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Wie wird man ­eigentlich Muslim?

Ausgabe 291

Foto: IZ Medien

„Wer könnte etwas Besseres sagen, als der, der zu Allah aufruft, rechtschaffen handelt und spricht: ‘Gewiss doch, ich gehöre zu den (Allah) Ergebenen’?“ (Al-Fussilat, Sure 41, 33)

„Und als dein Herr aus den Lenden der Kinder Adams ihre Nachkommenschaft hervorbrachte und für Sich Selber als Zeugen nahm (und sprach): ‘Bin Ich nicht euer Herr?’, sagten sie: ‘Jawohl, wir bezeugen es.’ Dies, damit sie nicht am Tage der Auferstehung sagen würden: ‘Wir hatten davon wirklich keine Ahnung!’“ (Al-A’raf, Sure 7, 172)

(iz). Es ist immer wieder ein Grund zur Freude, dass trotz des seit mehr als zwei Jahrzehnten beständig verbreiteten Negativbildes des Islam nach wie vor Menschen den Islam annehmen und Muslime werden. Mal ist es die persönliche Begegnung mit Muslimen, die ein anderes Bild als das bisherige zeigt. Oft hat diese Entscheidung aber andere Gründe. Während in gelasseneren Zeiten der „Konvertit“ trotz aller Exotik selten missliebig betrachtet wurde, haben sich die Verhältnisse heute geändert.

Die Bandbreite der Anlässe und Motivationen für die Annahme des Islam sind so vielfältig wie die Individuen selbst. Bei manchen ist es die erwähnte persönliche Begegnung mit Muslimen, bei anderen sind es Reisen. Andere wiederum machen sich auf die Suche nach einem weiteren Sinn im Leben, während für nicht wenige neue Muslime die Ehe beziehungsweise Liebe ein Tor zu Allahs Din ist.

Wortdickicht zwischen Fitra und Konvertit
Nach muslimischer Auffassung ist Islam die Din der natürlichen Verfasstheit des Menschen (arab. ad-din al-fitra), der Glaube und die Lebensweise, die der menschlichen Natur entspricht. Die Übersetzung des Wortes „Kafir“ für Nichtmuslime mit „Ungläubiger“ ist daher nicht korrekt, vielmehr leitet sich das Wort von „kafara“ ab, was „die Wahrheit bedecken oder verdunkeln“ bedeutet.

Die Ausdrücke „konvertieren“ oder „übertreten“ werden von vielen Muslimen vermieden, denn jemand, der den Islam annimmt, kehrt im Grunde nur zum Din der Fitra, zum Islam, zurück, der schon immer in ihm oder ihr angelegt und vorhanden und lediglich überdeckt oder verdrängt war. Allerdings müssen wir die Existenz dieses begrifflichen Problems zugestehen. Bisher gibt es in den wenigsten westlichen Sprachen befriedigende Alternativen. Im amerikanischen Gebrauch benutzen manche das Wort „revert“, in dem auch die Bedeutung der Rückkehr mitschwingt.

Wenn „Konvertit“ ungeeignet ist, was passt? „Neuer Muslim“ mag für einige zutreffen, andere haben ihren Islam schon vor Jahrzehnten bezeugt. Und der „deutsche Muslim“ ist ebenfalls vermintes Gebiet. In ihm hallen Aspekte von „Kultur“ und „Ethnizität“ wider, die mehr vernebeln, als aufzuklären. Andere Begriffe wie „biodeutsche“ oder „autochthone“ Muslime, die gelegentlich kursieren, sind eher humoristisch.

Die Bezeugung des Islam
Die (eigentlich doppelte) Bezeugung, Schahada, die sich auch mit dem Begriff Glaubensbekenntnis umschreiben ließe (obwohl sie essenziell mehr ist als das), ist die grundlegende Erklärung, die der Mensch ausspricht, um seine Zugehörigkeit zum Islam zu erklären. Diese Schahada lautet: „Aschhadu an la ilaha illa’Lah wa aschhadu anna Muhammadan rasulu’Llah (Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah, und dass Muhammad der Gesandte Allahs ist).“ Damit bringt man zum Ausdruck, dass man dies sowohl im Herzen glaubt als auch mit der Zunge bezeugt.

Das Bekenntnis enthält zwei Teile, die nicht voneinander zu trennen sind, nämlich die Bezeugung der Einheit Allahs und dass es ausschließlich Allah ist, Der anbetungswürdig ist. Der zweite Teil ist die Anerkennung, dass Muhammad, Allahs Segen und Friede sei auf ihm, Sein Gesandter ist. Dies impliziert auch, dem Vorbild des Gesandten zu folgen, wie Allah dies im Qur’an auch befiehlt. Im Qur’an wird der Prophet als Barmherzigkeit für alle Welten bezeichnet und als schönes Vorbild.

Um Muslim zu werden, muss man das doppelte Glaubensbekenntnis vor mindestens zwei Zeugen aussprechen. In der Praxis wird sie zu diesem Anlass oft drei Mal hintereinander ausgesprochen. Dabei zu sein, wenn jemand die Schahada spricht und Muslim wird, ist, selbst wenn man dies schon häufiger miterlebt hat, immer wieder ein besonderes, erhebendes Gefühl. Manchmal wird sie im kleinen Kreis, vielleicht in der Wohnung befreundeter Muslime, gesprochen, gelegentlich in einer Moschee vor einer großen Zahl anwesender Muslime.

