Die nationalen Parteien haben in Bosnien gewonnen. Was sind die Folgen?

Ausgabe 233

Die national-konservativen der Bosniaken, Serben und Kroaten haben bei den Wahlen großen Rückhalt bekommen. Vor dem Hintergrund der Entwicklung in den vergangen Jahren, ist das aber kein Grund für Sorge, sondern vielmehr ein Schritt zur besseren Verständigung der drei Ethnien.

(iz). Sonntag, 12. Oktober 2014. Nach einem Superwahltag in Bosnien-Herzegowina haben die Wahllokale um 19 Uhr geschlossen. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk erwartet man standesgemäss, dass ein Gong ertönt, der die ersten Prognosen der Wahlergebnisse ankündigt. Aber, es ertönt weder ein Signal, noch gibt es Prognosen. Statt dessen die Meldung, dass alle Wahllokale geschlossen seien und die Zentrale Wahlkommission (CIK) die ersten vorläufigen Ergebnisse um Mitternacht herausgeben werde. Eine Wahlumfrage, wie sie hierzulande die Institute für Wahlforschung vornehmen, um pünktlich die ersten Hochrechnungen verkünden zu können, werden in Bosnien-Herzegowina nicht gemacht. Die Umfragen vor dem Wahlsonntag haben sich, abhängig vom jeweiligen Anbieter soweit unterschieden, dass CIK die einzig verlässlichen Angaben liefert.

Bosniaken zwischen zehn Kandidaten
Einer der Gründe für das lange Warten auf die Ergebnisse, lag in den, für zugleich mehrere Staatsebenen stattfindenden Wahlen. Die 3,2 Millionen wahlberechtigten Bürger waren aufgerufen, auf der höchsten Staatsebene, für das dreiköpfige Staatspräsidium und das Staatsparlament von Bosnien-Herzegowina, ihre Stimmen abzugeben. Das bosniakische und kroatische Mitglied des Präsidiums werden aus dem Landesteil, genannt Entität Föderation Bosnien-Herzegowina (FBiH), und das serbische aus der Entität Republika Srpska (RS) gewählt. Kandidaten gab es reichlich, vor allem für den Posten des bosniakischen Mitglieds, zehn waren es insgesamt.

Als stärkster Bewerber vor Beginn der Wahlen galt der Amtsinhaber Bakir Izetbegović, der vor vier Jahren den langjährigen bosnischen Politiker Haris Silajdžić ablöste. Izetbegović, Sohn des ersten postkommunistischen bosnischen Staatspräsidenten Alija Izetbegović, zugleich stellvertretender Vorsitzender der bosniakischen national-konservativen Partei der demokratischen Aktion (SDA), setzte in den letzten vier Amtsjahren auf einen schrittweisen Ausgleich zwischen den drei Ethnien, den EU-Beitrittsprozess und eine bessere Verständigung mit den Nachbarstaaten. Für viel Aufsehen sorgten seine enge Bezeigung zur Türkei und Recep Tayyip Erdoğan, wie auch seine Empörung über das während der Februar-Proteste in Sarajevo in Brand gesetzte Gebäude des Staatspräsidiums, in dem sich auch das Staatsarchiv befindet. Izetbegović lehnte seine Kampagne seinem Handeln im vergangenen Mandat an und betonte die Notwendigkeit der Verständigung der Bosniaken, Serben und Kroaten in Bosnien-Herzegowina, der Stärkung der Staatsstrukturen für den EU-und den Nato-Beitrittsprozess, als auch einer besseren Beziehung zu Serbien und Kroatien. Auf die negative Kritik, er orientiere sich zu stark an Ankara, lobte er das Engagement der damaligen türkischen Staatsspitze Erdogan, Gül und Davutoğlu, in einer Serie trilateraler Treffen der türkischen, bosnischen und serbischen beziehungsweise kroatischen Staatsführungen für bessere Verständigung unter den Nachbar gesorgt zu haben. Eine enge Beziehung mit der Türkei als Nato-Mitglied, könne Bosnien auf dem Weg zu deren Beitrittsprozess nur von Vorteil sein. „Die Türkei hilft uns auf unseren Weg in die EU“, so Izetbegović. Befürchtungen, dass die Bosniaken nach Ankara statt Brüssel schauen, seien nicht haltbar.

