Zeichen der Erde

Ausgabe 289

Foto: Fridays for Future, via flickr

„Allerdings dürfte die ­Perspektivdebatte innerhalb der Jugendumwelt­bewegung dadurch auch an Fahrt aufnehmen. Das ist nur das Beste, was ihr ­passieren kann. Eine ­Bewegung, die inhaltlich so schwammig bleibt, dass sie nur niemand ausgrenzt, kann in der Anfangsphase erfolgreich sein. Aber es ist das Wesen von ­Bewegungen, dass sie an Grenzen stoßen und an ­Dynamik verlieren. Spätestens dann steht die Perspektivdebatte auf der Agenda.“ Peter Nowak

(iz). Sie sind unübersehbar: die Zeichen der Erde. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gehen die Bilder der Wetterextreme um die Erde. Die ökologische Zerstörung macht vor keiner Grenze halt und lässt keinen Erdteil aus. Das Gefühl, dass die Schöpfung elementar bedroht, teilen inzwischen Menschen aus aller Welt. Letztendlich stellt sich so die Frage nach dem Maß menschlichen Handelns und nach neuen politischen Entwürfen, die den Herausforderungen der Klimakrise gerecht werden. Das Ausmaß der Krise zeigt nicht zuletzt auch die Grenzen nationaler Politik auf.

Wie genau die Auswirkungen der ökologischen Krise unter den Rahmen­bedingungen demokratischer Systeme gehegt werden können, sind naturgemäß strittig. Der Ruf nach harten Maßnahmen und Einschränkungen des gewohnten Konsums, die Rückkehr zur Atomkraft oder der Ausbau der alternativen Energien werden kontrovers diskutiert. Zwischen den Zeilen hört man auch ­bereits Ungeduld und Unzufriedenheit über die Langsamkeit demokratischer Prozesse heraus. Darüber hinaus wird die systemische Frage gestellt: Erlaubt ein entfesselter Kapitalismus, insbesondere die maßlose Geldpolitik, als die Grundlage moderner Ökonomie, überhaupt noch einen verantwortlichen Umgang mit der Natur?

Im Rahmen dieser Fragestellungen sind auch die Weltreligionen heraus­gefordert. Wie steht die religiöse Praxis zur Bedrohung aller Lebensgrundlagen und zu einer modernen Technik, die ­zumindest in Teilen die Schöpfung herausfordert? Hierbei wächst das Bewusstsein, dass die Aktualität von religiösen Entwürfen mit der Beantwortung der Schicksalsfragen der Menschheit einhergeht. Dabei haben die Religionen eine wachsende Bedeutung, weil ihre An­hängerschaft von jeher global organisiert ist. Die Solidarität zwischen Armen und Reichen ist eine der Grundprinzipien ­aller Religionen.

„Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist“, kommentierte einst Victor Hugo. In unserer Zeit massenmedialer Gestimmtheit kommt eine andere Grundstimmung hinzu: der Effekt der Angst. Die modernen Krisen der letzten Zeit, sei es die Finanz-, die Immigrations- oder eben die Klimakrise sind grundsätzlich mit allgemeinen Zukunftsängsten unterlegt. „Der Klimanotstand ist unser dritter Weltkrieg. Unser Leben und unsere Zivilisation, wie wir sie ­­kennen, stehen auf dem Spiel, genau wie im Zweiten Weltkrieg“, dramatisiert ­beispielsweise der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz die Lage. Die Gefahr ist dabei, dass die Angst vor dem Untergang so groß wird, dass auch einfache Heilsversprechen und ideologische Politikansätze Konjunktur ­bekommen. Vielleicht können gläubige Menschen, die grundsätzlich auf ein gutes Ende der Schöpfungsgeschichte ver­trauen, hier ein wenig zur Gelassenheit beitragen.

Wie immer man zum Thema der ­Klimakrise im Detail steht, beachtlich ist die Mobilisierung, die diese Frage inzwischen bei der Jugend auslöst. Wie kaum ein anderes Thema hat es junge Leute auf die Straße gebracht. Das Phänomen „Fridays for Future“ zeigt zunächst, dass die These einer entpolitisierten und ­konsumorientierten neuen Generation falsch ist. Jede Politik und natürlich auch jede Religion kann künftig nicht mehr ignorieren, dass Millionen junge Leute hier Antworten verlangen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Umwelt­bewegung in der islamischen Welt Fuß fasst.  Die Folgen eines unverantwort­lichen Umgangs mit den Ressourcen ­dieser Erde sind auch dort unübersehbar. Zunehmend beteiligen sich muslimische Gelehrte aus aller Welt an diesen Debatten.

