehen, sondern hilft Muslimen auch aus dem Zustand der Passivität heraus. Zumal eine solche – idealerweise – kollektiv unterstützte Einrichtung den Kifaja-Aspekt dieser Aufgabe unterstreicht.
In praktischer Hinsicht brauchen Moscheen und andere muslimische Einrichtungen eine substanzielle Vernetzung mit ihrem direkten Umfeld. Ein gutes Verhältnis zu diesem schafft erweiterten Schutz und bindet sie in die Nachbarschaft ein. Das nähere sowie das weitere Umfeld muss – jenseits abstrakter „Werte“ – auch die nötige Motivation haben, Muslime nicht nur zu „tolerieren“, sondern auch in seinem Eigeninteresse zu verteidigen.
Schlussendlich geht es bei der Frage nach den Ressourcen auch um die Frage nach den mondänen Mitteln. Derzeit schicken Muslime über unabhängige Hilfsorganisationen, humanitäre Abteilungen muslimischer Dachverbände und als Privatpersonen vielleicht Dutzende Millionen Euro jährlich als Hilfe und Spenden ins Ausland. Selbst, wenn nur ein Jahr lang ein Teil dieser Mittel für den kollektiven Umgang mit Islamfeindlichkeit aufgewendet werden würde, hätte eine solche Einrichtung, idealerweise eine Stiftung, ausreichend Mittel für eine professionelle Arbeit.
3. Das Gebet. Schlussendlich sind wir Muslime – wie bei allen Dingen dieses Lebens – auf unseren Schöpfer angewiesen. Ohne Seine Hilfe und Seine Zufriedenheit kann uns per Definition nichts gelingen. Dafür brauchen wir nicht nur eine funktionierende spirituelle Lebensweise, sondern auch das Gebet und Allahs Anrufung. Denn letztendlich verhindert das Wissen, dass alle Macht bei Allah ist, das Gefühl der Machtlosigkeit. Geht es uns wirklich um einen erfolgreichen Umgang mit Islamophobie, können wir uns vor der Notwendigkeit dieser Dinge nicht verschließen.