Izetbegovićs größter Kontrahent ist Fahrudin Radončić, Inhaber der auflagenstärksten Zeitung „Dnevni avaz“ und Vorsitzender des 2009 von ihm gegründeten Bündniss für besseres Leben (SBB). Bei Wahlen für dasselbe Amt vor vier Jahren unterlag er Izetbegovic als zweitstärkster Kandidat. Obwohl Radončić jahrzehntelang als Medienmogul im engen Kontakt mit den regierenden Parteien stand, gab er sich im Wahlkampf als deren erbitterter Widersacher und seit den Februar-Protesten als Mann des Volkes. Ähnlich wie Radončić, präsentierten sich die neugegründete Demokratische Front (DF) und deren Kandidat Emir Suljagić als neue Kräfte, welche die langjährige Herrschaft der SDA beenden wollen. Suljagić selbst und sein Parteivorsitzender Željko Komšić waren bis vor Kurzem unter den führenden Männern der Sozialdemokratischen Partei (SDP), mit Hilfe derer Komšić zweimal in das Staatspräsidium gewählt wurde. Beachtlich dabei ist, dass Komšić als bosnischer Kroate in das Amt gewählt wurde, dies allerdings mehrheitlich mit den Stimmen der Bosniaken. Das sorgte für Aufsehen bei den kroatischen Parteien und der Bevölkerung, da ihr Wille von den bevölkerungsstärkeren Bosniaken übergangen wurde. Die Bosniaken haben zwei Mitglieder für das Staatsamt gewählt und der legitime Wille der Kroaten sei gebrochen, so die kroatische Führung. Prompt wurden die Stimmen nach einer dritten Entität für die Kroaten laut.

Auf diese Herausforderung hat Komšić in seiner Amtsperiode keine Antwort finden können, stattdessen trat er im Zuge der Streitigkeiten innerhalb seiner SDP aus der Partei aus und formierte die DF, mit dem Fokus auf Korruptionsbekämpfung und ethnisch-übergreifender Themen, sowie ökonomischem Fortschritt und dem EU-Beitritt.

Seine alte SDP-Partei schickte für das Präsidentenamt den ehemaligen Fernsehjournalisten Bakir Hadžiomerović, der mit seiner Polit-Sendung „60 Minuten“ im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wöchentlich neue Korruptionsskandale offenlegte. Die Sendung lief bis zum Wahlsieg der Sozialdemokraten im Jahr 2006, danach wurde sie eingestellt.

Für besonderes Aufsehen sorgte die Kandidatur des ehemaligen Oberhauptes der bosnischen Muslime, Mustafa Cerić. Als unabhängiger Kandidat wollte er das Land aus der Misere ziehen und versprach zugleich einen Marschall-Plan für die Wirtschaft. Die islamische Gemeinschaft distanzierte sich umgehend von ihm und beteuerte, sie habe keinen Favoriten. Cerić wurde von keiner Partei ernst genommen, aufgrund der Annahme, er würde das Amt des Reisul-u-lema, welches er 19 Jahre verkörperte, durch sein Eintreten in die Tagespolitik und seine Einmischungen in die Parteienpolitik bei den vergangenen Wahlen, degradieren. So bewegte er sich unter fünf weiteren eher anonymen Provinz-Politikern.

