Wie gelingt Frieden? „Nur mit echtem Vertrauen“

Ausgabe 275

Foto: Wikimedia Commons, Rijksmuseum Amsterdam | Lizenz: Public Domain

(exc). Geschenke, Friedensmahle und Versöhnungsrituale: In der Geschichte sind Friedensschlüsse laut Historikern vor allem dann gelungen, wenn sich gezielt Vertrauen zwischen Gegnern herstellen ließ. „Vertrauensbildende Maßnahmen sind kein Patentrezept, erhöhen aber nach epochenübergreifenden Untersuchungen die Wahrscheinlichkeit für Frieden“, sagt Mittelalter-Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff von der Universität Münster. Zu allen Zeiten hätten die Menschen sich nach Frieden gesehnt und Strategien entwickelt. „So groß die Sehnsucht war: Dauerhafte Fortschritte – Frieden über Jahrhunderte – hat die Menschheit kaum erzielt. Doch über Epochen hinweg lassen sich einander überraschend ähnliche Prinzipien und Praktiken erkennen, die mehr Erfolg als andere brachten, menschliches Aggressionspotenzial einzudämmen.“
Der Historiker kündigt die internationale Tagung „FRIEDEN. Theorien, Bilder und Strategien von der Antike bis heute“ des Exzellenzclusters ab 22. Mai mit Forschenden aus Geschichte, Archäologie, Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie an. Sie ist Teil des Programms der Ausstellung „Frieden. Von der Antike bis heute“ ab 28. April an fünf Orten in Münster. Aufgrund der langjährigen Untersuchungen am Exzellenzcluster zum Thema Frieden entstanden Idee und Grundkonzept des Ausstellungsprojekts. Zentrale Themen der Tagung stellt der Exzellenzcluster in den nächsten Wochen in Web und Medien multimedial vor. Prof. Althoff veranstaltet die Tagung gemeinsam mit der Kunsthistorikerin Prof. Dr. Eva-Bettina Krems, der Philologin Prof. Dr. Christel Meier-Staubach und dem Historiker Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer vom Exzellenzcluster.
„Von den beiden Friedens-Typen, die sich in der Geschichte unterscheiden lassen, war der Verständigungs- oder Versöhnungsfrieden weit beständiger als der Diktat- oder Siegfrieden“, so Althoff. „Letzterer demütigte die Verlierer und glorifizierte die Sieger. Solch ein Frieden war selten von langer Dauer, etwa nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1871 oder nach dem Ersten Weltkrieg vor 100 Jahren.“ Beim ersten Typ Frieden hingegen legte man Wert auf Vergebung, begnügte sich mit Genugtuungsleistungen und suchte Kompromisse. Im Mittelalter wurden Vertrauensmaßnahmen stark ritualisiert: Wie beim Frieden von Venedig 1177 entstanden Unterwerfungs- und Versöhnungsrituale, Geschenke wurden ausgetauscht und einander Besuche abgestattet.
„Besonders wichtig war das Friedensmahl, damit echtes Vertrauen entstand: Dem ehemaligen Feind tischte man die besten Speisen und Getränke im Überfluss auf und brachte durch eine freundschaftliche Unterhaltung und ausgelassenes Scherzen die friedliche Gesinnung zum Ausdruck“, erläutert der Historiker. So wog der Vorwurf gegen König Heinrich IV. schwer, er habe beim Friedensmahl 1077 mit Papst Gregor VII. in Canossa nicht geredet und gegessen, sondern die Tischplatte mit dem Fingernagel zerkratzt. „Ohnehin war der abrupte Wechsel vom Konflikt zum freundschaftlichen Kontakt immer ein Wagnis.“ Gespräche und Scherze beim Friedensmahl schlugen zuweilen in Streit und Gewalt um, wurden sie doch als Beleidigung aufgefasst.
Gelegentlich war auch Heimtücke im Spiel: Theoderich der Große erschlug seinen Gegner Odoakar im Jahr 493 während eines Friedensmahls. „Trotz solcher Risiken bleibt die direkte Kommunikation der Konfliktparteien eine wichtige Strategie der Vertrauensstiftung“, sagt der Historiker. Wer durch persönlichen Kontakt auf menschlicher Ebene eine Vertrauensbasis schuf, konnte strittige Fragen kompromissorientierter behandeln. „Arbeit am Frieden kann man nicht vortäuschen, sie ist mit Leidenschaft zu betreiben und bleibt mühselig.“
Bekannte Beispiele dafür hält auch die Zeitgeschichte bereit, so Althoff: „Anfang der 1970er Jahre kamen sich der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt und der sowjetische Staatschef Leonid Breschnew bei Treffen in Bonn oder auf der Krim privat näher und trugen zur Tauwetterperiode des Kalten Krieges bei.“ In der Gorbatschow-Ära wurden vertrauensbildende Kontakte intensiviert, die das Ende des Kalten Krieges und die Wiedervereinigung brachten. „Fischen an der Wolga, Saumagen in Oggersheim und andere Akte der Vertrauensbildung sind bis heute im kulturellen Gedächtnis zumindest der Deutschen fest verankert“, sagt der Historiker. Dabei sei Frieden auch langfristig zu pflegen, wie im engen Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich seit dem Zweiten Weltkrieg. „Jüngste Konflikte zwischen Ost und West hingegen zeigen, dass man die Vertrauensbildung nach Ende des Kalten Krieges vernachlässigt hat.“
International ausgewiesene ForscherInnen widmen sich auf der Tagung des Exzellenzclusters vom 22. bis 25. Mai 2018 in Münster, zu der Interessierten eingeladen sind, in 21 Vorträgen der Frage, warum Menschen zu allen Zeiten Frieden wünschten, seine Bewahrung auf Dauer aber nie gelang. Anhand vieler historischer Beispiele der europäischen Geschichte befassen sie sich mit Strategien, Verhaltensmustern und Verfahren, mit denen sich Menschen von der Antike bis heute um Herstellung und Wahrung des Friedens bemühten. Sie richten das Augenmerk darauf, wie viele der Bilder, Rituale und Strategien zeitüberdauernd Geltungskraft behielten. Zugleich zeigen sie zeittypische Veränderungen und ihre Ursachen auf.