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Zeuge von Diskriminierung

Ausgabe 301

Foto: Iryna Hromotska, Shutterstock

(Amnesty International). Uiguren und andere muslimische Minderheiten werden in der chinesischen Region Xinjiang systematisch unterdrückt und diskriminiert. Aber was heißt es, dort als Han-Chinese zu leben?

Die beiden uigurischen Jungen waren stärker als ich. Sie brachten mir jeden Tag nach der Schule bei, Saltos auf dem Barren zu schlagen. Als ich in Xinjiang aufwuchs, war es egal, dass ich Han war und sie nicht. Aber dieses Xinjiang ist fast verschwunden. In anderen Teil Chinas ist die Region heute gleichbedeutend mit Unruhe, Ferne  und Rückständigkeit.

Ich bin vor einigen Jahren weggezogen. Jedes Mal, wenn ich heimkehre, habe ich das Gefühl, die Atmosphäre ist schwerer geworden, da die Kontrolle der Regierung zugenommen hat. Betreten Sie ein beliebiges Gebäude, und es ist überall dasselbe: Sicherheitskontrolle, Gepäckkontrolle, Scannen des Personal­ausweises. Im Vergleich zu dem Ort meiner Kindheit, fühlt es sich an, als sei ich in einem Science-Fiction-Film.

Als ich zum Frühlingsfest vor einem Jahr in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi zurückkehrte, standen Polizeiautos vor dem Bahnhof. Angehörige ethnischer Minderheiten außerhalb der Metropole brauchten ein Garantieschreiben ihrer örtlichen Verwandten oder Arbeitgeber, um den Bahnhof zu verlassen.

Ein Freund berichtete mir, dass 2017 zur Zeit des 19. Nationalkongresses der Kommunistischen Partei (wichtiges politisches Ereignis in China), plötzlich viele Menschen verschwanden, hauptsächlich Uiguren, aus ihrem Arbeitsumfeld. Selbst Freunde und Familien wussten erst einige Tage später, dass sie verhaftet wurden und wo sie sich befanden.

Es gab verschiedene Gründe: Sie arbeiteten nicht mit Sicherheitsinspektionen zusammen oder machten unangemessene Bemerkungen. Einige wurden verhaftet, nur weil sie vorbestraft waren. Unabhängig von der offiziellen Linie war klar, dass die Verhaftungen mit dem Parteikongress in Verbindung standen.

Muslime mit vermeintlich schlechten Arbeitsleistungen wurden an Orte geschickt, an denen sie „lernen“ sollten. Ich kenne mich mit diesen Dingen nicht aus, habe sie aber alle mit eigenen Augen gesehen. Die Frage ist, wie wir als Han-Chinesen darauf reagieren.

Im Rahmen des Programms „Besuchen-Unterstützen-Vereinen“ werden Han-Chinesen entsandt, um in den Häusern der Angehörigen von ethnischen Minderheiten zu wohnen. Sie essen mit ihnen, „kultivieren nationale Gefühle“ und „lernen“ gemeinsam. Ein Freund von mir wurde von seiner Firma beauftragt, daran teilzunehmen. Mit anderen Worten, er hatte keine Wahl.

Sage ich meiner Familie und meinen Freunden, dass ich diese Maßnahmen nicht verstehe, seufzen sie einfach: „Das ist Xinjiang.“ In der Zeit, in der ich auswärts gelebt habe, gewöhnten sich die Leute an diese Kontrolle und das stört mich.

Ich hörte einen Verwandten von mir sagen, dass die ethnischen Minderheiten in seiner Fabrik heruntergefallene Dinge zu langsam aufheben würden. Er glaubt, dass sie nicht so schlau wären wie die Han. Ein anderer Freund, der in einem staatlichen Unternehmen arbeitete, sagte, seine Einheit habe keine Angehörigen ethnischer Minderheiten und plane auch keine Einstellungen. Eine andere Klassenkameradin erwähnte, dass sie es hasste, „Uiguren zu treffen“, wenn sie mit dem Zug fährt, weil sie „laut, stinkend und schmutzig“ wären.

Vor einem Jahr beschloss ich aus einer Laune heraus, wieder in meine Schule zu gehen. Die Wände waren alle mit Stacheldraht eingezäunt. Wüsste man nicht, dass es sich um eine Schule handelt, könnte man meinen, dass es sich um ein Gefängnis handelt. Ich habe mich gefragt, was meine ehemaligen Mitschüler denken, wenn sie erwachsen sind und andere Orte sehen, die nicht von Stacheldraht umgeben sind. Werden sie sich unsicher oder frei fühlen? (von Cha Naiyu)