Bei den kroatischen und serbischen Kandidaten war das Spektrum viel übersichtlicher. Um das Amt des kroatischen Mitglieds konkurrierten der langjährige Vorsitzenden der national-konservativen kroatischen demokratischen Gemeinschaft (HDZ) Dragan Čović und sein Herausforderer Martin Raguž, der aus der HDZ heraus, 2006 entstandenen und etwas gemäßigteren konservativen HDZ1990. Während Čović und die HDZ auf Selbstbestimmung bis hin zur Gründung einer kroatischen Entität den Wahlkampf aufbauten, vertrat Raguž einen integrativen Aspekt, der den Gesamtstaats-Patriotismus bei bosnischen Kroatien stärken sollte.

Ähnliche Konstellationen entstanden auch unter den Kandidaten der serbischen Parteien. Željka Cvijanović, Kandidatin des Bundes unabhängiger Sozialdemokraten (SNSD) des in der Republika Srpska regierenden Milorad Dodik, nahm eine extrem-nationalistische, negative Abwehrposition ein. Nach Sarajevo würde sie gehen, um die Selbstbestimmung der Republika Srpska zu vertreten und mögliche Einwände in der Politik dieser Entität zu verhindern. Während Mladen Ivanić vom Oppositionsbündnis um die Serbische demokratische Partei (SDS) auf einem konservativen, aber dennoch konstruktiven und dialogoffenen Standpunkt seine Strategie aufbaute.

Die Positionen der Kandidaten für das höchste Amt im Staat reflektierten auch die Parteien, wenn es um den Wahlkampf für das Parlament ging. Neben Staatsparlament wurden auch die Entitätsparlamente in der FBiH und RS gewählt, in der RS zudem der Entitätspräsident und seine zwei Stellvertreter. Hier machte Milorad Dodik und der SDS-Kandidat Ognjen Tadić das Rennen um den ersten Mann in RS.

In der Föderation wurden zusätzlich zehn Kantonalversammlungen gewählt. Somit waren es drei Staatsebenen, insgesamt 19 Institutionen – ein Superwahltag. Es war also kein Wunder, dass die CIK die ersten vorläufigen Ergebnisse nur für die höchste Staatsebene erst mehrere Stunden nach der Schließung der Wahllokale veröffentlichte und die für alle anderen zur Wahl stehenden Ämter in den kommenden Tagen darauf.

Nationalisten sind Wahlsieger
Deutlich schneller an diesen Abend hatten die Parteien die Informationen über den Ausgang der Abstimmung von deren Beobachtern vor Ort. Gegen 22 Uhr traten die größten Parteien in die Öffentlichkeit: Die SDA verkündete den Sieg von Bakir Izetbegović und ihrer Partei, die HDZ den von Dragan Čović und die serbischen Parteien gaben nur wage Informationen – es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Regierungs- und den Oppositionsbündnissen. Die Zentrale Wahlkommission, bestätige dies zwei Stunden später. In den folgenden Tagen wurden die Stimmen der verschiedenen Ebenen und Institutionen stufenweise ausgezählt, geprüft und veröffentlicht. Die bosniakische SDA triumphierte im Staats- und Entitätsparlament doppelt stark wie die nächststehende SBB beziehungsweise DF. Ebenso erhielt die kroatische HDZ beachtlichen Rückhalt in der kroatischen Bevölkerung. Die Kantone entschieden diese Parteien ebenfalls für sich. Bei den serbischen Parteien konnte die vereinigte Opposition den Staatspräsidiums-Posten für sich gewinnen und legte für die Parlamente deutlich zu, die SNSD erlitt leichte Verluste. Beide Lager sind auf gleichem Niveau, wie eine Regierungsbildung zustande kommen wird, ist ungewiss.

Am folgenden Tag meldeten sowohl bosnische als auch internationale Medien, Bosnien habe nationalistisch gewählt, es seien die alten Kräfte am Werk, die Sozialdemokraten seien unterlegen, das geteilte System werde nur noch mehr fragmentiert.

