Wenn man wegen Fehlern kein Muslim mehr ist. Über die Sprache einer Internet-Generation. Von Tarek Bärliner

Ausgabe 239

(iz). Stellvertretend für die Unschönheit der Beleidigung ist die überwiegende Verwendung des Begriffes „Moslem“, anstatt dem viel schöner klingenden und richtigen „Muslim“.

Die Internet-Generation ist unbarmherzig. Das Internet vergisst nicht, die User schon gar nicht. Zum einen vergessen sie deine öffentlichen Verfehlungen oder Fehltritte nicht. Das zweite, was sie nicht vergessen, ist darüber hinaus eines der Hauptprobleme ihrer gesamten Existenz: Die geistige Missbildung, viele nennen sie „Gehirnwäsche“. Internet-Prediger hämmern Begriffe wie „Discomuslim“ und „Teilzeitmuslim“ in ihre Köpfe. Gemeint sind Muslime, die in ihrer Freizeit beispielsweise in Clubs und Discos feiern gehen, oder auch Alkohol trinken – jeder, der nicht dem eigenen Sektenbild zufolge „richtiger Moslem“ ist.

Im Zeigen auf andere sind wir fit. Bei Goethe heißt es, dass wir vor unseren eigenen Sünden erschrecken, wenn wir sie bei anderen entdecken, vorausgesetzt, wir erkennen unsere eigenen Sünden überhaupt an. Eine alte Weisheit der Leute des Tasawwuf ist, dass ein Auge des Menschen das Schlechte in einem selbst sehen solle und das andere Auge das Gute im Gegenüber. Die Phrase „wir sind blind“ erscheint dabei schon beinahe wieder falsch, denn wir sind eher sehbehindert. Unsere Augen sind darauf eingeschossen, das Schlechte draußen zu sehen und unser Kopf identifiziert es widerstandslos als solches.

Die Maxime des Propheten, Allahs Frieden und Segen auf ihm, für den Mitmenschen immer eine Ausrede zu suchen, scheint in Vergessenheit zu geraten. Wir gehen immer vom Schlechtesten aus.

Selbst der übelste Mensch kann weinend im Bett bereuen. Gott weiß es, die Menschen aber nicht. Nun, man kann auch nicht erwarten, dass sie es wissen. Man kann aber erwarten, dass sie gar nicht erst Dinge wahrnehmen, von denen sie wissen, dass diese Dinge bereut werden müssen. Und wer möchte behaupten, er könne sich überhaupt erlauben, den Blick von seinem Inneren abzuwenden? Ich jedenfalls bräuchte für all meine Fehler eigentlich jede freie Sekunde.

Vom Kalifen und Prophetenfreund Umar, Allahs Wohlgefallen auf ihm, stammt die schöne Aussage, dass Menschen mit der schlechtesten Vergangenheit die beste Zukunft hervorbringen können. Natürlich geht das auch umgekehrt. Wenn ich also da stehe und den anderen herabwürdige, indem ich mir seine Verfehlungen vor Augen halte, erhebe ich mich gleichzeitig über ihn. Nach Imam an-Nawawi, Allahs Wohlgefallen auf ihm, ist derjenige der Schlechteste, der sich als etwas Besseres ansieht.

Dass Hochmut vor dem Fall kommt, bewies der Satan, das Schlechte höchstpersönlich. Trotz des Bewusstseins, dass sein Schöpfer, Allah, nicht irrt, weigerte er sich Seinem Befehl Folge zu leisten – aus Stolz, aus Überzeugung, besser zu sein als die andere Schöpfung Allahs.

Du bist Muslim, also Gottergebener, oder nicht. Wenn jemand ein Hobby-, oder Teilzeitmuslim ist, dann scheinbar nur teilweise. Der Beleidigende sagt damit theoretisch aus, dass der Beleidigte abseits seines „Hobbys“ und seiner „Teilzeit“ nicht gottergeben ist. Praktisch kann das Takfir sein, die Absprechung des Islam. Drastische Schlussfolgerung, aber notwendiger Gedankengang.

Mensch und Umwelt sind im Wandel. Wir sehen die Gegenwart, vergessen aber, dass es Vergangenheit und eben auch Zukunft gibt. Aus einem Hobby kann Leidenschaft werden und andere Menschen machen Hobbys zu ihrem Beruf. Jugendliche zeigen auf Gleichaltrige wegen Dingen, die ihnen ihre Internet-Prediger als das Sinnbild der Schlechtigkeit aufzeigen. Ein „unislamischer Lebensstil“, möchte man ihnen beipflichten. Es geht um Banalitäten. Nicht etwa um diese hässliche Charaktereigenschaft, Schlechtes in anderen zu suchen – das macht noch lange nicht zum „Teilzeitmoslem“. Und nicht etwa die Tatsache, dass wir alle mit Zinsen zu tun haben – das haben wir längst hingenommen.

Die Sprachgewohnheiten der Internet-Generation sind verstörend. Sie gehen einher mit der Lücke in Verstand und Herz, wo eigentlich Wissen sein sollte. Sie gehen einher mit der Tatsache, dass sie sich selbst nicht bewusst sind, dass Wissen ein Licht im Herzen ist und von Herz zu Herz weitergegeben wird, von Lehrer zu Schüler – und nicht von Display zu Kopf. Ihnen fehlt die Anwesenheit eines Imams, dessen große Ausstrahlung an die eigene Wenigkeit erinnert. Man vermisst den tiefen Geist, so wie eine strukturierte Bildung. Denn am Anfang des geistigen Werdegangs des Muslims ist immer erst das Bewusstsein selbst, (womöglich) der Schlechteste unter allen Menschen zu sein. Nur aus dieser Haltung heraus kann unbegrenzte Besserung geboren werden. Und wenn du selbst auf dem Weg des Guten bist und dieses in dir trägst, dann wird es auf andere wirken.

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