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Wen wählen die Deutschtürken?

Ausgabe 267

Foto: Pixabay.com | Lizenz: CC0 Public Domain

(KNA). Wie entscheiden sich türkischstämmige Wähler bei der Bundestagswahl? Das gehört zu den Fragen, die Parteien derzeit beschäftigen. Jahrzehntelang profitierte fast nur das linke Lager wegen seiner migranten- und islamfreundlichen Politik von der wachsenden Zahl deutschtürkischer Wahlberechtigter. Das sind rund zwei Drittel aller muslimischen Wähler. Die unter Rot-Grün erleichterte Einbürgerung und der Doppelpass garantierten stets Hunderttausende Stimmen.
Laut einer Analyse des Berliner Meinungsforschungsinstituts Data4U im Anschluss an die Wahlen 2013 machten 64 Prozent dieser Wähler ihr Kreuzchen bei der SPD, jeweils 12 Prozent stimmten für Grüne und Linke; die lange Zeit einwanderungsskeptische Union landete hingegen bei 7 Prozent. Doch nun könnte der medienwirksame Auftritt des türkischen Präsidenten Erdogan die liebgewonnenen Gewohnheiten ins Wanken bringen. SPD, Grüne und CDU bezeichnete der türkische Staatschef zuvor als „Feinde der Türkei“, denen Wähler mit türkischen Wurzeln die kalte Schulter zeigen sollten. Wenn sie auf ihn hören, müssten nun vor allem SPD und Grüne um sicher geglaubte Kreuzchen bangen.
Ob Erdogans offene Intervention Früchte trägt, ist allerdings mehr als fraglich. „Es sollte nicht erwartet werden, dass türkeistämmige Deutsche sich vom türkischen Präsidenten vorschreiben lassen, welche Partei sie wählen oder nicht wählen sollen“, meint der Wahlforscher Andreas Wüst. „Es könnte durchaus sein, dass Herr Erdogan mit solchen Aufrufen genau das Gegenteil dessen bewirkt, was er bezwecken möchte“, so das Mitglied des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung.
Das beginne damit, dass Deutschtürken und in Deutschland lebende Türken zwei unterschiedliche Gruppen seien. Will heißen: Die hohe Zustimmung, die der Präsident bei der Volksabstimmung im April von türkischen Wählern und Doppelpassinhabern in Deutschland erhielt, lässt kaum Rückschlüsse darauf zu, ob auch die Masse der türkeistämmigen Bundestagswähler seinen Anweisungen folgt. Schließlich besitzt nur eine kleine Minderheit von ihnen die doppelte Staatsbürgerschaft.
Noch immer sehen die meisten Türkeistämmigen laut Wüst ihre wichtigsten Interessen als Migranten und Muslime mehrheitlich im Spektrum links von der Mitte . Das lässt eher vermuten, dass ihnen das deutsche Hemd näher ist als der türkische Rock. Wählerwanderungen zur Linken, die bei Deutschtürken im Verdacht der PKK-Sympathie steht, zur FDP oder gar zur AfD gelten als unwahrscheinlich. Wenn überhaupt dürfte der Anteil der Nichtwähler ansteigen. Bereits 2013 lag die deutschtürkische Wahlbeteiligung  knapp unter der Gesamtbeteiligung von 71,5 Prozent. Beobachter sehen in der AfD und der angeheizten Islam­debatte einen Anreiz für Deutschtürken und andere Muslime, wählen zu gehen.
Potenzial zur Veränderung sieht der Wahlforscher Wüst ungeachtet der Spannungen zwischen beiden Ländern im Verhältnis von Deutschtürken zu den bürgerlichen Parteien. „Merkel hat da einen anderen Wind reingebracht, indem sie die Bedeutung der Einwanderungsgesellschaft betont. Inzwischen bemüht man sich auch in der CDU um die Muslime.“