Der englische Gelehrte Fazlun Khalid hat in seinem neuesten Buch die Situation aus muslimischer Sicht zusammengefasst. Seit 1992 beschäftigt er sich mit ökologischen Fragen und gründete 1994 eine NGO, die sich ausschließlich mit Umweltfragen beschäftigt. Neben der Schilderung der bekannten Fakten rund um die ökologische Situation der Neuzeit, verweist der Autor in seinem lesenswerten Buch „Signs on the Earth“ auch auf die entsprechenden Quellen der islamischen Lebenspraxis. Die Botschaft ist klar: der Koran beschreibt umfassend die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen. Dabei wird nicht nur das generelle Maß menschlicher Handlungsmöglichkeiten bestimmt, sondern auch die politische und ökonomische Macht faktisch beschränkt. Der Mensch wird so immer wieder an seine moralische Verantwortung gegenüber Schöpfer und Schöpfung erinnert.

„Es gibt eine gut etablierte Tradition im Islam“ stellt Fazlun Khalid daher grundsätzlich fest, „dass die ganze Erde ein Ort des Gebets ist. Ein heiliger Raum, in dem man über das Göttliche nachdenken kann.“ Die täglichen Aktivitäten, die Muslime in diesem Raum ausführen, erfordern vorbildliches Verhalten, da von ihnen erwartet wird, dass jede Handlung in der Natur eines Gebets stattfindet. Das Gebet und die Natur sind so unwiderruflich miteinander verbunden. Der Muslim ist in seiner religiösen Praxis auf das Wohl seiner Mitmenschen und die Sorge über seine Umwelt bezogen.

Der Qur’an ist dabei von Natur aus ökologisch und ganzheitlich ausgerichtet. Er spricht von Schöpfung (arab. khalq) und enthält über 250 Verse, in denen dieses Wort in seinen verschiedenen grammatikalischen Formen verwendet wird. Abgeleitet von der Wurzel kh-l-q, wird es in vielerlei Hinsicht verwendet, um zu beschreiben, was wir in der Welt sehen, fühlen und spüren. Die Verse ­enthalten Hinweise auf die natürliche Welt, von Kräutern bis zu Bäumen, von Fischen bis zu Geflügel, von Sonnen­himmel bis zu Sternen. Der Mensch ist Teil und zugleich Spiegel eines großen Ganzen.

Der Autor wirft den islamischen Staaten vor, das islamische Modell einer gerechten Wirtschaft und die Sorge um die Umwelt vernachlässigt zu haben. Das Buch verweist hier auf die unkritische Übernahme neuer Techniken der Macht und des westlichen Lebensstiles in der islamischen Welt. „Der Konsumismus ist so allgegenwärtig geworden“, schreibt Khalid, „dass wir sogar die Religion in Form eines Rituals konsumieren. Wenn dieses Ritual leblos ist und uns nicht mit dem gesegneten Geschenk des Schöpfers, der natürlichen Welt, verbindet, bleibt uns eine Einheit übrig, die wir als Ressource betrachten, die unser Konsum­leben zufrieden stellt“.  Tatsächlich versuchen moderne islamische Staaten heute vor allem durch riesenhafte technolo­gische Projekte ihre Fortschrittlichkeit zu beweisen.

Im Kern kritisiert Fazlun Khalid letztendlich die Politisierung der islamischen Lebenspraxis, mit der Folge, dass die ­ursprüngliche Balance des islamischen Entwurfes zwischen Materialismus und Spiritualität verloren gegangen ist. Entscheidend ist hier das islamische Wirtschafts- und Sozialrecht, dass man als Einschränkung des Politischen begreifen kann. Das Riba-Verbot enthält nicht nur das konkrete Verbot der Zinsnahme, sondern stellt sich auch gegen allmächtige Monopole und gegen die Möglichkeit unbegrenzter Kapitalanhäufung. Die Mobilisierung der Gläubigen und der Aufruf an sie, sich für die Bewältigung der Umweltkrisen einzusetzen und ein wachsendes Bewusstsein für die politische Ökonomie gehören für den Autor daher zusammen.

Der Qur’an erinnert uns, dass wir nicht die Herren, sondern die Diener der Welt sind. Wir lesen dort: „Die Erschaffung von Himmel und Erde ist weitaus größer als die Erschaffung der Menschheit. Aber die meisten Menschen wissen es nicht.“ (Al-Ghafir, Sure 40, 57)