In der Rechtsschule von Imam Malik beispielsweise gehört es zu den sehr starken prophetischen Gepflogenheiten, die große rituelle Reinigung (arab. ghusl) vor dem Aussprechen der Schahada zu vollziehen. Zu diesem Ghusl gehören die Reinigung des Intimbereichs, die Gebetswaschung (arab. wudu’) sowie mindestens (je nach Rechtsschule) das Reiben der gesamten Haut mit Wasser.

„Ich werde mir nie vorstellen können, wie es sich anfühlt, zum ersten Mal das doppelte Glaubensbekenntnis vor anderen – entweder im kleinen Kreis oder vor der Gemeinschaft – zu sprechen. Bei uns bezeugen durchschnittlich 20-30 Menschen pro Jahr ihren Islam. Menschen haben geweint, andere waren sehr emotional. Ich habe Leute gesehen, die mit starker Stimme sprachen, manche waren erschüttert. Hier zeigten sich alle Arten von Emotionen, die wir uns vorstellen können“, berichtete der US-amerikanische Imam Kifah Mustafa von seinen Erfahrungen mit der Schahada vor zwei Jahren auf einer Konferenz amerikanischer Muslime.

Die Anerkennung ­gewaltiger Wahrheiten
„Es gibt eine schöpferische Macht, welche die Quelle aller Existenz ist. Aus ihr entströmt alles, was existiert, und kehrt unausweichlich zu ihr zurück, wenn das Ende ihrer Lebensspanne ­erreicht ist“, schreibt der britische Gelehrte Schaikh Abdalhaqq Bewley in ­einer erhellenden Einführung in die „fünf Säulen“ des Islam.

Es heißt im Qur’an, dass Allah Menschen und Dschinn nur erschaffen hat, damit sie Ihn anbeten. Damit werde klar, dass Anbetung im Allgemeinen ein grundlegender menschlicher Trieb sei. Sie habe nachweislich eine Schlüsselrolle in jeder Gesellschaft während der Menschheitsgeschichte gespielt. Was der erste Teil der Schahada eindeutig sage: Es gibt kein reales Objekt der Anbetung außer Allah. „Im Qur’an macht Allah immer wieder überwältigend deutlich, dass in Wirklichkeit nichts in der Existenz echte Macht hat außer Ihm. Das heißt, dass ein jegliches Geschehen in der Realität nur durch Allah geschieht.“

Der erste Teil der Schahada ist die Feststellung, dass es keinen Gott außer Allah gibt. Daraus leitet sich für Bewley definitiv ab, dass es eine direkte göttliche Einwirkung auf jeden physischen Prozess gibt. „Die Tür zu dieser Einwirkung ­(Allahs) wurde offenkundig durch die Beschreibung des Universums versperrt, die von der klassischen Physik formuliert wurde. Ein Bild, das seitdem von fast jedem auf diesem Planeten als wahr akzeptiert wurde. Die neuen Entdeckungen zur Natur der Materie haben das überlieferte Bild völlig verändert, und die Tür zum Verständnis der Realität des göttlichen Agierens in physischen Prozessen ist wieder weit geöffnet.“ Während also die Erkenntnis, dass es keinen Gott außer Allah gibt, für viele Menschen über lange Jahre unzugänglich ­gewesen sei, sei sie erneut zu einer authentischen Möglichkeit für jeden geworden. „Es gibt keinen stichhaltigen Grund, warum die erste Schahada nicht von jedem intelligenten menschlichen Wesen bestätigt werden sollte.“

Dem Menschen wurde immer Zugang zu Wissen vom Göttlichen durch Männer gegeben, die dank ihres Wesens offen dafür waren. Sie wurden geschaffen, um ihre Mitmenschen darüber zu unterrichten. Einige dieser von Allah inspirierten Menschen erhielten göttliche Offenbarungen, die in Form niedergeschriebener Bücher aufgezeichnet wurden. Wir haben immer Zugang zu dieser Rechtleitung in ihrer vollständigen Form – durch den letzten derjenigen, die von Dem Wahren selbst inspiriert wurden, um die Menschen zu ihr zu führen.

Er war Muhammad, der letzte der ­Gesandten Allahs an die menschliche Schöpfung. Durch ihn wurde der Qur’an offenbart – die letztgültige göttliche Offenbarung als vollkommene Rechtleitung für alle menschlichen Bedürfnisse bis zum Ende aller Zeiten. In seinem Leben demonstrierte er die Bedeu­tung des vollkommen erfüllten Menschseins. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, ­verkörperte jede Facette eines perfekten Charakters. „Und er zeigt uns“, so Schaikh Abdalhaqq Bewley, „wie sich ein Mensch in seinen alltäglichen ­Angelegenheiten und trotz aller möglichen Situationen dem göttlichen Befehl unterwirft“.

Durch Muhammad, den Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, wurde der Qur’an offenbart. Sein ganzes Leben war eine kontinuierliche Verkörperung dessen Lehren. Der Prophet war ein vollkommenes Beispiel für seine Gemeinschaft; sowohl dafür, wie deren Mitglieder sich untereinander und in dieser Welt verhalten sollen, als auch den Umgang mit ihren Herren, dem Schöpfer des Universums. Er zeigte ihnen, wie sie sich zu reinigen sowie wie und wann sie sich vor Allah niederzuwerfen haben. Er lebte ihnen vor, wie und wann man fastet. Und er zeigte, wie und was man geben muss.

„Die Einhelligkeit der Reaktion der ihm am nächsten Stehenden und ihre Beschreibung (…) zeigen einen Mann von solcher Perfektion des Charakters, dass es keinen Zweifel an der Wahrheit der Botschaft und Führung geben kann, die er gebracht hat – der Weg des Islam“, endet der Schaikh.