Zwischen den Frontlinien

Einheiten der irakisch-kurdischen Peschmerga. Sie sollen auch bei der Rückeroberng von Mossul eingesetzt werden.
Foto: Boris Niehaus | Lizenz: CC BY-SA 3.0

Bonn (KNA). Hilfsorganisationen rechnen mit einer Flüchtlingskatastrophe in der umkämpften irakischen Stadt Mossul. „Ich gehe von einer Größenordnung von 600.000 Menschen aus – etwa jeder zweite Bewohner von Mossul“, sagte Astrid Nissen, Leiterin des Nahost-Büros des Deutschen Roten Kreuzes in Beirut, der „Heilbronner Stimme“ (Dienstag). Das UN-Flüchtlingshilfswerk sprach von bis zu 700.000 möglichen Flüchtlingen.
Dass die Militäroffensive auf die von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) besetzte Stadt noch vor dem Winter beginnen werde, sei absehbar gewesen, so Nissen. Man habe sich lange darauf vorbereitet. Für die Versorgung der Bevölkerung sei es nun wichtig, Fluchtkorridore zu schaffen.
Berthold Pelster, Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks „Kirche in Not“ befürchtet eine humanitäre Katastrophe und einen Kampf „bis auf die letzte Gewehrkugel“. Auch im relativ stabilen Kurdengebiet im Nordirak könne sich die Versorgungslage verschlechtern, sagte er der Zeitung.
Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerk Unicef sind in Mossul mehr als eine halbe Million Kinder und deren Familien in großer Gefahr. „Die Kinder von Mossul haben in den vergangenen beiden Jahren schon sehr gelitten. Viele könnten gewaltsam vertrieben werden, zwischen den feindlichen Linien steckenbleiben oder ins Kreuzfeuer geraten“, sagte Unicef-Mitarbeiter Peter Hawkins in Bagdad.
Amnesty International betonte, dass nicht nur der IS die Menschenrechte verletze. Paramilitärische Milizen und Regierungstruppen im Irak seien für Kriegsverbrechen verantwortlich, heißt es in einem Bericht der Organisation. Tausende Zivilisten seien bereits „Opfer von Folter, willkürlicher Inhaftierung, Verschwindenlassen und außergerichtlichen Hinrichtungen“ geworden. Im Kampf um Mossul müssten die irakischen Behörden derartige Menschenrechtsverstöße verhindern, mahnte Amnesty.
Der neue EU-Sicherheitskommissar Julian King warnte vor den möglichen Folgen der Großoffensive für die Sicherheit in Europa. Eine Rückeroberung von Mossul könne dazu führen, „dass gewaltbereite IS-Kämpfer nach Europa zurückkommen“, sagte er der „Welt“. Mit einem „Massenexodus von IS-Kämpfern“ sei nicht zu rechnen; man dürfe die Gefahr allerdings auch nicht kleinreden.
Ähnlich äußerte sich der Londoner Terrorforscher Peter Neumann im ARD-Morgenmagazin. Seiner Einschätzung nach befinden sich derzeit 10.000 ausländische Kämpfer in Syrien und im Irak. Nach einer Rückeroberung Mossuls werde sich der IS wahrscheinlich „zurückziehen und auf seine nächste Möglichkeit warten“, so der Wissenschaftler. Auch drohten neue Konflikte in der Region, die derzeit hauptsächlich durch die Gegnerschaft der Terroristen geeint sei.