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Wie geht ­Jugendarbeit in der Moschee?

Ausgabe 293

Foto: Freepik

(iz). Die Art und Weise wie sich junge Muslime in Schule und Öffentlichkeit verhalten wird meist auf den Islam zurückgeführt. Wenn auffällige zusätzlich noch eine bestimmte Moschee besuchen, endet die Ursachenforschung für viele: Das haben „die“ in der Moschee gelernt. Wir haben doch den Moscheereport gelesen… so viel zum gesunden Menschenverstand und zur Wissenschaftlichkeit der Menschen in unserer Gesellschaft. Da fällt mir ganz zynisch Churchills Aussage ein, dass das beste Argument gegen die Demokratie, ein Gespräch mit einem Wähler sei…

Seit 2011 halte ich Vorträge in Moscheegemeinden. Inzwischen habe ich über 250 Vorträge gehalten – und das, was in der Öffentlichkeit besprochen wird, die Art und Weise wie über Muslime gesprochen wird, ist teils wahr, teils Lüge. Gerade in diesen Halbwahrheiten liegt die Brisanz, wie uns unser Dichterfürst, der vielleicht bedeutendste Deutsche der Geschichte, lehrt: „Toren und gescheite Leute sind gleich unschädlich. Nur die Halbnarren und Halbweisen, das sind die Gefährlichsten.“ (Goethe)

Immer und immer und immer immer wieder rufe ich die Jugendlichen in der Moschee dazu auf, Goethe und Schiller zu lesen. Dies tue ich primär in, von der IGMG verwalteten Moscheen, aber auch in Moscheen, die von der DITIB verwaltet werden. Die Moschee ist das Haus Allahs, so lehrt es uns der Prophet. Sie gehört niemandem, sie wird lediglich von jemandem verwaltet. Auch das werde ich nie müde vorzutragen.

Vor allem im Ramadan häufen sich Vorträge. Hier nimmt, wie in Deutschland zur Weihnachtszeit, der Versuch zu, Gott näher zu kommen. Ich halte Vorträge in verschiedenen Städten und die Jugendlichen berichten darüber, wie sie unabhängig voneinander in der Schule, der Ausbildung, im Studium und auf der Arbeit behandelt werden. „Du bist mein Lieblingstürke“ (klingt wie Lieblingshaustier), „du bist anders, aber du bist ja auch eine Ausnahme“ (ein gutes Beispiel könne ja nicht zum Kollektiv gehören, die Mehrheit, von denen lesen wir ja in der Zeitung), „wenn doch alle so wären wie du“. Unabhängig voneinander in verschiedenen Städten auf ganz Deutschland verteilt, höre ich diese Aussagen.

Worüber spreche ich in den Vorträgen? Über Yunus Emre, Goethe, Schiller, Hodscha Ahmed Yesevi, Rumi, Saadi Schirazi, Novalis und und und… doch immer und immer wieder fällt mir nun auf, dass die fundamentalsten Grundlagen der muslimischen Werte nicht bekannt sind: Erst vor kurzem sagte ich, dass auf die Beleidigungen und Unterstellungen, die tagein tagaus auf uns herabregnen von der Mehrheitsgesellschaft, Liebe erwidert werden muss. „Versetzt euch in die Lage eines Menschen, in dessen Umfeld kaum Muslime sind. Selbst keinen Kontakt liest er beständig, dass Muslime an einen Qur’an glauben würden, der es erlaube, Frauen zu belästigen, gegen Wissenschaft sei – und diese Muslime würden angeblich systematisch planen, die Gesellschaft zu unterwandern, um die Macht zu übernehmen?

Was tun wir Muslime in der Regel, wenn solch ein Mensch uns diese Dinge unterstellt? Wir werden wütend und wettern, dass „die Medien“ an allem Schuld seien, Lügenpresse und so weiter. – Wer uns so sieht, wird sich bestätigt fühlen. Was können wir tun, um Vorurteile abzubauen? Anders reagieren.“

Hier sind wir bei Yunus Emre. Einem muslimischen Dichter, der dieser Welt islamische Werte verkündet hat. So wie Goethe als Maßstab für Deutschheit genommen wird, müssen Rumi, Yunus Emre und Ibn Arabi, möge Allah ihren Seelen gnädig sein, als Maßstab für Muslime genommen werden. Yunus Emre dichtete: „Wo wer schlägt, sei händelos, Wo wer beleidigt, dort sei stumm.“

Doch diese Weisheiten reichen nicht, um dauerhaft gewappnet zu sein. Wir müssen ändern, wie wir lernen. Es muss System bekommen. Momentan finden in den Moscheen Deutschland meistens einmal wöchentlich Vorträge statt. In Moscheen auch häufiger, in wenigen finden überhaupt keine Vorträge statt. Die Methode Muhammeds, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, war der Vortrag, das Gespräch. Doch was und worüber wird vorgetragen und gesprochen? Was ist Ziel und Zweck eines Vortrags? BILDUNG. BILDUNG. BILDUNG.

Vor kurzem fragte ich in eine Runde, in der viele saßen, die von Kleinkauf in die Moschee gehen, ob sie wüssten, was „Ihsan“ bedeutet. Ihsan stellt ein Drittel des gesamten Islam dar. Dieser besteht aus Iman (Glaubenslehre), Islam (rituelle Praxis) und Ihsan (Gegenwärtigkeit Allahs im Alltag spüren). Dieser dritte ­Aspekt ist vom Begriff her aber leider unbekannt. Kaum jemand konnte die Definition vom Begriff „Ihsan“ geben. Als ich die Definition der Krone der Weisheit, Allah segne ihn und schenke ihm Frieden, zitierte, kannten alle die Aussage. – An diesem Punkt nun müssen wir ansetzen.