Aber, behält man die politischen Prozesse des Landes und die Geschehnisse der letzten vier Jahre im Blick, wird man dem Wahlverhalten der Bürger mit dieser Beurteilung nicht gerecht. Veränderungen gibt es, die Bürger haben durchaus mitgedacht – und nicht ausschließlich nationalistisch-motiviert gewählt. Die dominierenden national-orientierten Parteien der Bosniaken, Kroaten und Serben sollten hier nicht nur durch die Prämisse ihres Nationalismus betrachtet werden. Sie stehen auch für Stabilität, Sicherheit und einen langsamen Politikwechsel – alles rein konservative Aspekte.

Die bosniakische SDA, die kroatische HDZ und serbische SDS, die 1995 einen Frieden im amerikanischem Dayton vereinbarten, haben sich seitdem in die Richtung der konservativen Volksparteien entwickelt. Innerparteilich kam es zu Führungswechseln, zu Kämpfen und Abspaltungen. Aus diesen drei Parteien sind ein Dutzend kleinerer entstanden, mehr aufgrund personeller als programmatischer Konflikte. Wiederum wurden alle drei Parteien mehrere Male auf die Oppositionsbank geschickt, was die politische Ausrichtung noch einmal deutlich formte. Sie haben längst gelernt, was es heißt, tagelang zu verhandeln, am Ende aber einen politischen Konsens zu finden – viel besser als es die links-orientierten politischen Kräfte in den vergangenen vier Jahren vormachten.

Sozialdemokratische Regierungen
Betrachtet man die Vielfalt der links-orientierten Parteien in Bosnien-Herzegowina genauer, wird ersichtlich, dass sich auch hier ein bemerkenswerter Wandel vollzogen hat – am deutlichsten ersichtlich bei Milorad Dodik und seinem Bündnis unabhängiger Sozialdemokraten. Einst erbitterter Gegner von SDS-Führer Karadžić, und seiner Politik der ethnischen Säuberung, hat sich Dodik zum nationalen Führer und Verteidiger des Serbentums erklärt. Mit extrem nationalistischen und populistischen Parolen, wie dem Beharren auf dem Referendum zur Unabhängigkeit der RS, seiner Äußerung, dass Sarajevo mit seinen Moscheen für ihn ein neues Teheran darstellt, oder dass ein Muslim kein Richter in der Republika Srpska sein dürfe, hat er schnell die politischen Karten neu gemischt. Nicht mehr die ehemalige SDS, sondern Dodiks SNSD, die das sozialdemokratische Attribut nur noch namentlich beinhaltet, waren die blockadewilligen Kräfte aus der RS. Gezielt lieferte Dodik regelmäßig alarmierende Äußerungen, vom Ende des Staates, seiner Bindung an Putin und der Verachtung (westlicher) Diplomaten in Bosnien-Herzegowina, womit er für einen stets anhaltenden Konflikt im politischen Diskurs sorgte. In manchen Situationen drohte dieser, eine manifeste Dimension anzunehmen. Statt einer sozialdemokratischen Politik und besserer Verständigung mit anderen Volksgruppen, stieg seine Popularität mit der Härte seiner, dem gesamtbosnischen Staat abwertenden Haltung. Der Ausnahmezustand wurde zum Programm, zum täglichen Überleben für Milorad Dodik. Unter diesen Umständen, der konstanten Steigerung des Konfliktpotentials, wurde die Annäherung mit Parteien, der anderen Völker und ein Konsens unmöglich gemacht, es würde Niederlage bedeuten.

