Wir basteln uns ein neues Feindbild

Ausgabe 277

Foto: Ömer Sefa Baycal

(iz). Die Rechten haben ein neues Feindbild: den islamischen Fastenmonat. Plötzlich sorgen sich AfD, FPÖ und Co. um das Wohl muslimischer Kinder, die angeblich gegen Prüfungen rebellieren oder wegen Wassermangel reihenweise umkippen. Diese Heuchelei ist ekelhaft, meint unser Autor.
Der islamische Fastenmonat Ramadan ist beendet. Dreißig Tage lang haben Muslime nur von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang gegessen und getrunken, sexuelle Aktivitäten tagsüber vermieden und auf Gepflogenheiten wie etwa das Rauchen verzichtet. Weitgehend unbemerkt versuchen sie also während des Ramadans vor allem ihre guten menschlichen Eigenschaften zum Vorschein zu bringen, bescheiden zu leben und von schlechten Gewohnheiten möglichst abzurücken. All das geschah in diesem Jahr allerdings im Schatten von Hetze, Diffamierungen und anderweitigen Scheindebatten, die darauf abzielen, die muslimische Lebensweise anzugreifen und sie für jedwedes Übel verantwortlich zu machen, was das christliche Abendland angeblich bedroht.
Während aufgeschlossene Teile der Gesellschaft dem Ramadan mit Toleranz und Verständnis begegnen, entschlossen sich Europas Rechte, ihn zum Feindbild zu deklarieren. Wer über den Ramadan berichtete – oftmals nur in erklärender Manier („Was ist das überhaupt?“) – wurde von rechten Trollen en masse angegriffen, in den Kommentarspalten zum „Islamisten-Versteher“ ernannt und sei sowieso obendrein „links-grün versifft“. Als der freie Journalist Eren Güvercin im „Deutschlandfunk“ dann noch erklärte, dass der Ramadan ein „alter deutscher Brauch“ sei und länger praktiziert werde als das Oktoberfest („Ja, da dürften jetzt einige Zeitgenossen in Bayern die Stirn runzeln“), flogen endgültig die Fetzen. Der betroffene Autor, ein deutsch-türkischer Muslim, wurde als faschistoider Islamist dargestellt, während die Redaktion sich vor all den Hassmails kaum noch retten konnte. „Das offizielle Deutschland wird immer geisteskranker“, ist auf Facebook zu dem Artikel zu lesen: „Langsam wird es Zeit, dass man diese hirnlosen Subjekte entsorgt.“
Ähnlich viel Hass schlug auch Politikern entgegen, die ihren muslimischen Mitbürgern eine schöne Fastenzeit wünschten. Die Ex-CDU-Politikern Erika Steinbach echauffierte sich über die Kanzlerin persönlich, weil die Bundesregierung den Muslimen eine gesegnete und friedvolle Zeit wünschte. Andere rechte Politiker reagierten ähnlich und waren dabei kaum von rechten Trollen, die in sozialen Medien herumpöbeln, zu unterscheiden. Martin Sichert, Bundestagsabgeordneter der AfD, forderte etwa ein Arbeitsverbot für alle muslimischen Bauarbeiter und Ärzte.
Im Nachbarland Österreich, wo mit der FPÖ eine Partei mit starken rechtsextremen Elementen in der Regierung sitzt, ist die Situation nicht anders. Lokale FPÖ-Politiker verbreiteten etwa ein Plakat, auf dem zu lesen war: „Ramadan in der Schule: Kein Essen, kein Trinken, kein Lernen.“ Auf dem Bild neben dem Spruch war ein kopftuchtragendes Mädchen zu sehen. Nebenher wurde, wie gewohnt, von Parallelgesellschaften und dem Untergang des Abendlandes schwadroniert. Muslimische Schüler würden angeblich massenweise gegen Prüfungen und Schulausflüge rebellieren und im Fastenmonat ganze Schulbetriebe ins Chaos stürzen. In manchen deutschen und österreichischen Stadtvierteln würden Nichtmuslime es kaum mehr wagen, in aller Öffentlichkeit zu essen oder zu trinken. Für viele Muslime wiederum – seien sie nun Schüler, Studenten oder Arbeiter – klingen solche Unterstellungen nicht nur absurd, sondern auch nach verrückten Verschwörungstheorien, die islamophobe Feindbilder verbreiten.
Das ist nichts Neues. Doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist in ganz Europa das Diffamieren des „andersartigen Muslims“ salonfähiger denn je. Das offenbart sich tagtäglich. Die Siegeszüge rechter Parteien sowie der medial-politische Diskurs sprechen für sich. So entschloss sich die rechte österreichische Regierung ausgerechnet während des Ramadans dazu, sieben Moscheen zu schließen und 40 ausländische Imame auszuweisen. All dies hängt vor allem mit einem neuen „Islamgesetz“ zusammen, das 2015 beschlossen wurde und die Gleichheit der Religionen mit Füßen tritt. Um es mit Orwell auszudrücken: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher. „Manche“ sind in diesem Falle alle nichtmuslimischen Glaubensgemeinschaften, die sich in aller Regel keine Sorgen über den Verlust ausländischer Finanzierungen machen müssen. Die betroffenen Imame in Österreich haben zudem nicht den Ruf, in irgendeiner Art und Weise radikal zu sein.
Bereits nach der Novellierung des österreichischen Gesetzes wünschten sich deutsche Rechte ähnliche Schritte. Dies ist nicht verwunderlich, denn hierzulande wird bereits seit Jahren der Islamhass, der eng mit dem Aufstieg der AfD zusammenhängt, geschürt. Dass eine Alice Weidel im Jahr 2018 im Bundestag unter anderem gegen „Kopftuchmädchen“ hetzen kann und dafür Beifall erntet, hat auch mit der medialen Handhabung der komplexen Islamthematik zu tun. Gefühlt jede zweite Woche wurde bei Maischberger, Plasberg und Co. über den bösen Islam, vermeintliche Toleranz, Frauenfeindlichkeit und weiß Allah was alles „diskutiert“. Mit niveauvollen, erkenntnisreichen Debatten hat all das wenig zu tun. Auf Kosten anderer werden hier Hass und Ängste geschürt, während vermeintliche Islamexperten regelmäßig den großen Kulturkampf zwischen dem zivilisierten Westen und den barbarischen Muslimen beschwören.
Das Ausmaß dieser katastrophalen Entwicklung bemerkte nun sogar der deutsche Kulturrat, der der Talkshow-Industrie eine einjährige Pause empfahl, um wieder zu sich finden. „Mehr als 100 Talkshows im Ersten und im ZDF haben uns seit 2015 über die Themen Flüchtlinge und Islam informiert und dabei geholfen, die AfD bundestagsfähig zu machen“, meint Geschäftsführer Olaf Zimmermann. Dennoch stellt sich die Frage, ob dieser Vorstoß nicht zu spät kommt. Denn abgesehen davon, dass die Anti-Islam-Industrie weiterhin blüht, geht es letztendlich um Millionen von Muslimen, die tagtäglich von diesen menschenfeindlichen Entwicklungen direkt betroffen sind. Die Zahlen des jüngst erschienenen European Islamophobia Reports sprechen für sich. Im Jahr 2017 fanden allein in Deutschland über 1.000 islamfeindliche Übergriffe statt, darunter mindestens 100 Angriffe auf Moscheen.
Der Text erschien erstmals am 13. Juni auf der Webseite der „Kontext:Wochenzeitung“. Abdruck mit Genehmigung des ­Autors.