Welche Arten des Wissen fallen in die drei Kategorien: 1. Iman – 2. Islam – 3. Ihsan? Dies muss systematisch gelehrt werden, damit muslimische Jugendliche nicht bloß nach Gutdünken etwas als Islam deklarieren, was sich so nicht darin findet.

Beispiel: Ein Jugendlicher kam das erste Mal zu einem Vortrag. Ich erzählte etwas über Kategorie zwei und drei. Als ich sagte, dass das Gebet dazu da ist, unseren Charakter umzuformen und wir durch bewusstes Beten zu sanftmütigeren Menschen werden müssen, kam die Frage: „Auch Nichtmuslimen gegenüber? Müssen wir nicht hart ihnen gegenüber sein?“ – „Nein,“ erwiderte ich „Sanftmut ist allen Menschen gegenüber geboten.“ Daraufhin zitierte ich den als in Europa „Prophet der Liebe“ bezeichneten würdevollen Rumi: „Das Schwert der Sanftmut ist schärfer als das Schwert aus Eisen; nein, es ist siegreicher als hundert Armeen.“ – Der Jugendliche schaute sehr verdutzt. Bisher hatte er sich sein Wissen im Internet über YouTube angeeignet. YouTube ist die Brutstätte für die größten Dummheiten, die Menschen von sich geben… Facebook ebenso. „Wie kommst du auf diese Meinung?“, frage ich manchmal. Internet lautet die Antwort… Und das sind in den meisten Fällen dann Jugendliche, die das, was in der Moschee gelehrt wird, ablehnen, zum Diskutieren oder lediglich zum Freitagsgebet in die Moschee kommen. Doch Journalisten machen daraus: Person X war in dieser Moschee. Dort hat sie sich radikalisiert… „Der größte Lump im ganzen Lande ist / Mit großer Sicherheit der Journalist.“ Was also sollte in einer ­Moschee gelehrt werden?

Iman – Islam – Ihsan
Dies muss den Jugendlichen beigebracht werden. 1. Wer ist Asch’ari, wer ist Maturidi? Ein bis zwei Punkte, die sie voneinander unterscheiden. – 2. Warum ist eine Rechtsschule verpflichtend? Warum geht es nicht ohne? Was unterscheidet sie voneinander? Das Leben Abu Hanifas, Imam Schafiis, Imam Maliks und Ahmed ibn Hanbals. – 3. Was ist Ihsan? Was bedeutet das Wort? Sufis sagen, Tasawwuf ist die Lehre des Ihsan, warum sagen sie das? Was ist Tasawwuf?

Es gibt Moscheen, in denen Sufi als Beleidigung benutzt wird, während in einer Moschee desselben Dachverbands Sufi ein Kompliment darstellt. Da muss flächendeckend Klarheit geschaffen ­werden.

Was ebenfalls dringend beigebracht werden muss, ist Wissen um die Geschichte der Muslime. Hier verfügt so gut wie kein Jugendlicher über irgendeine Art von Wissen.

Islamische Geschichte
Wie wurde Bagdad zu der Stadt des Wissens? Von hier bezog die spätere euro­päische Metropole Córdoba ihre ­Inspiration – Córdoba wiederum inspirierte Paris, Paris deutsche Höfe.

Wie sah der Alltag im allseits gelobten maurischen Spanien aus? Wie fand dort die Wissensvermittlung statt? Dort wurde sehr sehr lange, bis ins 13. Jahrhundert hinein ohne Madrasa Unterricht erteilt, sondern in Moscheen und bei einzelnen Menschen zu Hause. Letzteres ähnelt der Salonkultur im späteren Europa. Lassen sich daraus Vorbilder für uns heute ableiten? Welche Rolle spielte die Poesie in al-Andalus?

Wie gingen die Seldschuken mit verschiedenen Glaubensrichtungen um? Selbst der Ahlu-s’Sunna zugehörig haben sie Muslimen schiitischen Glaubens eine Madrasa zur Verfügung gestellt? Wie sind sie bestehenden, inneren Streitereien beigekommen?

Wie sah der Bildungsalltag im Osmanischen Reich aus? Welche Rolle spielte die Poesie im Leben der osmanischen Bevölkerung? Warum wird das Osmanische Reich als Zivilisation des Tasawwuf bezeichnet? Wie reagierten die ­Muslime, beispielsweise Süleyman, der Gesetzgeber, auf die Renaissance oder auf die Reformation? Er begrüßte diese. Weshalb?

Deutsche Literatur. Denn diese Literatur macht uns bekannter mit dem Land, in dem wir leben. Über die Literatur werden wir auch etwas über die Geschichte, aber vor allem über die Mentalität lernen. Wir werden die Fähigkeit, uns in unsere Mitmenschen hineinzuversetzen, ausprägen und uns zugleich sprachlich verbessern. Es müssen nicht ganze Bänder durchgelesen werden. Erst ein Überblick über die deutsche Literatur: Welche Epochen gibt? Ausgewählte Auszüge, bedeutende Texte. Dies würde den Jugendlichen sowohl in der Schule als auch im Arbeitsleben zugute kommen. Das Selbstbewusstsein wäre ein ganz anderes!

Dies sind einige Vorschläge, die in einer Moschee je nach Alter und einige je nach Interesse gelehrt werden können. Dies würde muslimischen Jugendlichen dazu verhelfen sich selbst und ihre Umwelt besser zu verstehen.

Außer der üblichen Methode ist es auch möglich, mit einer anderen Methode Wissen zu vermitteln, welche bisher sehr sehr selten bis gar nicht angewandt wurde: Theater spielen. Wie dies aussehen könnte, dem werden wir uns inschallah in der nächsten Ausgabe ­widmen.