Diesen unergründlichen Drang nach politischer Instabilität zeigte die Sozialdemokratische Partei in der Föderation BiH, mit ihren Vorsitzenden Zlatko Lagumdžija. Zwar gewann die SPD die Wahlen 2010 mit ihrer Kampagne der fünf sozialen Punkte (Wirtschaft, Rechtstaat, Sozialreformen, Bildung und Gesundheit), wusste diese aber im Rahmen des bosnischen Konkordanzsystems nicht umzusetzen. Angetrieben vom Wunsch des Vorsitzenden Lagumdžija, Premierminister der Regierung zu werden, obwohl dies nach den Rotationssystem ein Kroate werden sollte, und später Außenminister, sorgte die SPD für eine zögerliche Regierungsbildung in Bosnien-Herzegowina. Im gescheiterten Versuch, die dominierende Kraft der Kroaten aus der zukünftigen Regierung auszuschließen, dauerte die Regierungsbildung auf Staatsebene rund ein Jahr. Kaum hatte sich die Regierung gebildet und die Minister eingearbeitet, begab sich die SPD in eine Regierungsumbildung, mit der Intention, die SDA aus dieser zu entfernen. Es begann eine erneute Krise, mit dem Fokus auf der Entität FBiH. Hierzu kam nicht selten der politische Schlagabtausch der beiden Sozialdemokraten Lagumdžija und Dodik, gewiss nationalistisch-unterminiert. Ohne die Zustimmung der nötigen Institutionen für einen Regierungsumbau, blieb die Regierung der Föderation im Amt. Auf Staatsebene wurde die SDA durch die SBB ausgetauscht. Reformprozesse fielen unter den Tisch, Verhandlungen über Verfassungsänderungen endeten auf halber Strecke und statt einer linken Regierung, die ethnien-übergreifenden Anspruch finden sollte, bekam man eine kommissarische Dauerregierung.

Beide Parteien, obwohl in den Gründungsakten sozialdemokratisch orientiert, mit der Intention, eine Politik für alle Bürger, unabhängig ihrer nationalen Zugehörigkeit machen zu wollen, haben sich als unseriöse Träger des politischen Prozesses erwiesen. Statt sich den politischen Lagern der drei Ethnien anzunähern, haben sie durch überstürzte Handlungen neue Krisen generiert. Ohne Feingefühl für die komplizierte und auf der Einschließung aller relevanten politischen Gruppierungen angelegten Konsensdemokratie, in der jeder Entscheidung mehrere Phasen des gemeinsamen Verhandelns vorangehen. Sie haben den Prozess ausschließlich für sich vereinnahmen wollen, und über Nacht Entscheidungen getroffen, ohne a priori an die Möglichkeiten der Implementierung dieser zu denken. Die serbische SNSD hat in der RS dies durch den steigenden Nationalismus gemacht, die bosniakische SPD in der FBIH durch unüberlegte Regierungsbildung und -auflösung. Gemeinsam hat dies vier Jahre der politischen Ungewissheit projiziert, gefolgt von starken national-unterminierten Spannungen. Zudem wurde aufgrund autoritärer Führungsstile jeder Diskurs innerhalb der Partei verhindert, was zu vermehrten Austritten, auch von renommierten Parteifunktionären, führte und damit einer Verminderung der Chancen um eine mögliche Korrektur der eigenen Politik.

Das Resultat ist ein Verlust des Vertrauens, auf dem ein Konsens möglich wäre, ein stets geladenes politisches Klima und eine Verunglimpfung der Sozialdemokratie in Bosnien-Herzegowina. Diese Fehltritte haben die bosnischen Bürger erkannt und dies bei den Wahlen am 12. Oktober deutlich gezeigt, indem sie die als „Sozialdemokraten“ selbsternannten Politiker und Gruppierungen bestraft haben und sich der Alternative zugewandt haben – aus rein pragmatischen Gründen.

Rationale Wahlentscheidung
Vor diesem Hintergrund stellt der Ausgang dieser Abstimmung über die zukünftige Führung des Landes einen Weg zur Normalisierung dar. Verärgert über das auf sich konzentrierte Handeln der einstigen Erretter, mit der Erfahrung der von Sozialdemokraten angeführten Regierungen, haben die Wähler diesmal gezielt auf die konservativen Kräfte gesetzt und ihnen ein deutliches Mandat erteilt, für klare Verhältnisse zu sorgen. Die nationalen Kräfte agieren langsam, aber sie bringen Stabilität, ohne die es keinen Fortschritt gibt. Dies propagierten die konservativen Kräfte auch in ihrem Wahlkampf. An die deutsche Wahlkampfgeschichte angelehnt, könnte ihr Wahlspruch gut lauten: „Keine Experimente, mehr!“

Daher stand im Wettkampf um die Stimmen der Fokus, auch deutlich auf den Konkurrenzkampf linker und rechter Lager innerhalb der jeweiligen ethnischen Gruppen, als zwischen diesen drei. In der RS-Entität forderte die Opposition Dodiks SNSD mit ökonomischen Themen heraus, und ging nicht auf seinen Vorwurf ein, die oppositionelle SDS sei mit der Konsensoffenheit eigentlich „pro-bosnisch“, was im Umkehrschluss „anti-serbisch“ heißen sollte. Die SDS antwortete kurz, sie sei der Begründer der von Serben dominierten Entität und müsse ihren Nationalismus nicht unter Beweis stellen. Damit hat die Geschichte schnell ein Ende gefunden. In der Föderation BiH lief der Machtkampf zwischen der SDA und der linksorientierten SDP und neugegründeten DF und SBB. Auch hier besann man sich mehr auf die Probleme der letzen vier Jahre, als auf den nationalen Diskurs. Gewiss spielten die Antagonismen zwischen den Nationen eine Rolle, aber im bosnisch-politischen System, das die Machtverhältnisse aus dem Krieg konservierte, ist eine völlige Abwesenheit dieser realistisch nicht zu erwarten.

Konservative bringen Stabilität
Wenngleich langsam, entwickeln sich auch durch diese Wahlen ideologische Differenzen entlang der links-rechts-Achse, was die Nationalismen nicht völlig beseitigt, aber aus dem Fokus nimmt. Dies zeigte auch die Anfang des Jahres, unter der Einwirkung der Konrad-Adenauer-Stiftung und der Europäischen Volkspartei, von den drei nationalen Parteien unterzeichneten Erklärung über gemeinsame europäische Werte, Identitäten, soziale Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit. In ihr wird die Absicht formuliert, den gemeinsamen Kern der Parteien zu stärken und bessere Verständigung dieser Parteien zu fördern, die den EU-Integrationsweg erleichtern sollte. Es sollte der Wegbereiter der neuen rechten Regierungskoalition sein.

Der Sieg der national-orientierten Parteien der Bosniaken, Serben und Kroaten bei den Allgemeinwahlen in Bosnien-Herzegowina, ist also im Hinblick auf das Handeln der vergangenen Mehrheiten unabwendbar gewesen und bedeutet nicht notwendigerweise eine Verschärfung der nationalen Animositäten. Vielmehr ergibt sich die Möglichkeit einer besseren Verständigung, zumal sowohl die bosniakische SDA, die serbische SDS und die kroatische HDZ ihren Sieg nicht einem, gegen die jeweilig andere Ethnie aufgebauten Wahlkampf verdanken, sondern vielmehr der Auseinandersetzung mit den Rivalen ihrer jeweiligen ethnischen Gruppe. Der nationale-konservativer Hintergrund räumt diesen Parteien zugleich die Legitimität ein, in nationalen Angelegenheiten mehr Flexibilität zu zeigen und größere Schritte Richtung Konsens; bei manchen, ohne dass ihnen dabei ein nationaler Verrat zugeschrieben wird. Es liegt nun an diesen Gewinnern, was sie daraus machen.

Die links-orientierten Parteien benötigen nach zwei Jahrzehnten der gleichen Parteiführung eine personelle, aber zugleich auch programmatische Neuausrichtung. Eine Sozialdemokratie ist für Bosnien-Herzegowina bitter nötig. Eine Sozialdemokratie, die den Nationalismus weder für ihre Zwecke instrumentalisiert (Dodik) noch die nationalen Identitäten völlig missbilligt (Lagumdžija). Nur wenn sie für die nationalen Fragen sensibilisiert wird, eine sozialdemokratische Form der Politik in diesem Umfeld findet und parallel in allen drei Nationen Rückhalt dafür findet, wird sie einen, statt trennen.